11. Kapitel

Wychwood war alter Adel und obendrein Gardeoffizier; mit seinem kleinen roten Schnurrbart, seinen komischen Glotzaugen und seiner ganzen sonstigen Erscheinung machte er in Uniform einen ausgesprochen belustigenden Eindruck und war dabei doch ein gewiegter und erfahrener Weltmann. Mit fünfunddreißig Jahren hatte er schon zwei Drittel der europäischen Höfe besucht, war vertraut mit ihren Intrigen, kannte ihre Schwächen und ihre Stärken, wußte um ihre militärischen Möglichkeiten, ihre Vorurteile und ihre Traditionen. Er saß auf Hornblowers Einladung in dessen Kajüte, während ein steifer West den Verband stampfend und rollend vor sich her immer tiefer in die Ostsee trieb. Basse war völlig mattgesetzt und lag seekrank in seiner Koje, sie waren also durch seine Gegenwart nicht gestört - allerdings zeigte auch Wychwood einen blassen Schimmer um die Wangen, und sein Benehmen ließ ab und zu die Vermutung aufkommen, daß ihm sein innerer Zustand stark zu schaffen machte; aber im ganzen hielt er sich doch in männlicher Zucht. »Boneys Schwäche«, begann Wychwood, »besteht darin, daß er glaubt, jeden Widerstand in der Welt durch Gewalt überwinden zu können.

Natürlich ist diese Meinung sehr oft richtig, man braucht nur seine Laufbahn anzusehen, um das zu begreifen. Aber manchmal irrt er sich eben doch. Es gibt immer noch Menschen, die lieber kämpfen, lieber sterben, als daß sie Sklaven seines Willens bleiben wollen.«

»Spanien hat den Beweis dafür geliefert«, sagte Hornblower.

»Gewiß, aber in Rußland könnten die Dinge einen anderen Verlauf nehmen. Rußland ist wirklich und im wörtlichen Sinne der Zar, während man nur sehr bedingt behaupten kann, daß die Bourbonenmonarchie Spanien dargestellt hätte. Wenn sich daher Alexander der drohenden Gewalt Bonapartes unterwerfen sollte, dann unterwirft sich mit ihm ganz Rußland; leider hat er schon allzu viele Beleidigungen eingesteckt.«

»Er hat auch noch andere Dinge eingesteckt - außer den Beleidigungen«, bemerkte Hornblower trocken.

»Sie meinen Finnland? Das ist richtig. Und dazu alle die anderen baltischen Provinzen: Litauen, Kurland und so weiter.

Aber Sie, als Seeoffizier, wissen wohl besser als ich, wieviel das für die Sicherheit von St. Petersburg bedeutet. Ich finde es schwer, ihm vorzuwerfen, daß er diese Gelegenheit benutzt hat.

Bei uns zu Hause hat der Angriff auf Finnland natürlich viel böses Blut gemacht. Wir wollen hoffen, daß man diese Geschichte vergißt, wenn er unser Bundesgenosse wird.«

»Welche Aussichten haben wir denn, daß es dazu kommt?«

»Das weiß Gott allein. Hat er das Bündnis mit Schweden sicher in der Tasche, dann ist es immerhin möglich, daß er sich auf den Kampf einläßt. Das aber hängt wieder davon ab, ob sich Bernadotte die Wegnahme von Pommern gefallen läßt oder nicht.«

»Da hat Bonaparte einen Fehler gemacht«, sagte Hornblower.

»Ja, weiß Gott! Die englische Flagge wirkt auf ihn wie ein rotes Tuch auf den Stier. Man braucht sie nur zu zeigen, und schon geht er blindwütig darauf los. Die Art, wie Sie dieses Schiff - wie hieß es doch gleich? - richtig, die Blanchefleur unmittelbar vor seiner Nase vernichtet haben, mußte ihn rasend machen.

Was sich daraus ergab, sollte eigentlich hinreichen, die Schweden zum Kampf zu bestimmen, wenn sie überhaupt dazu zu bringen sind.«

»Wir wollen es hoffen«, sagte Hornblower. Er fühlte sich entschieden erleichtert.

Als er daranging, die Blanchefleur zu vernichten, da war er sich genau darüber im klaren, daß er damit ein großes Wagnis einging. Ergaben sich daraus ungünstige politische Rückwirkungen, dann lief er Gefahr, daß man ihn zur Rechenschaft zog. Nur der Enderfolg konnte sein Vorgehen rechtfertigen. Ein vorsichtigerer Mann als er hätte Zurückhaltung geübt und sich damit begnügt, das Kaperschiff unter Beobachtung zu halten. Wahrscheinlich wäre es ihm dann in der ersten nebligen Nacht entwischt, um in der britischen Schiffahrt weitere Verheerungen anzurichten - aber für die Folgen des Nebels konnte man ja schließlich niemand zur Verantwortung ziehen. Sein Vorgehen dagegen konnte Schweden zum aktiven Gegner Englands machen. Trat dieser Fall ein, dann forderte natürlich ganz England den Kopf des Offiziers, dem man die Schuld daran gab. Aber mochte kommen, was da wollte, er blieb bei seiner Überzeugung, daß sein Entschluß der einzig richtige gewesen war. Er hatte jedenfalls gezeigt, daß England die Macht hatte, zuzuschlagen, und sich durch keine Bedenken abschrecken ließ, davon Gebrauch zu machen. Es gab in der Geschichte wenig Gelegenheiten, bei denen sich ängstliche Vorsicht als die größere Weisheit erwiesen hätte.

Sie brachten überdies noch mehr Nachrichten nach St. Petersburg. Wellington war in Spanien in der Offensive begriffen, er hatte durch zwei verwegene Schläge, die Erstürmung von Ciudad Rodrigo und Badajoz, seine Front bereinigt und stand nun bereit, in das Herz der Halbinsel vorzustoßen. Das Wissen darum, daß ein großer Teil der Streitkräfte Bonapartes unten im Süden schwer zu ringen hatte, mochte den Beratungen im Norden die Kraft und Festigkeit verleihen, deren sie so nötig bedurften.

Sein Schwager war jetzt Earl, noch einen oder zwei weitere Siege, überlegte Hornblower, dann wurde er todsicher Herzog.

Barbara war natürlich sehr stolz auf ihn. Für ihn selbst, Hornblower, war das nur ein Grund mehr, sich höllisch vor jedem Versager in acht zu nehmen. Barbara hatte ja nun einen gewaltig hohen Maßstab für ihre Vergleiche, aber sie hatte sicher auch Verständnis. Sie war klug genug, zu begreifen, um welch hohen Einsatz er hier in der Ostsee spielte - war er nicht ebenso hoch wie der, um den es ihrem Bruder in Spanien ging?

