Ihr blieb keine Zeit, zu protestieren. Bevor sie auch nur blinzeln konnte, spürte sie, wie sie gegen die Wand gepresst wurde. Atlas drängte sich an sie, harte Brustmuskeln gegen weiche Brüste, seine Hände stählern an ihren Schläfen, sein Mund auf ihrem – Widerstand zwecklos. Ohne Vorwarnung stieß er mit der Zunge in ihren Mund, zwang ihre Zähne auseinander.
Sie hätte ihn beißen können. Nein, sie wollte ihn beißen, und zwar nicht auf die zärtliche Art. Sie wollte sein Blut schmecken, ihm Schmerzen zufügen. Stattdessen wurde ihr Körper augenblicklich zu seinem Sklaven, als wären nicht Jahrhunderte des Hasses verstrichen, und hieß ihn freudig willkommen. Willenlos schlang sie ihm die Arme um den Hals und rieb sich an seiner Erektion. Erektion? Oh ja. Er war hart. Hart und lang und dick. Genau wie in ihrer Erinnerung.
Mit aller Wucht traf sein Geschmack sie, wild und brennend wie geheimnisvolle Gewürze. Unter ihren Handflächen spürte sie, wie er die Muskeln anspannte. Langsam ließ sie die Hände nach oben gleiten, bis sie die Finger in sein Haar wühlen konnte. Die kurzen Stacheln rieben köstlich an ihrer Haut, und ein Schauer überlief Nike.
Berühr mich! wollte sie schreien. Es war so lange her, so verdammt lang, dass sie das hier erlebt hatte. Oh, sie war durchaus mit anderen Männern zusammen gewesen, seit sie sich Atlas so unbedacht hingegeben hatte. Immer wieder hatte sie nach etwas so Intensivem gesucht, wie sie es mit ihm erlebt hatte. Etwas, um sie zu trösten, vielleicht sogar zu heilen. Doch nach jedem dieser Erlebnisse war sie leer und unbefriedigt zurückgeblieben. Hatte sich sogar noch schlechter gefühlt. Und dann war sie von Atlas persönlich gefangen genommen worden, und man hatte sie ohne großes Federlesen in dieses Gefängnis verfrachtet.
Und wie hätte sie sich ohne einen Hauch von Privatsphäre auf weitere Abenteuer einlassen sollen? Nicht, dass sie das gewollt oder auch nur versucht hätte. Für sie war niemand mehr anziehend. Niemand außer Atlas, mochten ihn die Götter verfluchen.
Ja, ihn verfluchen. Den Mann, der sie erst gestern zu Boden gedrückt und ihr seinen Namen ins Fleisch geätzt hatte. Was tat sie hier eigentlich? Warum ließ sie das zu? Er würde sich bloß einbilden, sie habe immer noch etwas für ihn übrig. Dass sie ihm immer noch nachweinte, von ihm träumte … sich nach ihm sehnte. Das mochte wahr sein, zur Hölle damit, aber sie würde niemals zulassen, dass er davon erfuhr.
Keuchend riss sie die Lippen von ihm los. Wie kannst du es wagen aufzuhören! schrie ihr Körper mit jeder Faser auf. „Ich will dich nicht“, log sie. „Lass mich los. Jetzt.“ Halt mich für immer fest.
Ein dumpfes Grollen entwich seiner Kehle. „Ich will dich genauso wenig.“ Einmal, zweimal rieb er seinen Schaft an ihr. „Aber ich lass dich nicht los.“
Danke.
Dämlicher Körper.
Ein heißes Pulsieren breitete sich von ihrer Mitte ausgehend in ihrem ganzen Körper aus. Süßer Himmel. Er hatte ihren empfindlichsten Punkt getroffen, und die Empfindungen überkamen sie, schlugen über ihr zusammen. Dann senkte er eine seiner Hände und schloss sie um ihre Brust. Die Knie drohten unter ihr nachzugeben.
„Warum?“ Ein bloßes Wimmern. Und warum überließ sie ihm die Entscheidung? Warum riss sie sich nicht von ihm los? Du bist Stärke. Jetzt benimm dich auch so.
„Warum ich dich nicht loslasse?“ Er reizte ihre harte Brustwarze zwischen den Fingern.
Genau darum bleibe ich, wo ich bin, dachte sie benommen. Die Lust wuchs, strömte durch ihre Adern, verbrannte sie von innen heraus, machte sie zu einem ganz neuen Wesen. Zu einer Frau, die allein für die Befriedigung lebte. Die es nicht interessierte, dass das Objekt ihrer Begierde ihr Feind war.
