17. Kapitel
Der Festlandssommer war hier im Norden wie immer über Nacht gekommen. Während der vergangenen Woche vor Pillau war entschieden immer noch ein winterlich scharfer Hauch in der Luft zu spüren gewesen; heute, da Riga noch eben unter der Kimm lag, war voller, richtiger Sommer. Die brennende Hitze dieses Tages hätte den Doldrums Ehre gemacht, hätte die Luft nicht dennoch jene belebende Kraft besessen, die den Tropen fremd ist. Die Sonne stand wie eine Scheibe aus Messing am wolkenlosen Himmel, dabei war aber doch so viel Dunst in der Luft, daß die Kimm ihre Schärfe verlor. Es wehte eine leichte Zweimeilenbrise; da sie aus SW kam, reichte sie gerade aus, die Nonsuch unter allen Segeln - einschließlich der Leesegel zu beiden Seiten der Royals - im Steuer zu halten. Das Geschwader holte so viel Fahrt heraus, wie unter den gegebenen Umständen irgend möglich war; die Lotus stand Steuerbord vorn mit dem Rumpf unter der Kimm, die Raven folgte achtern ganz in der Nähe, und die Kanonenboote kamen in großem Abstand hinterher. Unter den heutigen Windverhältnissen war sogar die schwerfällige Nonsuch imstande, sie auszusegeln. Allenthalben herrschte tiefster Friede. Auf dem Vorschiff überholte eine Gruppe von Seeleuten unter Anleitung des Segelmachers ein Großsegel, auf dem Mitteldeck holte eine andere Gruppe einen sogenannten ›Bären‹an Deck hin und her. Ein›Bär‹ ist eine riesige, mit Sand beschwerte Kokosmatte, er taugt noch besser zum Scheuern der Decksplanken als Sand und Steine. Auf dem Achterdeck hielt der Steuermann Unterricht in Navigation, seine Maaten und Fähnriche standen mit ihren Sextanten in der Hand im Halbkreis um ihn herum. Hornblower trat nahe genug heran, um hören zu können, wie ein Fähnrich - noch ein Kind vor dem Stimmbruch - seine Antwort auf die Frage herunterleierte, die soeben auf ihn abgefeuert worden war.
»Die Parallaxe ist der Winkel zwischen einer Linie vom Gestirn zum Erdmittelpunkt und einer Linie... und einer Linie... einer Linie...« Der Fähnrich hatte plötzlich zu seinem Schrecken bemerkt, daß der Kommodore hinter ihm stand. Seine Stimme begann zu zittern und erstarb dann völlig. Bis zu diesem Punkt hatte er Nories Leitfaden der Navigation wortwörtlich aufgesagt.
Es war übrigens der junge Gerard, der Neffe des Zweiten Offiziers der Sutherland. Hornblower hatte ihn seinem Onkel zuliebe an Bord genommen, der immer noch in einem französischen Gefängnis saß. Der Steuermann runzelte seine Brauen. »Los, weiter, Mr. Gerard«, sagte er.
Hornblower sah im Geist den jungen Gerard schon vor sich, wie er, über ein Geschützrohr gebeugt, mit Hilfe eines geschmeidigen Stockes wenigstens darüber belehrt wurde, daß man Nories Leitfaden unbedingt auswendig können müsse. Da ihm der Junge leid tat, griff er eilends ein. zwischen einer Linie vom Erdmittelpunkt zum Gestirn«, sagte er über Gerards Schulter hinweg, »und einer Linie vom Auge des Beobachters zum Mittelpunkt des Gestirns. Ist das richtig, Mr. Tooth?«
»Ganz richtig«, sagte der Steuermann.
»Ich glaube, Mr. Gerard hat es gewußt, nicht wahr, mein Junge?«
»Ja. Jawohl, Sir.«
»Das dachte ich mir, ich war auch in deinem Alter, als ich diesen Satz lernte.«
Hornblower nahm seinen Spaziergang wieder auf und hoffte, daß er Gerards mageres Hinterteil vor einer unsanften Behandlung bewahrt hatte. Daraus, daß der Fähnrich der Wache aufgeregt nach Tafel und Griffel rannte, entnahm er, daß auf einem Schiff des Verbandes ein Signal wehte. Zwei Minuten später trat der Fähnrich mit der Meldung in der Hand grüßend auf ihn zu. »Lotus an Kommodore: ›Land in Sicht in Süd‹ .«
Das war wohl Pissen, das an der Südseite der Einfahrt zum Rigaischen Meerbusen lag.
