14. Kapitel
»Du hast wen bitte eingestellt?« Etwa zehn Minuten später sah Dexter sie über den glänzend roten Resopaltisch im Greasy Spoon hinweg entsetzt an. »Hat die nicht die schlimmste Meise von allen?«
»Schon möglich.« Frankie spielte mit der dicken Plastiktomate auf dem Tisch. Jeden Moment drohte der Ketchup herauszuschießen wie aus einem Vulkan. »Höchstwahrscheinlich. Aber wer hat hier denn schon keine Meise? Es gab keine große Auswahl.«
»Stimmt auch wieder«, Dexter lachte leise, »aber es war doch ganz schön überstürzt.«
»Ach, ich fackele nicht gern lange. Manchmal sind diese spontanen Entscheidungen aus dem Bauch heraus besser als die, mit denen man sich lange abgequält hat, meinst du nicht auch? Und ich bin sicher, mit Cherish geht alles klar. Sie kennt die Leute im Dorf, sie ist im richtigen Alter, sie sagt, sie hat schon einmal in einem Modegeschäft gearbeitet, und sie ist verfügbar. Es spricht also nichts dagegen.« Frankie atmete die köstlichen Frühstücks- und Kaffeedüfte des Greasy Spoon ein und hoffte, dass ihr nicht schon laut der Magen knurrte. »Ich muss mich natürlich noch um die ganzen Einstellungsformalitäten kümmern, und dann sehe ich einfach mal, wie sie sich macht. Wenn Biddy nicht dabei ist, wirkt sie sehr viel netter – wenn auch ein bisschen trübsinnig.«
»Hauptsache, sie hat keine langen, klebrigen Finger.«
»Ich bin sicher, Cherish ist sehr sauber.« Frankie war entsetzt. »Ich würde niemanden einstellen, der sich nicht wäscht.«
»Ich meinte lange, klebrige Finger im übertragenen Sinn.« Dexter rührte in seinem Kaffee. »Solche, die ständig in die Kasse langen. Damit bin ich schon mal schlimm reingefallen.«
»Ach ja?« Frankie bemühte sich sehr, nicht allzu interessiert zu klingen. Es war immerhin das erste Mal, dass Dexter freiwillig irgendeine Information über seine Vergangenheit herausrückte. »Tatsächlich? Das klingt ja unerfreulich.«
»Ja, das war es. Sehr sogar.« Dexter lächelte zu der Kellnerin hinauf, die gerade mit Schinkenbrötchen an den Tisch trat. »Danke.«
Frankie nahm die obere Hälfte ab, gab großzügig Ketchup dazu, biss in ihr Schinkenbrötchen und unterdrückte ein Wonnestöhnen. Sie wartete darauf, dass Dexter mit seinen Enthüllungen fortfuhr, doch er aß einfach nur. Sie seufzte und sah sich im Café um. Die Bedienungen heute waren alle mittleren Alters. Von der verführerischen Ginny nichts zu sehen. Ach, nein – die arbeitete ja nur samstags, weshalb sie heute natürlich im College war, um Medienkommunikation oder Schönheitsbehandlung oder was auch immer zu studieren. Na, Gott sei Dank.
Dexter war mit seinem Brötchen fertig und wischte sich die Hände an der hellroten Papierserviette ab. »Das war köstlich. Ich könnte noch mindestens drei weitere essen, aber ich weiß, Marguerite muss bald zum Schulabhol-Fahrdienst.«
»Marguerite?« Frankie hatte ihr eigenes Brötchen aufgegessen und griff nach der Serviette. »Wer ist das?«
»Die bezaubernde Dame dort draußen.« Dexter deutete durch die Fensterscheibe zum Blumenkiosk. »Sie vertritt mich freundlicherweise für einige Minuten.«
Frankie spähte durch die beschlagenen Fenster des Cafés an den Fußgängern von Kingston Dapple vorbei und quer über den Marktplatz. Eine große, elegante Frau mit fülligem rotbraunem Haar und einem Plüsch-Pelzmantel besetzte den Blumenkiosk.
