4. Kapitel

Hornblower beugte sich auf seinem Sitz in der Kutsche vor und spähte durch das geschlossene Fenster hinaus. »Der Wind schießt wohl etwas nach Norden aus«, bemerkte er, »er steht jetzt anscheinend bereits aus West zu Nord.«

»Ja, Liebster«, erwiderte Barbara geduldig.

»Verzeihung, lieber Schatz«, sagte Hornblower, »ich habe dich unterbrochen, du sprachst doch eben von meinen Hemden.«

»Nein, damit war ich schon zu Ende, Liebster. Ich wollte aber gerade sagen, daß du die flache Seekiste nicht auspacken lassen sollst, bevor das Wetter kalt zu werden beginnt. Darin sind nämlich dein Schafpelz und dein schwerer Pelzmantel, und zwar gut eingekampfert. So sind sie bestimmt am besten vor Motten geschützt. Laß also diese Kiste auf jeden Fall gleich verstauen, wenn du an Bord kommst.«

»Ja, mein Schatz.«

Die Kutsche rasselte gerade über das Kopfpflaster von Upper Deal. Barbara richtete sich etwas auf und nahm Hornblowers Hand wieder in die ihrige. »Ich spreche so ungern von dem Pelzwerk«, sagte sie, »weil ich hoffe, ach, so sehr hoffe, daß du wieder hier bist, ehe die Kälte einsetzt.«

»Das hoffe ich selbst auch, mein Schatz«, erwiderte Hornblower. Er sagte damit die volle Wahrheit.

Im Wagen herrschte trübes Zwielicht, nur auf Barbaras Gesicht lag ein heller Schein, der durch das Fenster hereinfiel, und ließ es wie das Antlitz einer Heiligenfigur in einer Kirche aufleuchten. Unter ihrer kühnen Adlernase zeigte sie um den Mund einen festen, energischen Zug, auch in ihren graublauen Augen stand nichts von Weichheit zu lesen. Nein, dieses Gesicht verriet gewiß nichts davon, daß ihr das Herz zu brechen drohte.

Als sie nun aber ihre Handschuhe ausgezogen hatte, da krampfte sich ihre Hand fieberheiß um die Hand Hornblowers.

»Komm zurück zu mir, mein Liebster, komm zurück zu mir!« flüsterte sie leise.

»Natürlich komme ich zurück«, sagte Hornblower darauf.

Sieh da, seine Barbara konnte also trotz ihrer vornehmen Abkunft, trotz ihres scharfen Verstandes und trotz ihrer eisernen Selbstbeherrschung genauso törichte Dinge sagen wie jede nächstbeste, gewöhnliche Seemannsfrau, die von ihrem Mann Abschied nehmen mußte Wenn sie mit dieser rührenden Stimme flüsterte ›Komm zu mir zurück‹ , als ob es in seiner Macht stünde, den französischen oder russischen Kugeln, die ihm galten, zu entgehen, dann liebte er sie mehr denn je. Da tauchte plötzlich eine scheußliche Vorstellung in ihm auf, einer aufgedunsenen Wasserleiche vergleichbar, die sich vom schlammigen Meeresgrund lost und an die Oberfläche steigt.

Hatte Lady Barbara nicht schon vor ihm einen Gatten scheiden sehen, der nicht aus dem Krieg zurückkam? Er war in Gibraltar unter dem Messer des Chirurgen gestorben, nachdem ihm während der Schlacht in der Rosas-Bucht ein Splitter die Weiche aufgerissen hatte. Dachte etwa Barbara jetzt, in diesem Augenblick, an jenen Toten? Unwillkürlich schauderte Hornblower bei diesem Gedanken etwas zusammen, aber Barbara vermochte es trotz des starken, gegenseitigen Einfühlungsvermögens, das immer zwischen ihnen bestand, nicht, seine Bewegung richtig zu deuten.