»Antworten Sie: ›Drehen Sie bei und erwarten Sie Kommodore‹ « Wenn es nicht so diesig wäre, müßte die Insel Ösel im Norden aus dem Topp gerade noch zu erkennen sein. In diesem Augenblick überschritten sie also die Schwelle zu neuen Abenteuern. Einige siebzig Meilen weiter, im innersten Winkel der Bucht, lag die Stadt Riga und erzitterte wahrscheinlich gerade in diesem Augenblick bereits unter dem Angriff der Armeen Bonapartes. Er aber brauchte bei dieser bloßen Andeutung einer Brise gewiß noch mehrere Tage, ehe er die Stadt erreichte. Die Tatsache, daß sie nun erneut in die russischen Hoheitsgewässer einliefen, brachte nicht die geringste Störung in das ruhige Gleichmaß des Bordlebens.
Alles und jedes nahm nach wie vor seinen planmäßigen Verlauf, und doch wurde Hornblower von einer dunklen Ahnung gepackt, als ob mancher, der jetzt mit ihm in diese Bucht einlief, nie mehr herauskommen sollte - wer wußte es, vielleicht kam keiner davon. Obgleich die Sonne heiß vom strahlenden Himmel auf ihn herunterbrannte, konnte er sich nur schwer von einem Frösteln befreien, das ihn bei all diesen düsteren Vorahnungen plötzlich befiel. Also auch er selbst - war es nicht ein seltsamer Gedanke, daß er ausgerechnet hier begraben sein sollte?
Irgendwer, die Russen, die Schweden oder die Finnen, hatte den Schiffahrtsweg durch die trügerischen Untiefen der Bucht von Riga gut ausgebojt. Obwohl das Geschwader für die Nacht ankern mußte, erlaubte es ein leichtes Auffrischen und Ausschießen des Windes, bis zum Abend des folgenden Tages das innerste Ende der Bucht zu erreichen. Am Mittag trafen sie einen Lotsen, einen Mann mit einem riesigen Vollbart, der selbst bei dieser glühenden Hitze Seestiefel und eine dicke, warme Jacke trug. Als Hornblower ihn mit Fragen über den Kriegsverlauf zu bestürmen begann, blinzelte er ihn an wie eine Eule. Ja, man hatte preußische und französische Kavalleriepatrouillen gesehen, die gegen Riga vorgingen. Und was den Hauptkampf betraf, da erzählte man sich von einer wütenden Schlacht bei Smolensk, und die Leute erwarteten allgemein, daß Bonaparte dort geschlagen würde. In Riga sehe es so aus, als träfe man Vorbereitungen für eine Belagerung - jedenfalls sei eine Unmenge Soldaten dort. Gestern sei er mit seinem Kutter ausgelaufen, da habe man überall Aufrufe angeschlagen, in denen das Volk aufgefordert wurde, bis zum letzten Mann zu kämpfen. Aber niemand könne sich im Ernst vorstellen, daß die Franzosen die Stadt wirklich angreifen würden.
Hornblower wandte sich zuletzt ungeduldig ab. Das war auch wieder so ein ahnungsloser Zivilist, der nichts von dem wußte, was wirklich vorging, und den Ernst der Lage keineswegs begriffen hatte. Livland, das in vergangenen Jahrhunderten ständig der Kampfplatz Nordeuropas gewesen war, hatte während der letzten drei Generationen keinen Gegner im Lande gesehen und alle Überlieferungen von früheren feindlichen Einfällen vergessen. Hornblower dachte nicht daran, mit seinem Geschwader in die Düna (seltsame Namen hatten diese Russen!) einzulaufen, wenn die geringste Gefahr bestand, daß ihm der Rückweg abgeschnitten wurde. Er starrte durch sein Glas nach dem flachen grünen Ufer hinüber, das nun endlich auch von Deck aus zu sehen war. Fast genau hinter dem Geschwader ruhte die Sonne in einem feurigen Wolkenbett auf dem Horizont, aber es blieb immer noch mindestens zwei Stunden hell. Die Nonsuch näherte sich leise und stetig ihrem Ziel, Riga.
Da trat Busch auf ihn zu und hob grüßend die Hand an den Hut.
»Verzeihung, Sir, hören Sie es auch? Sollte das Geschützfeuer sein?« Hornblower lauschte angespannt zum Land hinüber. »Ja, weiß Gott, das ist Geschützfeuer!« sagte er.
Ein ganz schwaches, leises Brummen drang vom fernen Ufer gegen den Wind bis hierher.
»Die Froschfresser sind uns zuvorgekommen«, sagte Bush.
»Halten Sie sich bitte klar zum Ankern«, sagte Hornblower.
