15

 

Ich trainierte noch eine Stunde länger und tötete in jener Nacht drei weitere Dämonen, die in Käfigen angeliefert und dann im Ring ausgesetzt wurden. Wie wilde Tiere gingen sie auf mich los, einige mit Schwertern, andere mit bloßen Händen. Manche konnten mich mit reiner Willenskraft quer durch den Raum schleudern, andere sprangen mich mit aufgerissenem Maul an und versuchten, mir die Seele zu stehlen. Zane brachte mir bei, wie man sie bekämpfte und wie man sich schützen konnte, vor allem aber, wie ich mein Messer am besten einsetzte. Ich kann nicht behaupten, dass ich sonderlich elegant oder raffiniert kämpfte; die meiste Zeit schlug ich einfach zu. Aber aus jedem Mord ging ich ein bisschen geschickter und stärker hervor.

Und worauf es vor allem ankam: Ich überlebte.

Zwischen den Kämpfen erholte ich mich an den Seitenlinien, während Clarence mir eine Einführungsvorlesung zum Thema »Dämonen« hielt. Er zeigte mir Fotos verschiedener Gattungen, erklärte mir, für welche Art von Schandtaten sie jeweils berühmt waren, und gab mir ein paar Einblicke in die Geschichte. Berge von Informationen, und eindeutig mehr, als mein sowieso schon überfrachtetes Gehirn verarbeiten konnte.

Ehrlich gesagt: Es war leichter, sich einfach in den Kampf zu stürzen. Und genau das tat ich meistens auch, während Zane mir von der Seitenlinie aus Ratschläge erteilte - oder meine Fähigkeiten aburteilte, ganz wie man will.

Und ich? Ich stieß zu, wich aus, trat zu und griff an, wobei ich vor allem eins versuchte: am Leben zu bleiben und die Dämonen in schmierige Erinnerungen zu verwandeln.

Wenn man das als das Hauptziel definiert, dann war ich gar nicht mal schlecht.

Weshalb sich die Frage stellte, warum ich so trübseliger Stimmung war, als Zane das nächtliche Training für beendet erklärte. Tatsache war, dass ich nicht aufhören wollte. Ich wollte auf etwas einprügeln. Ich wollte auf alles losgehen, aufheulen und zuschlagen und schreien, bis die Welt wieder so war, wie ich sie haben wollte. Alles sollte nach meiner Pfeife tanzen, und alles andere war mir herzlich egal. Ich wollte jeden aus dem Weg räumen, der sich mir entgegenstellte. Und gleichzeitig wollte ich mich am liebsten zusammenrollen und mich von der Dunkelheit umfangen und trösten lassen.

Dieser Gefühlsmischmasch gefiel mir ganz und gar nicht. Und, zur Hölle, ich verstand ihn nicht. Ich wollte dieses Leben doch! Und verdammt - es gefiel mir, dass man ausgerechnet mich ausgewählt hatte. Und noch besser gefiel mir, dass ich den Test bestanden hatte.

Aber da war sie, diese zutiefst finstere Stimmung. Wie eine dieser dunklen Wolken in den Comics, die einem direkt über dem Kopf hängen. Und so sehr ich mich auch bemühte: Ich konnte sie einfach nicht abschütteln.

Und das machte mich gleich noch unausstehlicher.

»Komm schon, Kleine!«, sagte Clarence, als wir zu meinem Motorrad gingen. »Mach nicht so ein Gesicht! Auch das wird vorbeigehen.«

Ich warf ihm einen kurzen Blick zu und fragte mich, ob er wohl in meiner trüben Stimmung herumgestochert hatte. Mit Sicherheit hatte ich sie deutlich genug ausgestrahlt.

