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Karlsson fläzte sich auf seinem Drehstuhl und spielte mit seinem Kugelschreiber. Hatte er in seiner Gutherzigkeit einen Fehler begangen? Offensichtlich. Die Frau, die behauptete, von einem jungen Stalker verfolgt zu werden, hatte mit einem neuen Problem auf der Wache vorgesprochen. Dieses Mal war ihre Mutter verschwunden.

Karlsson glaubte zu wissen, womit er es zu tun hatte. Eine einsame Frau, die auf Aufmerksamkeit pochte. Sie würde ihm immer wieder auf die Pelle rücken, wenn er sie nicht in ihre Schranken wies.

»Meine Mutter …«, sagte Anna.

»Ihre Mutter«, wiederholte Karlsson und bekam ein schlechtes Gewissen, als er an den jungen Mann dachte, dem er am Tag zuvor die Leviten gelesen hatte.

»Sie ist verschwunden.«

»Verschwunden«, sagte Karlsson und tröstete sich mit dem Gedanken, dass ein Typ, der heimlich Pornofilme aufnahm, auch nicht alle Tassen im Schrank hatte.

»Sie hat mir geschrieben, dass sie eine Freundin in Dänemark besuchen wolle, aber dort ist sie nicht.«

»Dort ist sie also nicht.«

»Nein. Und ihre Zeitung lag noch in der Diele auf dem Fußboden. Sie war die ganze Nacht nicht zu Hause. Ich habe mich hier und in Dänemark bei den Krankenhäusern erkundigt.«

»So, so. Und dieser Bergman?«

Anna verstand nicht.

»Der Filmregisseur«, erklärte Kriminalkommissar Karlsson und dachte, dass beide vermutlich gleich verrückt waren. Jedem Topf seinen Deckel, Gleich und Gleich gesellt sich gern.

»Der hat sich nicht mehr gemeldet, und dafür bin ich Ihnen unendlich dankbar. Aber jetzt geht es um meine Mutter.«

»Das sagten Sie bereits.«

»Sie hebt nicht ab, wenn ich bei ihr anrufe.«

»Nicht?«, fragte Karlsson.

»Meine Mutter geht immer ans Telefon, wenn ich sie anrufe. Und wenn das mal nicht möglich ist, ruft sie umgehend zurück.«

»Eine Bilderbuchmama.«

Anna sah ihn verständnislos an.

»Glauben Sie, ich versuche mich hier in Szene zu setzen?«

Karlsson beendete sein Spielchen mit dem Stift, setzte sich aufrecht hin und fasste um die Tischkante. Ohne sich zu erheben, zog er sich an den Schreibtisch heran.

Er schaltete den Computer ein und setzte seine Lesebrille auf.

»Name, Adresse, Personenkennziffer«, sagte er.

Anna nannte ihm die Personalien, die er mit zwei Fingern in den Computer eingab. Nach jedem Anschlag warf er einen Blick auf den Monitor. Das dauerte, aber schließlich war er fertig.

»Ist sie dement?«

»Wieso sollte sie dement sein?«

»Viele Leute, die verschwinden, sind dement.«

»Meine Mutter ist vollkommen klar im Kopf. Hören Sie nicht, was ich sage? Es muss ihr was passiert sein. Können Sie nicht wenigstens ihr Handy orten?«

Karlsson lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und seufzte nachdrücklich.

»Wissen Sie, wie viel einem das in einer Großstadt bringt?«

»Nein. Woher soll ich das wissen? Und Helsingborg ist doch wohl keine Großstadt?«

»Es bringt so gut wie nichts. Wir erhalten einen Winkel von einem Sendemast plus/minus dreißig Grad, dazu einen Abstand von bis zu zwei Kilometern. Das ergibt ein recht großes Tortenstück, um es mal so auszudrücken. Fünfundsiebzig Prozent aller Dementen werden in einem Radius von …«

»Meine Mutter ist nicht dement.«

Karlsson hörte nicht zu.

»Alles, was außerhalb dieses Radius liegt, nennen wir rest of the world. Wir bedienen uns einer amerikanischen Strategie, der management search operation, MSO. Zuerst setzen wir Hunde ein. Funktioniert das nicht, verschicken wir Faxe an Zeitungsboten, Wachleute und andere, die viel unterwegs sind. Um sozusagen die Augen der Öffentlichkeit zu Hilfe zu nehmen. Die Ortung eines Handys ist reine Geldverschwendung.«