84

»Ich verstehe. Nein, ich komme, so schnell es geht.«

Anna legte auf und spürte Sisselas und Trudes Blicke im Rücken.

»Sie wollen Spürhunde einsetzen«, sagte sie. »Ich soll etwas holen, was Mama gehört.«

Anna sank auf den Boden, ihre Hände zitterten. Die Kollegen waren sofort zur Stelle. Sissela leitete den Rettungseinsatz und gab Order, Wasser zu holen.

»Du musst nicht gleich vom Schlimmsten ausgehen, Anna. Wir wissen doch noch gar nichts.«

Trude und Sissela halfen Anna auf einen Stuhl. Das Wasser wurde gebracht und Sissela überreicht, die es an Anna weitergab. Selbst die Fürsorge in der Redaktion hatte ihre eigene Hierarchie.

»Ich muss jetzt gehen«, sagte Anna und nahm ihre angefeuchteten Lippen vom Glas. »Ich muss einen Pullover oder eine Jacke aus der Wohnung meiner Mutter holen.«

»Ich fahr dich«, sagte Trude.

Anna streckte den Arm aus, um das Glas auf ihren Schreibtisch zu stellen. Ihr Arm war nicht lang genug. Eine aufmerksame Layouterin nahm ihr das Glas aus der Hand.

»Entschuldigt«, sagte Anna beschämt, als ihr bewusst wurde, was für einen Aufstand ihr Zusammenbruch verursacht hatte.

Sissela legte ihr einen Arm um die Schultern.

»Du brauchst dich doch nicht zu entschuldigen. Das muss überhaupt nichts bedeuten. Du wirst sehen, die Polizei findet sie bestimmt.«

Anna stand auf und betrachtete ihre besorgten Kolleginnen, die sich um sie versammelt hatten.

»Danke.«

Trude nahm ihren Arm, und Anna ließ sich zum Auto führen.

»Erik«, sagte Anna, als sich Trude in den Verkehr eingefädelt hatte. »Wir haben miteinander geschlafen.«

»Ich weiß«, sagte Trude.

Anna sah sie an.

»Ich wollte bei ihm anklopfen«, fuhr Trude fort. »Ihr wart nicht unbedingt leise. Ich war richtig neidisch. Du hattest ganz offensichtlich deinen Spaß.«

»Er war’s«, sagte Anna und starrte geradeaus.

Trude verstand sie nicht.

»Was?«

»Er hat Mama umgebracht.«

»Wovon sprichst du?«

»Wir haben noch einmal miteinander geschlafen. In seiner Wohnung. Er hat einen Film aufgenommen. Das habe ich meiner Mutter erzählt. Ich glaube, sie ist zu ihm gegangen, um mit ihm zu reden. Mama denkt, man könne mit allen reden, sie glaubt nicht an das rein Böse im Menschen.«

Anna drehte sich zu Trude um.

»Ich weiß, dass er es war«, sagte sie.

»Hast du mit ihm gesprochen?«

Anna hörte nicht zu.

»Er hat mich verfolgt, und das wird er auch weiterhin tun. Er wird nie aufhören. Ich habe Lukas nur einen Teil erzählt, nicht alles. Wenn du den Film gesehen hättest. So war es mit Lukas noch nie, nicht einmal annäherungsweise.«

Trude legte einen höheren Gang ein und streckte den Arm nach Anna aus. Sie tastete nach ihrer Hand und ergriff sie.

»Mal den Teufel nicht an die Wand, hörst du!«