»Mein Schatz«, sagte sie, »du mein Allerliebster!«

Nun streichelte sie mit ihrer freien Hand seine Wange, und ihre Lippen suchten die seinen. Er küßte sie und kämpfte dabei die fürchterlichen Zweifel nieder, die ihn soeben angefallen hatten. Monatelang hatte er sich nun mit Erfolg bemüht, seiner Eifersucht auf die Vergangenheit Herr zu werden - nun haderte er mit sich selbst weil er sich ausgerechnet in diesem Augenblick wieder davon übermannen ließ, und dieser Hader paßte ganz ausgezeichnet zu dem teuflischen Gemisch seiner sonstigen Empfindungen. Die Berührung ihrer Lippen half ihm gerade im richtigen Augenblick über die Krise hinweg, er erwiderte ihren Kuß mit aller Leidenschaft seiner großen Liebe, während die Kutsche mit taumelnden Bewegungen über die Katzenköpfe schlingerte. Barbaras stattlicher Hut drohte ins Rutschen zu kommen, sie befreite sich aus seinen Armen, um ihn wieder geradezusetzen, und kehrte dann überhaupt zu der gesetzten Würde zurück, die sie für gewöhnlich zur Schau trug.

Jedenfalls hatte sie den Aufruhr in Hornblowers Seele erkannt, wenn sie ihn auch nicht richtig zu deuten vermochte. Und deshalb begann sie nun, von etwas ganz anderem zu reden damit sie beide ihre Fassung wiederfanden und bei der bevorstehenden Ankunft vor den kritischen Blicken der Öffentlichkeit bestehen konnten. »Ich freue mich jedes Mal«, sagte sie, »wenn ich an die hohe Auszeichnung denke, die diese neue Verwendung für dich bedeutet.«

»Und ich freue mich, daß du dich darüber freust, mein Schatz«, sagte er. »Noch bist du kaum über die Mitte der Kapitänsrangliste hinaus, und doch gibt man dir schon ein solches Kommando. Jetzt bist du ein Admiral in petto.«

Nichts konnte beruhigender auf Hornblower wirken als gerade diese Äußerung. Er amüsierte sich im stillen über ihre kleine Entgleisung. Sie wollte natürlich sagen, daß er ein Admiral im kleinen, im Taschenformat, oder, französisch ausgedruckt, en petit war. En petit hieß aber etwas ganz anderes als das italienische in petto, das soviel bedeutete wie ›in der Brust‹ .

Ernannte der Papst einen Kardinal in petto, so bedeutete das, daß er die Ernennung vorläufig geheimhielt und nicht veröffentlichte. Es machte Hornblower einen riesigen Spaß, ausgerechnet von Barbara einen solchen sprachlichen Lapsus zu hören. Das gab ihr wieder einen menschlichen Zug und bewies ihm, daß sie eben doch aus keinem anderen Holz geschnitzt war als er selber. Gleich wurde ihm das Herz wieder warm, aber diesmal mischten sich zärtlichste menschliche Regungen in die Leidenschaft seiner Liebe. Mit einem letzten Schwanken und lautem Gekreisch der Bremsen kam die Kutsche zum Stehen, und der Schlag wurde aufgerissen. Hornblower sprang gleich heraus und war erst Barbara beim Aussteigen behilflich, dann sah er sich um. Es wehte stürmisch, die Windrichtung war zweifellos West zu Nord. Heute morgen hatte noch eine kräftige südwestliche Brise gestanden, der Wind schoß also aus und legte dabei an Stärke zu. Noch ein bißchen mehr nördlichen Einschlag und sie waren gezwungen, in den Downs vor Anker liegenzubleiben, um das Rückdrehen des Windes abzuwarten.

Verlor er also jetzt auch nur eine Stunde, so konnte das leicht den Verlust von ganzen Tagen zur Folge haben. Himmel und Wasser waren gleichmäßig grau, und die See war mit weißen Schaumköpfen gesprenkelt. Draußen sah man den Ostindien-Geleitzug vor Anker liegen, für seinen Bedarf brauchte der Wind nur noch eine Kleinigkeit weiter auszuschießen, dann konnte er Anker lichten und seine Ausreise kanalauswärts antreten. Weiter nördlich lagen andere Fahrzeuge, wahrscheinlich war das die Nonsuch mit ihrem Verband, sie waren aber zu weit entfernt, als daß man sie ohne Glas hätte ausmachen können. Der Wind pfiff ihm um die Ohren und zwang ihn, seinen Hut ordentlich festzuhalten. An der Holzmole, jenseits der Straße, lag ein Dutzend Deal-Logger.