»Rumstochern war gar nicht nötig«, fuhr er fort. »Du bist wie dieser Typ aus den Peanuts, wie heißt er noch gleich? Der immer von einer Staubwolke umgeben ist? Genauso bist du! Nur dass dich der Geruch von Angst umweht.«

»Danke«, erwiderte ich. »Du bist wirklich eine große Hilfe. Jetzt geht’s mir schon deutlich besser.«

Er blieb stehen, drehte sich um und musterte mich mit einem Gesichtsausdruck, in dem sich Ernst und Mitleid vermischten. Echt eine Meisterleistung bei seinem amphibienartigen Äußeren. »Das geht vorbei, Kleine. Lass dich davon nicht runterziehen.«

»Und mit das meinst du diese überdimensionale Wolke über mir, vor der ich mich am liebsten für die nächsten tausend Jahre unter einer Decke verkriechen würde? Oder wahlweise den Nächstbesten totschlagen.«

»Ja«, antwortete er. »Genau das meine ich.«

Zwar verkniff ich mir ein Verpiss dich, aber das Geräusch, das ich von mir gab, drückte in etwa dasselbe aus.

Er kicherte. Offensichtlich schreckten ihn weder meine Taten noch meine Haltung ab. »Das ist die Umstellung, Kleine. Ich meine - was erwartest du? Du hast in ein paar Stunden durchlebt, wozu man normalerweise einen Monat braucht. Hast einen neuen Körper, einen neuen Job und eine verdammt ernste Mission. Also mach dir keine Vorwürfe, wenn erst mal alles schiefgeht.« Er klopfte sich mit dem Finger gegen den Kopf und sah mich wissend an. »Geh nach Hause. Schlaf dich aus.«

»Ich dachte, ich brauche keinen Schlaf«, gab ich griesgrämig zurück. Ich hatte nicht die geringste Lust nachzugeben.

»Den brauchst du, um zu heilen. Glaubst du etwa, du könntest so eine Umwandlung unbeschadet überstehen?«

Ich runzelte die Stirn, denn ich war mir sicher, dass er recht hatte. Mein Körper schmerzte wie verrückt. Allerdings war ich nicht in der Stimmung, das zuzugeben.

»Es wird eine Weile dauern, Kleine. Also flipp jetzt bloß nicht aus, nur weil du dich ein bisschen wie vor deiner Periode fühlst.«

»Hey! Was sollen diese Gemeinheiten?« Er war wirklich ein abgefahrener kleiner Himmelsbote, aber er hatte recht. Und ja, ich war dankbar.

»Dann gib mir doch jetzt mal eine ehrliche Antwort«, sagte ich, als ich mich auf meine Tiger schwang. Ich umschloss die Griffe mit den Händen; meine Handfläche war bereits völlig verheilt. Wie angenehm! »Was steckt eigentlich hinter diesem Vertrag? Ich meine: Worum geht es hier wirklich? Fahren wir jetzt jeden Tag zu Zane, um zu trainieren, bis das Symbol auf meinem Arm tut, was es soll?«

»Das trifft es ziemlich genau. Zane und du, ihr trainiert regelmäßig. Seite an Seite, erhitzt und schwitzend, bis du alle Tricks aus dem Effeff beherrschst.«

Ich warf ihm einen Blick von der Seite zu. Meine Wangen waren rot angelaufen. Er kicherte.

»Wie nett!« Mir wurde klar, dass Clarence alle meine lustgesteuerten Gedanken aufgeschnappt hatte. »Und da hatte ich doch wahrhaftig geglaubt, du könntest nicht noch gemeiner werden.«

»Ich mein ja nur.«

Ich seufzte. »Was hat es denn eigentlich mit ihm auf sich?«

»Ein Teenager würde vermutlich sagen: Er hat höllische Pheromone. Schwer zu widerstehen, wenn du verstehst…«

»Ja«, entgegnete ich. »Das verstehe ich durchaus.«

Er kicherte. Meine Verlegenheit amüsierte ihn ganz offensichtlich. »Ich verlasse dich jetzt«, sagte er und trat einen Schritt zurück. »Ich finde allein nach Hause.«

»Wie bitte? Jetzt warte doch mal! Ist das alles? Bekomme ich denn keinen Auftrag? Ein Dokument, das sich selbst vernichtet? Ein Passwort für eine geheime Webseite?«

»Ich melde mich.« Er tippte sich an den Hut, machte auf dem Absatz kehrt und zischte über den Asphalt auf das Ende der Gasse zu.

