In der Verharmlosungsfalle

Wie man sich doch in Menschen täuschen kann. Nehmen wir Kristina Schröder. Bislang hat sich die Bundesfamilienministerin der breiteren Öffentlichkeit vor allem durch ihren Einsatz für mehr Krippenplätze und die Fortzahlung des Elterngelds empfohlen. Dazu kamen die Nachrichten aus dem Wochenbett: Nur zehn Wochen nach der Entbindung war die junge Mutter schon wieder an ihrem Arbeitsplatz, das muss man wohl vorbildlich nennen. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet diese emanzipierte Frau dafür mitverantwortlich ist, dass der Rechtsextremismus in Deutschland blüht und wir uns in der eigenen Republik nicht mehr sicher fühlen können.

Aber genauso ist es, jedenfalls wenn man der «Tagesschau» glauben darf. «Wenn wir in einem demokratischen Rechtsstaat leben wollen, in dem alle Menschen (…) auf die staatlichen Organe vertrauen können, dann brauchen wir Politiker, die Opfer ernst nehmen», donnerte es in einem Kommentar auf tagesschau.de. «Wenn wir eine Gesellschaft anstreben, in der jeder individuelle Lebensentwurf, vom schwäbischen Häuslebauer bis zur Drag-Queen im Kreuzberger Kiez, akzeptiert wird, dann brauchen wir verantwortungsvolle Politiker, die nicht aus ideologischer Geschwätzigkeit heraus Gräben aufreißen, wo gar keine sind. Kristina Schröder ist dieser Verantwortung nicht gewachsen.»

Nun ist Geschwätzigkeit normalerweise kein hinreichender Grund für eine Abmahnung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die Familienministerin ist auch nicht direkt für die staatlichen Organe verantwortlich, die den Schutz des Rechtsstaats gewährleisten sollen. Bislang fallen die Sicherheitsbehörden noch immer in die Zuständigkeit des Bundesinnenministers. Dafür untersteht ihr die Förderung all der Beratungsprojekte, Vor-Ort-Initiativen und Arbeitsstellen gegen Rassismus und Diskriminierung, deren Aufklärungsarbeit nach Meinung vieler bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus mindestens so viel Bedeutung zukommt wie der Arbeit von Polizei und Verfassungsschutz. Und in dieser Szene hat sich die Ministerin nachhaltig unbeliebt gemacht. Seit Schröder von jedem Verein eine sogenannte Demokratieerklärung verlangt, in der sich die Empfänger von Fördergeldern zum Grundgesetz bekennen müssen, lebt sie mit dem Vorwurf, sie könne Links- und Rechtsextremismus nicht auseinanderhalten. Das reicht schon, um in den Verdacht zu geraten, den braunen Terror zu verharmlosen. Oder zu «relativieren», wie es bei solcher Gelegenheit heißt.

Es war absehbar, dass die Debatte über die Gefahr von rechts in eine über staatliche Zuwendungen abbiegen würde. Wo es ums Geld geht, erwächst Konkurrenz, auch wenn man das in diesem Fall so nicht sagen darf. Der einfachste Weg, den Furor der öffentlich finanzierten Teilzeit- und Dauer-Engagierten zu entfachen, ist, eine Diskussion über Interessenlagen zu beginnen. Weil alles aus dem vornehmsten Anlass geschieht, setzt sich jeder sofort ins Unrecht, der Zweifel anmeldet, und sei es nur, indem er wie die Familienministerin zuvor gerne sichergestellt hätte, dass sein Geld auch für die von ihm beabsichtigten Zwecke fließt.

Der Glaube an die segensreiche Wirkung von Sozialarbeit ist grenzenlos. Von den zehn Vorschlägen, die die «taz» unter der Überschrift «Gegen Neonazis: Was jetzt zu tun ist» auf ihrer ersten Seite präsentierte, liefen alle irgendwie auf eine Stärkung des sogenannten zivilgesellschaftlichen Engagements hinaus. Der einzige Bereich der Gesellschaft, in dem sich das Böse völlig untherapierbar zu halten scheint, sind Vorstandsetagen. Spitzenmanager können tausendmal behaupten, dass sie eine schwere Kindheit hatten, es wird ihnen nichts nützen. Ansonsten gibt es keine Problemgruppe, bei der nicht gute Wort und viel Zuwendung Abhilfe schaffen können. Und wenn sich die Probleme trotz des Einsatzes wider Erwarten verfestigen, dann gab es eben nicht genug sozialtherapeutisches Personal, um die Dinge in den Griff zu bekommen.

Es ist ein nahezu narrensicheres System, das längst auch abseits der Welt der Zahlen funktioniert. Die Wahrheit ist ja: Keine Bundesregierung hat jemals so viel Geld für die Bekämpfung des Rechtsextremismus ausgegeben wie die derzeit amtierende. 24 Millionen Euro gehen jedes Jahr in die entsprechenden Programme, das sind vier Millionen Euro mehr als unter Rot-Grün. Tatsächlich ist es so viel Geld, dass von den bereits bewilligten Mitteln Ende vergangenen Jahres noch 8,5 Millionen Euro übrig waren, weil die vom Staat geförderten Projekte noch nicht die Zeit gefunden hatten, alles abzurufen. Aber, wie gesagt, wenn es um die gute Sache geht, darf man nicht zu kleinlich sein. Sonst heißt es noch, man stehe auf der falschen Seite.