Die Kosten der Sonnenwende

Irgendwann, mit Verspätung, wurde dann auch mal übers Geld geredet. Das war zweifellos ein Fortschritt nach all den närrischen Wochen, in denen sich die Parteien gegenseitig mit Vorschlägen zu übertrumpfen suchten, wie schnell Deutschland auf die Atomkraft als Energiequelle verzichten könne. Der Blick aufs Preisschild hat immer etwas Ernüchterndes – es sei denn, man gehört zu den glücklichen Menschen, die sich ums Finanzielle keine Sorgen mehr machen müssen. Deshalb kommen Politiker ja auch so ungern auf die Rechnung zu sprechen, wenn sie sich an Vorhaben wagen, für die wir dann alle geradestehen.

Dass es nicht ganz billig werden würde, ließ sich von vornherein sagen. Die zwei Milliarden Euro, die Kurzzeit-Wirtschaftsminister Brüderle als Kosten für den Atomausstieg nannte, hätten noch nicht einmal gereicht, um die Einnahmen aus der Laufzeitverlängerung zu ersetzen, die nun im Bundeshaushalt fehlen. Aber der gute Mann hat es offenbar nicht so mit Zahlen. Seien wir froh, dass er nicht im Finanzministerium saß, wo man wirklich rechnen können muss, sondern in einem Haus, das schon vor langem seine Kompetenz in wesentlichen Fragen verloren hat.

Wer die Einlassungen zum sofortigen Atomausstieg überblickt, muss feststellen, dass es vor allem die Sozialdemokraten waren, die noch so etwas wie industriepolitische Vernunft an den Tag legten. In einer Nüchternheit, die man schon ketzerisch nennen kann, erinnerte der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier daran, dass Deutschland ein bedeutender Industriestandort sei, weshalb nicht wenige Arbeitsplätze an einer sicheren Energieversorgung hingen. Auch Parteichef Sigmar Gabriel, der sonst noch jeden Zug in die Sonne der anstrengungslosen Zustimmung nimmt, mahnte wiederholt an, die Verbraucher nicht aus dem Blick zu verlieren, die am Ende die Kosten für alle energiepolitischen Großreformen tragen müssen. Der Vorschlag der SPD, zu dem von ihr ausgehandelten Atomkonsens mit dem Ausstiegsdatum 2020 zurückzukehren, machte sie unter den gegebenen Umständen fast zur Risikopartei. Man musste in der Diskussion den Eindruck gewinnen, dass jeder Tag, den wir die verbliebenen Kernkraftwerke am Netz lassen, ein Spiel mit dem Tod sei.

Im Gegensatz zu den Grünen, deren Klientel ein paar hundert Euro mehr oder weniger auf der Stromrechnung nicht wirklich schmerzt, vertritt die SPD auch Menschen, die am Ende des Monats froh sind, wenn ihnen von ihrem Gehalt etwas übrig bleibt. Außerdem findet sich in ihren Reihen noch eine ausreichende Anzahl von Leuten, die sich ein Gefühl dafür bewahrt haben, dass der Wohlstand des Landes nicht in den Ökomanufakturen erwirtschaftet wird, die nun fleißig Solarpaneele zusammenschrauben. Man mag das bedauern, aber jeder zehnte Arbeitsplatz hängt in Deutschland an der Automobilindustrie, und es sind dabei leider auch nicht die energieeffizienten Kleinwagen, die uns im Wettbewerb einen Platz vor der Konkurrenz garantieren.

Nach vorsichtigen Schätzungen wird die Energiewende den Strom für Privatkunden um gut 20 Prozent teurer machen. Schon jetzt liegt der Anteil von Steuern und Abgaben an jeder Kilowattstunde bei etwa der Hälfte des Endpreises; tatsächlich sind die Kosten für Herstellung, Transport und Vertrieb heimischer Energie bis zum Unfall in Fukushima nicht etwa gestiegen, wie die Lobbyisten der Ökoindustrie den Leuten weismachen wollen, sondern leicht gesunken. Dass die Verbraucher dennoch immer mehr zahlen, um es zu Hause gemütlich zu haben, liegt an den staatlich verfügten Subventionen für die Energiequellen, von denen nun so viele das Heil erwarten.

Es braucht keine besondere prophetische Gabe für die Voraussage, dass sich die Begeisterung für den schnellen Atomausstieg schnell abkühlen wird, wenn die Bürger schwarz auf weiß vor sich haben, was er sie kostet. Vier von fünf Deutschen waren zwischenzeitlich für ein baldiges Ende der Kernenergie, wenn man den Umfragen glauben darf. Aber das ist keine sehr verlässliche Basis für politische Entscheidungen, wie jeder weiß, der die Methodik solcher Meinungsumfragen kennt. Genauso gut könnte man die Menschen fragen, ob sie nicht auch eine größere Wohnung oder ein schnelleres Auto bevorzugen würden. Solange es so aussieht, als ob es etwas umsonst gibt, sagt niemand von sich aus nein.

Deutschland unterzieht sich einem spannenden Großversuch, wie ihn keine Industrienation bislang gewagt hat. Das allein ist noch kein Grund für Pessimismus – man sollte sich eben nur im Klaren sein, worauf man sich einlässt. Die Äußerungen einiger führender Politiker aus dem Regierungslager geben allerdings wenig Anlass zur Vermutung, dass alle die Sache dort wirklich durchdacht haben. Wenn der niedersächsische Ministerpräsident David McAllister nun erklärt, Wind, Sonne und Wasser würden keine Rechnungen schicken, weiß man nicht, was man mehr bewundern soll: die Evangelikalrhetorik, mit der er jeden Kirchentag verzaubern würde, oder seine Unbekümmertheit angesichts einer Zukunftsfrage, von der mehr als die nächste Wahl in Hannover abhängt.

Wie schwierig die Lage schon jetzt ist, zeigt die Entscheidung der Bundesnetzagentur in Berlin im vergangenen Herbst, alle Wartungsarbeiten an den vorhandenen Hochspannungsleitungen auszusetzen, weil die Verantwortlichen den Blackout fürchteten. Man darf gespannt sein, welchen Verlauf die Diskussion über die Energiewende nehmen wird, wenn im Süden erstmals die Lichter ausgehen und an den Fließbändern bei Daimler und BMW mangels Strom die Arbeit ruht. Was wird die Bundesregierung dann wohl verfügen, um die aufgebrachten Gemüter zu beruhigen? Den «schnellstmöglichen» Wiedereinstieg in die Atomenergie, um in der Diktion der Kanzlerin zu bleiben? Ein Moratorium zur Risikoabschätzung der erneuerbaren Energien? Oder die Sicherung der Energiezufuhr aus Frankreich und Tschechien, notfalls auch unter Androhung deutscher Truppen nach Fessenheim?