Brown stand in der Nähe und wartete auf Befehle, während Kutscher und Diener das Gepäck aus dem Verschlag des Wagens holten.

»Ich möchte mich von einem dieser Schmugglerfahrzeuge an Bord setzten lassen, Brown«, sagte Hornblower, »handle du den Preis für mich aus.« Natürlich hätte er durch Signal vom Kastell aus ein Boot von der Nonsuch anfordern können, aber darüber wäre wieder viel kostbare Zeit vergangen. Barbara stand neben ihm und hielt ihren Hut, ihr Kleid wehte im Wind wie eine Flagge. Heute morgen waren ihre Augen grau - wären See und Himmel blau gewesen, dann hätte sich bestimmt auch ihre Farbe in Blau verwandelt. Sie zwang sich ein Lächeln ab.

»Wenn du dich mit einem der Logger hier an Bord setzen läßt, Liebster«, sagte sie, »dann möchte ich gern mitkommen.

Der Logger könnte mich nachher zurückbringen.«

»Du wirst aber dabei sehr naß werden und frieren«, sagte Hornblower. »Bei diesem Wetter und dazu noch hart am Wind, das wird bestimmt keine angenehme Fahrt werden.«

»Glaubst du denn wirklich, daß mir das etwas ausmacht?« sagte Barbara. Aufs neue fuhr ihm der Gedanke, sie verlassen zu müssen, wie ein Stich durchs Herz.

Da kam auch Brown wieder zurück, und mit ihm erschienen ein paar Dealer-Bootsleute. Sie hatten Tücher um den Kopf gewunden und trugen Ringe in den Ohren, ihre windgegerbten und salzgebeizten Gesichter waren braun wie Nußbaumholz. Sie machten sich sogleich über Hornblowers Seekisten her, um sie auf die Pier zu schaffen, und hantierten damit, als handelte es sich um federleichtes Spielzeug. Nun, in neunzehn Kriegsjahren hatten sie wohl schon die Seekisten unzähliger Offiziere zur Mole von Deal getragen. Brown folgte ihnen, und Hornblower mit Barbara machten den Beschluß. Hornblower hielt mit festem Griff die Ledermappe umklammert, die seine ›ganz geheimen Befehle‹ enthielt.

»Morgen, Käptn!« Der Kapitän des Loggers hob zur Begrüßung die Hand an die Stirn. »Morgen, Mylady!

Anständige Brise heute, mehr könnte man sich gar nicht wünschen. Sie kommen sogar noch in Luv von den Goodwins klar, Käptn, auch mit den Dwarstreibern von Kanonenbooten.

Und wenn Sie einmal die Downs hinter sich haben, dann haben Sie nach Skagen ja achterlichen Wind.«

Das nannte man also hier in England militärisches Geheimnis!

Dieser Schmuggler hier aus Deal war offenbar genau im Bilde, welche Streitkräfte ihm unterstanden und was sein Ziel war.

Man konnte ruhig annehmen, daß er vielleicht schon morgen irgendwo mitten im Kanal einen französischen Fischer traf, um mit ihm Tabak gegen Schnaps und Nachrichten gegen Nachrichten auszutauschen. Dann wußte Bonaparte in Paris in drei Tagen, daß Hornblower mit einem Linienschiff und einem Verband kleinerer Fahrzeuge in die Ostsee ausgelaufen war.

»Vorsicht da mit den Kisten!« schrie der Loggerkapitän plötzlich. »Die Flaschen sind nicht aus Eisen!«

Seine Leute waren gerade dabei, die letzten Kisten des Gepäcks von der Mole an Bord des Loggers zu geben, es waren die zusätzlichen Kajütvorräte, die Barbara selbst für ihn bestellt und deren Qualität sie sorgfältig geprüft hatte: eine Kiste Wein und eine Kiste Dauerproviant. Dazu kam noch, als ihr ganz persönliches Geschenk für ihn, ein Bücherpaket.

