25. Kapitel
Frankie rollte sich im Bett herum, knautschte ihre Kissen bequemer zurecht, kuschelte sich tiefer unter die rosa-violette Rüschendecke und berührte schläfrig ihre Ohrringe. Dexters Weihnachtsgeschenk. Kleine Ohrstecker, geformt wie hübsche Ballkleider aus den Fünfzigerjahren, wunderschön emailliert in Rosa und Lila und mit unten hervorspitzenden Petticoats. Unbeschreiblich schön. Sie würde sie nie wieder ablegen. Sie schloss noch einmal die Augen und döste mit einem Lächeln ein.
Dann klingelte das Telefon. Und klingelte. Und klingelte.
Stöhnend, die Augen noch geschlossen, tastete sie blind auf dem Nachttisch umher. »Hallo.«
»Frankie, Liebes.«
»Cherish?« Frankie hob den Kopf von den Kissen und blinzelte mit verschwommenem Blick auf ihr Telefon. »Bist du das? Warum rufst du mich an? Welcher Tag ist heute?«
»Der Achtundzwanzigste, Frankie.«
»Oh Gott – habe ich verschlafen? Nein, es ist noch nicht einmal sieben. Es ist mitten in der Nacht. Es ist noch dunkel. Cherish, rufst du mich von einem Handy aus an?«
»Ja.« Cherish klang sehr aufgeregt.
»Du hast aber doch gar kein Handy, oder?«
»Nein, Liebes. Es gehört Dexter.«
Frankie blinzelte erneut. Schlief sie noch? Warum in aller Welt rief Cherish sie von Dexters Handy aus an? Wieso rief Cherish sie überhaupt an?
Frankie war nach Mitternacht vom Haus ihrer Eltern über den festgebackenen Schnee vorsichtig zurückgefahren und dankbar ins Bett gefallen. Sie hatte doch bestimmt erst höchstens fünf Minuten geschlafen?
»Äh, entschuldige, Cherish? Bist du krank? Gibt es ein Problem? Wo bist du?«
»Ich bin nicht krank, Liebes. Also, ein Problem gibt es nicht, falls du einen vorgezogenen Winterschlussverkauf in der Boutique veranstaltest, und ich bin auf dem Marktplatz.«
»Ich habe keinen Winterschlussverkauf geplant.« Frankie stand vor einem Rätsel. »Wieso bist du schon so früh zur Arbeit?«
»Ich bin mit Brian hergekommen, Liebes. Wir wollten zusammen im Greasy Spoon frühstücken. Ich habe die Feiertage in seinem Bungalow verbracht. Oh, in getrennten Schlafzimmern, Liebes, nicht dass du womöglich irgendetwas Anzügliches denkst.«
Oh Gott. Frankie stieß die Luft aus. Das wurde ja von Minute zu Minute irrwitziger.
»Cherish, ist Dexter da? Kann ich mal mit ihm sprechen?«
»Kannst du, Liebes. Aber ich glaube, du solltest so schnell wie möglich herkommen. Es sind etwa dreitausend Leute auf dem Marktplatz, und die wollen alle in deine Boutique.«
»Was?« Mit einem heiseren Aufschrei des Entsetzens sprang Frankie aus dem Bett und tastete nach ihren Kleidern. Zum Duschen war jetzt eindeutig keine Zeit. »Wieso? Was in aller Welt ist denn los? Hör mal, okay, warte kurz, ich zieh mir was an. Was – ach, hi.«
»Hi.« Dexters Stimme drang belustigt an ihr Ohr. »Und soll das heißen, du bist gerade nackt?«
»Ja. Nein. Geh weg.«
Dexter lachte.
