Vorsicht, Rechtspopulist
Keine politische Vokabel hat eine solch unmittelbare Bannwirkung wie das Wort «rechts». Wer als rechts gilt, verdient kein Gegenargument, sondern nur noch Verachtung beziehungsweise die Aufsicht durch den Verfassungsschutz. Rechte sind die Paria des deutschen Parteienstaats. Sie stehen immer mit einem Bein in einer Vergangenheit, die nicht vergehen will, wie schon ihr Widerstand gegen Frauenquoten oder ähnliche Formen der Gleichberechtigung zeigt.
Aus gutem Grund bezeichnet sich kein Politiker, der noch bei Trost ist, als rechts. Sich zur Linken zu bekennen, ist kein Problem, auf diese politische Ortsbeschreibung darf man ohne Einschränkung stolz sein. Die andere Seite hingegen muss ständig zu Ausweichbegriffen Zuflucht nehmen, sie nennt sich dann «konservativ» oder «bürgerlich». Das trifft die Sache zwar nur unvollständig, weil ja auch die Wähler der Grünen oder der SPD in beachtlicher Anzahl dem bürgerlichen Milieu entstammen, aber es erspart einem lange Diskussionen.
Die Linke geht mit dem Verdammungsbegriff sehr großzügig um. Die Wochenzeitschrift «Freitag» veröffentlichte vor einiger Zeit eine Umfrage, anhand deren sie eine bedenkliche Rechtsneigung bei den Deutschen offenlegen zu können glaubte. Gemeinhin dachte man, dass rechts ist, wer noch etwas Gutes am Nationalsozialismus meint entdecken zu müssen, einem übertriebenen Patriotismus frönt oder sich die Haare auf Streichholzkopflänge schert. Auch Ausländerhass wird normalerweise mit der Rechten verbunden: Wenn eine vietnamesische Imbissbude brennt, sind es ja selten Autonome, die diese in Brand gesetzt haben.
Neu ist, dass einen auch die Europaskepis der Rechtslastigkeit verdächtig macht, wie man dem «Freitag» entnehmen konnte. Das Meinungsforschungsinstitut Forsa, auf dessen Erhebung sich die Wochenzeitung bei ihrem Befund stützte, hatte die Deutschen unter anderem gefragt, ob sie auch der Meinung seien, dass Deutschland insgesamt zu viel Geld für die EU ausgebe. 44 Prozent der Befragten stimmten dieser Aussage voll und ganz zu, weitere 26 Prozent teilweise. Nur eine Minderheit von 26 Prozent hat offenbar kein Problem damit, dass die Bundesrepublik inzwischen für die Haushaltsmisere in einer wachsenden Zahl von Nachbarstaaten geradestehen muss.
Man kann in diesen Umfrageergebnissen «ein verheerendes Signal für unsere politische Kultur» sehen, wie es der Herausgeber des «Freitag», Jakob Augstein, tat – oder sie im Gegenteil für eine nachvollziehbare Reaktion auf die Nachrichtenlage halten. Auch in der Bundesregierung gibt es ja an verantwortlicher Stelle eine ganze Reihe von Leuten, die ihre Zweifel haben, ob unsere Steuergelder in Griechenland, Irland oder Portugal gut angelegt sind. Dass die Deutschen andere Länder herauspauken sollen, die über Jahre alle Regeln gesunder Haushaltsführung missachtet haben, war so jedenfalls nicht vorgesehen – tatsächlich galt dies sogar ausdrücklich als ausgeschlossen, als die Bundesbürger die D-Mark gegen den Euro eintauschten. Die eigentliche Sensation ist so gesehen, dass die Menschen nicht massenhaft auf die Straße gingen, als ein Rettungsschirm nach dem anderen über unsere Brüdern und Schwestern im Süden aufgespannt wurde.
Überhaupt scheinen sich die meisten Bürger einen kühlen Kopf bewahrt zu haben, was in jedem Fall mehr für ihren Realitätssinn spricht als für die Annahme, dass sie besonders empfänglich für rechtes Gedankengut seien. Bei der Frage, ob das Land den Euro wieder verlassen sollte, raten fast zwei Drittel zur Vorsicht, und nur eine Minderheit hält den Islam mit dem westlichen Lebensstil für unvereinbar. Dass knapp 60 Prozent der Deutschen trotz Kopftuch-Debatte und Sarrazin-Furor ganz gelassen bleibt, wenn es um die muslimischen Mitbürger geht, könnte man auch als ermutigendes Zeichen werten. In jedem Fall sind es keine Ergebnisse, die einen den unmittelbar bevorstehenden Rückfall in dunklere Zeiten befürchten lassen.
Jede Gesellschaft braucht im Diskurs Tabuzonen. Schon in der «Topik» des Aristoteles, dem ersten überlieferten Lehrbuch der Argumentation, finden sich Beispiele für Behauptungen, die keine Erwiderung verdienen, sondern eine Zurechtweisung. Wer bestreitet, dass die «Götter zu ehren und die Eltern zu lieben sind», hat sich bei Aristoteles von vornherein disqualifiziert. Zu den Meinungen, mit denen man sich in Deutschland unmöglich macht, gehört die Verharmlosung des Nazi-Reichs. Wer die Verbrechen der ersten deutschen Diktatur zu relativieren sucht, hat in dem Kreis derer, auf deren Meinung man etwas gibt, mit Recht nichts zu suchen.
Tabus verlieren allerdings ihre Bindungskraft, wenn man ihren Gültigkeitsbereich laufend erweitert. Der Grund für diese Ausweitung ist häufig nicht so sehr die Sorge um den Fortbestand der Demokratie als vielmehr Argumentationsfaulheit. Es ist allemal einfacher, eine Meinung, die einem nicht in den Kram passt, als rechts abzutun, als sie wohlbegründet zu widerlegen. Sicher wäre es wünschenswert, noch mehr Menschen würden sich für den Zuzug von außen begeistern oder den Islam für eine kulturelle Bereicherung halten. Die Erfahrung lehrt nur, dass es wenig hilft, den Leuten ihre Meinung verbieten zu wollen. Man kann versuchen, ihnen diese auszureden oder sie gar von dem Gegenteil zu überzeugen. Das würde allerdings voraussetzen, dass man sich zu ihnen an den Stammtisch stellt. Aber das verbietet sich natürlich von selbst: Stammtische sind ja auch ganz furchtbar rechts.