»Ich dachte, du wolltest Brian fragen?«
»Oh, werde ich auch. Marguerite kam nur zufällig vorbei, kurz nachdem du gefragt hast, ob ich Zeit zum Mittagessen hätte. Sie ist eine meiner Heimservice-Kundinnen.«
Lachend schüttelte Frankie den Kopf. »Und sie revanchiert sich für eine Gefälligkeit oder auch mehrere?«
»So in der Art.« Dexter grinste unbescheiden zurück. »Meine Heimservice-Damen sind allesamt überaus dankbar.«
»Und du bist wirklich schlimm.«
»Eigentlich hab ich mir sagen lassen, ich sei wirklich gut.«
Frankie beugte sich über den Tisch und boxte ihn.
»Wie auch immer«, meinte Dexter, noch immer grinsend. »Genug von meinen außerdienstlichen Aktivitäten … Hattest du ein schönes Wochenende?«
»Ähm, ja, denke schon.« Nun, mal abgesehen davon, dass Ernie Yardleys angeblicher Geist mich fast zu Tode erschreckt hat, ganz zu schweigen von dem haarsträubenden Besuch bei Slo. Doch solange sie nicht vollständig sicher sein konnte, dass Ernie wirklich ein Geist war, hatte Frankie nicht die Absicht, auch nur ein einziges dieser faszinierenden Details mit irgendwem zu besprechen. Auch nicht mit Dexter. »Und du?«
»Äh, mal ganz was anderes. Hab die trostlose Einzimmerwohnung kaum von innen gesehen.«
Oooh, welch ein Jubel!
»Wie schön für dich.«
»Nein, schön war es nicht wirklich. Ich bin am Samstagabend mit Ginny ausgegangen, was recht vergnüglich war, und dann hat sie mich am nächsten Tag ihren Eltern vorgestellt, was alles andere als vergnüglich war. Ich hatte einen richtigen Sonntagsbraten. Mit der gesamten Familie.«
»Mannomann. Dann gibt es also bald ein Aufgebot beim Standesamt?«
Dexter zog eine Grimasse. »Wohl kaum. In Wirklichkeit war das alles ganz schön gruselig. Ginny ist ein süßes Mädchen und sehr hübsch, aber viel zu jung für mich. Sie ist erst achtzehn und steht auf Rap und Hiphop und Sänger, deren Namen ich noch nie gehört habe.«
»Du armer alter Mann.«
»Spotte nicht, es war wirklich peinlich.«
»Und du«, sagte Frankie beim Griff nach ihrer Kaffeetasse streng, »solltest nicht mit den Gefühlen anderer spielen. Unter diesen Umständen hättest du ihre Einladung zum Mittagessen mit der Familie gar nicht erst annehmen dürfen.«
Dexter zuckte mit den Schultern. »Nein, hätte ich nicht. Aber es war einfach zu verlockend. Und wie Oscar Wilde kann ich allem widerstehen, nur nicht der Versuchung.«
Frankie, literarisch wenig bewandert, war von dem Zitat dennoch beeindruckt. War dies ein weiterer Hinweis auf Dexters Vergangenheit? »Hast du, ähm, in Oxford Literatur studiert?«
»Nein.« Dexter lachte. »Ich habe die Schule mit ziemlich mittelmäßigen A-Levels abgeschlossen und gleich angefangen zu arbeiten. Ich hab mir nur gerne Stephen Frys Fernsehserie über Oscar Wilde angesehen. Tut mir leid, wenn ich dich enttäuschen muss.«
»Tust du nicht. Na gut, aber wenn du mit Ginny keine ernsthafte Beziehung eingehen willst, warum in aller Welt bist du dann mit zum Mittagessen bei ihren Eltern gegangen?«
»Weil ich Sehnsucht nach familiärer Geborgenheit und einer anständigen Mahlzeit hatte und …« Er brach ab. »Hoppla – das klingt doch allzu sehr nach weinerlichen Bekenntnissen. Ganz schlecht für mein Image als, deinen Worten zufolge, herzloser Mistkerl.«
»So habe ich dich nicht genannt. Und es tut mir leid, wenn du deine Familie vermisst. Ich vermisse meine auch. Dabei wohnt sie nur in Reading.«
»Meine könnte genauso gut auf dem Mond leben.«
»Du siehst sie wohl nicht sehr oft?«
»Inzwischen gar nicht mehr. Und du?«
»Nicht oft genug. Ich meine, wir telefonieren und simsen und mailen uns die ganze Zeit, aber das ist schließlich nicht dasselbe. Wie es aussieht, haben wir einfach alle viel zu tun.«
