Unsere Partei der Öko-Hausmeister

Es gibt viele Möglichkeiten, sich eine Wahlniederlage zu erklären. Das Wetter war schuld. Der Bundestrend stand gegen einen. Der Gegner hat sich unlauterer Methoden bedient. Das sind die gängigen Ausflüchte, wenn man nicht über Programm oder Spitzenkandidaten reden will. Welche Erklärung hatten die Grünen, dass sie bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus meilenweit ihr Ziel verfehlten, den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit abzulösen? Ganz einfach: Ihr Wahlkampf war zu anspruchsvoll für die Hauptstadt. Das ist wenigstens mal eine originelle Deutung des Wahlausgangs, muss man sagen. Wählerbeschimpfung gehört schon seit längerem nicht mehr zum Repertoire des Wahlverlierers.

Allenthalben hieß es, die Grünen hätten sich nicht durchgesetzt, weil sie auf Ideen und Konzepte setzten, während die SPD sich damit begnügte, gute Laune zu verbreiten, und ansonsten jede Auseinandersetzung über Sachfragen vermied. Inhalte statt Gefühl – auf diese Formel brachten viele Beobachter den Wahlkampf der Ökopartei schon, als sich in den Umfragen andeutete, dass es mit der Machtübernahme in der Hauptstadt nichts werden würde. So gesehen haben die Grünen die Quittung erhalten, muss man folgern: Den Berlinern reicht es eben, dass die SPD die besseren Plakate hatte. Das ist natürlich ein bedenkliches Zeichen, wie besorgte Stimmen aus der linksalternativen Mitte sogleich anmerkten. Wenn die Wähler Plakate statt Programme vergleichen, steht es nicht gut um die Demokratie, ist ja klar.

Mag sein, dass die Berliner zu einfältig sind, um zu erkennen, welche Chance sie mit ihrer Entscheidung gegen Renate Künast als Bürgermeisterin vertan haben. Eine andere, sehr viel nahliegendere Erklärung des Wahlausgangs wäre, dass sie genau wussten, was sie taten. Man braucht nicht das 240 Seiten umfassende Programm der Grünen gelesen zu haben, um eine ziemlich präzise Idee von deren Gedankenwelt zu haben. Man muss eigentlich nur einen Auftritt der grünen Spitzenkandidatin verfolgt haben. Selbst Menschen, die nicht besonders viel mit Wowereit am Hut hatten, schreckten am Ende bei der Vorstellung zurück, nun jeden Morgen mit der Frage geweckt zu werden, wie es denn gestern Abend bei ihnen um die Mülltrennung stand.

Die Grünen verbinden mit ihren Erziehungsappellen gern den Anspruch, besonders fortschrittlich zu denken. Dabei ist inzwischen das Gegenteil richtig: Nicht die Bejahung von Veränderung ist ihr Ziel, sondern der weitreichende Schutz davor. Wenn sie von Stadt reden, meinen sie den Kiez und seine Bewahrung – vor dem Ausbau der Stadtautobahn, vor zu vielen Touristen, vor der «Luxussanierung» und natürlich vor allen Großprojekten, wozu schon ein neues Museum oder ein Riesenrad am Bahnhof Zoo gehören. Früher rief man den Hausmeister zur Hilfe, wenn man Ruhe und Ordnung beeinträchtigt sah. Heute wählt man die Grünen, die dann gegen die Störung des Hausfriedens vorgehen.

Diese biotopische Milieuschutzpolitik findet durchaus ihre Anhänger, auch in einer Stadt wie Berlin, in der es, anders als im beschaulichen Süden der Republik, immer schon etwas lauter und ruppiger zuging. Aber es reicht eben nur für 17 Prozent und nicht für eine Mehrheit, die einem den Posten des Bürgermeisters anträgt. So veränderungsunwillig ist der Berliner dann doch nicht, wie sich zeigt. Da ist er aus härterem Holz geschnitzt als sein Pendant in Stuttgart. Dort hält man ja auch die Kehrwoche in hohen Ehren, möglicherweise einer der Gründe, warum den Grünen in Baden-Württemberg gelang, was ihnen in Berlin verwehrt bleibt.

Eigenartigerweise leben die Grünen bis heute ziemlich komfortabel von ihrem Image als Außenseiter des Systems. Dass ein Großteil der grünen Führungsriege über das Leben in der Politik nahe ans Rentenalter gerückt ist, fällt in der öffentlichen Wahrnehmung kaum ins Gewicht. Auch über die Tatsache, dass viele Anhänger aus einem Milieu stammen, das man beim besten Willen nicht mehr als frech und unangepasst bezeichnen kann, wird großzügig hinweggesehen. 40 Prozent der höheren Beamten wählen inzwischen die Ökopartei, wie eine Forsa-Umfrage ergeben hat, in Berlin sind es sogar 60 Prozent. Auch das mag das enorme Ruhebedürfnis erklären, das in den grünen Programmen überall durchschlägt.

Problematisch wird es, wenn ein Konkurrent auftaucht, der noch rebellischer wirkt als man selbst. Gegen die Piraten («Ihr habt die Antworten, wir haben die Fragen») haben es auch die Grünen schwer, jedenfalls bei der Klientel, die sich trotz oder wegen ihres Alters gern spätpubertär gibt. Die Piraten sind die ideale Partei für alle Jungwähler und solche, die sich dafür halten: freier Zugang zu Drogen (was «Hilfe statt Kriminalisierung» bedeutet, kann jeder Hauptschüler übersetzen); freies Kopieren von allem, was einem im Netz gefällt. Gegen dieses Angebot kommt auch die Angst vor dem Atomtod nicht an.

Eine Forderung der Grünen war immer, das Wahlalter auf 16 Jahre zu senken. Nach dem Erfolg der Piratenpartei in Berlin werden sie sich überlegen, ob das wirklich eine so gute Idee ist.