ALLISON
Im Dunkel der Nacht frage ich mich immer noch, wie die Polizei herausgefunden hat, dass das mein Baby war. Jemand musste sie angerufen haben, und das war ganz sicher nicht ich. In den Tiefen meines Unterbewusstseins weiß ich, dass es Brynn gewesen ist, auch wenn ich nicht glauben kann, dass sie tatsächlich den Mut hatte, das Telefon aufzunehmen und die Nummer zu wählen. Brynn konnte nicht mal allein eine Pizza bestellen. Fünf Jahre sind vergangen, und ich habe immer noch Schwierigkeiten, mir vorzustellen, wie sie den Anruf getätigt hat.
Die seltsame Taubheit, die ich nach der Geburt am Vortag verspürt hatte, war weg. Sie war durch einen brennenden Schmerz ersetzt worden, der mir die Tränen in die Augen trieb. Ich war wirklich dankbar für die Hand des Officers, die mir Halt gab. Brynn streckte die Hand aus, um mein Gesicht zu berühren. „Alli“, weinte sie. Ich entzog mich ihren Fingern. Ich fühlte mich so krank, so als würde ich in Flammen aufgehen, sobald mich jemand berührte. Ich weiß, dass ich dadurch Brynns Gefühle verletzt habe. Sie war immer so sensibel. Auf eine seltsame Art konnte ich verstehen, warum sie es getan hatte. Das war weit mehr gewesen, als ein fünfzehnjähriges Mädchen, noch dazu eines wie Brynn, ertragen sollte. Ich betete, dass sie um ihretwillen niemandem erzählt hatte, wie sie mir bei der Geburt geholfen hatte. Es gab keinen Grund, warum wir beide uns Ärger für etwas einhandeln sollten, das ganz allein mein Fehler war. Als ich vorsichtig auf den Rücksitz des Streifenwagens rutschte, konnte ich Brynns entsetzliches Weinen hören.
Seitdem habe ich Brynn weder gesehen noch mit ihr gesprochen.
Im Streifenwagen wurde ich ohnmächtig, sodass unser erster Halt das Krankenhaus war, wo ich mit dreißig Stichen genäht wurde und die nächsten drei Tage an einem Tropf voller Antibiotikum hing. Die Art, wie die Schwestern und Ärzte mich während meines Krankenhausaufenthalts ansahen, war neu für mich. Jeder kümmerte sich korrekt um mich; sie alle waren viel zu professionell, um es nicht zu tun. Aber es gab keine sanften Berührungen, keine kühlen Hände, die sich auf meine Stirn legten, kein Aufschütteln der Kissen. Nur Wut und Abscheu. Angst. Der anfängliche Schock meiner Eltern darüber, dass ich von der Polizei abgeholt worden war, wurde durch glühenden Zorn ersetzt. „Lächerlich“, stieß meine Mutter hysterisch hervor, als der weibliche Detective, der mich im Krankenhaus verhörte, fragte, ob ich es war, die das Baby in den Fluss geworfen hatte. Ich antwortete nicht.
„Allison“, forderte meine Mutter. „Sag ihnen, dass das ein großes Missverständnis ist.“
Ich schwieg noch immer. Die Polizistin wollte wissen, warum es in der Mülltonne in der Garage einen schwarzen Sack voller blutiger Handtücher gab. Ich sagte immer noch nichts. Sie fragte, wie es sein konnte, dass man mich hatte nähen müssen und aus meinen prallen Brüsten Milch tropfte.
„Allison, sag ihnen, dass du das nicht warst“, befahl mein Vater.
Endlich sprach ich. „Ich glaube, ich brauche einen Anwalt.“
Die Polizistin zuckte mit den Schultern. „Das ist vermutlich eine gute Idee. Wir haben die Plazenta gefunden.“ Ich schluckte hart und schaute auf meine Hände. Sie waren rot und geschwollen und sahen gar nicht aus, als gehörten sie zu mir. „In einem Kissenbezug ganz unten in der Mülltonne.“ Sie drehte sich um und schaute meinen Vater an. „In Ihrer Mülltonne. Rufen Sie Ihren Anwalt an.“ Als sie das Zimmer verließ, wandte sie sich noch einmal an mich und sagte sanft: „Hat sie geschrien, Allison? Hat dein Baby geschrien, als du es ins Wasser geworfen hast?“
„Raus hier!“, kreischte meine Mutter, was gar nicht ihrer sonst so gefassten Art entsprach. „Gehen Sie. Sie haben kein Recht, hierherzukommen und uns derart aufzuregen.“
„Also wenn Sie mich fragen“, gab die Polizistin mit einem Nicken in meine Richtung zurück, „sieht sie gar nicht so aufgebracht aus.“