»Hast du denn Brüder und Schwestern? Eine große Familie?«
»Genug.« Frankie lächelte beim nostalgischen Gedanken an ihre laute, lustige Familie. »Ich habe zwei Brüder, beide verheiratet mit jeweils zwei Kindern, und eine sehr viel jüngere Schwester, die noch zu Hause bei Mum und Dad wohnt. Ich vermisse sie wirklich. Aber über Weihnachten fahre ich heim und freue mich schon sehr darauf.«
»Du Glückliche.«
»Und was ist mit dir? Sind deine Eltern noch verheiratet? Miteinander, meine ich? Denn viele sind das ja heutzutage nicht mehr. Lillys Eltern haben sich scheiden lassen, als sie erst fünf war, und haben beide wieder geheiratet, sodass sie jetzt Unmengen von Stiefbrüdern und Stiefschwestern hat.«
»Meine Eltern sind noch zusammen. Ich habe einen Bruder. Älter als ich. Geschieden. Keine Kinder.«
Frankie sah ihn an in der Hoffnung, er würde noch mehr erzählen, aber wieder trank er einfach nur einen Schluck Kaffee.
Sie seufzte. »Ich hoffe nur, du bringst es Ginny schonend bei, dass du keine feste Beziehung eingehen willst. Mit achtzehn ist sie bestimmt sehr verletzlich und glaubt wahrscheinlich, sie sei verliebt. Und du, als der Ältere, solltest sie nicht an der Nase herumführen. Das wäre nicht fair.«
Mit regloser Miene musterte Dexter sie über den Rand seines Kaffeebechers hinweg. »Sprichst du da aus eigener Erfahrung?«
»Vielleicht.« Frankie merkte, wie sie rot anlief. »Vielleicht auch nicht. Wie auch immer. Ich finde nur, du solltest darauf achten, sie nicht zu verletzen. Du bist ja offenbar ein großer Bindungsvermeider, der weiß, wie attraktiv er ist, nichts anbrennen lässt und sich keinen Deut um andere schert. Ich nehme an, dass dies der wahre Grund war, wieso du aus Oxford wegmusstest und Ray dir aus der Patsche geholfen hat. Was war denn los? Zu viele klammernde Frauen oder zu viele eifersüchtige Männer?«
»Puh!« Dexter sah verärgert aus. »Das ist ja eine höllisch vernichtende Charakteranalyse von jemandem, der mich kaum kennt.«
»Ich brauche dich nicht zu kennen. Ich kenne Männer von deiner Sorte. Und ich habe dich in Aktion gesehen.«
Dexter zuckte mit den Schultern. »Und du hast dir deine Meinung gebildet und mich von vornherein verurteilt? Na prima. Und was ist mit dir? Was, meinst du, habe ich über dich herausgefunden?«
»Ich habe wirklich keine Ahnung.«
»Dass du, hm, Ende zwanzig und hinreißend bist? Dass du offenbar mit niemandem ausgehst, nicht einmal ab und zu, und augenscheinlich keinerlei Interesse an Männern hast. Folglich bist du entweder lesbisch und hast dich noch nicht geoutet, oder jemand hat dir das Herz gebrochen, und du hast es noch nicht überwunden. Was von beidem ist es?«
»Weder noch.« Frankie errötete ärgerlich, auch wenn sie sich insgeheim über das »hinreißend« ein bisschen freute. »Und du solltest keine voreiligen Schlussfolgerungen ziehen.«
»Das gilt für uns beide. Und ich vermute, es ist Letzteres.« Dexter schmunzelte unvermittelt. »Eines Tages müssen wir uns mal unsere Lebensgeschichten erzählen, dann verstehen wir einander vielleicht ein bisschen besser, aber fürs Erste sollten wir wieder an die Arbeit gehen.«
»Gut.« Frankie stand auf. »Ich gehe bezahlen.«
»Schon erledigt.« Dexter stand auf und reckte sich. Frankie bemühte sich, nicht hinzustarren. Alle anderen Frauen im Café versuchten es gar nicht erst. »Du bist eingeladen. Schönen Nachmittag noch.«
»Dir auch«, sagte sie und wickelte sich die Schals wieder um den Hals. »Und danke fürs Mittagessen.«
»Gern geschehen.«
Dexter hielt ihr die Tür auf. Nach der behaglichen, dampfigen Wärme im Greasy Spoon war die eisige Luft wie eine kalte Dusche.
