9. Kapitel

Hornblower kletterte aus seinem Boot und schwang sich über die Reling der Harvey wo ihn Mound mit einer Ehrenbezeigung empfing und seine beiden Bootsmannsmaate auf ihren Pfeifen trillerten. Da krachte ganz unerwartet und kaum einen Meter von ihm entfernt ein Kanonenschuß, so daß er heftig erschrak.

Wenn der Kommodore seinen Breitwimpel auf einem anderen Schiff seines Verbandes setzte (in diesem Augenblick wurde er hoch im Großtopp der Harvey ausgerissen), war es Vorschrift, ihm von neuem zu salutieren, und dieser Salut wurde auf der Harvey mit einem der auf dem Achterschiff stehenden vier Sechspfündern abgewickelt. »Stop mit diesem Unfug!« sagte Hornblower.

Dann befiel ihn aber sofort heftiges Schuldbewußtsein. Hatte er nicht eben das geliebte Zeremoniell der britischen Navy als Unfug bezeichnet - und hatte er mit diesem unfreundlichen Ausdruck nicht erstaunlicherweise seine eigene Ehrung gemeint, eine Ehrung, die ihn doch um so mehr hätte freuen müssen, als er sie erst zum zweiten Male empfing? Der Disziplin hatte seine Unbedachtsamkeit augenscheinlich nichts geschadet, obschon der junge Mound ein breites Grinsen aufsetzte, als er den Befehl gab, das Salutschießen einzustellen.

»Brassen Sie voll, Mr. Mound, damit wir in Gang kommen!« sagte Hornblower.

Während die Harvey Fahrt aufnahm und die Math dichtauf im Kielwasser folgte, sah sich Hornblower an Bord etwas um. Dies war nämlich eine neue Erfahrung für ihn. Er hatte in seiner zwanzigjährigen Dienstzeit noch nie ein Kanonenboot im Gefecht erlebt. Hoch über ihm ragte der riesige Großmast, übrigens ein tadellos ausgeführtes Stück, mindestens ebenso schön wie der alte, im Sund abgeschossene. Die Segelfläche, die er trug, war deshalb so ungewöhnlich groß, weil sie gleichzeitig den fehlenden Vortopp ersetzen mußte. Der Besanmast stand sehr weit achtern und paßte in seiner Höhe besser zu den sonstigen Abmessungen des kleinen Fahrzeuges. Am erstaunlichsten war das Vorstag, das offenbar nötig war, um den Großmast genügend zu sichern. Es bestand nämlich aus einer eisernen Kette, die sich zwischen all dem laufenden und stehenden Gut aus Hanf seltsam genug ausnahm. Das Mittelschiff eines Kanonenboots liegt vorn - das klingt vielleicht ungereimt, gibt aber den besten Begriff von dem Aussehen eines solchen Fahrzeugs -, und dort vorn, beiderseits der Mittschiffslinie, standen auch die beiden gewaltigen Mörser, die eigentliche Ursache dieser seltsamen Bauart. Hornblower wußte, daß ihre Bettung aus einem massiven Block Eichenholz bestand, der bis zum Kielschwein hinunterreichte. Unter der Leitung eines Stückmeistersmaaten legten vier Mann eben die schweren dreizehnzölligen Granaten zurecht, die diese Mörser verschossen. Eine andere Gruppe von Leuten unter einem Bootsmannsmaaten arbeitete an einer schweren Trosse, die an Backbord achtern durch eine Geschützpforte herausgegeben und außenbords nach vorn gemannt wurde. Dort steckte man sie auf den Roring des Ankers, der an seinem Kranbalken hing. Das war die sogenannte Spring. Hornblower hatte schon oft genug eine Spring auf seine Ankerkette gesteckt, aber er hatte sie noch nie praktisch im Gefecht verwandt. Dicht neben ihm, in den Backbord-Großrüsten, schwang der Lotgast sein Blei. Da machte sich Hornblower klar, daß er das Lot wohl neun Zehntel der ganzen Zeit in Betrieb gesehen hatte, die er sich jetzt in der Ostsee aufhielt, und er nahm an, daß sich daran für die Dauer dieses Kommandos auch in Zukunft nichts ändern würde.

»Einhalb über drei!« rief der Lotgast Die Kanonenboote gingen keine neun Fuß tief.

