28. Kapitel

»… Ihr seht also, so einfach ist das Ganze nicht. Tut mir leid, ihr Lieben«, erklärte Slo Motion am darauffolgenden Abend bedauernd. »Ich weiß, jetzt seid ihr enttäuscht.«

Sie saßen wieder in seiner gemütlichen Wohnung in Hazy Hassocks und wurden von Essie mit Kaffee und Sandwiches verwöhnt.

Frankie seufzte. »Ach, so was Blödes. Ich dachte, es wäre alles ganz unkompliziert.«

Dexter nickte und sagte zu Slo: »Das heißt also, du kannst uns nicht einfach die Urne übergeben, und wir können Ernies Asche nicht einfach in Achsahs Grab beisetzen, auch wenn wir alle wissen, dass er das genau so will.«

Slo hustete pfeifend. »Exakt, Dexter, mein Junge. Wisst ihr, wenn es so einfach wäre, dann hätte ich es selbst getan. Ich weiß, was der alte Ernie sich gewünscht hat, und ich wusste, dass die Nichten ihm nicht die Beerdigung ausgerichtet haben, die er sich vorgestellt hatte. Da ich in der Branche bin und die Asche sozusagen zur Hand habe, wäre es gar kein Problem für mich gewesen, ein Wort mit dem Pfarrer von Tadpole Bridge zu reden, in aller Stille Achsahs Grab zu öffnen und Ernie hineinzusenken.«

»Aber das kannst du nicht, und wir können es auch nicht?«, fragte Frankie mit gerunzelter Stirn.

Slo schüttelte den Kopf. »Nein, Kleines. Die Asche gehört dem Gesetz nach den nächsten Angehörigen, weißt du? Nur die nächsten Angehörigen können über eine Ausstreuung oder Beisetzung entscheiden.«

Dexter beugte sich vor. »Aber soweit ich das mitgekriegt habe, scheren sich die Nichten – Thelma und Louise – doch einen Dreck um Ernie. Warum also sollten sie dir nicht die Erlaubnis erteilen, alles so zu machen, wie Ernie es wollte?«

»Es geht ums Geld«, sagte Slo nüchtern. »Sie wollten nicht einen Penny mehr rausrücken als unbedingt nötig. Und ein Grab zu öffnen und jemanden beisetzen zu lassen kostet etwas. Und dafür wollten sie kein Geld ausgeben. Unter keinen Umständen.«

»Aber wir«, sagte Frankie. »Dexter und ich haben uns bereits darauf geeinigt, alles zu bezahlen. Du hast doch bestimmt Adresse und Telefonnummer von Thelma und Louise. Sag ihnen, wir organisieren und bezahlen alles. Dagegen können sie doch wohl kaum etwas haben?«

Slo gab munter weitere Pfeifgeräusche von sich. »Ach, Kleines. Vielleicht ja, vielleicht nein. Aber es gibt Vorschriften, unzählige Vorschriften, was Bestattungen betrifft. Und die nächsten Angehörigen müssen schriftlich zustimmen, die Asche einer dritten Partei zu überlassen. Ich müsste ihnen schreiben, und sie müssten die Papiere unterzeichnen, die euch gestatten, über die sterblichen Überreste zu verfügen, und anschließend müssten sie mir die unterzeichneten Formulare wieder zukommen lassen, damit ich die Beisetzung organisieren kann. Alles sehr kompliziert.«

»Ach, verflixt noch mal.« Mit einem verärgerten Seufzer lehnte sich Frankie im Sessel zurück und richtete den Blick auf das flackernde Feuer. »Und das wird Ewigkeiten dauern, nicht wahr? Als ich Ritas Geschäft übernommen habe, habe ich ja erlebt, wie es mit bürokratischem Papierkram so geht.«

»Man könnte es durchaus auch recht zügig erledigen«, meinte Slo. »Sofern alle beteiligten Parteien sich einig sind. Aber wir können nicht wissen, ob Thelma und Louise sich auch nur im Geringsten dafür interessieren, was mit Ernies Asche geschieht. Warum sollten sie? Er hat ihnen nichts bedeutet. Ich bezweifle, dass sie aus seinem Nachlass großen Gewinn gezogen haben, wenn überhaupt, und es kümmert sie anscheinend nicht die Bohne, ob er in Frieden ruht oder nicht.«

Dexter zog die Augenbrauen hoch. »Du meinst, sie könnten deinen Brief auch einfach ignorieren?«