Dexter schauderte. »Oh Gott, ist das kalt. Ich wünschte, Ray hätte seine Blumen in einer Art Treibhaus verkauft, gut beheizt und rundum verglast.«
Frankie kicherte. »Im Hochsommer wünschst du dir das nicht mehr.«
»Wenn das so weitergeht, überlebe ich nicht bis zum Sommer.«
»Wegen der frostigen Witterung?« Frankie sah zu der eleganten Marguerite hinüber, die sichtlich aufmerkte, als sie Dexter aus dem Greasy Spoon kommen sah. »Oder wegen der Scharen erzürnter Damen mit gebrochenem Herzen?«
»Wegen der Damen natürlich.« Dexter lachte. »Wie du ja offenbar nur allzu gut weißt.«
Am späten Nachmittag war Francesca’s Fabulous Frocks endlich leer. Die letzte Kundin war eben gegangen, ein hinreißendes zitronengelbes Frou-Frou-Kleid aus den Sechzigerjahren in lila-goldener Tragetasche in beglücktem Klammergriff. Frankie, erschöpft, aber mit dem Umsatz am Montag sehr zufrieden, drehte das Schild auf GESCHLOSSEN und sperrte die Tür zu.
Wenn das Geschäft weiterhin so gut lief, würde sie bald anfangen müssen, die Kleiderstapel im Obergeschoss zu sortieren, um die Ständer wieder aufzufüllen. Sie würde sich morgen darum kümmern, während Cherish im Laden bediente.
Cherish, dachte Frankie, als sie Kasse machte, war überraschend brillant gewesen. Fern von der Bissgurke Biddy war sie aufgeblüht. In der Boutique war sie wie in ihrem Element, sagte, sie fühle sich in ihre glücklichsten Zeiten zurückversetzt, und war ebenso fleißig wie freundlich. Ganz wie eine dieser altmodischen Verkäuferinnen, die man in Fünfzigerjahre-Filmen sah. Stets höflich und interessiert, dabei aber niemals aufdringlich. Und soweit Frankie das sagen konnte, hatte sie mit keinem Wort über Farbpaletten gesprochen. Cherish, dachte Frankie froh, war ein großer Gewinn.
Okay, jetzt würde sie nur noch die Lichter ausmachen, nach Hause gehen und es sich bei Coronation Street vor dem Fernseher gemütlich machen. Sie lachte. Das bedeutete natürlich, dass sie das Sofa wahrscheinlich mit Lilly und dem süßen Typ von Samstagnacht teilen müsste, bis die beiden kichernd in Lillys immer ordentlichem und sparsam eingerichtetem Schlafzimmer verschwanden.
Lilly und Dexter – zwei ausgesprochen flatterhafte Eintagsfliegen.
Im Greasy Spoon jedoch hatte Dexter ihr einen kurzen Einblick in sein früheres Leben gewährt. Und Frankie, die in der Vergangenheit viel zu viel Zeit gehabt hatte, über die Beweggründe von Männern nachzudenken, die ganz anders waren, als man gedacht hätte, war fasziniert gewesen. Warum hatte er keinen Kontakt zu seiner Familie? Warum …?
Als es an der Tür klopfte, zuckte sie zusammen. Für einen Augenblick prickelte ihre Haut. Von Ernie war nichts zu sehen gewesen. Sie hatte bereits in allen Ecken nachgeschaut, vor allem bei Achsahs Kleid, das noch immer in seiner ganzen Herrlichkeit in der Fünfzigerjahre-Abteilung hing. Alles war bestens gewesen. Also konnte doch wohl nicht? Nein, natürlich nicht. Geister klopften nicht an Türen, oder?