»Wollen Sie nicht lieber in der Kajüte Platz nehmen, Mylady?« fragte der Loggerkapitän mit einer schwerfälligen und ungeschliffenen Höflichkeit, die sich wunderlich ausnahm. »Es wird eine nasse Fahrt geben zur Nonsuch hinaus.«

Barbara fing Hornblowers Blick auf und lehnte das Angebot mit gleicher Höflichkeit ab. Hornblower kannte diese stickigen, übelriechenden, kleinen Kabuffs zur Genüge.

»Dann müssen Mylady aber mindestens eine Persenning umhängen.«

Die Persenning wurde gebracht und Barbara über die Schultern gehängt. Die schwere, steife Leinwand, die ringsum bis zum Deck reichte, hüllte sie ein wie ein Löschhörnchen.

Immer noch suchte der Wind ihr den Hut zu entführen. Da hob sie die Hand, riß ihn mit einer einzigen, raschen Bewegung vom Kopf und barg ihn unter der Persenning. Sofort zauste der Wind einzelne Strähnen aus ihrer Frisur, sie aber lachte nur dazu und befreite mit einem Ruck ihres Kopfes ihre ganze blonde Mähne.

Ihre Wangen röteten sich, ihre Augen sprühten. So, fand Hornblower, genauso hatte sie damals ausgesehen, als sie beide auf der Lydia zusammen um Kap Hoorn gesegelt waren.

Brennend gern hätte er sie jetzt wieder abgeküßt.

»Los vorn! Heiß Großsegel!« brüllte der Kapitän, während er achteraus kam, und stemmte sich dann mit der Hüfte gegen die Ruderpinne. Die Mannschaft holte die Talje des Falls, und das Großsegel stieg entsprechend Fuß um Fuß am Mast empor.

Unterdes war der Logger von der Pier losgeworfen worden und sackte langsam achteraus. »Los jetzt, George, hol die Großschot!«

Der Kapitän legte die Pinne hart über, der Logger kam zum Stehen, fiel auf der Stelle ab und nahm dann gleich Fahrt voraus auf, gehorsam wie ein Pferd in der Hand eines geschickten Reiters. Als er aus dem Lee der Mole freikam, packte ihn der Wind und legte ihn hart über. Aber der Kapitän ließ ihn luven, und zugleich holte George achtern die Schot an, bis das Segel stand wie ein Brett. Nun ging es mit dichten Schoten - für jeden, der diese Fahrzeuge nicht kannte, waren sie geradezu aufregend dicht geholt - gegen an, dem Sturm in die Zähne, so daß massive Spritzer von Backbord vorn über das ganze Fahrzeug nach achtern jagten. Der Seegang war selbst hier in den geschützten Downs stark genug, daß der Logger recht lebendig wurde.