Da drüben traf die Raven alle Vorbereitungen, sich von der Untiefe frei zu warpen, auf der sie festgekommen war.

Hornblower konnte die Kette des ausgefahrenen Ankers unterscheiden, die sich schwarz gegen das Wasser abhob. Die geknickte Vorstenge war samt dem Gewirr ihres herabhängenden Gutes bereits verschwunden. Hinter der Raven sah man jetzt langsam die Clam vorüberkriechen, und Hornblower war gespannt, ob ihr junger Kommandant, der so zigeunerhaft aussah, seine kniffligen Anweisungen wirklich alle ganz begriffen hatte. Mound stand neben ihm und führte sein Schiff. Er war der einzige Offizier an Bord, ein Fähnrich und zwei Steuermannsmaaten gingen die Wachen. Die beiden letzteren standen breitbeinig auf dem Achterdeck und maßen mit Sextanten den Höhenwinkel der Masten der Blanchefleur.

Hornblower genoß den Geist unbeschwerten Frohsinns, den er hier an Bord so deutlich spürte und den man eben nur auf Schiffen fand, deren Kommandant erst zwanzig Jahre zählte.

Die Disziplin war auf diesen kleinen Fahrzeugen etwas lockerer, Hornblower hatte oft genug mit angehört, wie uralte, mißvergnügte Kapitäne ihr Klagelied über diesen Zustand sangen. »Dreiviertel über zwo!« rief der Lotgast. Das waren siebzehn Fuß Wasser. »Wir sind in Schußweite, Sir«, meldete Mound.

»Die Treffsicherheit Ihrer Mörser ist aber größer, wenn Sie nicht auf die äußerste Entfernung zu schießen brauchen. Ist es nicht so?«

»Jawohl, Sir, außerdem hätte ich gern etwas Spielraum, für den Fall, daß er seinen Ankerplatz noch weiter zurückverlegen kann.«

»Sehen Sie aber auch zu, daß Sie genügend Platz zum Schwojen behalten. Wir wissen ja nichts über die Lage dieser Untiefen.«

»Aye, aye, Sir.«

Mound blickte noch einmal prüfend in die Runde, um sich ein Bild von der taktischen Lage zu verschaffen. Dort über den Dünen sah man die Spieren der Blanchefleur die drüben, tief in der Bucht, vor Anker lag. Und am Ende der Insel lag drohend die Batterie. Außerhalb ihrer Schußweite lag die Clam auf einer Position, von der aus sie das Innere der Bucht überblicken konnte, und die Lotus endlich blockierte die Einfahrt, um der Blanchefleur auch für den Fall ein Entwischen unmöglich zu machen, daß es ihr durch ein Wunder gelang, nach Luv aus ihrer Bucht herauszukreuzen und einen neuen Durchbruchsversuch nach Stralsund zu unternehmen. Mound war mindestens ein dutzendmal im Begriff, seine Hände in die Hosentaschen zu versenken, aber im letzten Augenblick fiel ihm jedesmal ein, daß ja der Kommodore neben ihm stand, und dann zuckte er immer erschrocken zurück. Alle paar Augenblicke wiederholte sich dieses komische Zusammenzucken, bis ihm Hornblower schließlich ein Ende machte:

»Mein Gott, Mann, so stecken Sie doch endlich Ihre Hände in die Taschen, und hören Sie mit dem Getue auf.«

»Aye, aye, Sir«, sagte Mound ein wenig erschrocken. Dann aber vergrub er die Hände dankbar in seiner Hose und genoß es, endlich die korrekte Steifheit vergessen und einen bequemen, aber höchst unmilitärischen Buckel machen zu dürfen. Er nahm noch einen letzten Rundblick, dann rief er: »Mr. Jones, let go!«

Das galt dem Fähnrich, der schon wartend vorn am Kranbalken stand. Der Anker fiel, und die Kette rasselte schnell durch die Klüse, während die Besatzung in die Riggen enterte, um die Segel festzumachen.

Langsam törnte die Harvey ein. Als sie zuletzt im Wind lag, zeigte ihr Bug fast genau auf die unsichtbare Blanchefleur.