»Frankie!«, erklang Dexters Stimme von draußen. »Mach die Tür auf, bitte. Ich erfriere hier gleich.«
Frankie rumpelte ein Felsbrocken der Erleichterung vom Herzen, sie eilte durch den Laden und zog die Tür auf. Es war eine klirrend kalte Nacht. Sterne funkelten bereits eisig am schwarzen Himmel, und der Marktplatz von Kingston Dapple war mit silbrigem Raureif überzogen.
»Danke.« Dexter trat ein und rieb sich die Hände. »Teufel, ist das heute Nacht kalt. Ich glaube, der Nebel war mir lieber. Es hat bestimmt schon mindestens minus zehn Grad. Ich dachte nur, ich sollte mich bei dir entschuldigen, bevor du nach Hause gehst.«
»Wieso? Das ist sehr nett von dir, aber ich kann mich nicht erinnern, dass du auch nur im Entferntesten etwas getan hättest, wofür du dich entschuldigen müsstest.«
»Vorhin. Da war ich wirklich ganz schön patzig. Es ist dein gutes Recht, dir eine Meinung über mich zu bilden, aber ich bin dir dafür fast ins Gesicht gesprungen. Tut mir leid.«
»Entschuldigung angenommen.« Frankie lächelte. »Und mir tut es auch leid. Ich weiß, dass ich manches gesagt habe, was ich nicht hätte sagen sollen. Du hast da nur einen empfindlichen Nerv getroffen.«
Dexter nickte. »Das dachte ich mir. Auch das tut mir leid.«
»Ach, vergessen wir ’s doch einfach«, sagte Frankie und nahm ihre Tasche vom Tresen. »Wir haben wahrscheinlich beide Dinge gesagt, die besser ungesagt geblieben wären.«
»Das alte Lied. Äh, ist Cherish noch hier?«
»Nein, seit Stunden schon nicht mehr. Sie war großartig. Warum?«
»Wenn du nicht mit Einarbeitung der neuen Mitarbeiterin beschäftigt bist, wollte ich fragen, ob du Lust hättest, kurz auf einen Drink mit in den Pub zu kommen, bevor wir getrennte Wege gehen?«
Frankie dachte rasch nach. Auf dem Sofa kuscheln und neben Lilly und dem süßen Typ den Anstandswauwau spielen oder ein Drink mit Dexter? Tja, schwere Entscheidung.
»Gerne, vielen Dank. Aber was ist mit Marguerite?«
»Was soll mit Marguerite sein? Sie kommt nicht mit.«
»Du weißt ganz genau, was ich meine.«
»Ja, weiß ich. Und sie ist sehr attraktiv, das stimmt schon, aber sie ist nicht wirklich interessiert an mir – genauso wenig wie ich an ihr. Ich werde sie nicht wiedersehen. Marguerite wird einen anderen Mann fürs Grobe finden.«
»Bist du das?« Frankie kicherte. »Ein Mann fürs Grobe? Mannomann.«
Dexter schmunzelte. »Für sie schon. Ich bin kein langweiliger Anzugträger wie ihr Gatte, weißt du. Ich bin eher ein Arbeiter wie der Klempner oder der Maurer oder der Elektriker. Damen wie Marguerite finden Männer wie uns sehr reizvoll.«
»Das klingt wie eine schmalzige Geschichte aus Mein Geständnis oder so ähnlich.« Noch immer schmunzelnd knöpfte Frankie ihren Mantel zu und wickelte sich die Schals um den Hals. »Oder Lady Chatterley. Eigentlich, da du ja mit all dem Grünzeug und Blumen arbeitest, würdest du einen großartigen Gärtner Mellors abgeben.«
»Danke.« Dexter runzelte die Stirn. »Soll das ein Kompliment sein?«
»Nee. Eine Kritik an deinem leichtfertigen Sexualverhalten.« Frankie gluckste. »Auch wenn ich immer die Hoffnung hatte, dass bei Lady Chatterley und Mellors neben der Lust auch ein bisschen Liebe mit im Spiel war, du nicht?«
»Ich habe wirklich keine Ahnung. Dein Lesestoff ist eindeutig von höherem Niveau als meiner.«
»Glaube ich kaum.« Frankie lachte leise beim Gedanken an ihre Regalbretter voll heiß geliebter Romantik-Komödien.