Einsetzen und überholen lösten einander ab, während eine See nach der anderen von Backbord vorn nach Steuerbord achtern unter ihm durchlief. Plötzlich fiel Hornblower ein, daß er ja nun von Rechts wegen seekrank werden mußte, wußte er doch, daß ihn dieses lästige Übel bis jetzt zu Beginn jeder Reise befallen hatte. Außerdem gab es kein besseres Mittel, seine Anfälligkeit sofort ans Licht zu bringen, als gerade diesen Logger mit seinen munteren Bocksprüngen. Um so erstaunlicher fand er es, als diesmal nichts dergleichen geschah. Zu seiner größten Verblüffung konnte er ruhig mit ansehen, wie die Kimm auf und abtanzte, so daß sie einmal hoch über dem Bug stand und dann wieder, so oft der Logger sich auf das Heck setzte, in die Tiefe verschwand, ohne daß es ihm dabei den Magen hob. Weniger überraschend war es, daß er auch seine Seebeine behalten hatte, denn nach zwanzig Jahren Seefahrt waren die nicht mehr so leicht zu verlieren. Er verstand es noch gut, sich im Stehen geschickt den raschen Bewegungen des kleinen Fahrzeugs anzupassen. Auch sonst hatte er seine Seebeine nur dann eingebüßt, wenn ihn die Seekrankheit schwindlig machte, und diese leidige Pest schien ihn diesmal wirklich verschonen zu wollen. Beim Beginn seiner früheren Reisen war er infolge der endlosen Strapazen bei der Ausrüstung und Indienststellung des Schiffes auch immer körperlich ganz fertig gewesen, Mangel an Schlaf, verbunden mit tausend Sorgen und Ängsten, hatte ihn jedesmal so heruntergebracht, daß ihm auch ohne Seefahrt zum Speien zumute war. Als Kommodore dagegen blieb ihm alles dies erspart. Gewiß, die Admiralität, das Auswärtige Amt und das Schatzamt hatten ihn mit Befehlen und Anweisungen überhäuft, aber die Fülle der Verhaltungsmaßregeln und der Verantwortung, die man ihm übertrug, ging nicht entfernt so stark auf die Nerven wie all die kleinen Sorgen und Schikanen, die einem erwuchsen, wenn man seine Besatzung aufzutreiben hatte oder mit den Werftbehörden verhandeln mußte. So kam es, daß Hornblower heute in glänzender Verfassung blieb. Barbara mußte sich kräftig festhalten, und ihr Blick verriet ihm, daß ihr Zustand einiges zu wünschen übrigließ; wenn sie auch vielleicht noch nichts Schlimmeres bewegte, so sah man ihr doch an, daß sie mindestens ihre eigene Ausdauer in Zweifel zog. Diese Wahrnehmung belustigte Hornblower und machte ihn gleichzeitig ein wenig stolz. Er freute sich darüber, daß er auch nach einer längeren Pause zur See fahren konnte, ohne gleich seekrank zu werden, und er freute sich noch mehr, daß er der sonst in allen Dingen unübertrefflichen Barbara einmal über war. Um ein Haar hätte er begonnen, sie etwas aufzuziehen und mit seiner eigenen Seefestigkeit aufzutrumpfen. Aber sein gesunder Menschenverstand und die zärtliche Rücksicht auf seine Frau bewahrten ihn im letzten Augenblick vor dieser unglaublichen Entgleisung. Eine einzige Andeutung dieser Art hätte sicher genügt, sie gegen ihn aufzubringen - erinnerte er sich denn nicht allzu deutlich daran, wie ihm selbst die ganze Welt verhaßt war, wenn er unter der Seekrankheit litt? Er tat also sein Bestes, ihr zu helfen.

»Wie schön, daß du nicht seekrank bist, mein Schatz«, sagte er, »diese Bewegungen sind mehr als lebhaft, aber du hast ja schon immer einen guten Magen besessen.«

Sie sah ihn an, der Wind zauste in ihrem losen Haar, und ihr Blick fiel etwas unsicher aus, aber Hornblowers Worte hatten ihr doch wieder Mut gegeben. Und er, er brachte ihr damit ein recht erhebliches Opfer, von dem sie jedoch nie etwas ahnen sollte.

»Ich beneide dich, Schatz«, sagte er, »was mich selbst anbelangt, bin ich nämlich gar nicht sicher. Zu Beginn einer Reise ist das bei mir ja leider die Regel. Gott sei Dank bist wenigstens du ganz auf der Höhe, wie immer.« Könnte ein Mann die Liebe zu seiner Frau besser beweisen als dadurch, daß er ihr nicht nur seine Überlegenheit verheimlicht, sondern ihr zuliebe sogar vorgibt, selbst seekrank zu sein? Barbara war plötzlich ganz Teilnahme und Besorgnis. »Das tut mir aufrichtig leid, Liebster«, sagte sie und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ich hoffe und wünsche dir, daß es dich nicht packt.