Sie wußte, wieviel moralischer Mut zu den Entscheidungen gehörte, die er getroffen hatte. Deshalb konnte er jedenfalls bei ihr auf rücksichtsvolles Verständnis rechnen... Wie, durchfuhr es ihn im gleichen Augenblick, er sollte es nötig haben, das rücksichtsvolle Verständnis seiner Frau in Anspruch zu nehmen? Nein, das wollte er auf keinen Fall, das kam gar nicht in Frage! Dieser Gedanke wühlte ihn so auf, daß er nach einer kurzen Entschuldigung gegen Wychwood hinausstürzte und unter dem grauen Himmel im strömenden Regen auf dem Achterdeck auf und ab zu rennen begann. Die anderen Offiziere warfen heimliche Blicke nach ihm und hielten sich in sicherer Entfernung. Es gab ja im ganzen Geschwader keinen Menschen, der nicht wußte, daß nur ein ausgemachter Narr dem Kommodore in den Weg lief, wenn er auf seinem Achterdeck spazierenging. Hier in der nördlichen Ostsee war der kräftige Wind auch im Mai noch empfindlich kalt, unter einem bleigrauen Himmel stampfte und rollte das Geschwader durch die kurzen und steilen Wogen einer bleigrauen See. Immer weiter ging es nach Norden, nach dem Finnischen Meerbusen, nach Rußland, wo jetzt das Schicksal der Welt in der Schwebe hing. Hier, auf dem sechzigsten Grad nördlicher Breite, war die Nacht kaum dunkler als der Tag, wenn einigermaßen klares Wetter herrschte. Die Sonne war nur eben unter dem Horizont, und der Mond schien kalt mit einem bleichen Zwielicht, als sie Hogland passierten und dann in Sicht von Lavansaari beidrehten, um erst nach Sonnenaufgang in Kronstadt einzulaufen. Braun war schon früh an Deck, er lehnte an der Reling und starrte nach der Kimm. Der feine graue Streif da drüben im Norden war ja seine Heimat. Das Finnland der Seen und Wälder, das der Zar soeben erobert hatte und aus dem er nun hoffnungslos auf immer verbannt war. Hornblower sah den armen Teufel stehen, und seine Haltung drückte ein solches Elend und solche Verzweiflung aus, daß er, ungeachtet der gespannten Erwartung, mit der er dem bevorstehenden Empfang entgegensah, aufrichtiges Mitleid mit ihm empfand. Schon erschien Bush im Schmuck seiner Epauletten und seines Säbels im Niedergang und warf sofort prüfende Blicke über Deck und in die Takelage, um sicherzugehen, daß sein Schiff auch im Hafen einer unfreundlich gesinnten Macht allen prüfenden Blicken standhielt.

»Kapitän Bush«, sagte Hornblower, »lassen Sie, bitte, voll brassen und Kurs auf Kronstadt nehmen.«

»Aye, aye, Sir.«

Hornblower hätte liebend gern gefragt, ob die Vorbereitungen für den Salut schon ordnungsgemäß im Gange seien, aber er mußte sich das versagen. Was den Dienstbetrieb des Schiffes betraf, konnte er sich völlig auf Bush verlassen, um so ängstlicher mußte er sich vor jeder Einmischung hüten. Mit Genugtuung stellte er fest, daß er bis jetzt nie vergessen hatte, alle Befehle, die er Bush gab, in die höfliche Form einer Bitte zu kleiden, da Bush immerhin den gleichen Dienstgrad bekleidete wie er selbst. Dabei wollten ihm die höflichen Floskeln ›ich wäre Ihnen verbunden‹oder›ich bitte‹ als Einleitung zu einem Befehl immer noch nicht recht über die Lippen. Nun kehrte er dem dämmrigen Morgenhimmel den Rücken und richtete das Glas auf seinen Verband. Überall wurde aufgebraßt, und dann strebte jeder nach seinem Platz in der Linie. Erst kamen die beiden Korvetten, dann die Kanonenboote und zuletzt der Kutter.

»Signal an alle«, befahl er in barschem Ton, » ›Besser Kurs und Abstand halten‹ .«

Er wollte unbedingt, daß sein Verband in genauen, regelmäßigen Abständen, aufgereiht wie Perlen an einer Schnur, durch das schwierige Fahrwasser einlief. Ein flüchtiger Seitenblick sagte ihm, daß Basse und Wychwood an Deck erschienen waren, er tat aber, als hätte er sie nicht gesehen.

»Noch einmal dasselbe Signal«, knurrte er ärgerlich, »aber mit Anruf für Harvey! «

Die Harvey gierte etwas aus dem Kurs, mochte der junge Mound besser auf seinen Rudergänger aufpassen, sonst bekam er Unannehmlichkeiten. An Steuerbord waren der Küste von Oranienbaum breite Untiefen vorgelagert, und dort bezeichneten Tonnen die Grenze der Fahrrinne, die sich in unwahrscheinlichen Windungen hinzog. Wenn er je einmal gezwungen sein sollte, in diesen Gewässern als Gegner aufzutreten, dann hatte er bestimmt eine harte Nuß zu knacken.

Dort, backbord voraus, lagen die niedrigen, grauen Festungswerke von Kronstadt, eine Biegung des Fahrwassers ergab, daß sie nun recht voraus lagen, so daß ihr Feuer im Fall eines Kampfes seine ganze Linie der Länge nach bestrichen hätte. Dann bog sich die Rinne wieder zurück und lief endlich gerade weiter, aber so, daß alle Schiffe gezwungen waren, dicht unter den Geschützen von Kronstadt entlang zu laufen. Durch sein Glas konnte Hornblower über den Festungswällen die blauweiße Flagge des Zarenreiches ausmachen.

»Ankersignal vor!« rief Hornblower dem Signalfähnrich zu.

Dann bekam Bush einen fragenden Blick, den er durch Kopfnicken beantwortete. Er hatte alles klar. Das Schiff kroch vorwärts, dichter und dichter unter die Geschütze.

»Nieder!« rief Hornblower. Wie der Blitz verschwand die Ankerflagge aus dem Topp - der Ausführungsbefehl für das Ankermanöver. Im gleichen Augenblick rasselten sechs Ketten durch sechs Ankerklüsen, und auf den sechs Schiffen strömten insgesamt an die tausend Mann in die Takelage. Unter ihren Händen verschwanden wie durch Zauberei die Segel, während die Schiffe langsam an ihren Ketten in den Wind schwojten.

»Ganz anständig«, sagte Hornblower zu sich selbst und stellte dabei mit einem stillen Lächeln über seine eigene Schwäche fest, daß man ihm solche Manöver nie ganz recht machen konnte. Auf dem Vorschiff begann das Salutgeschütz Schuß für Schuß die Achtung des Besuchers vor der russischen Flagge zu dokumentieren. Da erblickte Hornblower auf der Festung einen Rauchballen, und gleich darauf drang von drüben der Knall des ersten Schusses an sein Ohr, mit dem man die Erwiderung des Saluts begann. Elf Schuß! Also hatten sie seinen Breitwimpel richtig erkannt und wußten auch, welche Ehrung einem Kommodore zustand. Nun erschien der Hafenarzt mit seinem Boot und gab ihnen Praktika.

Der Doktor hatte einen langen schwarzen Vollbart und sprach ein holpriges Französisch. Sein Besuch bot also eine gute Gelegenheit, die russischen Kenntnisse Brauns auf die Probe zu stellen. Er übersetzte mit Leichtigkeit Hornblowers Erklärung, daß an Bord seiner Schiffe keine ansteckenden Krankheiten herrschten. Dieser Besuch in Rußland verursachte an Bord allgemeine Aufregung. Jedermann stand an der Reling und musterte die russische Bootsbesatzung. Die Leute saßen auf ihren Duchten, der Bugmann hielt sich mit seinem Bootshaken an den Großrüsten fest - sie sahen wirklich aus wie jede andere Bootsbesatzung, trugen die gleichen bunten Hemden und abgerissenen Hosen und waren ebenso barfuß. Überdies schienen sie leidlich gute Seeleute zu sein. Jetzt griff Bush persönlich ein und verjagte seine Leute von der Reling. Er war wütend über ihre unverhohlene Neugier und über den Lärm, den sie vollführten.