Dexter zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nur, dass Marguerite sich einfach langweilt als Hausfrau und Mutter mit einem Ehemann, der überall in der Welt unterwegs ist, um Geld für ihre Designerkleider und die Privatschulen der Kinder zu verdienen. Es gibt viele Frauen wie Marguerite. Sie genießen eine kleine Tändelei, wollen aber nichts, was das üppige eheliche Finanzpolster gefährden könnte.«
Frankie schüttelte den Kopf. »Wirklich traurig, nicht wahr? Warum ist niemand je zufrieden mit dem, was er hat?«
Dexter schmunzelte. »Ach, komm mir bitte nicht wieder so philosophisch. Vergessen wir lieber die Marguerites dieser Welt und gehen wir einen trinken. Ich bin viel zu erledigt für tiefschürfende Diskussionen.«
»Ich auch.« Frankie kicherte, zog ihre lila Handschuhe an und griff sich die Ladenschlüssel. »So, das wär’s jetzt. Alles bereit für den Andrang am Morgen. Hattest du auch einen guten Tag, geschäftlich, meine ich? Auf dem Thema Beziehungen werde ich nicht weiter herumreiten, versprochen.«
»Wirklich gut, danke. Es läuft bestimmt prima, wenn ich mich erst einmal daran gewöhnt habe, bis auf die Knochen durchzufrieren, und ein bisschen mehr über die Pflanzen gelernt habe. Ich meine, du hast ja offenbar gehört, dass ich, was mein Privatleben angeht, eine Niete bin, aber geschäftlich war ich immer sehr ehrgeizig. Und ich mag Ray wirklich gern und möchte ihn nicht enttäuschen. Er war sehr stolz auf die Valentine-Blumenverkaufstradition hier in Kingston Dapple, und er war der Einzige in der Familie, der zu mir gehalten hat, als – was zum Teufel ist das denn?«
»Was?«, fragte Frankie, verärgert, dass schon wieder eine Enthüllung unterbrochen wurde.
»Da drüben.« Dexter spähte quer durch den Raum. »Ich könnte schwören, da hätte sich was bewegt. Du hast doch nicht etwa Ratten, oder?«
»Liebe Güte, ich hoffe nicht.« Frankie schauderte. »Wo denn?«
»Da drüben. Bei dem Marilyn-Monroe-Poster. Ich hab nur aus dem Augenwinkel irgendeine Bewegung wahrgenommen. Da! Das musst du doch gesehen haben!«
Ach herrje …
»Hallo, Spätzchen.« Ernie Yardley trat zwischen den Fünfzigerjahre-Ständern hervor. »Schön, dich zu sehen, und auch deinen jungen Mann.«
Oh Gott … Frankie schüttelte den Kopf.
Ernie strahlte sie an. »Du bist bei Slo gewesen, nicht wahr? Jetzt weißt du, dass ich die Wahrheit sage, oder?«
Dexter lachte. »Mannomann, haben Sie ein Glück. Wir sind gerade auf dem Sprung, sodass Sie beinahe über Nacht hier eingesperrt worden wären. Allerdings hätte ich Ihretwegen fast einen Herzinfarkt bekommen.«
»Keine sehr glückliche Wortwahl unter den gegebenen Umständen«, sagte Ernie niedergeschlagen, dann sah er Frankie an. »Du solltest uns besser miteinander bekannt machen.«
Dexter schüttelte den Kopf. »Nicht nötig. Ich bin Dexter Valentine, und ich glaube, ich weiß, wer Sie sind. Frankie hat Sie mir wirklich gut beschrieben. Schön, Sie endlich kennenzulernen, denn ich habe schon viel von Ihnen gehört. Sie sind der Typ, der ein Kleid kaufen möchte. Richtig?«
»Falsch.« Ernie grinste. »Völlig falsch. Nicht wahr, Spätzchen?«
»Falscher geht’s nicht«, bestätigte Frankie mit flauem Gefühl im Magen. »Dexter, dies hier ist Ernie Yardley. Ernie Yardley ist tot. Ernie Yardley behauptet, ein Geist zu sein.«