Frankie klemmte sich das Telefon unters Kinn, hüpfte umher und zog sich an, was ihr gerade in die Finger kam. »Vielen, vielen Dank für die Ohrringe. Sie sind unglaublich schön. Ich liebe sie.«
»Das freut mich. Ich fand irgendwie, sie passen zu dir.«
»Etwas Schöneres hättest du mir nicht schenken können.«
»Gut. Und bist du jetzt angezogen?«
»So halbwegs.«
»Okay, jetzt habe ich das Interesse verloren.«
»Dexter! Im Ernst, was geht da vor?«
»Keine Ahnung. Ich bin gerade erst gekommen – der Blumengroßmarkt hat geschlossen, aber ich hatte bei einem anderen Lieferanten noch mehr Glitzertulpen bestellt –, also habe ich meine Ware früh abgeholt und bin gerade hier aufgekreuzt, um Cherish und Brian und eine Unmenge anderer Leute vor deinem Laden anzutreffen.«
»Etwa dreitausend, hat Cherish gesagt«, murmelte Frankie und versuchte, ihr Gesicht mit einem Tüchlein zu reinigen und gleichzeitig Wimperntusche aufzutragen.
»Wohl eher um die dreißig, würde ich sagen. Aber genügend. Vor allem weil sie alle ziemlich … na ja, sonderbar aussehen.«
»Oh Gott, es sind doch nicht etwa … ähm … Tote, oder? Es wollen doch nicht etwa noch mehr Geister herein?«
»Nein, sie sind alle sehr lebendig. Warm eingemummelt gegen den Frost und mit Thermoskannen voller Bovril-Bouillon.«
»Hör auf. Das ist ja total verrückt. Erzähl mir nichts mehr, bis ich da bin. Komme gleich.«
Zehn Minuten später erreichte sie den Marktplatz. Es war noch immer stockfinster, und die Weihnachtslichter funkelten fröhlich. Der überfrorene Schnee auf dem Kopfsteinpflaster war noch weitgehend unbetreten und sah wunderschön aus, allerdings war es immer noch bitterkalt.
Frankie drängte sich durch die Menge an Menschen, die stark nach Vogelbeobachtern aussahen, bis sie Dexter gefunden hatte. Sie lächelte ihn an und strich ihr Haar zurück, damit die Ohrringe zum Vorschein kamen. »Siehst du? Ich nehme sie nie wieder ab. Vielen herzlichen Dank.«
»Sie sehen süß aus an dir.« Dexter nickte. »Und ich freue mich, dass sie dir gefallen.«
»Gefallen ist eine Untertreibung. Sie sind das beste Geschenk aller Zeiten.« Sie sah sich auf dem Marktplatz um. »Was zum Teufel ist denn hier los?«
»Ich habe noch immer keine Ahnung. Hattest du schöne Weihnachten?«
»Toll, danke. War viel zu schnell vorbei. Und bei dir?«
»Nicht wirklich. Ruhig. Sehr ruhig. Und du siehst aus wie ein Osterküken.«
Frankie ächzte. Das kurze gelbe Wollkleid unter der zitronengelben Jacke mit rosa Strumpfhose und roten Stiefeln bildete nicht gerade eine ideale Farbkombination, aber sie hatte keine Zeit gehabt, wählerisch zu sein.
»Danke. Und wo zum Henker steckt Cherish?«
»Brian und sie waren schon ganz steif gefroren, sodass sie auf ein warmes Frühstück ins Greasy Spoon gegangen sind.«
»Und die beiden haben Weihnachten gemeinsam verbracht?«
»Sieht ganz so aus.«
»Lieber Himmel.«
Plötzlich löste sich jemand aus der Menge vor Francesca’s Fabulous Frocks und kam auf sie zu. Aufgrund der Daunenjacke mit dickem Schal und Pudelmütze war es unmöglich, das Geschlecht zu bestimmen.
»Entschuldigung, aber wissen Sie, wann die Boutique aufmacht? An der Tür steht, am Achtundzwanzigsten – und das ist heute –, aber nicht, um welche Zeit.«
Die heisere Stimme gab auch keinen Hinweis auf das Geschlecht der Person.
