Sonnencreme und Kriegshandwerk
Die letzte Enthüllung über das Leben auf der Gorch Fock betraf ein paar Runden Wasserski auf offenem Meer, da war die Betroffenheit schon hinreichend groß. Von «unhaltbaren Zuständen» und «schikanösen Befehlen» war die Rede; solche Skandale, die in erster Linie Vorgesetzte zu verantworten haben, schaden dem Ansehen der Bundeswehr», erklärte der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Philipp Missfelder. Doch wo genau lag im Rückblick eigentlich der Skandal? In der rauen Behandlung an Bord, die aus Abiturienten Soldaten machen soll, oder nicht eher in der Wehleidigkeit der Marinekadetten, die den Kommandanten dazu veranlasste, sich über deren mangelnde körperliche Tüchtigkeit zu beklagen?
Natürlich ist es nicht schön, von seinen Vorgesetzten angeherrscht oder angebrüllt zu werden, das hat niemand gerne, aber in einem normalen Unternehmen pfeifen einem auch keine Kugeln um die Ohren. Was die vielbeklagten Ekelrituale angeht, lässt sich nur sagen: Da ist man von jeder Folge «Dschungelcamp», an dem sich jedes Mal die halbe Nation weidet, Schlimmeres gewöhnt. Der Gewinner der letztjährigen Staffel, Peer Kusmagk, wäre froh gewesen, wenn er den Kopf nur in ein bisschen braune Pampe hätte stecken müssen. Der arme Kerl wurde zum Abschluss mit Ratten in einen Sarg gesteckt, so sieht Menschenschinderei aus!
Irgendwie scheint aus dem Blick geraten, dass die Kadetten, die sich beim Wehrbeauftragten über einen unerträglichen Druck an Bord beklagten, keine Rekruten waren, sondern Offiziersanwärter, also Männer und Frauen, von denen man erwartet, dass sie später im Gefecht einen kühlen Kopf bewahren und die richtigen Befehle geben. Unter Feindbeschuss kann man leider auch nicht mit dem Hinweis, man habe noch Sonnencreme an den Fingern, das Gewehr zur Seite legen.
Aber genau hier liegt möglicherweise das Missverständnis, das dem Fall solche Aufregung bescherte: Das Kriegshandwerk ist mit der Käßmann-Kultur, in der man anderen mit ganz viel Verständnis begegnet, nur bedingt kompatibel. Wir haben uns offenbar immer noch nicht an den Gedanken gewöhnt, dass die Bereitschaft zu töten im Krieg unabdingbar ist – was uns allerdings nicht daran hindert, gleichzeitig im Bundestag das Afghanistan-Mandat zu verlängern und damit weitere Soldaten einem erstaunlich rücksichtslos agierenden Feind entgegenzuschicken.
Der Tod der jungen Kadettin, die beim Aufentern den Halt verlor, ist tragisch und für die Eltern ein grausamer Verlust, aber der Alltag in einer Armee ist zwangsläufig mit besonderen Gefährdungen verbunden. Seit Indienstnahme der «Gorch Fock» als Marineschulschiff sind dort sechs junge Menschen ums Leben gekommen; jedes Jahr gibt es bei der Bundeswehr tödliche Unfälle, weil sich versehentlich ein Schuss löst oder jemand unter eine Panzerkette gerät. Wer sich für die Offizierslaufbahn entscheidet, weil er kostenlos Zahnmedizin oder Vergleichbares studieren will, dem kann man nur den Rat geben, dies an einer normalen Uni zu tun, das Militär ist dafür nicht der richtige Platz. Wo die Auszubildenden mit Waffen und scharfer Munition hantieren, wird es immer deutlich gefährlicher zugehen als in einem Labor oder Hörsaal.
Man kann nun eine Gleichstellungsbeauftragte an Bord schicken, wie es der Wehrbeauftragte empfohlen hat. Man kann neben der Kapitänskajüte auch eine Mobbingstelle einrichten und regelmäßige psychologische Schulungen für die Stammbesatzung abhalten. Aber all das wird nichts daran ändern, dass die genaue Kenntnis des Antidiskriminierungsgesetzes in kriegerischen Auseinandersetzungen nur bedingt weiterhilft. Wichtiger – und jedenfalls zum Überleben weit vorteilhafter – ist die zuvor erworbene Fähigkeit, sich unerschrocken seiner Haut zu erwehren. Daran wird auch die Aufregung über den großen «Gorch Fock»-Skandal in absehbarer Zeit nichts ändern.