»Wie eine Herde Affen!« sagte er ärgerlich zum Ersten Offizier. »Die Kerle machen ja mehr Krach als ein Baum voller Krähen. Was werden diese Russen von uns denken? Schicken Sie die Leute an die Arbeit und achten Sie darauf, daß sie dabeibleiben.«

Angesichts der höchst fragwürdigen russischen Neutralität war es sicher das beste, wenn Basse als erster Fühlung mit Land aufnahm. So konnte man sich notfalls immer auf die offenkundige Tatsache stützen, daß das Geschwader nur zu dem Zweck nach Kronstadt gekommen war, ihn mit seinen Nachrichten zum schwedischen Kronprinzen zu bringen.

Hornblower ließ also seine Gig aussetzen und schickte Basse damit an Land. Das Boot kam ohne ihn und ohne weitere Nachrichten an Bord zurück. Basse war an der Anlegebrücke ausgestiegen, und die Gig hatte entsprechend Hornblowers Befehl sofort wieder abgelegt. Abgesehen von dem Salut und dem Besuch des Arztes schien das britische Geschwader für das russische Kaiserreich einstweilen Luft zu sein.

»Wofür halten sie uns eigentlich?« knurrte Bush, den, wie immer, das untätige Warten nervös machte. Er wußte genauso gut wie Hornblower selbst, daß es in der Diplomatie immer am besten war, nichts von Ungeduld merken zu lassen, aber er brachte es einfach nicht fertig, sich so zur Ruhe zu zwingen wie jener. Er warf einen fragenden Blick auf Hornblowers große Uniform mit Ordensband und Stern. War er nicht schon klar für alle offiziellen Unternehmungen? Warum fuhr er also nicht an Land, um zunächst einmal den örtlichen Befehlshaber zu besuchen und sich ein Bild von der Lage zu verschaffen? Aber nein, Hornblower war hartnäckig. Er wartete auf eine Einladung.

England hatte den Sturm in Europa bis jetzt ohne russische Hilfe überstanden, für die künftigen Beziehungen war es wesentlich günstiger, wenn nun Rußland den ersten Schritt unternahm - vorausgesetzt, daß man überhaupt dazu geneigt war. Sein Geschwader hatte nur Basse hierhergebracht, damit er sich bei seinem Kronprinzen melden konnte, das war der einzige Zweck seiner Anwesenheit. Wollte die russische Regierung diese Gelegenheit benutzen, um mit ihm in Verbindung zu treten - um so besser. Tat sie es nicht, dann mußte er sich einen anderen Plan ausdenken. »Seit Basse an Land ist, hat der Semaphor nicht aufgehört zu arbeiten«, bemerkte Bush, mit dem Glas am Auge.

Die drei dünnen schwarzen Arme des Zeigertelegraphen oben auf dem höchsten Punkt der Festung wirbelten geschäftig herum, um einen Signalspruch nach dem anderen an die nächste Station tiefer drinnen in der Bucht zu übermitteln. Sonst war fast nichts zu sehen. Über das niedrige Land der Insel hinweg konnte man ein paar Masten unterscheiden, sie bezeichneten die Lage der Marinewerft. In der gleichen Richtung lagen zwei oder drei Handelsschiffe vor Anker und ein paar Fischerboote gingen ihrem Gewerbe nach. »Da kommt ein Boot«, sagte Montgomery plötzlich.

Richtig, drüben bei der Marinewerft kam eben eine schnittige Pinaß um die Ecke geschossen. Sie hielt aber nicht auf die Nonsuch zu, sondern steuerte fast in entgegengesetzter Richtung quer über den Schiffahrtskanal. »Die kaiserlich russische Kriegsflagge«, sagte Bush. »Kann jemand unterscheiden, wer an Bord ist?«

Aber die Pinaß war viel zu weit weg, selbst durch das Glas waren keine Einzelheiten auszumachen.

»Ich glaube, ich sehe goldene Ärmelstreifen«, sagte Carlin mit unsicherem Ausdruck.

»Das sagt gar nichts«, sagte Bush, »goldene Ärmelstreifen auf einer Marinepinaß in Kronstadt, die könnte sogar ein Blinder erraten.« Die Pinaß steuerte mit Backstagsbrise über den breiten Kanal und verschwand rasch in der Ferne, bis ihr weißes Segel nur noch ein leuchtender Punkt war.

»Kapitän Bush, bitte lassen Sie mich erfahren, wenn sich irgend etwas ereignet«, sagte Hornblower.

Dann verschwand er in seiner Kajüte. Dort befreite ihn Brown von seinem lästigen Galarock mit den schweren Epauletten und ließ ihn dann allein. Nun begann er in der Kajüte herumzukramen. Zuerst holte er den Kasten mit den Pistolen hervor, den ihm Barbara geschenkt hatte, öffnete ihn, las das Kärtchen, das darin lag - ihren letzten Gruß - und klappte ihn dann wieder zu. Er trat auf die Heckgalerie hinaus, kam aber sofort wieder herein. Wie zuwider, daß er so aufgeregt war! Er langte sich die Reisen des Erzdiakons Coxe aus dem Bücherregal und machte sich ernstlich daran, die ungemein langweiligen Ausführungen dieses geistlichen Herrn über die Zustände in Rußland in sich aufzunehmen, weil ihm darum zu tun war, seine Kenntnisse über die Mächte des Nordens nach Möglichkeit zu bereichern. Aber die Worte wollten ihm keinen Sinn ergeben, deshalb ließ er es bald wieder sein und griff nach dem schmalen Bändchen, das den Titel Childe Harald trug.

Schwülstiges Zeug, dachte er, während er die Seiten überflog.

Es schlug sechs Glasen: Erst elf Uhr vormittags! Vor zwei Uhr konnte er sich unmöglich zu Tisch setzen. Er erhob sich wieder von seinem Stuhl, legte sich auf die Koje, schloß die Augen und zwang sich mit krampfhaft geballten Fäusten dazu, gedankenlos vor sich hin zu dösen. Am liebsten wäre er wieder an Deck auf und ab gewandert, aber das verbot sich von selbst, denn damit hätte er seine nervöse Unruhe öffentlich zur Schau gestellt. Die Minuten schlichen auf bleiernen Füßen, er war sich darüber klar, daß er sich noch nie in seinem Leben so unfrei und unglücklich gefühlt hatte. Acht Glasen! Er hörte, wie die Wache abgelöst wurde, dann begann eine neue Ewigkeit. Endlich vernahm man draußen auf dem Halbdeck Schritte, und dann klopfte jemand an der Tür. Hornblower blieb auf seiner Koje liegen und war beflissen, eine ruhevoll entspannte Haltung zu zeigen.

»Herein!« rief er und wandte blinzelnd den Kopf nach dem eintretenden Fähnrich, als hätte er bis zu diesem Augenblick fest geschlafen.

»Ein Boot nähert sich der Nonsuch Sir«, sagte der Fähnrich.

»Ich komme sofort an Deck«, sagte Hornblower. »Mein Bootssteuerer soll kommen.«

Brown half ihm wieder in den Galarock, dann ging er nach oben. Das Boot war noch immer nicht ganz herangekommen.

»Es ist wieder die Pinaß, die schon vorhin zu sehen war, Sir«, meldete Hurst. Die Pinaß schoß in den Wind und barg ihr Großsegel, während der Bugmann das Schiff auf russisch anrief.

»Wo ist Mr. Braun?« fragte Hornblower.