»Tja.« Slo nickte. »So, wie ich die beiden kennengelernt habe, fürchte ich, genau das würden sie tun, Dexter, mein Junge.«

»Oh nein!« Frankie seufzte. »Und ich dachte, diesmal hätten wir endlich die richtige Lösung.«

Slo trank einen Schluck Kaffee. »Du behauptest also immer noch, dass Ernie in deiner Boutique spukt? Wirklich und wahrhaftig, Kleines?«

»So ist es. Und«, Frankie beugte sich vor, »ich weiß, du glaubst mir nicht so ganz, aber das spielt keine Rolle. Wir – Dexter und ich – haben ihn gern und möchten, dass er mit seiner Achsah wieder vereint wird. Und nein, von der anderen Sache habe ich niemandem erzählt und werde es auch nicht tun.«

»Was für eine andere Sache?« Dexter hielt mitten im Sandwich inne.

»Etwas, das Slo mir unter dem Mantel der Verschwiegenheit anvertraut hat«, sagte Frankie. »Es sollte mich restlos davon überzeugen, dass Ernie ein Geist ist, als ich daran noch gezweifelt habe, das ist alles.«

Dexter nickte. »Oh, ein Geist ist er, ganz eindeutig. Und furchtbar unglücklich. Und … tja, vielleicht wüsste ich einen Weg, all diese Schwierigkeiten zu umgehen.«

Slo schüttelte den Kopf. »Da gibt es keine Abkürzung, Dexter. Nicht, wenn es um Leichname geht. Da gelten sehr strenge Bestimmungen, und das aus gutem Grund. Nicht auszudenken, was für ein Chaos entstünde, wenn die Leute mit den Toten verfahren könnten, wie sie wollten.«

»Das ist mir schon klar.« Dexter war mit seinem Sandwich fertig. »Ich dachte mir aber, wir – Frankie und ich – könnten doch den Papierkram, die Formulare und was auch immer diese zwei fiesen Nichten unterschreiben müssen, selbst hinfahren. Dann warten wir auf die Unterschriften und bringen alles wieder zu dir zurück.«

»Wow! Spitze!« Frankie war plötzlich wieder voller Hoffnung. »Und auf die Art können wir ihnen auch gleich persönlich sagen, dass das Ganze sie gar nichts kostet – außer ein paar Minuten Zeit.«

Slo nickte. »Ja, das könnte wohl klappen. In der Tat, ich wüsste nicht, warum das nicht funktionieren sollte. Guter Gedanke, Dexter, mein Junge.«

»Und«, sagte Frankie eifrig, »könntest du sie nicht einfach anrufen und ihnen sagen, dass wir kommen?«

»Könnte ich und werde ich, aber ihr wisst schon, dass sie nicht hier in der Nähe wohnen, nicht wahr?«

»Nicht?« Frankie runzelte die Stirn. »Was heißt denn nicht hier in der Nähe?«

»Im Norden.« Slo seufzte. »Birmingham, Bolton, Burnley, Blackpool – irgend so etwas.«

»Blackpool«, bestätigte Essie hilfsbereit, die gerade mit Nachschub an Kaffee und Sandwiches hereinkam. »Ich erinnere mich, dass es Blackpool war, denn da bin ich als Kind oft in Urlaub gewesen und hätte gerne ein bisschen mit ihnen darüber geplaudert, als sie wegen der Bestattung hier waren, aber sie waren zwei richtige Beißzangen und wollten über gar nichts plaudern.«

»Blackpool!« Frankie seufzte. »Ach je, das ist ja meilenweit weg.«

»Nur ein paar Stunden Fahrt«, sagte Dexter unbekümmert. »Wir kommen an einem Tag hin und wieder zurück.«

»Tatsächlich? Und dann können wir Ernies Beisetzung in die Wege leiten?«, fragte Frankie. »Oder?«

Slo nickte. »Ich sehe in der Akte nach und suche ihre Kontaktdaten heraus. Ich rufe sie an und sage ihnen, worum es geht, und gebe euch die Adresse – wenn sie einwilligen, euch zu empfangen, versteht sich.«

»Du sorgst dafür, dass sie einwilligen«, sagte Essie energisch. »Der arme alte Ernie hat nur Gutes verdient. Und diese netten Kinder hier sind so freundlich, ihm Gutes tun zu wollen. Du sorgst dafür, dass sie einwilligen, Slo.«

»Aber natürlich, Essie, Schätzchen«, sagte Slo mit leisem Lachen. »Ich tu mein Bestes.«

Und das tat er.

