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Zur Vorbereitung auf den Konversionsunterricht habe ich heute in der Bibel ein Szenario gelesen, in dem es darum geht, was zu tun ist, wenn ein Mann den Verdacht hat, dass seine Frau nicht als Jungfrau in die Ehe gegangen ist.

Wird die Frau für schuldig befunden, so wird sie von den Männern des Dorfes gesteinigt.

Stellt sich der Vorwurf des Mannes als falsch heraus, muss er Strafe zahlen und wird ausgepeitscht (Deuteronomium 22,18-21).

Ich muss ganz dringend mit Rabbi Glassman darüber reden. Denn das passt hinten und vorne nicht.

Am Abend gehe ich mit Avi zu Kyles Party, bereit, meinen Freund meinen Mitschülern vorzuführen (bis auf Jessica, Miranda und Nathan, die mit der Jugendgruppe auf Schnitzeljagd sind). Breit lächelnd führe ich Avi an der Hand durch Kyles Wohnung, die größer als die meines Dads ist – Kyles Vater gehört eines der besten Steak-Häuser von Chicago und er demonstriert seinem Reichtum vorzugsweise mit großen Autos, großen Wohnungen und großen Booten.

In der Küche teilt Kyle Bierdosen aus. »Hey, du musst Amys Freund sein«, sagt er mit schwerer Zunge. Er ist total dicht.

Avi lehnt das Bier ab und Kyle wirft die Dose mir zu.

»Du trinkst doch nichts, oder?«, fragt Avi.

Um ganz ehrlich zu sein, finde ich Bier absolut widerwärtig. »Nö«, sage ich und werfe Kyle die Dose zurück, der irgendwas über nüchterne Langweiler vor sich hinmurmelt.

Ich gehe mit Avi nach hinten durch, wo sich die meisten Leute versammelt haben, und wir suchen uns einen freien Platz. Avi setzt sich und ich parke mich auf seinem Schoß.

Die Musik ist so laut hier drin, dass die Bässe mir fast das Trommelfell zerreißen. Während alle anderen trinken oder rumknutschen oder versuchen, sich über die Musik hinweg zu unterhalten, lehne ich mich gegen Avis Brust, und er drückt mich fest an sich.

Als ich Roxanne hereinkommen sehe, drehe ich schnell den Kopf zu Avi und beginne, ihn zu küssen. Erst berühren sich nur unsere Lippen, dann suche ich mit meiner Zunge nach seiner, während ich meine Arme über seine Brust nach oben wandern lasse und um seinen Hals schlinge. Als ich mich von ihm löse, fahre ich mir mit der Zunge über die Lippen und werfe ihm ein verführerisches, wissendes Lächeln zu.

Er kommt mit seinem Mund ganz nah an mein Ohr und sagt: »Warum so eine Show?«

Ich drehe meinen Kopf zu ihm. »Willst du mich nicht küssen?«, sage ich mit mittlerer Lautstärke, damit nur er es über die plärrende Musik hinweg hören kann.

»Doch. Aber nicht mit einem Haufen betrunkener Kids als Zuschauer.«

»Hör mal, die sind auch nicht jünger als ich.«

Bevor er etwas erwidern kann, höre ich Roxannes Quietschestimme. »Hi, Amy. Hi, Nathan.«

Ich blicke auf. Vor uns steht Roxanne, eine Hand vor den geöffneten Mund geschlagen, während sie hervorstößt: »Oh, das tut mir leid. Ich dachte, du wärst Nathan.«

Jetzt gibt es Ärger. Avis Miene ist ausdruckslos, doch sein Arm liegt noch immer um meine Taille.

»Warum denkt sie, du würdest Nathan küssen?«, fragt er mich.

Ich räuspere mich. »Ich kann das erklären.« Roxanne steht noch immer mit einem boshaften Grinsen auf dem Gesicht vor uns. »Würde es dir was ausmachen …?«

Sie ignoriert mich und streckt die Hand aus. »Ich bin Roxanne.«

»Ich bin Avi«, sagt er mit seinem langsamen, sexy israelischen Akzent zu ihr, während er ihr die Hand schüttelt. Ich könnte schwören, dass sie ihre Hand ein wenig dreht, als würde sie erwarten, dass er ihr einen Handkuss gibt. »Ich bin Amys Freund aus Israel.«

Roxanne bricht in Gelächter aus. »Ah, ich habe von dir gehört. Ich bin so froh, dass du und Amy beschlossen habt, euch ein bisschen unters Volk zu mischen. Du bist wirklich äußerst verständnisvoll.«

Als er ihre Hand loslässt, wedle ich ihr vor dem Gesicht herum und sage: »Husch-husch, weg mit dir.« Sie ist wie eine lästige Fliege. Am liebsten würde ich sie klatschen.

Als Roxanne endlich abzieht, kommt Kyle mit einer Flasche Sekt herein.

»Hast du Nathan geküsst?«, fragt Avi.

Ähmm … »Nein. Roxanne ist der Feind, Avi. Hör nicht auf sie. Sie erzählt gern Lügen über mich herum.«

Er steht auf (ich tue schnell so, als wäre ich nicht von seinem Schoß gerutscht) und geht hinüber zu Roxanne. Sie legt den Kopf zur Seite. »Lust, auf eine Runde Flaschendrehen?«, fragt sie. »Da kann man … du weißt schon … Partner tauschen. Da steht Amy doch drauf, stimmt’s?«

Ich versuche, Avi an der Hand aus dem Zimmer zu ziehen, doch er steht da wie festgewachsen, als wäre er eine sture Baumwurzel.

»Ich mag es nicht, wenn jemand Gerüchte über meine Freundin in die Welt setzt.«

Ich ziehe stärker an seinem Arm. »Avi, komm, lass uns einfach abhauen.«

Roxanne lacht. »Gerüchte? Du bist schon der Zweite, an dem sie sich diese Woche festsaugt. Ach, wenn man vom Teufel spricht. Hi, Nathan. Wir habe gerade von der heißen Show gesprochen, die du und Amy in der Cafeteria abgeliefert habt.«

Oh Mann. Ich bin geliefert. Ich drehe den Kopf zur Tür und sehe Miranda, Jess und Nathan auf uns zukommen.

Einen Moment lang ist es im Zimmer ganz still, ehe die nächste CD eingelegt wird.

»Hi«, sagt Jess. »Die Schnitzeljagd ist aus, und da dachten wir, wir schauen mal, ob ihr noch hier seid.«

Avi weiß Bescheid. Er hat gesehen, wie Nathan und ich uns gerade eben angeschaut haben. Steht mir die Schuld ins Gesicht geschrieben?

»Du hast mich angelogen«, sagt er.

Und dann lässt er vor allen Augen meine Hand los und mich hier, mitten auf Kyles Party, stehen.