Der Anruf wurde wiederholt und Braun übersetzte: »Er bittet anlegen zu dürfen, Sir, und sagt, er habe eine Nachricht für Sie.«

»Sagen Sie ihm, er soll längsseit kommen«, sagte Hornblower. Diese Abhängigkeit von dem Dolmetscher ging ihm immer wieder auf die Nerven. Die Bootsbesatzung machte einen tadellosen Eindruck. Die Leute trugen so etwas wie eine Uniform, blaue Hemden und weiße Hosen, und achtern stand klar zum Übersteigen ein Offizier, dessen Waffenrock auf Husarenart verschnürt war. Dieser Husar kam nun schwerfällig an Bord geklettert, sah sich etwas ratlos um und grüßte dann dorthin, wo ihm eine Anhäufung goldener Tressen entgegenblinkte. Dann zog er einen Brief hervor, den er mit einer weiteren Erklärung in russischer Sprache übergab.

»Von Seiner Kaiserlichen Majestät dem Zaren«, übersetzte Braun mit stockender Stimme. Hornblower nahm den Brief entgegen, die Adresse war französisch:

M. Le Chef D'Escardre

Le Capitaine Sir Hornblower, Vaisseau Britannique Noonsuch.

Der Sekretär des Zaren mochte auf allen möglichen Gebieten hervorragend tüchtig sein, mit seiner Kenntnis englischer Titel und englischer Rechtschreibung war es offenbar nicht weit her.

Der Brief selbst war auch französisch geschrieben - das war angenehm, da konnte man endlich einmal ohne Brauns Hilfe auskommen.

Kaiserlicher Palast zu Peterhof

Der Großmarschall des Kaiserlichen Hofes, den 30. Mai 1812

Sir,

Seine Kaiserliche Majestät der Zar aller Reußen hat mich beauftragt, Sie davon in Kenntnis zu setzen, daß Seine Kaiserliche Majestät mit Vergnügen von Ihrer Ankunft in Seiner Kaiserlichen Majestät Gewässern vernommen haben. Seine Kaiserliche Majestät und Seine Königliche Hoheit der Prinz von Schweden befehlen Sie und Ihren Stab für heute nachmittag 4 Uhr zum Diner in den Palast zu Peterhof. Seine Exzellenz der Herr Marineminister stellt Ihnen ein Boot zur Verfügung, das Sie und Ihre Herren an Land bringen wird. Der Offizier, der diesen Brief überbringt, wird sich erlauben, Ihre Führung zu übernehmen. Gestatten Sie mir, Sir, die Versicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung!

Kotschubey Großmarschall des Kaiserlichen Hofes

»Ich bin vom Zaren und Bernadotte zum Diner eingeladen«, sagte Hornblower zu Bush und gab ihm den Brief.

Bush nahm ihn und sah mit schiefem Kopf hinein. Es machte sich besser, so zu tun, als ob er Französisch lesen könnte. »Sie gehen natürlich hin, Sir?«

»Gewiß.«

Es wäre ja auch kaum taktvoll von ihm gewesen, bei seinem ersten Zusammentreffen mit dem offiziellen Rußland und Schweden gleich gegen einen kaiserlichen und königlichen Befehl zu verstoßen.

Hornblower blickte kurz um sich und bemerkte dabei, daß gut die Hälfte der Offiziere des Schiffes um ihn herumstand und aufmerksam auf jedes seiner Worte lauschte. Diese öffentliche Erörterung seiner Angelegenheiten bedeutete eine ganz unzulässige Beeinträchtigung seiner persönlichen Würde und war geeignet, der geheimnisvoll feierlichen Atmosphäre, die einen Kommodore immer umgeben sollte, schweren Abbruch zu tun. Er hatte seine alten Grundsätze wirklich in unverantwortlicher Weise vernachlässigt. Nun wandte er sich dem Haufen zu und fuhr ihn an: »Haben Sie nichts Besseres zu tun als hier herumzustehen und Maulaffen feilzuhalten? Im Notfall kommt es mir nicht darauf an, auch ältere Herren noch in den Topp zu schicken.«

Erfreulicherweise fuhr ihnen allen ein heilsamer Schrecken in die Glieder, sie machten sich leise davon und vermieden es ängstlich, den finsteren Blicken zu begegnen, mit denen er um sich sah. Das war das, was er gewollt hatte. Jetzt bemerkte er, daß der Husar noch einen zweiten Brief in der Hand hielt.

Er nahm auch diesen in Empfang und las die Adresse.

»Herr Oberst, für Sie«, sagte er dann und händigte ihn Wychwood aus, ehe er sich wieder an Bush wandte: »Der Zar und Bernadotte sind in Peterhof - der Palast ist auf der Karte eingezeichnet, er liegt da drüben an der Küste von Oranienbaum. Sie haben während meiner Abwesenheit natürlich das Kommando.«

In Bushs Gesicht spiegelte sich eine Vielfalt von Empfindungen. Hornblower sah ihm an, daß er an andere Gelegenheiten dachte, bei denen er ihm auch den Befehl übergeben hatte: Als er zum Beispiel an Land ging, um sich an der Küste von Mittelamerika mit einem wahnsinnigen Tyrannen einzulassen, oder ein andermal bei jenem haarsträubenden Abenteuer an der Küste von Frankreich.

»Aye, aye, Sir«, sagte Bush.

»Ich soll meinen Stab mitbringen«, sagte Hornblower. »Wer, glauben Sie, hat wohl am meisten Lust, beim Zaren zu essen?«

Mit Bush, der den gleichen Dienstgrad bekleidete wie er selbst, konnte er sich diesen scherzhaften Ton schon erlauben, zumal er vorhin seinen Anspruch auf Distanz so nachdrücklich geltend gemacht hatte. »Sie werden vor allen Dingen Braun nötig haben, Sir.«

»Sicher.«

Ein Diner beim Zaren war für jeden jungen Offizier ein ganz großes Erlebnis, das ihm für sein gesamtes späteres Leben Stoff zum Erzählen bot. Eine Aufforderung zur Teilnahme war eine gute Belohnung für dienstliche Tüchtigkeit, aber davon abgesehen konnte so ein künftiger Admiral dabei auch unerhört viel lernen.

»Ich nehme Hurst mit«, entschied Hornblower. Der Erste Offizier hatte zwar nicht gerade das Zeug zum Admiral, aber er durfte ihn aus Gründen der Disziplin nicht zurücksetzen. »Und dann den jungen Mound. Rufen Sie ihn bitte durch Signal an Bord. Außerdem noch einen Fähnrich. Wen schlagen Sie vor?«

»Somers ist der geweckteste, Sir.«

»Der Dicke? Gut, nehmen wir den. Sind Sie auch eingeladen, Herr Oberst?«

»Jawohl, Sir«, gab ihm Wychwood zur Antwort. »Wir sollen um vier Uhr dort sein. Wie lange dauert die Fahrt?« Diese Frage war an den Husaren gerichtet, der sie aber nicht verstand.