Ich zog einen Flunsch und ließ das Motorrad an. Die Begeisterung für meine Mission ließ rapide nach. Ich würde gegen ausgesprochen unangenehme Dämonen in einen Kampf ziehen müssen, der das Schicksal der Erde entscheiden konnte. Und jede Wette, dass keiner dieser Dämonen scharf darauf war, sich mir vors Messer zu werfen, sobald ich auf der Matte stand.

Kein Druck. Überhaupt kein Druck.

Die düstere Schwermut hing immer noch über mir, als ich das Motorrad in der Nähe von Alice’ Wohnung zwischen zwei geparkte Autos quetschte. Um zwei Uhr in der Früh lag die Straße seltsam verlassen da, und die Nacht schien mich niederdrücken zu wollen. Ich konnte kaum glauben, was sich alles in weniger als vierundzwanzig Stunden ereignet hatte. Ich war buchstäblich ein anderer Mensch, und auch wenn ich wusste, dass ich das alles erst mal in Ruhe verdauen sollte, konnte ich es nicht einfach so abschütteln. Ich fühlte mich, als läge eine schlaflose Nacht vor mir.

Ich stieg ab und ging die Stufen zur Haustür hinauf. Kaum hatte ich sie aufgesperrt, zerriss ein durchdringender Schrei die Stille der Nacht. Ich drehte mich in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war. Mein Herz raste bei dem Gedanken, dass jemandem Schmerz zugefügt wurde. Plötzlich schämte ich mich, und ich befahl meinen Beinen, sich in Bewegung zu setzen.

Um den Menschen zu retten.

Und ich rannte los, rannte auf das Geräusch zu. Und hoffte, dass meine Entscheidung, den Hintern hochzukriegen, nur eines bedeuten konnte: dass die Finsternis, die in meinem Inneren sprudelte, nicht ganz so abscheulich war, wie sie sich anfühlte. Vielleicht diente sie ja wirklich zu etwas: Dämonen umbringen. Die Welt retten.

Während mir tausend Gedanken durch den Kopf schössen, raste ich über die Straße und genoss die Kraft, die meinen Körper durchflutete.

Ich konnte nicht genau sagen, woher der Schrei gekommen war, aber viele Möglichkeiten gab es nicht. Zwischen den grauen Gebäuden auf der gegenüberliegenden Straßenseite verliefen schmale Wege. Die Gebäude waren früher geräumige Einfamilienhäuser gewesen, die man in Apartments umgewandelt hatte. Die Rasenflächen zwischen den Häusern hatte man asphaltiert, und die dadurch entstandenen schmalen Gassen führten zu Parkplätzen, die früher Gärten gewesen waren, in denen Kinder spielten.

Als ich in die nächstgelegene Gasse einbog, konnte ich nichts entdecken, aber in der Ferne hörte ich das gedämpfte Stöhnen einer Frau, der vermutlich gerade ein Mann die Hand auf den Mund presste. Ich lief auf das Geräusch zu, versuchte, die Dunkelheit zu durchdringen, und machte mich auf das Schlimmste gefasst.

Verdammt - ich freute mich darauf.

Mit dem, worauf ich schließlich stieß, hatte ich allerdings nicht gerechnet: Ein dunkles Wesen mit blutrot unterlaufenen Augen hielt einer kleinen Blonden die Hand auf den Mund gepresst. Aus einem Loch in ihrem Hals floss Blut direkt in seinen weit offen stehenden Mund.

Ich jagte schon auf ihn zu, bevor mein Verstand die Situation voll erfasst hatte. Er hob den Kopf und bleckte die blutverschmierten Zähne, die er gerade noch in lebendiges Fleisch geschlagen hatte.

Er schien weder Eile noch Angst zu haben. Im Gegenteil, es war fast, als würde er mich zu der Party willkommen heißen.

Genau das war es - mehr noch als die ausgeflippte Tatsache, in einer dunklen Gasse auf eine Bestie zu stoßen -, was dafür sorgte, dass sich die feinen Härchen in meinem Nacken furchtsam aufstellten.