Das wäre doch wenig schön für dich, gerade in diesem Augenblick, da du dein Kommando antreten sollst.«

Die List bewährte sich. Barbara hatte nun an etwas anderes, wichtigeres zu denken als an ihren Magen und vergaß darüber die aufsteigende Übelkeit. »Hoffentlich halte ich durch«, meinte Hornblower und versuchte so zu tun, als zwänge er sich ein tapferes Lächeln ab. Obgleich er alles andere war als ein guter Schauspieler, fiel Barbara darauf herein, weil ihre Sinne doch schon so benebelt waren, daß sie ihn nicht mehr zu durchschauen vermochte. Und Hornblower selbst fühlte nagende Gewissensbisse, als er bemerkte, daß sie seine gespielte Standhaftigkeit immer verliebter machte. Sie hatte jetzt etwas Weiches im Blick, wenn sie ihn ansah.

»Klar zum Wenden!« brüllte nun der Kapitän des Loggers.

Hornblower blickte auf und entdeckte überrascht, daß sie schon dicht unter dem Heck der Nonsuch waren. Das Linienschiff hatte ein paar Vorsegel gesetzt und das Kreuzmarssegel backgebraßt. Dadurch wurde es etwas aus dem Wind gedrückt und machte an der Steuerbordseite Lee, so daß der Logger gut anlegen konnte. Hornblower warf seinen Spanier zurück und stellte sich so auf, daß er vom Achterdeck der Nonsuch aus gut zu erkennen war. Abgesehen von verschiedenen anderen Gründen, wollte er schon Bush zuliebe nicht überraschend an Bord kommen. Dann wandte er sich an Barbara. »Es wird Zeit, daß wir voneinander Abschied nehmen, mein Schatz«, sagte er.

Ihr Gesicht war ohne jeden Ausdruck, sie sah aus wie ein Seesoldat bei der Musterung.

»Lebe wohl, Liebster«, sagte sie. Ihre Lippen waren kalt, sie beugte sich nicht zu ihm, um sie darzubieten, sondern stand steif und starr, so daß ihm zumute war, als küßte er eine Marmorstatue. Plötzlich schmolz der eisige Panzer. »Ich habe ja Richard, Liebster, unser Kind!«

Barbara hätte nichts sagen können, was ihn mehr entzücken, seine Liebe zu ihr stärker entfachen konnte. Er zerquetschte ihr in diesem Sturm von Gefühlen fast die Hände.

Nun schoß der Logger in den Wind, die Segel knatterten lose, und schon war er in Lee des Zweideckers angelangt.

Hornblower sandte einen Blick nach oben und sah dort einen Bootsmannsstuhl baumeln, den man offenbar klar hielt, um ihn damit aufzuheißen.

»Weg mit dem Bootsmannsstuhl!« rief er, und zum Kapitän gewandt: »Scheren Sie längsseit!«

Hornblower wollte sich auf keinen Fall mit einem Bootsmannsstuhl aufheißen und über die Reling einschwingen lassen. Er wollte sein Kommando in würdiger Weise antreten, und damit war es einfach nicht zu vereinbaren, daß er sich mit baumelnden Beinen durch die Luft an Deck befördern ließ. Nun schor der Logger stampfend an das große Schiff heran, der gemalte Pfortengang befand sich in Höhe seiner Schultern, und unter ihm kochte grün das zwischen beiden Fahrzeugen gestaute Wasser. Es war ein aufregender Augenblick. Sprang er fehl und fiel ins Wasser, so daß er naß und triefend an Bord geholt werden mußte, dann war die Blamage natürlich weit größer, als wenn er sich mit einem Bootsmannsstuhl einschwingen ließ.

Nun ließ er den Spanier von den Schultern gleiten, zog sich den Hut noch einmal fest in die Stirn und achtete darauf, daß ihm der Säbel nicht zwischen die Beine kam. Dann sprang er über den meterbreiten Zwischenraum nach der Jakobsleiter und begann sofort hinaufzuklettern, als er mit Händen und Füßen Halt gefunden hatte. Dabei machten ihm nur die ersten drei Fuß Schwierigkeiten, der Rest des Weges war wegen der einspringenden Bordwand der Nonsuch einfach. Er konnte sich sogar einen Augenblick der Sammlung gönnen, ehe er die Relingspforte erreichte, und betrat dann das Deck mit aller Würde, die man von einem Kommodore erwarten konnte.