„Ja.“
„Ich will bloß … Ich …“ Seine Finger verspannten sich, und kleine Schmerzblitze jagten durch ihre Brustwarze. „Halt einfach die Klappe, und küss mich weiter.“
„Ja“, antwortete sie, bevor sie sich daran hindern konnte.
Wieder trafen sich ihre Lippen, und diesmal stellte sie sich auf die Zehenspitzen, um ihm entgegenzukommen. Während sich ihre Zungen trafen und wütend kämpften, legte er die Hände auf ihren Po und hob sie hoch, bis ihre Füße den Boden nicht mehr berührten. Er war so unglaublich stark. Was für eine lustige Vorstellung, dass sie ihn zwingen könnte, ihr Gewicht zu tragen. Allerdings wäre das nicht annähernd so lustvoll, wie die Beine um seine Hüften zu schlingen und ihre pulsierende Mitte an seinen Schaft zu pressen.
So, wie sie an die Wand gepresst war, konnte er mit beiden Händen unter ihr Gewand fahren. Ihre Körper waren zu eng aneinandergedrängt, als dass er ihre feuchte Mitte hätte erreichen können, wo sie ihn am begierigsten spüren wollte. Doch seine Hände auf ihren Pobacken, flammende Haut auf lechzender Haut – das war fast genauso gut. Er war noch heißer als in ihrer Erinnerung.
In diesem Moment löste er die Lippen von ihren, doch bevor sie enttäuscht aufstöhnen konnte, küsste und leckte er seinen Weg ihren Hals hinab.
„Ja“, keuchte sie. „Ja. Genau so.“
„Mehr?“ Mit der Nasenspitze schob er das goldene Sklavenhalsband beiseite, als wäre es ein Schmuckstück und kein tödliches Gerät. In diesem Augenblick mochte sogar sie die Halsfessel.
„Ja.“ Mehr. Zu diesem Zeitpunkt war das das einzige Wort, das sie noch beherrschte. Außer … Wollte er sie betteln lassen?
Wut mischte sich plötzlich unter ihre Begierde. Ha, sie würde es ihm zeigen. Sie würde um gar nichts betteln. Nicht einmal um das. Vor allem nicht um das. Nicht bei ihm.
„Dann sollst du mehr bekommen“, erwiderte er und überrumpelte sie damit. Sie hatte nicht gebettelt, und trotzdem gab er ihr, was sie wollte. Grob zog er den Stoff ihres Gewands herunter, enthüllte ihre Brüste. Geräuschvoll sog er Luft durch die Zähne. „So reizend. So perfekt.“ Er ließ die Zungenspitze hervorschnellen und umkreiste damit die Brustwarze, die er vor kurzer Zeit noch mit den Fingern gezwickt hatte. „So meins.“
Sie ließ den Kopf in den Nacken fallen und zerkratzte seinen Rücken mit den Fingernägeln. So gut. Die Hitze … die Feuchtigkeit … und dieses … „Ja!“ Dieses Saugen. Er saugte so heftig an ihr, dass ihre Bauchmuskeln zitterten. Niemand sonst war bisher körperlich stark genug gewesen, um es mit ihr aufnehmen zu können. Für Nike hatten sich die Zärtlichkeiten der anderen angefühlt wie ein Flüstern, kaum vorhanden und zutiefst unbefriedigend. „Atlas“, stöhnte sie. „Hör nicht auf.“ Ein Befehl, keine Bitte.
„Werd ich nicht. Kann ich nicht.“ Er richtete sich auf, und der Blick aus seinen verengten Augen hielt sie sogar noch wirkungsvoller an Ort und Stelle als sein Körper. „Ich will dich. Ganz.“
Mühsam rang sie nach Luft. Versuchte, zur Besinnung zu kommen. „Du meinst Sex?“ Ja, ja, ja. Hier, jetzt.
Ein knappes Nicken war die einzige Antwort. Sie öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch dann fand sie irgendwo in sich die Stärke, es nicht zu tun. Gierig sog sie seinen Anblick in sich auf – einen Anblick, der sie fast so sehr erfreute, wie er sie zur Weißglut trieb. Zur Weißglut? Warum eigentlich? Seine Nasenflügel bebten, seine Lippen waren angespannt. Er sah aus, als hätte er sich kaum unter Kontrolle.
Er will mich wirklich.
Aber … warum? fragte sie sich. Oder war er einfach ein unglaublich guter Schauspieler?
Ja, erinnerte sie sich düster. Er war ein unglaublich guter Schauspieler. Und daher stammte ihr Zorn. Schon einmal hatte er sie auf diese Weise angesehen: als sie das letzte Mal Sex gehabt hatten. Dieser Blick war das treibende Element gewesen bei ihrer Entscheidung, ihn zu befreien – ohne einen Gedanken an die Konsequenzen, die das für sie nach sich ziehen konnte. Konsequenzen, die bis zu einer Todesstrafe hätten reichen können. Aber, hatte sie gedacht, er liebt mich wahrhaftig, mit derselben Intensität wie ich ihn. Ihr wäre es absolut jedes Risiko wert gewesen, ihn zu befreien. Und möglicherweise die Ewigkeit mit ihm zu verbringen.