»Um neun Uhr«, sagte Frankie.
»Und sind Sie die Inhaberin?«
»Ja, aber warum? Wer sind Sie? Wollen Sie alle Kleider kaufen?«
»Nein, natürlich nicht. Ich bin Jackie Minton, Vorsitzende der Psychical Research Association in Winterbrook.«
Weiblich also.
Frankie lächelte. »Nun, freut mich, Sie kennenzulernen, aber ich verstehe nicht …«
»Und ich bin Alan Bradstock. Ich leite die Afterlife Group in Willows Lacey.« Eine ähnlich eingemummelte Figur drängte sich vor Jackie. »Wir sind konkurrierende Vereine, wissen Sie? Und ich möchte nicht, dass die da mir zuvorkommen.«
Pling!
Ungläubig schüttelte Frankie den Kopf. »Sie sind Geisterjäger?«
»Diese Bezeichnung benutzen wir eigentlich nicht«, sagte Alan Bradstock verschnupft. »Viel zu eindimensional. Wir sind weitaus mehr als das.«
»Ganz genau«, bestätigte Jackie Minton. »Jedenfalls haben wir gehört, dass es in diesem Geschäft eine Präsenz gibt, und wir sind alle sehr begierig darauf, hineinzukommen und sie selbst zu spüren.«
»Aber«, sagte Alan, »wenn Sie die Inhaberin sind, müssen Sie von dieser Visitation doch wissen.«
Frankie lachte. Es klang sehr gekünstelt. »Sie meinen, Sie glauben, in meinem Geschäft würde es spuken? So einen Unsinn habe ich ja im ganzen Leben noch nicht gehört!«
»Sie sind sich dessen vielleicht nicht bewusst«, krächzte Jackie liebenswürdig. »Sie sind vielleicht nicht auf die geistige Welt eingestimmt. Wir könnten Ihnen helfen.«
»Ja, in der Tat«, meinte Alan freundschaftlich und stapfte mit den Füßen. »Lassen Sie uns nur hinein, dann setzen wir uns mit jeglichen Geistern in Verbindung, die Sie heimgesucht haben mögen.«
»Nur über meine Leiche«, fauchte Frankie. »Bitte gehen Sie – und zwar alle! Ich will jetzt erst einmal frühstücken. Ich öffne das Geschäft um Punkt neun – um Kleider zu verkaufen. Ausschließlich um Kleider zu verkaufen. Wenn Sie kein Kleid kaufen wollen, dann kommen Sie bitte auch nicht herein. Es gibt keine Geister in meinem Geschäft – alles klar?«
Und von Dexter gefolgt drängte sie sich durch die begierige Menge.
»Cool«, sagte er bewundernd. »Du bist eine großartige Lügnerin.«
Frankie zog an der Tür zum Greasy Spoon. »Wer«, über die Schulter hinweg funkelte sie ihn an, »hat da geplaudert?«
»Boah! Schau mich nicht so an. Da kriegt man ja Angst. Ich habe kein Sterbenswörtchen verraten. Wer hat es denn sonst noch gewusst?«
»Du und ich. Lilly und Maisie.« Frankie fand einen Tisch am Fenster und ließ sich fallen. »Sonst niemand.«
»Also? Lilly?« Dexter nahm sich den Stuhl gegenüber. »Oh Gott – Cherish und Brian haben uns gesehen.«
»Kein Wunder, wir sind hier drinnen die einzigen anderen Gäste.« Sie winkte ihnen durch das Café hindurch zu. »Danke, dass du mich über diesen, ähm, Ansturm informiert hast, Cherish.«
»Ist alles in Ordnung, Liebes?«
»Ja, ja, nur ein kleines Missverständnis. Mach dir keine Sorgen deswegen. Genieß einfach dein Frühstück. Oh, und du trägst ja einen Tupfen Rot. Wie hübsch. Steht dir wirklich gut.«
»Danke dir, Liebes. Das war eines von Brians Weihnachtsgeschenken. Und über deines habe ich mich auch sehr gefreut, Liebes. Genau das Richtige. Vielen herzlichen Dank.«
»Äh, gern geschehen. Deine Badeperlen waren auch wunderbar.«
»Danke, Liebes. Meine Mutter hatte immer so gerne Badeperlen mit Freesienduft. Ich wusste, du würdest sie auch mögen.«