Hornblower konnte beobachten, wie nun auch die Math beinahe querab von ihrem Schwesterschiff zu Anker ging. Mound machte sich nun mit täuschend gespielter Ruhe und Gemächlichkeit an die Vorbereitungen zum Schießen. Zunächst nahm er eine Reihe von Peilungen, um sicherzugehen, daß der Anker gut hielt. Auf seine Anordnung knotete ein Matrose einen weißen Zeugfetzen als Markierung auf die Spring, die von achtern längsdeck zum Spill genommen war, dann fischte er in seiner Tasche, brachte ein Stück Kreide zum Vorschein und malte dort, wo diese Marke saß, einen Strich an Deck. »Mr. Jones«, befahl er darauf, »hiev rund!«

Vier Mann vermochten das Spill leicht zu drehen, und während sie so die Spring einhievten, wanderte der weiße Lappen langsam über das Deck nach vorn. Die Spring lief bekanntlich durch eine der achteren Geschützpforten und von dort zu dem nunmehr weit vorn im Grund liegenden Anker.

Holte man sie ein, dann holte man damit natürlich das Heck des Schiffes herum, so daß dieses schließlich in einem Winkel zur Windrichtung lag. Die Größe dieses Winkels war, allerdings nur grob, an der Strecke abzulesen, die der weiße Lappen beim Hieven von der Kreidemarke an Deck nach vorn gewandert war.

»Weiter, Mr. Jones«, sagte Mound, während er eine rohe Peilung der Blanchefleur nahm. Klankend drehte sich das Gangspill, als die Männer an den Spaken rundum liefen. »Fest!« rief Mound nun, und sie hielten an.

»Noch ein Fall«, sagte er dann wieder. Jetzt peilte er den Großmast der Blanchefleur mit größter Sorgfalt.

»Klank!« sagte das Spill, als die Männer sich einen Augenblick mit ihrem Körper gegen die Spaken legten. »Und noch eins.«

»Klank!«

»Ich glaube, es stimmt, Sir«, sagte Mound. Die Mittschiffslinie der Harvey zeigte nun genau auf die Blanchefleur.

»Natürlich kann sich die Kette noch strecken, auch der Anker selbst holt sich vielleicht noch etwas durch den Grund, aber es ist ganz einfach, trotzdem die Richtung genau festzuhalten, indem man die Spring eine Kleinigkeit fiert oder einholt.«

»Ja, gewiß«, sagte Hornblower.

Theoretisch war er mit der Handhabung von Kanonenbooten vertraut; um so interessanter, ja aufregender war für ihn die unmittelbar bevorstehende praktische Erprobung. Seit er damals in einer verzweifelten Lage versucht hatte, von der Witch of Endor aus mit einem Sechspfünder auf größere Entfernung ein Boot zu treffen, war Hornblower sich darüber im klaren, daß das Schießen auf See eine höchst unvollkommene Kunst war, die man, wenn irgend möglich, verbessern sollte. Zur Zeit schoß man immer noch mehr oder weniger nach Giß, und das Treffen war buchstäblich Glückssache. Das Schießen mit dem Mörser eines Kanonenbootes stellte in der Marineartillerie den Höhepunkt der Entwicklung dar. Wenn es sich auch eigentlich um einen illegitimen Zweig der seemännischen Schießkunst handelte, so erzielte man damit einstweilen doch weitaus die besten Ergebnisse. Man schoß mit steiler Flugbahn und geringer Mündungsgeschwindigkeit, man vermied mit den kurzen Rohren alle Fehlerquellen, die sich aus den Ungenauigkeiten in der Bohrung der Geschütze ergaben, und erzielte so eine erstaunliche Treffsicherheit. »Ich bitte, jetzt nach vorn gehen zu dürfen«, sagte Mound, »ich lege nämlich besonderen Wert darauf, meine Zünder selbst abzuschneiden.«

»Ich komme mit«, sagte Hornblower.

Die Mörser standen wie zwei mächtige Kochkessel auf dem Vordeck des kleinen Bootes.

»1100 Yards«, sagte Mound, »versuchen wir es zuerst mit eindreiviertel Pfund Pulver, Mr. Jones.«

»Aye, aye, Sir.«

Das Pulver war in Beuteln zu einem, einem halben und einem viertel Pfund verpackt. Der Fähnrich riß von jeder Größe einen auf, schüttete den Inhalt in den Steuerbordmörser und preßte die ganze Ladung mit einem riesigen Filzpfropfen nieder. Mound hatte einen Maßstab in der Hand und blickte eine Weile angestrengt kopfrechnend zum Himmel. Dann beugte er sich über eine der dicken Granaten und schnitt deren Zündschnur nach sorgfältigster Messung mit einer Schere ab.