Beruflich gesehen, war dieser Augenblick der Höhepunkt seiner bisherigen Laufbahn. Als Kommandant hatte er sich an das Zeremoniell gewöhnt, das ihm als Kapitän z. S. zustand: Die Bootsmannsmate, die auf ihren Pfeifen zwitscherten, die vier Fallreepsgäste und die Seesoldatenposten. Heute aber trat er sein erstes Kommando als Kommodore an, deshalb wurde er von sechs Fallreepsgästen mit weißen Handschuhen erwartet, deshalb war die ganze Seesoldatenwache samt ihrer Musikkapelle ins Gewehr getreten, deshalb bildeten die Bootsmannsmaaten mit ihren Pfeifen zu beiden Seiten eine lange Gasse, und deshalb stand an ihrem Ende eine ganze Gruppe von Offizieren in großer Uniform. Als er den Fuß an Deck setzte, schlugen die Trommler ihren Wirbel um die Wette mit dem Seitepfiff der Maate, und dann fielen die Pfeifer ein: ›Eichenfest sind unsere Schiffe, lust'ge Seeleut sind an Bord‹ ... Die Hand grüßend am Hut, schritt Hornblower durch die Gasse der Bootsmannsmaaten und Fallreepsgäste. Es war ein erhebendes Gefühl, obwohl er sich klarzumachen versuchte, daß diese äußerlichen Ehrungen doch nichts weiter waren als kindliche Spielereien. Er mußte sich sehr zusammennehmen, um seine Gefühle nicht durch ein törichtes, verzücktes Grinsen zu verraten, es war verdammt schwer, den strengen Ernst zur Schau zu tragen, den er seinem Rang als Kommodore schuldig war.

Am Ende der Gasse stand Bush, auch er steif grüßend, das Holzbein machte ihm offenbar keinerlei Beschwerden.

Hornblower freute sich so sehr darüber, gerade diesen Mann in diesem Augenblick begrüßen zu können, daß es ihn eine neue Anstrengung kostete, den Ernst zu wahren.

»Guten Morgen, Kapitän Bush«, sagte er und gab sich dabei alle Mühe, daß seine Worte möglichst barsch klangen, auch sein Handschlag durfte nicht mehr als förmliche Kameradschaft verraten. »Guten Morgen, Sir.« Bush ließ die zum Gruß an den Hut gelegte Hand sinken und ergriff die Rechte Hornblowers. Er gab sich wirklich alle Mühe, seine Rolle gut zu spielen und darauf zu achten, daß der Handschlag nur die Achtung des Untergebenen, nicht aber persönliche Freundschaft verriet.

Hornblower bemerkte, daß seine Hand so hart war wie je - auch die Beförderung zum Kapitän z. S. hatte sie nicht weicher werden lassen. Aber Bush vermochte es nicht lange, an seinem starren Gesichtsausdruck festzuhalten. Schon begannen die blauen Augen vor Freude zu leuchten, und sogleich entwischte auch die eiserne Maske seiner Kontrolle. Er setzte ein Lächeln auf, das seinem Gesicht sofort alle Härte nahm. Da fiel es Hornblower schwerer denn je, seine Würde zu wahren.

Mit einem kurzen Seitenblick entdeckte er einen Matrosen, der eifrig an der Flaggleine des Großtopps holte. Da stieg ein schwarzes Bündel empor, und als es den Flaggenknopf erreicht hatte, riß es der Mann mit einem Ruck aus dem Handgelenk aus.

Das war sein Kommodorestander, sein Kommandozeichen, das auf dem Schiff gesetzt wurde, auf dem er eingeschifft war. Als der Stander auswehte, verkündete im gleichen Augenblick eine Rauchwolke und ein lauter Knall vom Vorschiff den Beginn des Saluts, der ihn begrüßte. Das war der höchste, der größte Augenblick. - Tausende und abertausende von Seeoffizieren dienten ihr ganzes Leben lang unter der englischen Kriegsflagge und durften doch nie ein Kommandozeichen führen, nie einen einzigen Salutschuß hören, der ihnen zu Ehren gefeuert wurde.