Hornblower sah sich also wieder nach Braun um, aber der war offenbar unter Deck gegangen. Unerhört von dem Mann! Als sich Hornblower vorhin gegen die herumstehenden Gaffer wandte, hatte er natürlich nicht Braun gemeint, aber ausgerechnet der mußte ihn beim Wort nehmen! Das sah diesem Kerl mit seiner gespielten Unterwürfigkeit ähnlich. Wütend schickte er nach ihm und rauchte förmlich vor Zorn, bis er endlich erschien. Dabei hatte sein Eingreifen obendrein wenig Wert. Als er nämlich Hornblowers Frage übersetzt hatte, hob der Husar nur den Blick zum Himmel und zuckte die Achseln, dann meinte er - und Braun übersetzte wieder - es könne vielleicht zwei, vielleicht aber auch vier Stunden dauern. Als Landsoldat könne er nicht schätzen, wie lange man zu einer solchen Bootsfahrt brauche. »Verdammt noch mal!« rief Hornblower.

»Wir dürfen auf keinen Fall zu spät kommen, Wenn wir vom Zaren zu Tisch befohlen sind. In einer halben Stunde wird abgelegt!«

Er erschien pünktlich auf die Minute am Fallreep, wo ihn die anderen schon erwarteten. Die dicken Backen des jungen Somers waren purpurn angelaufen, weil ihn sein enger Kragen halb erdrosselte, Hurst und Mound fühlten sich in ihrer Gala alles andere als wohl, und Braun trug ebenfalls eine steife Uniform.

»Also los!« sagte Hornblower.

Es ist ein uralter Brauch, daß der Jüngste zuerst ins Boot steigt, also machte der junge Somers den Anfang, ihm folgte Braun. Als dieser beim Hinuntersteigen den Arm hob, zog sich für einen Augenblick sein enger Rock samt der Weste in die Höhe. Da sah man für den Bruchteil einer Sekunde an seinem Hosengurt etwas blitzen, etwas Schwarzes war es - da Hornblower gerade hinsah, fiel es ihm auf. Das war doch der Griff einer Pistole! Der Lauf steckte im Hosengurt, gerade in der Hüfte, an der Stelle, wo die Waffe am wenigsten auftrug.

Außerdem trug der Kerl natürlich seinen Säbel. Hornblower fragte sich erstaunt, was ihn wohl dazu veranlaßt haben mochte, eine Pistole zu sich zu stecken.

Aber inzwischen waren ihm schon Mound und Hurst über das Fallreep gefolgt, und eben traf Lord Wychwood in seinem roten Waffenrock und mit der Bärenmütze auf dem Kopf Anstalten, gleichfalls über die Seite zu steigen. Als nächster war der Husar an der Reihe, so daß der Kommodore den Schluß bilden konnte.

Aber er hielt sich unangebrachterweise immer noch höflich zurück und wollte dem Kommodore unter ständigen Verbeugungen hartnäckig den Vortritt einräumen.

»Nach Ihnen, Sir«, sagte Hornblower, aber er predigte tauben Ohren. Erst als er ungeduldig mit dem Fuß stampfte, begriff der unwissende Landsoldat, daß er vorausgehen sollte, und dann bildete Hornblower endlich, begleitet von dem Trillern der Bootsmannsmaatenpfeifen und den steifen Ehrenbezeigungen der zurückbleibenden Offiziere, den Schluß. Da ihn der lange Bootsmantel behinderte, landete er mit einem schwerfälligen Sprung in der Achterplicht des Bootes. Vorn gab es eine winzige Kabine, wo er sich mit Wychwood und Hurst in den Platz teilte.

Mound, die beiden Deckoffiziere und der Husar blieben bescheiden draußen und hielten sich achtern auf. Der Bootssteuerer gab ein paar unverständliche Befehle, das Luggersegel wurde gesetzt, und dann nahmen sie Kurs nach der Küste von Oranienbaum.

Von seinem Platz aus konnte Hornblower Braun sehen, der achtern steif auf seiner Ducht saß. Seltsame Geschichte das, mit dieser Pistole! Wahrscheinlich dachte er daran, daß er Rußland noch vor kurzem aufrührerischen Widerstand geleistet hatte, und fürchtete nun, an Land angegriffen oder verhaftet zu werden.

Vielleicht hatte er deshalb Bedürfnis nach einer Verteidigungswaffe. Aber es konnte doch nicht einmal einem Russen einfallen, Hand an einen englischen Offizier zu legen, der britische Uniform trug. Der Pistolengriff war ziemlich dick gewesen - und schwarz, das hatte er genau gesehen. Von plötzlicher Unruhe gepackt, rutschte er auf der Backskiste hin und her, auf der er saß. Er nahm sein übergeschlagenes Bein herab, schlug es jedoch im nächsten Augenblick wieder über das Knie. Das war doch... nein, es gab keinen Irrtum. Die Pistole, die er vorhin in Brauns Gürtel stecken sah, gehörte ihm, es war die eine der beiden Waffen, die ihm Barbara geschenkt hatte. Er kannte diese Ebenholzgriffe viel zu genau, als daß er sich hätte täuschen können.

Einen Dieb an Bord zu wissen, war immer höchst aufregend und unangenehm. Auf einem Schiff war das Stehlen ja so einfach, und war ein Diebstahl vorgekommen, dann wucherte das Mißtrauen wie giftiges Unkraut. Das letztere war in diesem Fall allerdings nicht zu befürchten. Immerhin stand ihm die üble Aufgabe bevor, Braun seines Verbrechens zu überführen und ihn dafür zu bestrafen. Für eine gezogene Zündplättchenpistole englischen Fabrikats - wahrscheinlich überhaupt die erste ihrer Art, die Rußland erreichte - konnte man am russischen Hofe sicher einen fabelhaften Preis erzielen. Braun konnte ohne weiteres auf einen Erlös von zwei- bis dreihundert Guineen rechnen. Und doch - bei all seinem Vorurteil - er konnte einfach nicht glauben, daß dieser Braun einen gemeinen Diebstahl beging.

Plötzlich rief der Bootssteuerer einen neuen Befehl, und die Pinaß wendete auf den anderen Bug. Das Luggersegel, mit dem sie ausgerüstet war, mußte dabei geborgen und nach der Wendung auf der anderen Seite des Mastes wieder gesetzt werden. Hornblower beobachtete dieses Manöver mit dem Interesse des Fachmannes. Diese russischen Seeleute schienen recht fix und tüchtig zu sein, aber das konnte man schließlich bei einem Boot der russischen Admiralität auch erwarten. Die Nonsuch lag schon weit achteraus, ihr Rumpf verschwand bereits hinter der Kimm. Jetzt kamen sie dicht an einer Tonne vorüber, an der Schnelligkeit, mit der sie achteraus sackte, konnte man erkennen, daß die Pinaß ausgezeichnete Fahrt durchs Wasser machte. »Wir steuern jetzt Südwest, Sir«, bemerkte Hurst, »und haben das Fahrwasser verlassen.«

Er kletterte aus der kleinen Kabine an Deck und warf einen Blick nach vorn.

»Land recht voraus, Sir«, meldete er, »aber von einem Palast ist nichts zu sehen.«

»Peterhof kenne ich nicht«, sagte Wychwood. »Vor Tilsit war ich als Subalternoffizier im Stabe Wilsons in Zarskoje Selo und im alten Winterpalast, Peterhof ist einer der kleineren Paläste, ich nehme an, man hat ihn für diese Zusammenkunft gewählt, weil Bernadotte unmittelbar von Bord aus hingelangen konnte.«

Es war natürlich müßig, Vermutungen darüber anzustellen, was von der heutigen Zusammenkunft zu erwarten war, und doch war die Versuchung zu solchen Spekulationen fast unwiderstehlich. Die Minuten vergingen. Endlich gab der Bootssteuerer wieder einen Befehl, das Luggersegel wurde geborgen, und als die Pinaß aufdrehte, sah man von der Kabine aus, daß sie an den Pfählen einer Brücke entlang schor. Die Leinen flogen an Land, und dann wurde das Boot an eine breite Treppe verholt, die von der Brücke herab zum Wasser führte.