Frankie sah Dexter an. »Ich glaube, ich kann eine Aufführung von Romeo und Julia im Rentenalter momentan gerade nicht verkraften, du etwa? Das ist einfach zu schräg. Außerdem habe ich genug anderes um die Ohren. Also, nein, Lilly hat versprochen, kein Wort zu verraten, und das hat sie auch nicht. Ich weiß, Lilly ist ein bisschen girliemäßig und flippig und so, aber sie ist absolut ehrlich. Ich vertraue Lilly vollkommen.«
»So? Ich habe es auch keinem erzählt, du ebenfalls nicht, und wenn wir Lilly von der Liste streichen, bleibt nur noch Maisie.«
»Aber warum?« Frankie runzelte die Stirn. »Sie hat uns die ganze Suppe doch überhaupt erst eingebrockt. Damit kann sie doch nicht etwa angeben wollen? Oh«, sie lächelte die mütterliche Kellnerin an, »zweimal englisches Frühstück bitte und zwei Kaffee. Im Becher bitte. Danke schön.«
Dexter warf einen Blick aus dem Fenster. »Jetzt scheinen sogar noch mehr von denen zu kommen. Meinst du, die haben irgendeine Art Funkverbindung?«
»Sechster Sinn.« Frankie kicherte.
Dexter lachte. »Du hast mir gefehlt.«
Frankie hörte auf zu kichern. »Du hast mir auch gefehlt.«
»Kaffee!« Die mütterliche Kellnerin knallte zwei Becher auf den roten Resopaltisch. »Frühstück kommt in fünf Minuten, in Ordnung?«
Als sie mit dem Frühstück fertig waren und sich allmählich das Tageslicht über Kingston Dapple ausbreitete, hatte sich eine Menge von etwa hundert Menschen auf dem Marktplatz angesammelt. Das Greasy Spoon machte ein Bombengeschäft beim Aufwärmen derjenigen, die sich nicht mit Handwärmern und Thermosflaschen bewaffnet hatten.
Frankie und Dexter standen schlotternd vor Francesca’s Fabulous Frocks, ihr Atem bildete Wölkchen in der halbdunklen Luft.
»Du wirst Unterstützung dabei brauchen, die Leute draußen zu halten, sobald du diese Tür aufsperrst«, sagte Dexter. »Ich mache den Rausschmeißer.«
»Die korrekte Bezeichnung ist Türsteher.« Müde schaute Frankie auf die wogende Menge. »Sagt Lilly mir jedenfalls ständig. Sie ist schon mit vielen ausgegangen. Deshalb läuft ihr Nachtleben auch so super. Hör mal, ich sperre eben auf und sause hinein und schaue nach, ob die … ähm, also, ob Ernie und Co. da sind, und dann erkläre ich ihnen, was los ist, und wenn sie nichts dagegen haben, werde ich die Geisterjäger wohl reinlassen.«
»Was? Das gibt Mord und Totschlag.«
»Kann schon sein, aber das ist immer noch besser, als wenn alle da draußen herumstehen und öffentlich herausposaunen, dass es in diesem Geschäft mehr Gespenster gibt als im Tower von London. Und wer weiß, vielleicht ist einer von denen ja wirklich in der Lage, etwas zu bewirken.«
Dexter machte ein zweifelndes Gesicht. »Tja, vielleicht.«
»Ich geh jetzt rein. Es ist hier draußen viel zu kalt, vor allem wenn man angezogen ist wie ein Küken. Geh du nur mit Brian deinen Kiosk aufmachen, bevor deine Glitzertulpen welken. Ich erkläre Cherish einfach, dass alles ein riesiges Missverständnis ist, und dann werden wir ja sehen, was passiert.«
»Okay.« Dexter nickte. »Aber ich werde alles beobachten, und wenn etwas schiefgeht, komme ich sofort rüber.«
»Danke.«
»Kein Problem.« Er küsste sie zärtlich. »Und das ohne Mistelzweig! Ganz schön gewagt von mir.«
Frankie lächelte noch immer, als sie die Tür aufschloss.