Jetzt war es bei Hornblower um allen Ernst und alle Würde geschehen, erst mußte er lächeln, und dann gab es kein Halten mehr. Als er Bushs Blick begegnete, lachte er vor Freude laut auf, und Bush lachte mit. In ihrem Jubel wirkten sie wie zwei Schulbuben nach einem geglückten Streich, und es war besonders reizvoll zu sehen, wie sich Bush nicht nur deshalb freute, weil er wieder unter Hornblower dienen durfte, sondern allein darum, weil er ihn so glücklich sah. Nun blickte Bush über die Backbordreling, und Hornblower folgte seinem Beispiel. Da lag der übrige Verband, die zwei häßlichen Kanonenboote, die beiden Korvetten mit ihren Großschiffstakelagen und dazu der schnittige, kleine Kutter. Bei jedem der Schiffe zeichneten sich an der Bordwand Rauchwölkchen ab, die der Wind schon im nächsten Augenblick davontrug und zerflattern ließ. Hinterher hörte man den Donner der Schüsse, durch die jedes der Schiffe den Stander salutierte, sie feuerten geschützweise, wobei sie sich im Tempo genau nach dem Flaggschiff des Kommodore richteten. Bush musterte den ganzen Vorgang mit strengem Blick und überzeugte sich prüfend, ob man auch überall nach Brauch und Vorschrift verfuhr. Als er nichts auszusetzen fand, verzog sich sein Gesicht sofort wieder zu einem fröhlichen Grinsen. Der letzte Schuß des Saluts war verklungen, ihrer elf hatte jedes Schiff zu feuern gehabt. Es war ganz interessant, dies auszurechnen, daß allein das feierliche Heißen seines Standers das Land die Kleinigkeit von fünfzig Pfund gekostet hatte, und das in einem Krieg auf Leben und Tod gegen den Tyrannen, dem schon ganz Europa zu Füßen lag. Erneutes Zwitschern der Bootsmannsmaatenpfeifen beendete die Feier, die Besatzung begab sich wieder an ihre verschiedenen Dienstverrichtungen, die Seesoldaten nahmen Gewehr über und rückten im Gleichschritt ab, daß das Deck von den Tritten ihrer Stiefel dröhnte. »Ein schönes Erlebnis, Bush, nicht wahr?« sagte Hornblower. »Bei Gott, Sir, ein wunderbares Erlebnis!«

Nun war noch der Schiffsstab vorzustellen, und Bush machte die Offiziere ihrem Kommodore der Reihe nach namentlich bekannt. Zuerst sah immer ein Gesicht wie das andere aus, aber Hornblower wußte aus Erfahrung, daß sich die Unterschiede zwischen den einzelnen Individualitäten bei dem engen Zusammenleben an Bord sehr bald offenbarten, bis man einen jeden mit allen seinen Eigenheiten zum Überdruß genau kannte.

»Ich hoffe, meine Herren, wir werden einander bald besser kennenlernen«, sagte Hornblower und gab damit seinem Gedanken in höflicher Form Ausdruck.

Mittschiffs wurde sein Gepäck mit einem an der Großrah angeschlagenen Jolltau an Bord geholt. Brown führte dabei die Aufsicht, er war inzwischen auf irgendeine unauffällige Weise, wahrscheinlich durch eine Stückpforte, an Bord gekommen. Der Logger und Barbara mußten demnach immer noch längsseit liegen. Hornblower ging an die Reling und sah hinunter.

Richtig, Barbara stand noch genauso da, wie er sie verlassen hatte, sie schien bewegungslos wie eine Statue. Aber anscheinend hatte man eben das letzte Gepäckstück übergeben, denn kaum hatte Hornblower die Reling erreicht, da warf der Logger von den Rüsten der Nonsuch los, heißte sein Großsegel und schwang sich mühelos wie eine Möwe davon.

»Herr Kapitän Bush«, sagte Hornblower, »wir gehen sofort Anker auf. Bitte, treffen Sie die nötigen Vorbereitungen, und geben Sie entsprechendes Signal an den Verband.«