Langsam kroch die Nonsuch voran und glitt mit drei bis vier Knoten Fahrt dem Lande zu. Das Wasser ringsum war jetzt graugelb von dem Schlick, den der mächtige Strom zum Meer beförderte. Die Mündung der Düna war nur noch eine bis zwei Meilen entfernt. Nach den starken Frühjahrsregen und der Schneeschmelze führte sie bestimmt Hochwasser. Ein durch Tonnen bezeichneter Mittelgrund erlaubte Hornblower die genaue Bestimmung seines Schiffsortes. Danach gelangte er allmählich in den Bereich weittragender Geschütze, die an jenem flachen grünen Strand stehen mochten. Steuerbord vorn kam jetzt eine Kirche in Sicht, die in der gelben Flut zu stehen schien, ihr Zwiebelturm war von einem goldenen Kreuz gekrönt, das sogar auf diese Entfernung in der roten Glut des Sonnenunterganges leuchtete. Das war sicher der Ort Dünamünde am linken Stromufer. War er in französischer Hand, dann war das Einlaufen in die Mündung gefährlich und, wenn sie bereits schwere Geschütze aufgefahren hatten, unmöglich.
Vielleicht war es schon soweit.
»Kapitän Bush«, sagte Hornblower, »ich wäre Ihnen verbunden, wenn Sie jetzt zu Anker gingen.«
Die Kette rasselte durch die Klüse, und die Nonsuch törnte in den Wind, während die Leute in die Toppen enterten, um die Segel festzumachen. Als eben die anderen Schiffe heranschlossen und gleichfalls ihr Ankermanöver vorbereiteten, beschlich Hornblower das Gefühl, übereilt gehandelt zu haben, am meisten bedauerte er, daß die Dunkelheit einbrach, ehe er Verbindung mit Land aufgenommen hatte.
»Lassen Sie mein Chefboot klarmachen«, befahl er. »Kapitän Bush, ich werde mich auf Harvey einschiffen. Während meiner Abwesenheit übernehmen Sie die Führung des Verbandes.«
Mound stand an Deck und empfing ihn grüßend, als er sich über das niedrige Schanzkleid der Harvey schwang. »Los, Mr. Mound, vollgebraßt! Wir wollen mit Kurs auf die Kirche da drüben näher ans Ufer heran. Sorgen Sie für einen guten Lotgast.«
Das Kanonenboot glitt wie ein Schatten über das glatte Wasser, sein Anker war gekattet und klar zum Fallen. Der Himmel war auch jetzt noch hell genug, denn hier auf 57 Grad nördlicher Breite sank die Sonne um diese Zeit kurz vor der Sonnenwende nur noch wenig unter den Horizont. »Der Mond geht in einer Stunde auf, Sir«, sagte Mound, »er ist dreiviertel voll.«
Der Abend war wunderbar kühl und erfrischend, und das Schiff glitt lautlos über die silberne Fläche. Nur am Bug vernahm man das leiseste Plätschern. Jetzt noch ein paar hübsche Mädchen, kam es Hornblower in den Sinn, und ein Gitarrenspieler dazu, und wir haben die schönste Segelpartie. Da fiel ihm an Land etwas auf, er riß sein Glas ans Auge, und Mound tat im selben Augenblick das gleiche.
»An Land sind Lichter zu sehen«, sagte Mound.
»Das sind Biwakfeuer«, gab Hornblower zur Antwort. Wie Biwakfeuer von weitem aussahen, wußte er, weil er sie von früher kannte - er dachte an die Feuer von El Supremos Armee in Zentralamerika und die Feuer seines eigenen Landungskorps damals in Rosas. Sie funkelten rötlich im Zwielicht und bildeten einigermaßen ausgerichtete Reihen. Hornblower schwenkte sein Glas und entdeckte gleich noch eine zweite Gruppe solcher Feuer. Zwischen der einen und der anderen Anhäufung war ein dunkler Zwischenraum, auf den er Mound aufmerksam machte:
»Ich glaube, das ist das Niemandsland zwischen den beiden Parteien«, sagte er. »Wahrscheinlich halten die Russen das Dorf auf dem linken Flußufer.«
»Wäre es nicht denkbar, daß alle diese Feuer französisch sind, Sir?« fragte Mound. »Oder alle russisch?«
»Nein«, sagte Hornblower. »Soldaten fällt es nicht ein, zu biwakieren, wenn sie in Dorfquartieren unterkommen können, wo sie ein Dach über dem Kopf haben. Wenn diese Truppen hier nicht am Feind stünden, dann schliefe jetzt alles friedlich in den Betten und Scheunen der Bauern.«
Es entstand eine lange Pause, während derer Mound die Worte Hornblowers verarbeitete.