Ernie und Bev lauschten aufmerksam. Ruby, Gertie und Jared waren nicht in Erscheinung getreten.
»Und so«, endete Frankie, »liegt die Entscheidung bei euch. Soll ich die Leute reinlassen, um zu sehen, ob sie den Schlamassel, in den Maisie euch gebracht hat, wieder rückgängig machen können, oder nicht?«
»Schaden kann es nicht.« Bev trug noch immer Lametta und Christbaumkugeln. »Offen gestanden langweilen mich die begrenzten Möglichkeiten hier unten allmählich. Ich fühle mich wie in der Falle. Zuvor hatten wir unendliche Freiheiten.«
»Und ich will einfach nur bei meiner Achsah sein, Spätzchen, wie du ja weißt.«
Frankie zog eine Grimasse. »Ich weiß. Und ich will ja nichts anderes als dich glücklich machen.«
»Du bist ein nettes Mädchen.« Bev stopfte eine Haarsträhne unter ihr Haarnetz. »Ein Gutes allerdings hatte es, hier festzusitzen, nämlich, den Schnee zu sehen. Wie in alten Zeiten. Wir hatten ja natürlich seit Ewigkeiten keinen Schnee gesehen. Wir haben viel Zeit damit verbracht, uns Geschichten aus verschneiten Wintern zu erzählen. Schön war das.«
»Okay, also lasse ich die Psi-Forscher, oder wie auch immer die sich nennen, herein, und was dann? Wollt ihr verschwinden und abwarten, was sie zuwege bringen, oder möchtet ihr lieber materialisiert bleiben?«
»Das soll Bev entscheiden«, brummte Ernie. »Sie kennt sich mit so was sehr viel besser aus als ich.«
»Oh, ich denke, wir verschwinden alle und warten mal ab«, sagte Bev vergnügt. »Mehr Unheil als die doofe alte Schreckschraube können die ja wohl auch nicht anrichten.«
»Das wollen wir hoffen«, meinte Frankie mit einem Seufzer. »Und wenn es ihnen gelingt, euch … ähm … herbeizurufen, dann lasst doch bitte nicht durchblicken, dass ihr mich kennt. Ich habe über all das hier ein bisschen geschwindelt.«
»Da kann ich dir keinen Vorwurf machen, Spätzchen«, sagte Ernie voller Verständnis. »An deiner Stelle hätte ich auch gelogen, dass sich die Balken biegen.«
»Ich werde den anderen sagen, dass sie nichts verraten sollen«, meinte Bev. »Wir verpetzen dich schon nicht, Frankie.«
»Danke – ihr seid wirklich lieb. Also gut, fort mit euch.«
Und fort waren sie.