»Einen und elfsechzehntel Zoll, Sir«, sagte er, als wollte er sich rechtfertigen. »Im Grunde habe ich mich nur gefühlsmäßig für diese Länge entschieden. Die Zündschnur brennt ja nach dem Wetter verschieden schnell, und für heute scheint es mir so gerade richtig. Natürlich soll die Granate nicht in der Luft krepieren, wählt man aber die Zündschnur zu lang, dann gelingt es womöglich einem der Froschfresser, sie auszumachen, ehe die Granate krepiert.«

»Natürlich«, sagte Hornblower.

Jetzt wurde die große Granate angehoben und in die Mündung des Mörsers eingeführt. Etwas tiefer in dessen Innerem verengte sich plötzlich die Bohrung und bildete dadurch eine Stufe, auf welcher der vorspringende Rand der Granate sicher auflag. Die geschwungene Spitze des dreizehnzölligen Geschosses, aus der die Zündschnur heraushing, schnitt genau mit der Mündung des Mörsers ab.

»Heiß den roten Doppelstander!« rief Mound nun mit erhobener Stimme, so daß der Steuermannsmaat auf dem Achterdeck den Befehl verstand.

Hornblower nahm sein Glas an das Auge und beobachtete die Clam die einige Meilen entfernt zwischen den Sänden vor Anker lag. Der Signalcode, der nun zur Anwendung kam, war unter seiner persönlichen Anleitung aufgestellt worden, und nun war er geradezu darauf erpicht, daß er auch einwandfrei arbeitete. Solche Signale wurden ja so leicht mißverstanden.

Jetzt stieg an der Gaffelpiek der Clam ein roter Doppelstander empor. »Verstanden, Sir«, rief der Steuermannsmaat.

Mound ergriff den schwelenden Luntenstock und hielt ihn an die Zündschnur der Granate. Diese fing sofort Feuer und ließ ein leises Sprühen hören. »1-2-3-4-5«, zählte Mound langsam. Das Sprühen hörte nicht auf. Offenbar ließ er vor dem Schuß noch diese fünf Sekunden verstreichen, um sicherzugehen, daß die Zündschnur auch einwandfrei brannte. Wenn es sich als nötig erwies, konnte er sie dann noch einmal in Brand setzen.

Nun drückte er den Luntenstock in das Zündloch des Mörsers, der sich sofort mit donnerndem Getöse entlud. Hornblower stand unmittelbar dahinter und konnte beobachten, wie die Granate stieg. Der glühende Funke der Zündschnur zeichnete ihre Bahn an den Himmel. Höher stieg sie und höher, und er verlor sie erst aus den Augen, als sie wieder zu fallen begann, weil sie sich nun senkrecht zu seiner Blickrichtung bewegte. Sie warteten und warteten - nichts.

»Vorbei«, sagte Mound. »Nieder den Doppelstander!«

» Clam setzt weißen Wimpel, Sir«, rief der Steuermannsmaat.

»Das heißt ›Weitschuß‹ «, sagte Mound, »jetzt, bitte, eineinhalb Pfund Pulver, Mr. Jones.«

Math hatte zwei rote Doppelstander gesetzt, und Clam wiederholte das gleiche Signal. Um jede Verwechslung zu vermeiden, hatte Hornblower bestimmt, daß alle Signale, die die Math betrafen, verdoppelt werden sollten. Dann konnte es nicht vorkommen, daß die Harvey irrtümlich die Fehler der Math verbesserte und umgekehrt. Nun donnerte der Mörser der Math daß es laut über das Wasser scholl. Von der Harvey aus war die Flugbahn der Granate nicht zu verfolgen. »Clam setzt zwei gelbe Flaggen, Sir.«

»Das heißt, die Math liegt kurz«, sagte Mound. »Heiß den roten Doppelstander.«

Wieder feuerte der Mörser, wieder stieg der Funke der Zündschnur zum Himmel empor und verschwand, wieder kein Aufschlag, keine Wirkung. »Clam zeigt weißen Wimpel, Sir.«

»Was, schon wieder weit?« sprach Mound verwundert. »Ich hoffe nur, daß die da drüben nicht schielen.«

Nun feuerte wieder die Math und wurde diesmal von der Clam durch zwei weiße Wimpel belohnt. Das hieß, daß die zweite Granate das Ziel überschossen hatte, während die erste kurz gefallen war. Für die Math mußte es nun ein leichtes sein, das Ziel zu fassen. Mound kontrollierte noch einmal die Peilung.