Drei Tage später, lange bevor es hell wurde, an einem kalten, nassen und windigen Morgen, der den Schnee in Matsch verwandelt hatte und alles ringsum scheußlich schmuddelig aussehen ließ, brachen Frankie und Dexter im Mercedes nach Blackpool auf.

Frankie hatte Ernie alles erzählt und ihn gebeten, während ihrer Abwesenheit bitte nicht im Geschäft zu erscheinen – damit nicht womöglich Cherish oder irgendwelche Kunden ihn erblickten und einen weiteren Jackie-und-Alan-Ansturm auslösten.

Cherish war ganz aus dem Häuschen darüber, einen Tag lang die alleinige Verantwortung für Francesca’s Fabulous Frocks übertragen zu bekommen, und Brian hatte Dexter feierlich versichert, dass auch der Blumenkiosk in guten Händen sei.

»Dexter und du, ihr könnt doch dort übernachten«, hatte Lilly gesagt und dabei große Augen gemacht. »Oder nicht? Und in Blackpool ein verlottertes Wochenende verbringen – oder zumindest eine ausschweifende Nacht?«

Und Frankie hatte geantwortet, ganz bestimmt nicht, auf gar keinen Fall.

»Warum denn nicht?«, hatte Lilly nachgefragt. »Was bist du lahm, Frankie. Er ist der tollste Mann der Welt, nach Andreas, versteht sich. Und ihr geht andauernd miteinander aus.«

»Meistens nach der Arbeit. Als gute Freunde.«

»Wie auch immer.« Lilly hatte geseufzt. »Er steht total auf dich, und du bist verrückt nach ihm. Er hat dich sogar schon geküsst. Zweimal. Hast du selbst gesagt.«

»Ja, und das hat mich völlig durcheinandergebracht, aber weiter wird es nicht gehen.«

»Wieso denn nicht? Ihr seid beide ungebunden, und du musst doch über den Herzensbrecher und Lebenszerstörer inzwischen hinweggekommen sein.«

»Oh ja«, hatte Frankie ihr zugestimmt. »Ganz und gar. Aber ich habe nicht vor, diese Erfahrung zu wiederholen.«

»Als ob Dexter dir das Herz brechen würde«, hatte Lilly gespottet. »Er betet dich an. Das sieht doch jeder.«

»Ach ja? Lilly, ich weiß nichts über seine Vergangenheit. Es ist immer noch viel zu geheimnisvoll, warum er aus Oxford weggegangen ist. Und das meiste davon hat sicher mit Frauen zu tun – oder mit einer Frau im Besonderen. Ich weiß nicht genug über ihn, und er will es mir offenbar nicht erzählen. Und dann gibt es da ja auch noch all diese anderen Frauen hier.«

»Was für andere Frauen? Okay, als er hierherkam, hat er anfangs ein bisschen herumgeschäkert, aber seit Wochen hat er keine andere auch nur angesehen.«

»Er hat Silvester mit jemand anderem verbracht.«

Lilly hatte ein langes Gesicht gezogen. »Ach so? Mist.«

»Wo sind wir?« Frankie sah zum Fahrersitz hinüber. »Sind wir bald da?«

»Nein. Zum hunderttausendsten Mal.« Dexter grinste. »Wir sind noch immer auf dem M40. Wir haben noch den M42 vor uns und dann viele, viele Meilen auf dem M6.«

»Aha, okay.« Frankie kuschelte sich in ihren Sitz, eingelullt vom Rhythmus der Scheibenwischer. »Weck mich, wenn wir das Meer sehen.«

»Du Faulpelz.« Dexter seufzte. »Und ich dachte, wir wechseln uns mit dem Fahren ab.«

»Diesen Wagen fahre ich nicht. Er ist zu groß, zu furchteinflößend, und ich bin nicht mitversichert.«

»Du bist mitversichert.«

»Bin ich? Verdammt. Na schön, wenn wir auf einem anderen Motorway sind und ich ihn kaputt machen darf.«

»Den Motorway?«

»Den Mercedes.«

»Soll das heißen, du bist nicht bereit, dich einer Herausforderung zu stellen?«

»Oh.« Sie lächelte ihn an. »Ich bin immer bereit, mich einer Herausforderung zu stellen.«

»Gut.« Er lachte. »Wenn wir also auf halbem Weg bei einer Raststätte halten, kannst du auf dem Parkplatz eine kleine Proberunde drehen und uns dann den restlichen Weg bis Blackpool fahren.«