»Zwei Faden, Sir«, sagte er schließlich. »Wenn Sie gestatten, möchte ich abfallen.«
»Sehr schön, tun Sie das, aber halten Sie sich so dicht unter Land, als Ihnen zulässig scheint.«
Die Harvey fiel ab, bis sie den Wind querein hatte, ein paar Seeleute fierten die Großschot. Über Land ging rund und rot der Mond auf. Die Kuppel der Kirche stand als schwarze Silhouette davor. Da hörte man den scharfen Ruf des Ausguckpostens vom Bug.
»Boot voraus! Noch gut frei an Backbord. Ein Ruderboot, Sir!«
»Fangen Sie mir dieses Boot, Mr. Mound, wenn Sie irgend können!«
»Aye, aye, Sir, zwei Strich Steuerbord! Die Gig klar!
Bootsbesatzung an Deck!«
Jetzt war, nicht weit voraus, der undeutliche Umriß des Bootes zu unterscheiden. Man konnte sogar die hellen Spritzer sehen, die seine Riemen bei jedem Schlag verursachten.
Hornblower fiel gleich auf, wie ungeschickt diese Bootsbesatzung pullte, auch der Bootssteuerer stellte sich nicht eben begabt an, wenn ihm daran lag, der Gefangennahme zu entgehen. Wollte er das nämlich, dann hätte er sofort flaches Wasser aufsuchen müssen, statt sich auf ein Wettrennen Ruder gegen Segel einzulassen, dessen Ausgang selbst bei dieser leichten Brise nicht zweifelhaft war. Es dauerte Minuten, ehe sie auf den Gedanken kamen, sich dem Ufer zuzuwenden, bis dahin aber war ihr Vorsprung schon stark zusammengeschrumpft.
»Hart Steuerbord!« schrie Mound. »Gig zu Wasser!«
Die Harvey drehte in den Wind. Während sie allmählich Fahrt verlor, klatschte die Gig ins Wasser, und die Bootsbesatzung stürzte sich hinein. »Ich brauche Gefangene!« rief Hornblower dem ablegenden Boote nach. »Aye, aye, Sir«, kam die Antwort, während schon die ersten Ruderschläge das Wasser peitschten.
Unter den Schlägen ihrer geübten Bootsbesatzung kam die Gig dem unbekannten Boote rasch auf. Als sie trotz der Mondhelle aus Sicht kam, hatte sich der Abstand zwischen den beiden Booten schon beträchtlich verringert. Da flammte plötzlich ein halbes Dutzend roter Mündungsfeuer auf, und gleich darauf drang auch der schwache Knall von Pistolenschüssen über das Wasser. »Hoffentlich sind es keine Russen, Sir«, sagte Mound.
Diese Möglichkeit machte auch Hornblower zu schaffen und versetzte ihn in unruhige Spannung. Aber er gab barsch zur Antwort:
»Ach was, die Russen würden nicht vor uns ausreißen. Sie können nicht annehmen, daß sich hier etwa französische Schiffe herumtreiben.« Es dauerte nicht lange, da tauchten beide Boote wieder aus dem Halbdunkel auf. Sie ruderten mit langsamen Schlägen.
»Wir haben sie alle, Sir«, antwortete eine Stimme auf Mounds Anruf. Fünf Gefangene wurden über das Schanzkleid der Harvey geschoben und gestoßen, einer von ihnen stöhnte vor Schmerz, weil eine Pistolenkugel seinen Arm durchschlagen hatte. Man schaffte eine Laterne herbei, um sie anzuleuchten, und Hornblower seufzte erleichtert auf, als er auf der Brust des Führers den glänzenden Stern der Ehrenlegion erkannte. »Ich bitte Sie um Angabe Ihres Namens und Ihrer Dienststellung, Monsieur«, sagte er höflich in französischer Sprache.
»Jussey, Bataillonkommandeur im Geniekorps der kaiserlichen Armeen.« Also ein Major der Pioniere, das war kein übler Fang. Hornblower machte eine Verbeugung und stellte sich vor. Unterdes überlegte er fieberhaft, wie er diesen Major dazu bringen könnte, alles zu sagen, was er wußte. »Ich bedaure außerordentlich«, sagte er dann, » daß ich Monsieur le Chef de Bataillon als meinen Gefangenen betrachten muß, und noch dazu bei Beginn eines so aussichtsreichen Feldzuges. Aber vielleicht habe ich schon bald das Glück, einen Austausch in die Wege leiten zu können. Ich nehme an, Monsieur le Chef de Bataillon hat Kameraden in der französischen Armee, denen er gern Nachricht über sein Schicksal zukommen lassen möchte?