»Stimmt noch genau«, brummte er vor sich hin. »Mr. Jones, nehmen Sie von den eineinhalb Pfund ein Achtel weg.«

Unterdes versuchte Hornblower sich vorzustellen, was der Kommandant der Blanchefleur drüben auf der anderen Seite der Nehrung in diesem Augenblick unternehmen mochte.

Wahrscheinlich hatte er sich bis zum ersten Schuß der Kanonenboote ganz sicher gefühlt, weil er bestimmt annahm, daß nur ein Angriff auf die Küstenbatterie für ihn gefährlich werden konnte. Nun schlugen plötzlich ganz dicht um sein Schiff herum diese Granaten ein, und er war weder imstande, darauf zu antworten, noch sonst irgendwelche wirksamen Maßnahmen zu seiner Verteidigung zu ergreifen. Anker aufzugehen war sicherlich alles andere als einfach für ihn, da er ganz am inneren Ende der schmalen Lagune lag. Die nähere, südliche Ausfahrt war ganz flach, nach den Brechern zu urteilen kam dort nicht einmal ein Ruderboot durch. Nach Norden zu aber hätte er bei der herrschenden Windrichtung kreuzen müssen, um näher an die schützende Batterie heranzukommen; das jedoch war in der schmalen Fahrrinne ganz ausgeschlossen.

Wahrscheinlich reute es ihn jetzt, so weit in Lee geankert zu haben, er hatte wohl angenommen, sein Schiff damit am besten gegen Überfall und Wegnahme zu sichern. So, wie die Dinge lagen, konnte er sich höchstens mit Hilfe seiner Boote oder durch Warpen näher an die Batterie heranarbeiten, nahe genug, daß ihre Geschütze die Kanonenboote außerhalb des Schußbereichs ihrer Mörser zu halten vermochten. »Roter Doppelstander wird gedippt, Sir!« meldete aufgeregt der Steuermannsmaat.

Das bedeutete wieder einen Kurzschuß, aber diesmal dicht am Ziel. »Zwei Prisen mehr Pulver, Mr. Jones«, sagte Mound.

Wieder donnerte der Mörser der Math und diesmal sahen sie die Granate krepieren, anscheinend genau über den Toppen der Blanchefleur. Dort stand plötzlich ein dicker Ballen Qualm, und etwas später hörte man schwach den Knall der Detonation.

Mound schüttelte dazu ernst den Kopf. Entweder hatte Duncan da drüben nicht aufgepaßt, als er seine Zündschnur abschnitt, oder aber diese war schneller abgebrannt als gewöhnlich. Zwei blaue Flaggen an der Gaffelpiek der Clam bedeuteten, daß die Lage des Schusses nicht beobachtet worden war - das Signalverfahren arbeitete also immer noch einwandfrei. Wieder beugte sich der schlaksige Mound nach vorn und hielt seinen Luntenstock erst an die Zündschnur und dann an das Zündloch.

Wieder donnerte der Mörser, und diesmal wollte es irgendeine ballistische Laune, daß ein brennendes Stück des filzenen Verschlußpfropfens dicht über Hornblowers Kopf hinwegflog, so daß er sich erschrocken duckte, während ihn der dicke Mündungsqualm ganz in Nebel hüllte. Als er wieder aufsah, entdeckte er hoch oben am Himmel gerade noch den Funken der Zündschnur, der im Scheitelpunkt der Flugbahn etwas zu zögern schien, ehe er den Blicken entschwand und seinen Sturz in die Tiefe begann. Hornblower, Mound, Tones, die ganze Bedienung des Mörsers, alle warteten gespannt auf das Ergebnis. Da zeigte sich über dem Rand der Düne eine Spur weißen Rauches, und gleich darauf drang auch der Knall der krepierenden Granate zu ihnen herüber. »Ich glaube, das war ein Treffer, Sir«, sagte Mound mit gutgespielter Gleichgültigkeit.