»Das heißt dann wohl, falls wir lebend dort ankommen, bleibt mir die herrlich knifflige Aufgabe, das richtige Haus zu finden?«

»Das wird das Navi übernehmen. Wir haben die vollständige Adresse samt Postleitzahl.«

»Ich frage mich, wie sie wohl sind? Thelma und Louise?«

»Grässlich«, meinte Dexter seufzend. »Wir wissen ja, was für zwei Drachen sie sind. Aber das macht nichts. Zumindest waren sie bereit, uns zu empfangen und die Papiere zu unterzeichnen. Wir müssen uns ja nicht mit ihnen anfreunden.«

Frankie lehnte den Kopf an das weiche Leder und schloss die Augen. Nein, mussten sie nicht. Es würde schon alles gut gehen.

Mehrere Stunden später, Stunden, während derer Frankie den Mercedes voller Stolz selbstsicher im strömenden Regen über den letzten Abschnitt des Motorway gelenkt hatte, folgten sie den gestrengen Anweisungen des Navis und schlichen durch die Seitenstraßen von Blackpool auf das Haus von Thelma und Louise zu.

»Sehr enttäuschend.« Frankie runzelte die Stirn. »Ich dachte, Blackpool wäre sonnig und bunt und laut und voller Leute mit Küss-mich-Käppis. Dass alles grau in grau ist, hätte ich nicht erwartet.«

Das Meer und der Himmel waren bleiern und kaum voneinander zu unterscheiden, die Straßen waren nass, verlassen und windgepeitscht, und sämtliche Attraktionen hatten geschlossen.

»Es ist Januar«, sagte Dexter einsichtig. »Es regnet in Strömen und ist eiskalt. So weit weg von jeglicher Saison, wie man sich nur denken kann. Wir können später im Jahr wieder herkommen, um die bunten Lichter und spannenden Fahrgeschäfte im Vergnügungspark am Strand samt Fish and Chips aus Papiertüten zu genießen.«

Frankie lachte. »Klingt prima. Falls wir bis dahin noch befreundet sind, versteht sich.«

»Und warum sollten wir nicht?«

Frankie zuckte mit den Schultern. »Ich nehme nichts mehr für selbstverständlich. Plane nicht mehr zu weit im Voraus. So erlebe ich auch keine allzu großen Enttäuschungen.«

»Oh, ich habe definitiv vor, für all die touristischen Vergnügungen im Herbst wieder hierherzukommen.«

»Mit mir?«

Dexter seufzte. »Ja, Frankie, mit dir. Das heißt, falls du mich noch magst, nachdem …«

»Nach was?« Die Unbeschwertheit des scherzhaften Geplänkels war mit einem Mal verflogen. »Nach was?«

»Sie haben ihr Ziel erreicht«, quäkte das Navi.

Frankie parkte den Mercedes vor einer Zeile gepflegter Reihenhäuser.

Sie sah Dexter an. »Das kannst du doch nicht so stehen lassen. Nach was?«

Dexter löste seinen Sicherheitsgurt. »Etwas, das ich dir schon längst hätte erzählen sollen. Und etwas, das wir vielleicht klären können, nachdem Thelma und Louise die Papiere unterzeichnet haben. Es eilt nicht. Jetzt im Moment ist schließlich Ernie der dringendste Punkt auf unserer Tagesordnung, nicht wahr?«

Als Dexter den Mercedes abschloss, zitterte Frankie im kalten Wind, der geradewegs vom Meer aus durch die enge Straße pfiff. Doch sie fröstelte nicht nur wegen des schneidenden Winds und des starken Regens. Das prickelnde Glücksgefühl in ihrem Inneren war erloschen.

»Bereit?« Sanft lächelte Dexter ihr zu, als sie vor der grünen Haustür standen, die durch den fortwährenden Einfluss von Sonne und salzhaltigem Wind fleckig verblichen war. »Für den letzten Akt?«

Frankie nickte. Sie wagte nicht zu sprechen. Sie wusste, ihre Stimme würde brüchig klingen, und dann würde er merken, wie viel er ihr bedeutete.

Dexter läutete.

Im nächsten Moment ging die Tür auf. Thelma und Louise mussten sie bereits erwartet haben, dachte Frankie teilnahmslos, wahrscheinlich hatten sie hinter den Gardinen hervorgespäht.

Ach, reiß dich zusammen, ermahnte sie sich selbst ärgerlich. Vergiss Dexter und seine Geheimnisse. Wegen Ernie sind wir hier.