Diesmal traf der russische Offizier mit seiner Höflichkeit das Richtige. Der Dienstälteste verläßt ein Boot als erster, steigt aber als letzter ein, so verlangt es die Etikette der Navy. Hornblower mußte sich ducken, als er die kleine Kabine verließ, dann betrat er die Treppe und stieg hinauf. Dabei prüfte er in aller Eile, ob sein Dreimaster gerade saß und sein Säbelkoppel nicht vertörnt war. Als er oben anlangte, vernahm er ein Kommando. Dort war eine zwanzig Mann starke Wache angetreten, es waren Grenadiere in Bärenmützen und blauen Röcken. Sie nahmen beim Präsentieren den linken Arm hoch und legten ihn quer über die Brust. Für jemand, der den Präsentiergriff der englischen Seesoldaten gewohnt war, sah diese Ehrenbezeigung ausgesprochen linkisch aus. Und doch kamen ihm Uniform und Haltung dieser Männer seltsam bekannt vor. Alsbald entdeckte Hornblower auch, daß sie ihn an die hölzernen Soldaten erinnerten, mit denen der kleine Richard immer so gern gespielt hatte - es handelte sich um eine jener Schachteln mit deutschen Soldaten, die trotz der Kontinentalsperre ihren Weg nach England fanden und die ihm einer von Barbaras Diplomatenfreunden einmal geschenkt hatte. Natürlich, die russische Armee war ja nach deutschem Muster organisiert, und Peter III. hatte auch deutsche Uniformen eingeführt. Hornblower erwiderte den Gruß des Offiziers, der die Wache befehligte, und zog diese Ehrenbezeigung so in die Länge, daß die anderen aufschließen konnten. Der Husar sagte rasch auf russisch etwas zu Braun. »Es stehen Wagen für uns bereit, Sir«, dolmetschte dieser. Hornblower sah sie am Ende der Brücke stehen, zwei große offene Landauer, jeder mit zwei schönen Pferden davor.

Auf den Böcken saßen bezopfte und gepuderte Kutscher in roten Röcken - es war nicht das Scharlachrot der britischen Armee und der Livreen des königlichen Hofes in England, sondern ein helleres, weicheres Erdbeerrot. Die Pferdehalter und die Diener am Wagenschlag trugen die gleiche Livree.

»Der erste Wagen ist für die Herren Stabsoffiziere bestimmt«, erklärte Braun.

Hornblower kletterte hinein, gefolgt von Wychwood und Hurst. Mit einem Lächeln der Entschuldigung stieg der Husar zu ihnen und setzte sich auf den Rücksitz. Der Schlag wurde zugeknallt, der eine Diener stieg auf den Bock, der andere sprang hinten auf, und schon jagten die Pferde los. Der Weg wand sich durch einen ausgedehnten Park, Rasenflächen und baumbestandene Haine lösten einander ab, hier und dort sandten Fontänen ihre silbernen Strahlen hoch zum Himmel empor, und auf den Rändern marmorner Becken spielten marmorne Najaden. An jeder Biegung der Straße bot sich ein wundervoller Blick abwärts über gestufte Wiesenterrassen, da gab es lange Fluchten marmorner Treppen und reizende, kleine Marmorpavillons. Aber an jeder Ecke, neben jedem Brunnen, jedem Pavillon standen Schildwachen, die die vorüberjagenden Wagen mit strammen Präsentiergriffen grüßten. »Jeder Zar der drei letzten Generationen fiel durch Mörderhand«, bemerkte Wychwood. »Nur die Frauen starben in ihren Betten. Alexander ist jedenfalls vorsichtig.« Wieder ging es um eine scharfe Kurve, dann mündete der Weg auf einen mit Kies bestreuten Paradeplatz. An seinem gegenüberliegenden Rand stand der Palast, Hornblower fand gerade noch Zeit, das weitläufige Rokokobauwerk aus rosa und grauem Stein mit seinen kuppelgekrönten Flügeln mit dem Blick zu umfassen, da fuhren sie auch schon beim Portal vor. Wieder präsentierte eine Wache, weißgepuderte Diener öffneten die Wagenschläge. Mit einigen höflichen Worten auf russisch führte der Husar die englische Gesellschaft über eine Treppenflucht aus rosa Marmor in einen weiten Vorsaal. Hier trat ihnen ein ganzer Schwarm von Dienern entgegen, um ihnen die Bootsmäntel abzunehmen.

Hornblower besann sich darauf, den Dreimaster, wie es sich gehörte, unter den Arm zu klemmen, und die anderen folgten seinem Beispiel.

Nun öffnete sich gegenüber die Flügeltür, sie schritten darauf zu und wurden an der Schwelle von einem würdevollen Hofbeamten in Empfang genommen. Der Staatsrock dieses Herren zeigte wieder das gleiche kaiserliche Rot, wenn auch zwischen all den goldenen Tressen und Stickereien wenig davon zu erkennen war. Er hatte Puder aufgelegt und trug in der Hand einen Stab aus Ebenholz mit goldenem Knauf.

»Kotschubey«, sagte er in recht gutem Französisch, »Großmarschall des Palastes. Kommodore Hornblower? Lord Wychwood?«

Sie verbeugten sich, und dann stellte Hornblower die anderen vor. Er beobachtete, wie der Großmarschall ihre Uniformen mit einem Blick musterte, dem nichts entging. Offenbar wollte er sicherstellen, daß niemand in die inneren Räume des Palastes Zutritt erhielt, dessen äußere Erscheinung der Würde des Zarenhofes nicht entsprach. Dann wandte er sich wieder an Hornblower und Wychwood:

»Seine Exzellenz der Herr Marineminister wäre Herrn Kapitän Hornblower für die Ehre einer kurzen Unterredung besonders verbunden.«

»Ich stehe Seiner Exzellenz zu Diensten«, sagte Hornblower.

»Allerdings bin ich auf Befehl Seiner Kaiserlichen Majestät hier erschienen.«

»Sehr gütig von Ihnen, Sir. Es steht uns noch genügend Zeit zur Verfügung, ehe Seine Kaiserliche Majestät erscheinen. Seine Exzellenz, der Herr Minister für auswärtige Angelegenheiten würde sich geehrt fühlen, wenn er in gleicher Weise Lord Wychwood für einige Minuten in Anspruch nehmen dürfte.«

»Ich stehe Seiner Exzellenz zur Verfügung«, sagte Wychwood. Für einen Mann von seiner Erfahrung und Weitläufigkeit war sein Französisch auffallend dürftig.

»Ich danke Ihnen«, sagte Kotschubey.

Dann wandte er sich um und winkte drei weitere Hofbeamte heran. Sie trugen etwas weniger goldene Tressen als Kotschubey, auf ihren Rockaufschlägen waren goldene Schlüssel eingestickt, woraus Hornblower entnahm, daß es sich um Kammerherren handelte. Es gab neue Vorstellungen, neue Verbeugungen.

»Wenn Sie jetzt die Güte haben wollen, mit mir zu kommen, Sir...«, sagte Kotschubey zu Hornblower.

