Wo der Palästinenser-Schal fröhlich flattert

Eine erfreuliche Entwicklung in der Bundesrepublik ist das weitgehende Verschwinden des Antisemitismus. Soweit man den Umfragen trauen kann, haben die meisten Bürger außerhalb eines bestimmten Milieus über Juden keine besondere Meinung, das heißt, sie denken über sie nicht viel besser oder schlechter als über andere Leute auch. Rechtsradikale fristen bis heute politisch ein Außenseiterdasein. Im Deutschen Bundestag sitzt keine Partei, deren Abgeordnete antisemitische Positionen vertreten oder mit Judenhassern sympathisieren.

Aber halt, genau das stimmt ja leider nicht ganz. Diese Partei gibt es doch, sie firmiert nur unter einem anderen Namen. Sie heißt in diesem Fall nicht NPD, sondern Die Linke. Die Linkspartei ist die einzige Partei, deren Abgeordnete man bei Veranstaltungen sieht, wo «Tod Israel!» skandiert wird. Nur Vertreter der Linkspartei bleiben demonstrativ sitzen, wenn der israelische Staatspräsident am Tag der Befreiung von Auschwitz den Bundestag besucht, und man darf sicher sein, es ist kein Altersgebrechen, das sie auf ihrem Stuhl hält. Das Parlament sah sich unlängst sogar genötigt, eine aktuelle Stunde anzuberaumen, um über «mögliche antisemitische und antiisraelische Positionen» bei den bekennenden Freunden des Sozialismus zu reden. Wer dachte, das ungeklärte Verhältnis zur DDR sei das größte Problem der SED-Nachfolgeorganisation, sieht sich getäuscht: Auch im Verhältnis zur ersten deutschen Diktatur scheint bei ihr noch einiges im Unklaren zu liegen.

Nun gibt es in jeder Partei Wirrköpfe, bei der Linkspartei ist deren Anzahl eben besonders hoch, könnte man entschuldigend einwenden. Natürlich gibt es lange Erklärungen des Parteivorstands zum Existenzrecht Israels und der Verpflichtung, die der Bundesrepublik aus der Nazi-Zeit erwächst. Das Problem ist nur: Es hat im Zweifelsfall keine Folgen. Beziehungsweise es interessiert offenkundig auch den Vorstand nicht besonders, wenn sich die eigenen Leute kaum um solche Proklamationen scheren. Anders ist es ja nicht zu erklären, dass elf Abgeordnete der Linkspartei den Saal verlassen dürfen, wenn der Bundestag eine fraktionsübergreifende Resolution gegen den Antisemitismus beschließt. Oder dass zwei Mitglieder der Fraktion auf einem Hamas-Dampfer gen Gaza mitschippern, der zuvor mit allen denkbaren Verwünschungen gegen den Judenstaat am Kai verabschiedet wurde. Oder Linke-Mitglieder in Bremen einen Aufruf zum Boykott israelischer Waren unterstützen, ohne dass dies nennenswerte Konsequenzen hätte.

Man muss sagen, es ist schon seit längerem eine Eigenart der radikalen Linken, die Juden als Problem zu sehen. In dieser Ecke des politischen Spektrums hält sich bis heute der Glaube, dass die Welt ein friedlicherer Platz wäre, wenn sie sich endlich ein bisschen am Riemen reißen würden. Statt von Juden spricht man als Konzession an den Zeitgeist lieber von Israelis, aber jeder weiß, was gemeint ist.

Auch der linke Antisemitismus kann auf eine beachtliche Traditionslinie zurückblicken. Es ist heute etwas in Vergessenheit geraten, aber bevor sich die Freischärler des revolutionären Kampfs in Deutschland daranmachten, Unternehmer, Politiker und Justizbedienstete umzulegen, nahmen sie sich erst einmal die Überlebenden des Holocaust vor. Die Geburtsstunde des deutschen Guerillakampfs datiert nicht von ungefähr auf den 9. November 1969, also den Jahrestag der Pogromnacht, die eine neue Stufe des Terrors gegen die Juden im Nazi-Reich einleitete. Das erste Anschlagsziel war das jüdische Gemeindehaus in Berlin, in dem ein Vortrupp der RAF eine – glücklicherweise fehlerhafte – Bombe legte, um den «Judenkomplex» zu brechen, wie es dazu in einem Bekennerschreiben hieß. Später standen ein jüdischer Kindergarten auf der Liste, das Büro der israelischen Fluggesellschaft El-Al im Berliner Europacenter, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Berlin, Heinz Galiniski. Dass in den meisten Fällen die Sache glimpflich ausging, lag nicht etwa an plötzlich einsetzenden Gewissensbissen, sondern an der mangelnden Vorbereitung der revolutionären Kader. Seit die RAF die Waffen gestreckt hat, tobt sich die Aggression nur noch verbal aus, was schon einmal ein Fortschritt ist. An den Positionen, in denen sich die Kapitalismuskritik mit Warnungen vor einer finanzmächtigen Israellobby verbindet, hat sich allerdings nichts geändert.

Es gehört zum Spiel, dass die linken Antisemiten selbstverständlich jeden Verdacht des Antisemitismus weit von sich weisen. Wer gegen rechts ist, könne kein Judenfeind sein, so die Selbstentschuldung. Oder wie es der Schriftsteller Gerhard Zwerenz vor Jahren in einem «Zeit»-Artikel festhielt: «Linker Antisemitismus ist unmöglich.» Natürlich reagieren auch die Vertreter der Linkspartei ganz empört auf den Vorwurf, sie hätten etwas gegen Juden. «Unerhört» war der am häufigsten verzeichnete Zwischenruf in der Aktuellen Stunde des Bundestags zum Thema.

Aber vielleicht ist alles in Wirklichkeit auch nur ein großes Missverständnis. Es ist ja durchaus denkbar, dass sich die linke Bundestagsabgeordnete Inge Höger weiter nichts Böses dabei gedacht hat, als sie zusammen mit einer Reihe von Hamas-Sympathisanten auftrat, um auf der «9. Konferenz der Palästinenser in Europa» ein Grußwort zu sprechen. Dass sie dabei einen Palästinenser-Schal trug, auf dem Israel von der Landkarte verschwunden war? Alles nicht so gemeint, wie sie anschließend erklärte: Sie habe einfach nicht «unhöflich» sein wollen, als ihr jemand den Schal umlegte. Außerdem habe Israel ja bis heute «keine Staatsgrenzen definiert» – logisch, dass es dann auch auf einer Karte des Nahen Ostens nichts verloren hat.

Es ist schon eine Crux mit den Juden, sie sind gleich immer so empfindlich. Also, liebe Linkspartei-Mitglieder, ein Rat von dieser Seite: Wie wäre es, ihr hieltet einfach mal für eine gewisse Zeit zu dem Thema die Klappe? Damit würdet ihr dem Land, aber vor allem euch selber einen echten Dienst erweisen.