»Ja bitte?« Eine schmalgesichtige Frau mit schmalen Lippen und spitzer Nase sah sie angewidert an.

»Mrs Butterly? Thelma Butterly?«, fragte Dexter.

»Nein, das ist meine Schwester. Ich bin Louise Reeves. Meine Schwester Thelma ist drinnen. Sie sind wohl die Leute, die wegen Onkel Ernie kommen?«

»Die sind wir«, sagte Frankie. Ihre Stimme klang heiser. Sie räusperte sich. »Und wir haben die Papiere dabei. Wir werden Ihre Zeit nicht lange beanspruchen.«

»Das wollen wir hoffen«, sagte Louise ungnädig. »Dann kommen Sie mal rein.«

Dexter trat beiseite, um Frankie den Vortritt in den schmalen Flur zu überlassen. Er war makellos sauber, aber gestopft voll mit Möbeln und Nippes.

Louise führte sie in ein ebenso sauberes, aber enges und vollgestelltes Wohnzimmer. Eine fast gleich aussehende, dünne und frettchengesichtige Frau blickte vom Ledersofa hoch.

»Sind Sie die Leute aus dem Süden, die Ernie beerdigen wollen?«

»Sind wir«, sagte Frankie wieder. »Freut uns sehr, Sie kennenzulernen, Thelma, äh, Mrs Butterly.«

»Hmpf.«

Da sie nicht gebeten wurden, sich zu setzen, blieben sie stehen. Frankie bekam in dem überfüllten Raum zunehmend Platzangst.

»Dann geben Sie uns mal die Papiere«, sagte Louise. »Kein Grund, lange zu fackeln. Auch wenn es mir ein Rätsel ist, warum Sie sich mit Onkel Ernies sterblichen Überresten abgeben wollen.«

Und wir haben bestimmt nicht die Absicht, dir das auf die Nase zu binden, dachte Frankie ärgerlich.

Lächelnd überreichte Dexter den Stapel Papiere mit Slos Anschreiben. »Das machen wir eben. Wir arbeiten für die Bestatter, wissen Sie? Sozusagen freiberuflich. Wir, ähm, kümmern uns um unbestattete Asche. Wenn in der Leichenhalle der Lagerplatz für Urnen knapp wird, äh, dann suchen wir die nächsten Angehörigen auf und übernehmen die Beisetzung der sterblichen Überreste.«

Frankie starrte ihn an. Was für ein großartiger Schwindler er doch war! Wahrscheinlich nur gut so, dachte sie zerknirscht, da sie selbst keinen Gedanken daran verschwendet hatte, wie sie es Thelma und Louise gegenüber begründen sollten, Ernie zur letzten Ruhe betten zu wollen.

»Wie ein Wohlfahrtsverein?« Louise überflog flüchtig die Papiere.

»Ja, äh, so ähnlich«, erwiderte Dexter schnell.

»Ganz schön plemplem.« Thelma schüttelte den schmalen Kopf. Selbst ihre Haare waren dünn, dachte Frankie. »Tot ist tot. Interessiert doch keinen, was danach kommt. Außerdem hat Onkel Ernie uns nichts Nennenswertes hinterlassen. Das meiste war keinen Shilling mehr wert. Die paar Sachen, die noch brauchbar sein könnten, haben wir behalten, und seinen restlichen Müll entsorgt.«

Einschließlich Achsahs Hochzeitskleid, dachte Frankie erzürnt.

»Das geht uns nichts an«, sagte Dexter diplomatisch und zog seinen Kugelschreiber hervor. »Alles, worum wir Sie als nächste Angehörige bitten, ist, diese Papiere zu unterzeichnen, mit denen Sie uns und dem Bestattungsunternehmen Motion die Vollmacht erteilen, über die Asche zu verfügen und ihrem, ähm, Onkel Ernie zu einer ordentlichen Beisetzung zu verhelfen.«

»Gerne doch«, sagte Louise und schnappte sich den Stift.

Puh. Frankie atmete aus. Es klappte.

