Freidemokratie light

Wie schlecht es um die FDP steht, kann man schon daran erkennen, wer ihr jetzt alles die Daumen drückt. Wenn ein Sentimentalsozialist wie Heribert Prantl von der «Süddeutschen» anfängt, sich um den Liberalismus in Deutschland Sorgen zu machen, muss es wirklich bitterernst sein. Weil Linke nur schwer Anteilnahme zeigen können, ohne gleich pädagogische Vorschläge zur Hand zu haben, wie es denn anders und vor allem besser ginge, fehlt es auch nicht an Vorschlägen, was die Freidemokraten unbedingt tun müssten, um das Ende abzuwenden.

Folgt man Leuten wie Prantl, ist eigentlich alles ganz einfach: Die FDP sollte endlich aufhören, dem Sozialstaat mit Misstrauen zu begegnen; natürlich muss sie ihre merkwürdige Abneigung gegen Steuern aufgeben, auf keinen Fall jedenfalls weiter dieses dummerhafte Gerede über Steuersenkungen weiter treiben, und überhaupt alle Hinweise darauf unterlassen, wer diesen Staat finanziert und wer nicht. Dies gilt in der politischen Wetterkunde als kalt, und kalt zu wirken ist bekanntlich das Schlimmste, was einer Partei oder einem Politiker in Deutschland nachgesagt werden kann. Kurz: Die FDP muss einfach nur so werden wie die vier anderen linken Parteien im deutschen Bundestag.

Dass Deutschland ein sozial gespaltenes Land sei, gehört zu den Sätzen, mit denen man unwidersprochen durch jede Talkshow und jeden Leitkommentar segelt. Man darf nur nicht daran erinnern, dass sich diese Spaltung auch in der Steuerstatistik zeigt, wonach 20 Prozent der Steuerzahler für 80 Prozent des Steueraufkommens stehen. Das ist dann eine schlimme «Beleidigung des schwächsten Teils der deutschen Bevölkerung» beziehungsweise eine üble «Diffamierung von Millionen Hartz-IV-Beziehern», wie es sofort verlässlich heißt. Als der ehemalige FDP-Vizekanzler Guido Westerwelle seinerzeit darauf hinzuweisen wagte, dass auf Dauer kein Sozialstaat funktionieren kann, wenn man ohne Arbeit mehr verdient als mit regelmäßiger Beschäftigung, rauschte für eine Woche der Blätterwald. Da nützte es ihm auch wenig, dass viele Menschen, die einem normalen Beruf nachgehen, also nicht in der einen oder anderen Weise vom Steuergeld anderer leben, es als durchaus zutreffende Beschreibung der Situation empfanden, was für eine Erregungskünstlerin wie Renate Künast einfach nur «Sozialhetze» ist.

Es ist diese Skepsis der Liberalen gegenüber dem Wohlfahrtsstaat, die sie auf der anderen Seite des politischen Spektrums so verdächtig macht, daran werden alle Mitleidsbekundungen in diesen Tagen nichts ändern. Wer Zweifel am segensreichen Wirken des Staates anmeldet, ja diesen in seinem rastlosen Ausgreifen beschränkt sehen möchte, gilt schon als Staatsfeind – und das grenzt hierzulande gleich an Landesverrat. Der Sozialstaat hat viele Väter, angefangen mit Reichskanzler Otto von Bismarck, aber es ist das Verdienst der Linken, seine Heiligsprechung zu einer Frage der nationalen Identität gemacht zu haben. Alle ihre ungebundenen patriotischen Energien hat sie auf den Staat geworfen; sie spricht dann vom «Modell Deutschland», an dem sich andere mal ein Beispiel nehmen sollten. Das ist ihre Form des Nationalismus.

Es ist noch nicht abzusehen, wie der anhaltende Führungsstreit in der FDP ausgehen wird und wo sie danach ihren Platz sieht. Eine Möglichkeit ist, dass die neue FDP deutlich sozialdemokratischer wird als die alte. Die Vertreter dieser Linkswendung hoffen, dass mehr Leute die FDP wieder etwas lieber haben werden oder jedenfalls nicht immer gleich so schlecht über sie reden. Die Frage ist nur, ob es für diesen Schmuseliberalismus wirklich Bedarf gibt. Links der Mitte ist es schon jetzt ziemlich eng.

Die Zustimmung, die eine Partei für ihre politischen Vorhaben in Umfragen erfährt, drückt sich am Wahltag nicht notwendigerweise auch in Wählerstimmen aus. Das hat schon die Union leidvoll erfahren müssen, deren Wende in der Atompolitik ja nur die letzte Stufe eines umfassenden Modernisierungsprogramms war. In allen politischen Redaktionen genießen die Kanzlerin und ihre Arbeitsministerin für ihre Neuausrichtung gerade in der Familienpolitik hohe Sympathie. Das hindert aber keine der MeinungsmacherInnen, in der Stunde der Entscheidung dort ihr Kreuz zu machen, wo sie es schon immer gesetzt hat. Bei der CDU gibt es noch genug Polster, um das verkraften zu können, bei der FDP nicht mehr.