Ich werde den ersten Parlamentär damit beauftragen, sie zu überbringen.«
»Der Marschall Herzog von Tarent wäre bestimmt froh, über mich zu hören«, sagte Jussey schon etwas weniger steif, »ich bin in seinem Stabe.« Der Marschall Herzog von Tarent war Macdonald, der hier den Oberbefehl hatte - der Sohn eines schottischen Emigranten, der nach dem Aufruhr des jungen Prätendenten außer Landes gegangen war. Möglicherweise war Jussey sogar Chef seines Pionierstabes. Das war ein Fang, der alle seine Hoffnungen übertraf.
»Es war ein höchst unglücklicher Zufall, der Sie in unsere Hand fallen ließ«, sagte Hornblower. »Wie konnten Sie auch ahnen, daß zur Zeit ein britisches Geschwader in dieser Bucht operiert!«
»Ich wußte auch nichts davon. Unsere Gewährsmänner behaupteten das Gegenteil. Aber diese Livländer...«
Also ließ sich der französische Stab von livländischen Verrätern unterrichten. Das war nicht schwer zu erraten, und doch war es besser, die Bestätigung dafür zu haben.
»Sie sind so unzuverlässig wie alle Russen«, meinte Hornblower verständnisinnig. »Ihr Kaiser dürfte keinem starken Widerstand begegnet sein.«
»Smolensk ist unser, der Kaiser marschiert auf Moskau, und wir haben die Aufgabe, St. Petersburg zu besetzen.«
»Wird Ihnen die Überschreitung der Düna keine Schwierigkeiten bereiten?« Jussey zuckte im flackernden Lampenlicht die Achseln. »Das glaube ich nicht. Wir brauchen nur hier an der Mündung beherzt überzusetzen, dann ziehen sich die Russen auf der ganzen Linie zurück, weil ihre Flanke eingedrückt ist.« Das also war Jusseys Aufgabe, er suchte an der Mündung der Düna nach einem geeigneten Platz zur Landung französischer Truppen auf der noch von den Russen besetzten Seite des Stromes.
»Das ist ein kühnes Unternehmen, Monsieur, das die große Tradition der französischen Armee würdig fortsetzt. Zweifellos haben Sie reichlich Schiffsraum, um Ihre Truppen überzusetzen.«
»Ein paar Dutzend Schuten. Wir haben sie in Mitau erbeutet, ehe die Russen sie zerstören konnten.«
Jussey hielt plötzlich inne. Man sah ihm an, daß er über seine eigene Offenherzigkeit erschrocken war.
»Die Russen sind unfähig«, sagte Hornblower im Tone völligen Einverständnisses. »Entschlossener Angriff, der ihnen keine Zeit gibt, immer wieder Fuß zu fassen, ist natürlich das beste Mittel, mit ihnen fertig zu werden. Aber ich bitte Sie, mich zu entschuldigen. Die Pflicht ruft.«
Im Augenblick war aus diesem Jussey wohl nichts mehr herauszuholen. Aber das Wesentlichste hatte er ja schon erfahren, daß nämlich den Franzosen eine ganze Flotte von Schuten in die Hände gefallen war, die die Russen aus Nachlässigkeit oder infolge ungünstiger Umstände nicht rechtzeitig zerstört hatten, und daß sie damit zum Angriff auf die russische Flanke über die Flußmündung setzen wollten.
Hornblower hoffte, Jussey dadurch wieder zu einer offenen Sprache zu verleiten, daß er sich für den Augenblick völlig gleichgültig stellte. Jussey verbeugte sich, und Hornblower wandte sich an Mound. »Wir wollen zum Geschwader zurück«, sagte er.
Mound gab sogleich die entsprechenden Befehle und brachte die Harvey auf dem Steuerbordbug hart an den Wind. Die französischen Kriegsgefangenen duckten sich ängstlich, als der schwere Großbaum über ihre Köpfe schwang, und wurden dabei von den an die Großschot rennenden Matrosen angerempelt.
Während Jussey und Hornblower miteinander redeten, hatten zwei der Gefangenen ihrem verwundeten Kameraden den Ärmel aufgeschnitten und seinen Arm verbunden. Nun saßen sie alle im Wassergang, wo sie nicht störten, während die Harvey langsam zum Ankerplatz der Nonsuch zurückkreuzte.
»Auf Riemen!« kommandierte Brown, und die Chefbootsbesatzung hörte auf zu pullen. »Bug!«