Zwei der Kammerherren nahmen sich der jüngeren Offiziere an, einer geleitete Wychwood, Kotschubey selbst aber entführte Hornblower. Der warf noch einen letzten Blick auf seine Begleiter. Da sah er, daß selbst der schwerfällige Hurst, ja sogar der betont gleichmütige Mound recht ängstliche Mienen aufsetzten, als sie sich in diesem unheimlichen Kaiserpalast von ihrem Kapitän einfach im Stich gelassen sahen. Hornblower mußte bei ihrem Anblick unwillkürlich an Kinder denken, die von ihren Eltern einer wildfremden Erzieherin überantwortet werden. Braun allerdings sah ganz anders aus. Seine grünen Augen glühten vor Erregung, sein Gesicht hatte einen gestrafften Ausdruck, der ganz neu an ihm war, er hatte den Blick eines Mannes, der vor einer entscheidenden Tat steht. Eine Woge schlimmster Befürchtungen brach über Hornblower zusammen. Über all der Aufregung, die mit ihrer Landung auf russischem Boden verbunden war, hatte er diesen Braun ganz vergessen gehabt, war ihm die gestohlene Pistole ebenso entfallen wie jene anderen Bedenken, die er seinetwegen gehegt hatte. Er brauchte jetzt unbedingt etwas Zeit zum Nachdenken, aber dieser Kotschubey hastete mit ihm davon und schenkte ihm keine Sekunde. Sie gingen durch einen prachtvollen Saal - Hornblower gewann nur einen flüchtigen Eindruck von Möbeln, Gemälden und Plastiken -, dann öffneten zwei Diener, von denen es Hunderte zu geben schien, wieder eine Flügeltür zu einem hohen und breiten Korridor, der eigentlich eher einer Bildergalerie glich. Hier machte Kotschubey nach wenigen Metern vor einer unansehnlichen, kleinen Pforte halt. Zwei Diener, die davorstanden, gaben ihm bei seiner Annäherung mit einer gewandten Wendung Raum. Die Tür führte unmittelbar auf eine steile Wendeltreppe.

Etwa auf halber Höhe derselben gelangten sie an eine weitere Tür, vor der vier kräftige Soldatengestalten in roten Uniformen, Reitstiefeln und weiten Reithosen Wache hielten. Hornblower erkannte sie als Kosaken, die ersten, die er leibhaftig zu sehen bekam. Als sie sich jetzt an die Wand drückten, um ihnen Platz zu machen, verstopften sie beinahe das enge Treppenhaus.

Hornblower konnte sich kaum an ihren vorbeizwängen.

Kotschubey kratzte nur leise an der Tür, dann öffnete er sofort und zog Hornblower mit der Miene eines Verschwörers rasch hinter sich her.

»Sir Hornblower«, stellte er vor, nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte. Der große Mann, dessen Uniform mit Epauletten und quer über der Brust befestigter Ordensspange entfernt an einen Seeoffizier erinnerte, mußte der Marineminister sein. Er begrüßte Hornblower auch gleich herzlich in fließendem Französisch und entschuldigte sich höflich, daß er des Englischen nicht mächtig sei. In einer Ecke im Hintergrund saß aber noch jemand, ein großer, schlanker Mann in einer herrlichen hellblauen Uniform. Er war auffallend hübsch, aber von einer Schönheit, die aus einer anderen Welt zu stammen schien. Die Elfenbeinblässe seiner Wangen, die durch den schwarzen Backenbart noch unterstrichen wurde, wirkte weniger ungesund als unnatürlich. Ohne die geringste Bewegung saß er steif und aufrecht in seiner dunklen Ecke, seine Fingerspitzen ruhten auf einem niedrigen Tisch, der vor ihm stand, und keiner der russischen Herren nahm auch nur im geringsten Notiz von seiner Anwesenheit. Dennoch war sich Hornblower im klaren darüber, daß er den Zaren vor sich hatte.

Er sagte sich, daß er nichts anderes tun konnte, als dem Beispiel der russischen Staatsbeamten zu folgen, wenn diese über ihren eigenen Zaren hinwegsahen, als wäre er gar nicht anwesend. Er hielt also seinen Blick auf den Marineminister gerichtet. »Ich hoffe«, begann dieser, »Sie bei guter Gesundheit zu sehen.«

»Danke«, sagte Hornblower, »ich bin bei bester Gesundheit.«

»Und Ihr Geschwader?«

»Erfreut sich gleichfalls der besten Gesundheit, Eure Exzellenz.«

»Haben Sie irgendwelche Bedürfnisse?«

Hornblower mußte wieder rasch nachdenken. Einerseits wünschte er seine völlige Unabhängigkeit zu betonen, dagegen stand anderseits die beunruhigende Tatsache, daß ihm das Wasser bald ausging. Frisches Trinkwasser, das brauchte man immer, das war eine Lebensfrage, und seine Beschaffung war die ständige Sorge eines jeden Kommandanten, ob er nun ein Schiff oder ein ganzes Geschwader zu führen hatte. Ein Marineminister - und wenn es ein russischer war - mußte mit dieser Sorge vertraut sein.

»Feuerholz und Wasser«, sagte Hornblower, »wäre, wie immer, besonders willkommen.«

»Ich werde sofort anfragen lassen, ob wir Ihrem Geschwader schon morgen früh ein Wasserfahrzeug schicken können«, sagte der Minister.

»Ich danke Eurer Exzellenz«, sagte Hornblower und war neugierig, welche Gegenleistung man von ihm verlangen würde.

»Sind Sie schon darüber unterrichtet, Sir, daß Bonaparte Schwedisch-Pommern besetzt hat?«

Hornblower konnte sich diesen sprunghaften Wechsel des Gesprächsthemas nur dadurch erklären, daß die Anwesenheit des Zaren den Minister nervös machte.

»Ja, Eure Exzellenz.«

»Und wie denken Sie über diese Aktion?«

Hornblower zögerte etwas mit der Antwort, um seine Gedanken zu ordnen und sich die französischen Sätze zurechtzulegen.

»Sie ist für Bonaparte typisch«, begann er dann, »er duldet die Neutralität einer schwächeren Macht nur so lange, als er daraus Nutzen ziehen kann. Sobald sie ihm irgendwie lästig wird, unternimmt er einen heimtückischen Gewaltstreich mit seiner Armee, der die Landplagen seines berüchtigten Systems, Terror, Hunger und Elend, auf dem Fuße folgen. Die Gefängnisse füllen sich, Geheimpolizei und Erschießungskommandos verbreiten Furcht und Schrecken. Bankiers und Kaufleute werden ihrer gesamten Habe beraubt. Die Männer werden in den Soldatenrock gesteckt und die Frauen - nun, was den Frauen geschieht, das ist wohl kein Geheimnis mehr.«

»Aber Sie nehmen doch nicht an, daß es ihm nur auf das Plündern ankommt?«

»Nein, Eure Exzellenz, obwohl diese systematische Ausplünderung natürlich seinen topplastigen Finanzen immer wieder etwas auf die Beine hilft. Er hat Pommern genau in dem Augenblick überrannt, als es mit dem Auftreten meines Geschwaders für ihn seinen Wert als neutraler Stützpunkt seiner Kaperschiffe eingebüßt hatte.«

In diesem Augenblick kam es über Hornblower wie eine Erleuchtung. Man mußte ihm etwas davon angesehen haben, denn als er nun zögerte fortzufahren, drängte ihn der Minister mit offenkundigem Interesse zum Sprechen: »Monsieur waren im Begriff zu sagen...?«

»Bonaparte beherrscht jetzt die ganze Ostseeküste bis an die Reichsgrenze Seiner Kaiserlichen Majestät. Diese Tatsache ist für ihn in einem besonderen Fall von unschätzbarem Wert, Eure Exzellenz, wenn er sich nämlich anschickt, Rußland anzugreifen.« Hornblower legte in diese Worte allen rednerischen Nachdruck, dessen er fähig war. Der Minister nickte nur - Hornblower hätte nur zu gern einen kurzen Blick auf den Zaren geworfen, um zu sehen, wie der seine Worte aufnahm, aber er wagte es nicht.