Wie sie das schaffen sollten, hatte sie nicht gewusst. Aber sie war entschlossen gewesen, es zu versuchen. Er nicht.
Den Göttern sei Dank, dass sie – Minuten, nachdem sie ihn aus dem Gebäude in die umgebenden Wolken geführt hatte – einem Mitglied seiner Schlampenparade begegnet waren. Von dort aus hätte er sich fortbeamen können, doch zum Glück hatte sie sein Halsband noch nicht entfernt. Das hatte sie erst tun wollen, wenn auch die letzte Wache außer Sichtweite war. So musste jeder, der sie zusammen herumlaufen sah, annehmen, dass sie einfach einen Gefangenen verlegte.
Doch draußen waren sie entdeckt worden. Niemand konnte sich aus dem Gefängnis heraus- oder in das Gebäude hineinbeamen, jeder musste die Haupttore passieren. Und Aergia, Göttin der Faulheit, hatte sich allen Ernstes entschlossen, früher zur Arbeit zu kommen, um sich – welch Überraschung – wieder mit Atlas zu treffen. Sie hatte Nike angehalten und gefragt, wohin er gebracht werden sollte.
„Ich quäle ihn, indem ich ihm zeige, was er nie wieder haben wird“, hatte Nike behauptet.
Die andere Göttin hatte die Stirn gerunzelt. „Na gut, bring ihn danach in mein Büro.“
„Warum?“
Das Stirnrunzeln hatte sich in ein träges, sinnliches Lächeln verwandelt. „Damit ich ihm … meine Art der Bestrafung zukommen lassen kann.“
In Nike war leise Furcht aufgestiegen. „Und wie bestrafst du ihn?“
„Was denkst du denn? Aber keine Sorge. Er wird danach um mehr betteln. Das tut er jedes Mal.“
In diesem Moment hatte Atlas versucht zu fliehen – hatte sie beide förmlich umgerannt. Doch mit der Halsfessel war er nicht weit gekommen. Nike hatte ihn wieder eingesperrt und, misstrauisch geworden, alle weiblichen Wachen befragt. Fast jede von ihnen hatte etwas mit ihm gehabt. Und ihnen allen hatte er dasselbe erzählt: Du bist wunderschön. Ich will mein Leben mit dir verbringen. Alles, was ich brauche, ist meine Freiheit, dann werde ich bis in alle Ewigkeit dein Sklave sein.
Also, noch mal mit ihm schlafen? „Hölle, nein.“
„Du willst mich“, sagte er schroff. Sein Griff auf ihrer Haut wurde fester, die Finger bohrten sich in ihr Fleisch, mussten ihr blaue Flecken zufügen. „Ich weiß, dass du mich willst.“
Und plötzlich wusste sie, worum es bei dieser kleinen Fummelorgie ging. Er wollte mit ihr schlafen, sie dazu bringen, sich wieder bis über beide Ohren in ihn zu verlieben, und sie dann fallen lassen. Er würde ihren Stolz zum Frühstück verspeisen, wieder ausspucken und die Reste zu Brei zertrampeln. Noch einmal. Alles, da war sie sich sicher, um sie dafür zu bestrafen, dass sie gewagt hatte, ihn so zu tätowieren, wie sie es getan hatte. Sie mit seinem Namen zu zeichnen war offenbar nicht genug.
„Dich wollen und dich tot sehen wollen sind zwei unterschiedliche Dinge.“ Mit einem zuckersüßen Lächeln tätschelte sie ihm die Wange. „Und ich kann dir versprechen, dass ich das Zweite unbedingt will. Was hingegen das Erste angeht … Das darfst du nicht so ernst nehmen.“ Na, wer spielte jetzt mit wem? „Also … sind wir hier fertig …? Ich meine mich zu erinnern, dass da ein niederer Gott auf meine Rückkehr wartet.“
Atlas fuhr sich mit der Zunge über die Zähne. Dann machte er sich von ihr los, ließ die Arme fallen und trat zurück. Fast wäre sie zu Boden gesunken, doch mit etwas Glück erlangte sie wieder das Gleichgewicht und hielt sich auf den Beinen. Ungerührt. So musste sie wirken.
„Wir sind fertig“, antwortete er knapp. „Wir sind so was von fertig.“
Gut, dachte sie. Warum also wollte sie plötzlich in Tränen ausbrechen?