Auf zur fröhlichen Sympathisantenjagd
Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Suche nach den geistigen Hintermännern beginnen würde. Im Fall von Anders Breivik brauchte es gerade mal drei Tage, und die ersten Verdächtigen waren ausgemacht: der Publizist und Polemiker Henryk Broder natürlich, Thilo Sarrazin, der Verleger Mathias Döpfner. Der Vorstandsvorsitzende des Springer-Konzerns war vermutlich selber überrascht über seine Nennung, aber er hat einmal einen Kommentar geschrieben, in dem er vor dem Islamismus in Europa warnte. Das reichte, um in Erklärungszwang zu geraten.
Sonst sind immer die Computerspiele schuld, wenn ein junger Mann aus der Mitte der Gesellschaft zum Amokläufer wird; im Fall des norwegischen Attentäters waren es die sogenannten Islamkritiker. Niemand ging so weit, eine direkte Linie von den Anschlägen in Oslo zu den Texten der inkriminierten Autoren zu ziehen; die hat der Todesschütze nachweislich nie gelesen, weil er kein Deutsch kann. Aber die direkte Lektüre war auch gar nicht nötig, um den Bogen zu spannen. Es genügte, dass dieselben Sujets auftauchten, die gleichen Zitate. Breivik sei ein «Einzeltäter», aber kein «Einzeldenker», hieß es in der «Zeit». Damit waren alle in Haftung genommen, die in der Nähe des Killers aus Oslo auftauchten, und sei es nur gedanklich.
Stellen wir uns für einen Moment vor, der Attentäter hätte das Jugendlager der rechten Fortschrittspartei heimgesucht und im Netz eine Anklage gegen den Atomstaat hinterlassen. Würden wir Claudia Roth zur geistigen Brandstifterin erklären und den Atomausstieg in Frage stellen? Wohl kaum. Wir würden das Naheliegende tun und den Attentäter als das sehen, was er ist: ein verwirrter Geist, der sich eine Wahnwelt zusammengezimmert hat, die am Ende zum Massenmord führt. Das Beispiel ist übrigens nicht so weit hergeholt, wie es erscheinen mag. Auch für den Öko-Terrorismus gibt es ein Vorbild in der jüngeren Terrorgeschichte. Der Una-Bomber, aus dessen Manifest sich Breivik für seine eigene Proklamation ausführlich bediente, war ein fanatischer Naturschützer, der den technologischen Fortschritt für das Übel in der Welt verantwortlich machte. Der Terrorist führt jeden Gedanken an sein ultimatives Ende. Das gilt theoretisch für alles, was einen ideologischen Kern besitzt: die Islamkritik, den Tierschutz oder den Kampf gegen genveränderten Mais.
Angeblich ging es in der Ausdeutung der Breivik-Literatur darum, Erklärungen zu finden für die Schreckenstat, Verständnis für die Beweggründe, aber das war Mummenschanz. Tatsächlich zielten die Verdächtigungen darauf ab, die Diskursräume zu verengen, Publikationsgehege abzustecken. Wer in die geistige Nachbarschaft zu einem Massenmörder gerät, soll sich besser vorsehen, was er künftig von sich gibt. So etwas kommt von so etwas, lautete kurz gefasst die Botschaft, die aus den Kommentaren sprach. Gegen diese Beweisführung hilft kein genaues Lesen mehr. Da kann man nur noch den Kopf einziehen.
Natürlich haben Worte Folgen, manchmal sogar dramatische. Aber wer einen Autor für die Handlungen seines Publikums in Haftung nimmt, bürdet ihm eine Verantwortung auf, die beängstigend ist und wohl auch sein soll. Wir hatten das schon einmal in Deutschland, es ist gar nicht so lange her. Als die RAF ihre kleine Mordserie begann, mussten sich Schriftsteller wie Heinrich Böll für ihr Schreiben verantworten. Böll war viel weiter gegangen als die Autoren, die nun in Rede stehen. Er hatte Verständnis für die Taten gezeigt, dennoch galt die sich daran anschließende Symphatisantenjagd als bedenklicher Rückschritt. Ausgerechnet der damalige Verfassungsschutzpräsident Günther Nollau erinnerte in einem SPIEGEL-Gespräch an den Unterschied zwischen dem Radikalismus der Tat und dem Radikalismus im Denken: «Das Strafrecht kennt den Begriff des Sympathisanten nicht. Es unterscheidet ‹Täter›, ‹Gehilfen›, ‹Begünstiger›. Da wird nicht mit Vermutungen operiert. Da müssen Tatsachen bewiesen werden, Tatsachen, aus denen hervorgeht, welchen Beitrag einer zur Tat geleistet hat.» Im Fall von Leuten wie Broder geht es noch nicht einmal um Sympathie, sondern nur um willkürlich zusammengenähte Zitatfetzen.
Vielleicht liegt das Missverständnis schon darin, eine politische Ausdeutung von Attentaten wie in Oslo zu versuchen. Politik heißt immer auch Interessenausgleich, der Terror aber ist seinem Wesen nach apolitisch. Der Terrorist will nicht verhandeln, sondern zerstören. Die einzige Botschaft, die er für uns bereithält, ist die Negation von allem, was uns heilig ist. Seine Gewalt ist kein Mittel zur Kommunikation, sondern das Medium, durch das er zu sich selber spricht; er ist allein an der Machtfülle interessiert, die ihm der Triumph über andere ermöglicht. Wenn überhaupt, dann ist dieser Drang zur Selbstermächtigung psychologisch zu erklären. Es ist ja vermutlich kein Zufall, dass sich vor allem junge Männer mit einer Fixierung aufs Sexuelle zum Massenmord hingezogen fühlen. Das gilt für die Dschihadisten und ihren seltsamen Traum von Gruppensex im Paradies, und das gilt auch für den Todesschützen aus Oslo, in dessen Selbsterklärung sich alle Ansteckungsphobien des gestörten Mannes finden.
Viel war im Nachgang von der offenen Gesellschaft die Rede, die es zu verteidigen gelte. Kaum ein Kommentar kam ohne ein Lob für die Haltung der Norweger aus, die dem Hass das Bekenntnis zur Freiheit entgegensetzen. Man mag darüber streiten, ob dieses Bekenntnis bedeuten muss, auf mehr Sicherheit und schärfere Strafgesetze zu verzichten. In jedem Fall aber gehört zur Freiheit das Eintreten gegen Denunziation und Einschüchterung. Die Erfahrung lehrt, dass Vorsicht geboten ist, wenn das Leid fremder Menschen zum politischen Geländegewinn benutzt wird. Diese Enteignung kommt immer hochmoralisch daher, dabei ist sie alles andere als das.