»Solange Pommern schwedisch war und gleichzeitig eine englische Flotte die Ostsee beherrschte, hätte er ja immer für die Sicherheit seiner rückwärtigen Verbindungen fürchten müssen.

Ein schwedisches Pommern war für ihn viel zu gefährlich als Stützpunkt für einen Angriff in seinem Rücken, einen Angriff über See, vorgetragen unter dem Schutz meines Geschwaders.

Jetzt hat er diese Gefahr beseitigt - er braucht nicht mehr zu fürchten, daß er abgeschnitten wird, wenn er Rußland angreift, wenn er gegen St. Petersburg marschiert. Die Drohung gegen das Reich Seiner Kaiserlichen Majestät hat sich verstärkt...«

»Glauben Sie, daß seine Drohungen gegen Rußland wirklich ernst gemeint sind, Sir.«

»Die Drohungen Bonapartes sind immer ernst gemeint, Eure Exzellenz kennen doch seine Methoden. Es fängt immer damit an, daß er einige Zugeständnisse verlangt. Werden sie ihm gewährt, dann folgen alsbald neue Forderungen, jede darauf berechnet, den Partner immer mehr zu schwächen, bis das unglückliche Opfer seiner Aufmerksamkeiten zuletzt alle Kraft zum Widerstand verloren hat oder hoffnungslos in sein Unglück rennt, wenn es im letzten Augenblick versucht, sich mit Waffengewalt zur Wehr zu setzen. Er wird nicht ruhen, bis seine Wünsche erfüllt sind. Die Wünsche aber richten sich auf nichts Geringeres als die Weltherrschaft, die Knechtung und Unterwerfung aller Völker der Erde unter seinen Willen.«

»Monsieur sind sehr beredt...«

»Ich bin beredt, weil mir die Worte wirklich aus dem Herzen kommen, Eure Exzellenz. Neunzehn Jahre, seit meiner Knabenzeit, diene ich meinem Vaterland gegen jenes Machtungetüm, das seinen Schatten über ganz Europa wirft.«

»Und was hat Ihr Land mit diesem Kampf erreicht?«

»Mein Land ist frei geblieben. Das war zu allen Zeiten der Geschichte etwas Großes, heute aber zählt es mehr als je. Aber England schlägt auch zurück. Portugal und Sizilien verdanken ihm ihre Freiheit; während ich hier mit Ihnen spreche, Eure Exzellenz, sind seine Armeen in Spanien auf dem Vormarsch.

Bonaparte wird sich bald gezwungen sehen, die Grenze seines Parvenüreiches gegen sie zu verteidigen. Wir haben an diesem ungeschlachten Gebilde eine schwache Stelle entdeckt, da bohren wir rastlos nach, bis es uns gelingt, seine Grundmauern zu zerstören. Dann wird der ganze kunstvolle Bau bald in sich zusammenstürzen.«

Es mußte in dem kleinen Zimmer sehr warm sein, Hornblower merkte, daß er in seiner schweren Uniform in Schweiß geraten war. »Und hier in der Ostsee?«

»England ist auch hierher vorgedrungen. Von heute an kann kein Schiff Bonapartes ohne meine Erlaubnis die Ostsee befahren. England ist aber auch bereit zu helfen. Es wird jedes Land, das dem Tyrannen die Stirn bietet, mit einem Strom von gutem Geld und guten Waffen unterstützen. Bonaparte ist von Süden, von Westen und von Norden eingekreist. Es bleibt ihm also nur noch der Osten. Hier wird er zuschlagen, und hier gilt es, ihn abzuwehren.« In Wirklichkeit waren diese Sätze alle zu dem hübschen bleichen jungen Mann gesprochen, der dort in der dunklen Ecke des Zimmers saß. In diesem Spiel der internationalen Politik war ja der Einsatz des Marineministers viel, viel kleiner als der seines Kaiserlichen Herrn. Für andere Fürsten standen in einem Kriege vielleicht eine oder zwei Provinzen auf dem Spiel, ging es höchstens um Ehre und Kriegsruhm. Der Zar aller Reußen aber, der mächtigste und selbstherrlichste von ihnen allen, setzte jedesmal sein Leben ein.

Das war eine Tatsache, die niemand in Abrede stellen konnte.

Ein Wort des Zaren genügte, um einen russischen Edelmann lebenslänglich nach Sibirien zu verbannen, ein anderes Wort von ihm bedeutete vielleicht Krieg und setzte eine halbe Million Soldaten in Bewegung. Erwies sich aber einer dieser Schachzüge als falsch, dann zahlte der Zar mit seinem Leben dafür. Erlitt er eine militärische Niederlage, entglitt ihm nur für einen Augenblick die Gewalt über seine Höflinge und seine Gardetruppen, dann war er verloren, dann wurde er entthront und in der Folge unweigerlich ermordet. Sein Vater, sein Großvater und sein Urgroßvater hatten dieses Schicksal erlitten.

Ob er nun im Kampf geschlagen wurde oder ob er dem Kampf auswich und dadurch sein Prestige verlor, in beiden Fällen konnte er damit rechnen, einen Seidenschal um die Kehle oder zwanzig Degenspitzen zwischen die Rippen zu bekommen.

Eine Bronzeuhr auf einer Wandkonsole begann silberhell zu schlagen. »Die Stunde schlägt, hören Sie es, Exzellenz?« sagte Hornblower. Die Erregung, die in ihm tobte, ließ ihn am ganzen Körper zittern. Er fühlte sich schwach und leer.

»Ja, die Stunde schlägt«, gab der Minister zur Antwort. Man sah ihm an, wie verzweifelt schwer es ihm fiel, sich nicht nach dem Zaren umzusehen. »Übrigens erinnert mich diese Uhr zu meinem tiefsten Bedauern daran, daß ich Sie nicht länger in Anspruch nehmen darf, weil Sie sonst zum Kaiserlichen Empfang zu spät kommen würden.«

»Selbstverständlich darf ich mich da nicht verspäten«, sagte Hornblower. »Ich möchte Ihnen meinen Dank dafür aussprechen, Herr Kapitän, daß Sie mir Ihre Auffassung von der Lage so klar und eindringlich dargelegt haben. Es wird mir ein besonderes Vergnügen sein, Sie beim Empfang wieder begrüßen zu können. Seine Exzellenz, der Herr Großmarschall, wird die Ehre haben, Ihnen den Weg zum Tauridensaal zu zeigen.«

Hornblower machte seine Verbeugung, immer darauf bedacht, seine Augen nicht unversehens in die Ecke wandern zu lassen, in der der Zar saß. Schließlich gelang es ihm, das Zimmer zu verlassen, ohne dem Zaren den Rücken zu kehren, aber auch ohne die Absichtlichkeit seines Verhaltens allzu auffällig zu machen. Auf der Treppe angelangt, quetschten sie sich wieder an den Kosaken vorbei und stiegen dann zum Erdgeschoß hinunter. »Darf ich bitten, Sir!«