33.

»Nur ein kleiner Vaginalriss«, informierte Christopher sie kurz nach der Operation. »Es geht dir bald wieder gut, du wirst sehen.«

Dann ist ja alles bestens, dachte Lizzie ironisch, aber immer noch benommen. Christopher war sehr liebevoll zu ihr, zuerst in der Klinik und auch einige Tage später, als er sie heim nach Marlow brachte. Er war so fürsorglich und nett, wie er nach Edwards Unfall zu dem Jungen gewesen war, und zu ihrer Mutter, und wie er es von Anfang an zu Jack gewesen war.

Es wäre so schön gewesen, ihm glauben zu können … an ihn glauben zu können.

Aber sie konnte es nicht.

Obwohl Wunde und Naht noch schmerzten, als die Kraft langsam wiederkehrte, zwang sie sich, der Realität ins Auge zu blicken. Jetzt blieb ihr keine andere Wahl mehr, als Christopher entschlossen entgegenzutreten. Wenn sie diesmal nicht den Mut dazu aufbrachte, würde sie enden wie viele misshandelte Frauen: zu tief gedemütigt, um für ihre Rechte zu kämpfen.

Sie sorgte dafür, dass sie allein mit ihm war. Keine Trickserei, keine Spielchen. Sie bat ihn einfach, unter der Woche nach Marlow zu kommen, wenn die Kinder in der Schule waren und Gilly anderswo zu tun hatte. Es war Mittwoch, der achtzehnte September, nur zehn Tage nach ihrer Operation – zehn Tage und ein paar Stunden, nachdem Christopher sie vergewaltigt hatte –, doch es kam ihr wie ein ganzes Leben vor. Als Schauplatz der Konfrontation hatte sie ihr Arbeitszimmer gewählt, ihr eigenes Territorium, nicht seines. Sie bat ihn, sich in den Ledersessel gegenüber von ihrem Schreibtisch zu setzen.

»Ich fühle mich wie bei einem Bewerbungsgespräch«, sagte er.

»Es ist lange her«, begann Lizzie mit trockenem Mund, »seit ich gedroht habe, dich zu verlassen. Aber was du mir in der Nacht nach deinem Geburtstag angetan hast … alles, was du mir seither angetan hast, hat mir gezeigt, dass ich es unseren Kindern und mir selbst schulde.«

»Aber du musst doch wissen, dass ich die nie verletzen wollte!«, erwiderte Christopher erschüttert. »Ich hätte so etwas niemals absichtlich getan, und wenn ich es ungeschehen machen könnte, würde ich alles dafür tun.«

»Du hast mich geschlagen, vergewaltigt und verletzt. Das kannst du niemals ungeschehen machen.« Lizzie achtete darauf, dass ihre Stimme sachlich blieb. »Wenigstens hat mir die Erholungspause nach der Operation genug Zeit zum Nachdenken gelassen. Und ich habe einiges beschlossen, Christopher.« Sie hielt kurz inne. »Ich bin immer noch bereit, bei dir zu bleiben … Jack zuliebe. Nicht wegen Edward und Sophie, denn ich glaube, dass die beiden mit der Zeit darüber hinwegkommen würden. Aber bei Jack bin ich mir nicht so sicher.« Sie atmete tief ein. »Trotzdem bleibe ich nur bei dir, wenn du dich mit gewissen Bedingungen einverstanden erklärst.«

»Alles, was du willst.«

»Du sagst das so leichtfertig«, bemerkte Lizzie trocken. »Aber das hatten wir schon mal, erinnerst du dich? Bevor wir wussten, dass ich mit Sophie schwanger war. Damals hast du auch ›alles, was du willst‹ gesagt.«

»Ja.« Er nahm die Brille ab, rieb sich den Nasenrücken und schloss die Augen. Dann öffnete er sie wieder und sah Lizzie an. »Was sind deine Bedingungen?«

»Du näherst dich mir nie wieder auf intimere Weise als für einen Kuss auf die Wange oder eine Umarmung, und auch das nur in Gegenwart anderer.«

Christopher schwieg. Plötzlicher Zorn spiegelte sich auf seinem Gesicht.