»Gute Güte, Liebes.« Cherish kam hereingestürmt. »Was für ein Rummel. Also, was ist denn los, Liebes? Soll ich mal Wasser aufsetzen?«
»Gleich«, sagte Frankie. »Hör mal, Cherish, zuerst muss ich dir da etwas erklären. Diese Leute da draußen – also, irgendjemand hat denen erzählt, im Geschäft würde es spuken.« Sie gab ein, wie sie hoffte, amüsiertes Lachen von sich. »Blödsinnig, ich weiß, aber die gehören alle zu so Geisterjägervereinen und bilden sich ein, sie könnten hier reinkommen und, also, Tote treffen. Ich habe keine Ahnung, wie sie auf diese alberne Idee kommen, aber …«
»Ach, ich schon, Liebes.« Augenscheinlich ungerührt legte Cherish die rote Mütze samt Schal und Handschuhen ab und begann ihren Mantel aufzuknöpfen. »Das war Biddy.«
»Biddy?«
Cherish nickte. »Manchmal ist sie so ein albernes Ding. Nimmt alles für bare Münze, und dann ist sie sicherlich auch eine schlimme Klatschtante. Ich hab ihr natürlich gesagt, das ist alles Unfug.«
»Du wusstest davon?«
»Dass Biddy behauptet, in deinem Geschäft würde es spuken, Liebes? Ja natürlich habe ich das gewusst.«
»Aber wer in aller Welt hat ihr das erzählt?«
»Maisie Fairbrother, Liebes. Du weißt doch, was für ein Theater Maisie ständig macht – oder vielleicht weißt du es auch nicht. Aber das tut sie, Liebes. Andauernd bildet sie sich ein, sie hätte irgendwas gesehen. Stimmt aber natürlich gar nicht.«
»Und Maisie hat Biddy erzählt, dass es in meinem Geschäft spukt, und Biddy hat es dir erzählt?«
»Ja, Liebes. Es war ein so unbeschreiblicher Blödsinn, dass ich dir gegenüber gar nichts davon erwähnt habe. Natürlich habe ich Biddy gesagt, dass ich in dieser Boutique noch nie einen Geist gesehen habe und dass es sehr dumm von ihr ist, Maisie Fairbrother auch nur ein Wort zu glauben, aber was soll’s? Was hast du denn jetzt vor? Die Leute hereinlassen und deinen Spaß haben?«
Noch immer sprachlos starrte Frankie Cherish an. Spaß haben? Wohl kaum … »Nun ja, ich dachte, das wäre wohl das Beste. Ich meine, jetzt sind die Geisterjäger nun schon mal hier, und so schnell werden sie nicht wieder weggehen, und auf diese Weise könnte man all den, äh, Gerüchten, ein Ende machen.«
Oder natürlich jede Menge neue Gerüchte in die Welt setzen.
Frankie seufzte. »Aber Biddy …? Oh, der reiße ich den Kopf ab.«
»Nein, wirst du nicht, Liebes.« Cherish lächelte wohlwollend. »Du bist viel zu freundlich, um grausame Rachegedanken zu hegen. Ich gehe jetzt mal und setz Wasser auf, ja? Und stelle viele Tassen heraus. Die sind da draußen bestimmt alle völlig durchgefroren, die Armen.«
»Äh, ja, okay … Und, Cherish, wenn sie hier drin sind, sagst du aber bitte nichts, ja? Dass Biddy oder Maisie oder sonst wer glaubt, es würde hier spuken? Bitte.«
»Aber natürlich nicht. Ich gebe dir mein Wort, Liebes. Ich werde schweigen wie ein Grab.«
Sehr, sehr unglückliche Wortwahl, dachte Frankie. »Danke … ach, übrigens: Brian und du?«
Cherish errötete, lächelte und sah auf einmal rund dreißig Jahre jünger aus. »Wir sind gute Freunde, Liebes. Beste Freunde. Wir hatten so eine schöne Zeit miteinander an Weihnachten. Ich hatte ja nicht vor, bei ihm zu übernachten, aber in seinem Haus war es so gemütlich, und wir waren nach dem James-Bond-Film so sehr in das Puzzle vertieft, und Brian meinte, er könne mich doch heimfahren, damit ich mir für ein paar Tage ein Köfferchen packe – also, Köfferchen hat er natürlich nicht gesagt, Liebes –, und dann könnte ich es mir in seinem Gästezimmer gemütlich machen. Und das«, Cherish wirbelte in Richtung Küche davon, »habe ich dann auch getan.«
Frankie sah ihr nach und wusste ausnahmsweise mal wirklich nicht, was sie sagen sollte.