»Clam setzt schwarzen Ball im Topp, Sir!« rief der Steuermannsmaat. Das bedeutete wirklich einen Treffer. Eine dreizehnzöllige Granate war aus riesiger Höhe auf das Deck der Blanchefleur gefallen und dort explodiert. Hornblower konnte sich keine Vorstellung machen, welche Zerstörungen sie dort verursacht haben mochte.

»Salve aus beiden Mörsern!« stieß Mound jetzt heiser hervor - er hatte alles Posieren vergessen. »Gebt's ihnen, Kerls!«

Zwei gedippte weiße Wimpel auf der Clam bedeuteten, daß der nächste Schuß der Math auch dicht am Ziel, aber etwas zu weit lag. Dann brüllten die beiden Mörser der Harvey gleichzeitig auf, und der Rückstoß drückte so stark auf den Bug des kleinen Fahrzeuges, daß es vorn kräftig eintauchte. Und schon stieg der schwarze Ball wieder in den Topp der Clam.

»Wieder ein Treffer!« jubelte Mound.

Da wanderten die Stengen der Blanchefleur die über die Dünen herübersahen, plötzlich auseinander, ein Zeichen, daß sie sich drehte. Ihre Mannschaft machte wohl den verzweifelten Versuch, sie durch die Fahrrinne zurückzuschleppen oder zu warpen.

»Gebe Gott, daß wir sie zum Wrack schießen, ehe sie außer Reichweite ist!« sagte Mound. »Hol's der Teufel, warum schießt die Math nicht?« Hornblower sah ihm genau auf die Finger.

Natürlich war die Versuchung für ihn sehr groß, seine Mörser sofort wieder abzufeuern, sobald sie geladen waren, ohne sich weiter um die Math und die vereinbarte abwechselnde Schußfolge zu kümmern. Aber er durfte diesem Wunsch auf keinen Fall nachgeben, weil das die Beobachter auf der Clam verwirren mußte und damit unter Umständen den ganzen Erfolg in Frage stellte. Da fiel auf Math auch schon der Schuß, und die Clam zeigte mit zwei schwarzen Bällen an, daß auch sie einen Treffer erzielt hatte. Aber inzwischen hatte die Blanchefleur ihre Drehung beendet, und Hornblower konnte feststellen, daß sich ihre Stengen auf dem Dünenrand um ein winziges, kaum wahrnehmbares Stückchen verschoben, es handelte sich um einen, höchstens zwei Meter. Wieder feuerte Mound seine beiden Mörser ab, und noch ehe die Granaten am Ziel waren, sprangen seine Männer ans Spill und warfen sich gegen die Spaken. Klank, klank! Zweimal sprangen die Fallen über die Sperrzähne, als sie die Spring etwas einholten, um das Kanonenboot ein bißchen weiter herumzuschwenken und die Mörser am Ziel zu halten. In diesem Augenblick verschwand die Vorstenge der Blanchefleur nur Groß- und Besanmast blieben sichtbar.

»Ha, wieder ein Treffer!« rief Hornblower, und die Worte schossen ihm hervor wie der Pfropfen aus einem Luftgewehr. Er war aufgeregt wie ein Schuljunge und ertappte sich dabei, daß er an Deck richtige Luftsprünge machte. Der Fockmast war also weg, er versuchte sich auszumalen, welche Zerstörungen diese Granaten verursachen mußten, wenn sie auf den schwachen Holzdecks da drüben einschlugen. Nun sah man über dem Dünenkamm auch Rauch aufsteigen, und zwar mehr, als man von der Detonation der Granaten allein erwarten konnte.

Überdies war dieser Qualm auch auffallend schwarz, so daß es schien, als ob ein Brand ausgebrochen sei. Großmast und Besanmast kamen nun wieder in Linie, daß hieß, die Blanchefleur legte sich wieder quer zur Fahrrinne. Das beabsichtigte Manöver schien ihr nicht mehr zu gelingen.

Vielleicht hatte eine Granate ihre Warpankertroß getroffen oder die schleppenden Boote beschädigt.