»Wie viel?« Thelma sah sie fragend an. »Bevor ich den Stift aufs Papier setze. Wie viel?«

»Oh, das kostet Sie überhaupt nichts«, erklärte Frankie und rang um ein Lächeln. »Wir übernehmen alle Bestattungskosten für Ernie, ähm, Ihren Onkel.«

»Das will ich ja wohl auch hoffen«, schnappte Louise. »Wir vergeuden keinen weiteren Penny für diese überflüssige Beerdigung. Wir waren beim ersten Mal schon pleite.«

»Nein, nein«, warf Dexter eilig ein. »Frankie hat Recht. Das wird alles übernommen.«

»Auch wenn Sie Wohltäter sind«, Thelma sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an, »haben Sie doch wohl kein Brett vorm Kopf? Wir bezahlen nicht Sie. Sie bezahlen uns.«

»Genau.« Louise nickte. »Wenn Sie wollen, dass wir diese Papiere unterschreiben, mit denen Sie über Onkel Ernies Asche verfügen können, dann bezahlen Sie dafür, okay?«

Ach du Schande … Frankie schloss die Augen.

»Also, äh, es ist eigentlich nicht üblich …« Dexter sah Frankie entsetzt an.

»Mich interessiert nicht, was üblich ist. Nichts auf der Welt ist umsonst«, entgegnete Thelma eisig. »Wenn Sie unsere Unterschrift wollen, dann blechen Sie.«

»Okay.« Frankie zog eine Grimasse und versuchte sich daran zu erinnern, wie viel Geld sie bei sich hatte. Sie konnte Ernie jetzt nicht hängen lassen. »Wir geben Ihnen zwanzig Pfund.«

Thelma und Louise lachten. Sehr.

»Vierzig«, sagte Dexter.

Sie lachten weiterhin.

»Also, wie viel wollen Sie?« Frankie funkelte zornig. »Im Hinblick darauf, dass wir Wohltäter sind.«

»Nicht ganz dicht sind Sie«, fauchte Louise. »Sich mit anderer Leute toten Angehörigen abgeben! Wir wollen hundert.«

»Für jede«, ergänzte Thelma mit gierig glänzendem Blick.

Oh Gott … Frankie schüttelte den Kopf. Sie hatte keine Ahnung, ob Dexter überhaupt Bargeld bei sich trug. Sie hatte vermutlich so um die sechzig Pfund und ein paar Münzen.

»Frankie?« Dexter sah sie fragend an.

»Etwa sechzig.«

»Okay.« Er bedachte Thelma und Louise mit einem vernichtenden Blick. »Sie unterschreiben, dann bekommen Sie Ihre zweihundert.«

»Erst wollen wir das Geld sehen.«

Dexter und Frankie leerten gemeinsam Geldbörse und Brieftasche und weitere Taschen auf den Kaffeetisch. Louise machte sich darüber her und zählte mit dem Eifer eines Wucherers nach.

»Jawoll.« Sie nickte Thelma zu. »Stimmt so. Unterschreib ruhig, Thelma.«

Die hassenswerte Thelma unterschrieb an allen drei Stellen, gefolgt von der ebenso hassenswerten Louise.

»Danke.« Dexter riss die Papiere an sich. »Und tschüss.«

Thelma und Louise, noch mit Sortieren der diversen Scheine und Münzen beschäftigt, antworteten nicht einmal.

Dexter knallte die Eingangstür so fest hinter ihnen zu, dass Fleckchen grüner Farbe davon abblätterten.

»Oh mein Gott.« Frankie, der die Haare wild ins Gesicht wehten, lehnte sich an den Mercedes und schnappte nach der kalten und nassen Luft. »Oh mein Gott.«

Bebend vor Zorn schlang Dexter die Arme um sie und zog sie an sich. »Scheusale«, murmelte er. »Was für geizige, habgierige, niederträchtige Scheusale!«

»Ich fass es nicht, dass Leute so ekelhaft sein können«, murmelte Frankie an die Schulter seiner weichen Lederjacke gewandt.

»Ich schon«, brummte Dexter. »Immerhin haben wir, was wir wollten. Und wenigstens kann Ernie jetzt seine Beerdigung kriegen.«

Frankie nickte. »Ja. Und das ist ja eigentlich alles, was zählt. Nichts wie weg hier. So weit wie möglich. Und kannst du bitte nach Hause fahren? Mir ist ganz zittrig.«

»Kein Problem.« Er trat ein wenig zurück und strich ihr die Haare aus dem Gesicht. »Und außerdem fahren wir nicht auf direktem Weg nach Hause.«

»Nicht?« Frankie war klar, dass sie wirklich nicht mehr genug Geld hatten, um sonst noch viel zu unternehmen.

»Nein. Ich habe etwas vor, das ich schon längst hätte tun sollen. Ich erzähle dir mein Gegenstück zu deiner Geschichte mit Joseph, und dann zeige ich dir, warum ich aus Oxford wegmusste.«