»Ich habe einen Brief geschrieben, in dem ich deine Übergriffe sowie meine Verletzungen festgehalten habe, ebenso den Missbrauch deines Berufs …«

»Lizzie, ich …«

»Ich habe diesen Brief versiegelt und bei einem Anwalt hinterlegt – und zwar nicht bei David Lerman oder jemand anderem in seiner Kanzlei.« Lerman war Teilhaber von Allbeury, Lerman und Wren, der Kanzlei, die seit vielen Jahren für Christopher und für HANDS arbeitete. »Aber du kannst dich darauf verlassen, dass der Brief versiegelt bleibt, bis ich persönlich anordne, ihn zu öffnen oder bis etwas passiert, das verhindert, dass ich für mich selbst sprechen kann …«

»Wie kannst du auch nur daran denken«, unterbrach Christopher sie wütend, »ich würde dich gewaltsam davon abhalten, jemandem die Geschichte zu erzählen?«

»Nach dem, was du mir angetan hast«, Lizzie zitterte, hatte sich aber noch unter Kontrolle, »nach der Widerwärtigkeit dieser Scharade in der Klinik, ganz zu schweigen davon, was vorher passiert ist, scheint mir nichts mehr unmöglich.«

»Lizzie, bitte …«

»Mir ist klar, dass man mir nicht sofort glauben würde, aber der Inhalt meines Briefs würde mehr als ausreichen, um meinen Anwalt und meine Mutter zu veranlassen, alles zu tun, um dir die Kinder wegzunehmen.«

»Ich glaube nicht, dass du Jack so etwas antun würdest.«

»Es ist das Letzte, was ich will«, räumte Lizzie ein. »Aber wenn du dich jetzt und hier nicht mit diesen Bedingungen einverstanden erklärst, Christopher, habe ich keine andere Wahl.«

»Was noch?«, fragte er leise.

»Das Gleiche wie vorher. Du nimmst psychiatrische Hilfe in Anspruch.« Sie verspürte das Verlangen, aufzustehen und umherzugehen, hatte aber immer noch leichte Schmerzen und wollte auf keinen Fall Schwäche zeigen.

»Und?«

»Nimmst du Drogen, Christopher?«

Er blinzelte, sagte aber nichts.

»Ich habe den starken Verdacht, dass du in der Nacht, in der du mich vergewaltigt hast, auf irgendeinem Trip warst, und auch diesen Verdacht habe ich in meinem Brief festgehalten.«

»Du machst keine halben Sachen, was, Lizzie?« Seine Wut kehrte zurück.

»Wenn ich Recht habe«, fuhr sie fort, »und wenn du auch andere Patienten behandelt oder gar operiert hast, während du unter dem Einfluss irgendwelcher Substanzen gestanden hast, werde ich dich anzeigen – es sei denn, du schwörst, dich wegen Drogenabhängigkeit in Therapie zu begeben.«

»Ich bin nicht abhängig«, sagte Christopher.

»Hast du begriffen, was ich gerade gesagt habe?«, fragte sie scharf.

»Ja«, sagte er. »Ich werde etwas unternehmen.«

»Schwör es«, sagte sie.

»Ich schwöre es. Beim Leben unserer Kinder.«

»Nein«, stieß sie hervor. »Sag so was nie wieder!«

»Es tut mir Leid.« Christopher nahm seine Brille ab. »Mir tut das alles schrecklich Leid.« Plötzlich hatte er Tränen in den Augen. »Was ich dir in dieser Nacht angetan habe … was ich vorher getan habe … alles. Aber ich bitte dich, sag es den Kindern nicht. Zerstöre nicht ihren Glauben an mich. Bitte, tu das nicht, Lizzie.«

»Ich habe dir bereits gesagt, dass ich hier bleibe«, sagte sie.

»Danke.« Jetzt flüsterte er.

»Noch eine letzte Sache«, sagte sie.

»Alles, was du willst.«

»Getrennte Schlafzimmer. Hier, in der Londoner Wohnung und überall sonst, wo wir sind. Mach dir keine Gedanken, ich werde den Kindern und Gilly schon irgendwelche Gründe nennen.«

Christopher ließ sich Zeit, dies alles in sich aufzunehmen.

»Kannst du mir je wieder vertrauen?«, fragte er schließlich.

»Nein«, antwortete Lizzie. »Ich glaube nicht.«

Blankes Entsetzen
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