Wiederum feuerte die Math und nun zeigten zwei gedippte rote Doppelstander, daß ihre beiden Granaten kurz, aber dicht am Ziel lagen - die Blanchefleur mußte ein merkliches Stück quer zur Fahrrinne getrieben sein. Mound zog gleich den richtigen Schluß und ließ die treibende Pulverladung seiner Mörser entsprechend vergrößern. Da war wieder Rauch, zweifellos stammten diese wirbelnden Schwaden von der Blanchefleur. Jetzt war es sicher, daß sie brannte. Und daraus, daß sie sich nun überhaupt nicht mehr rührte - Hornblower stellte fest, daß die Verschiebung der Stengen gegen die Sanddünen des Vordergrundes ganz aufgehört hatte -, konnte man entnehmen, daß sie auf Grund saß. Wieder schoß Mound, wieder warteten sie. Da fiel der Besanmast, er neigte sich langsam zur Seite, und gleich hinterher verschwand auch der Großmast. Außer dem Rauch, der immer stärker aufbrodelte, war jetzt nichts mehr zu sehen. Mound blickte Hornblower fragend an, er erwartete einen Befehl.

»Weiterfeuern«, befahl Hornblower mit belegter Stimme. Er hatte die Pflicht, dafür zu sorgen, daß der Blanchefleur gründlich der Garaus gemacht wurde, auch auf die Gefahr hin, daß ihre Besatzung an Bord bei lebendigem Leibe verbrannte.

Wieder donnerten die Mörser los, wieder durchmaßen die Granaten ihre steile Bahn, zehn volle Sekunden stiegen sie, ehe sie wieder zu fallen begannen. Die Clam signalisierte: »Weit, dicht am Ziel.« Dann kam wieder die Math und die Clam gab »Treffer«. Hornblower machte sich mit der Kraft seiner Phantasie ein Bild davon, wie die Granaten vom Himmel herab mitten unter die Besatzung der Blanchefleur fielen, die, eingehüllt in Rauch und Flammen, alles daransetzte, ihr brennendes, entmastetes und gestrandetes Schiff zu retten. Nur für den Bruchteil einer Sekunde sah er diese Bilder vor seinem geistigen Auge aufsteigen. Kaum hatte nämlich Mound das Signal der Clam erkannt und den Luntenstock vorgestreckt, um eine neue Salve abzufeuern, da ließ ihn, ehe er noch die Zündschnüre in Brand zu setzen vermochte, der Donner einer heftigen Explosion innehalten. Hornblower riß sein Glas ans Auge. Über den Dünen stieg eine riesige schwarze Rauchsäule auf, und er glaubte zu erkennen, daß darin kompakte Dinge - waren es menschliche Körper oder Wrackteile? - durch die Luft wirbelten. Das Feuer oder eine der letzten Granaten der Math hatte die Pulverkammer der Blanchefleur erreicht.

»Signal an Clam Mr. Mound«, sagte Hornblower. »Was sehen Sie vom Feind?«

Sie warteten auf die Antwort.

»Gegner - völlig - vernichtet, Sir«, las der Steuermannsmaat ab, und die Besatzung brach in ein wildes Hurra aus.

»Sehr gut, Mr. Mound. Ich glaube, wir wollen von diesen Untiefen weg, ehe es dunkel wird. Bitte setzen Sie das Rückrufsignal mit Anruf für Clam und Lotus.

Die wässerige Sonne dieser nördlichen Breiten war recht trügerisch. Sie gab ihren freundlichen Schein, wärmte aber dabei nicht ein bißchen. Jedenfalls wurde Hornblower jetzt mit einem Male von heftigem Zittern befallen, das kurze Zeit anhielt. Er hatte stundenlang untätig an Deck der Harvey gestanden, und zwar dummerweise ohne Mantel - so versuchte er sich wenigstens seinen Zustand zu erklären. Dabei wußte er ganz genau, daß diese Erklärung nicht den Kern der Sache traf.

Spannung und Aufregung waren nun vorbei, was blieb, waren Schwermut und Niedergeschlagenheit. Ein Schiff zu zerstören, das selbst keine Möglichkeit besaß, das Feuer zu erwidern, war eine brutale, unmenschliche Aufgabe. Später, in seinem Bericht, nahm sich das ganze Unternehmen bestimmt glänzend aus, und er konnte sich gut vorstellen, wie die Kameraden einander von seinem neuesten Erfolg erzählten: Ein großes französisches Kaperschiff unter den Augen der Schweden und der Franzosen und noch dazu inmitten unzähliger Untiefen zu vernichten, das war ja auch wirklich keine Kleinigkeit. Das Gefühl für die unrühmliche Kehrseite dieser Aktion blieb wahrscheinlich ihm allein vorbehalten.