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Frage Nummer 1 zum Thema koscher essen:
In Levitikus (11,1) zählt Gott auf, was koscher ist und was nicht. Von pikanten Thunfisch-Sushi-Rolls mit kleinen Tempura-Knusperstücken ist in der Bibel nirgends die Rede.
Attraktiver, nachdenklicher jüdischer Vater mit bezaubernder siebzehnjähriger Tochter sucht Frau für Restaurantbesuche, zum Tanzengehen und für Spaziergänge im Park. Du solltest Hunde mögen und weder Neurosen noch Komplexe haben.
»Ich bin wieder da, Amy. Und ich habe dir Sushi mitgebracht.«
Ich stopfe den Entwurf in meinen Rucksack und renne zur Tür. Ja, ja, ich weiß, dass die Anzeige noch Feinschliff braucht, aber darum kümmere ich mich später. Sushi kann nicht warten. »Hast du auch die pikanten Thunfisch-Rolls bekommen?«
»Ja.«
Ich drücke ihm einen Schmatz auf die Wange. »Du bist der Beste. Sind da auch Tempura-Knusperflocken drin?«
»Tut mir leid, das habe ich vergessen. Ich hoffe, sie sind trotzdem genießbar.«
Er zieht mich auf, weil er genau weiß, dass ich meine Thunfisch-Rolls mit und ohne Tempura verschlingen werde.
An der Tür geht Dad noch kurz die Post durch. Das ist wie eine Sucht bei ihm. Sonntags dreht er immer fast durch, weil er keine Post kriegt. Und wenn es endlich Montag ist, geiert er richtiggehend danach.
Ich schnappe mir die weiße Take-away-Sushi-Tüte vom Sideboard neben der Wohnungstür. Mir läuft schon das Wasser im Mund zusammen, so freue ich mich aufs Sushi. »Wie war’s im Büro?«
»Viel zu tun, wie immer. Und in der Schule?«
»Viel zu tun, wie immer.«
Er sieht mich von der Seite an.
»Ja, echt«, bekräftige ich. »Wir haben drei Tests geschrieben, von denen ich einen wahrscheinlich verhauen habe. Dann saß ich geschlagene zwei Stunden über den Hausaufgaben und ich habe immer noch keine Verabredung für den Valentinstanz. Das musst du erst mal toppen.«
Wir gehen zusammen in die Küche. »Avi ist in Israel«, sagt er, als würde ich mich nach etwas sehnen, das sowieso zum Scheitern verurteilt ist. So viel zum Thema »Wie der Vater, so die Tochter«.
»Ich weiß«, murmle ich.
Mein Dad schenkt mir ein schwaches Lächeln und zuckt die Achseln. »Ich will nur nicht, dass du was verpasst.«
Köter stürmt in die Küche und springt an mir hoch. »Ärg!«
»Wir müssen ihn kastrieren lassen«, sagt Dad.
Ich setze mich zu Köter auf den Küchenboden und tätschle sein flauschiges Fell. »Das tun wir ganz bestimmt nicht«, beruhige ich ihn. »So was machen nur gemeine Menschen mit ihren Hunden.«
Köter schleckt mir zur Antwort übers Gesicht. Nie im Leben lasse ich zu, dass meinem Hund die Eier abgeschnitten werden.
Mein Dad nimmt noch zusätzliches Essen für sich aus dem Kühlschrank, weil er Sushi fälschlicherweise mit Appetithäppchen verwechselt. Er sagt, dass er von Sushi nicht satt wird. »Amy …«
Ich habe meinen Ich-gebe-auf-keinen-Fall-nach-Blick für ihn parat. »Was?«
»Der Tierarzt hat gesagt –«
»Ja, und der Tierarzt hat Köter auch für einen Goldendoodle gehalten. Das ist doch nicht zu fassen. Köter soll eine Mischung aus Golden Retriever und Pudel sein? Ein Designerhund? Nie im Leben! Ich traue diesem Typ nicht.« Also echt, mein Hund ist ein reinrassiger, unverpudelter Köter.
Mein Dad nimmt ein Stück Pita-Brot und dippt es in ein Schale Hummus. Das ist sein Grundnahrungsmittel. Hummus ist für Israelis wie Bier für Verbindungsstudenten. (Wir nehmen in der Schule gerade das Thema Analogien durch, falls ihr es noch nicht gemerkt habt.)
»Tunke es ja nicht noch mal ein«, warne ich ihn.
»Das würde ich im Traum nicht wagen«, sagt er und stopft sich das Pita-Brot in den Mund.
»Vielleicht hast du schon so lange kein Date mehr gehabt, weil du beim Essen immer so schlingst«, überlege ich laut.
»Vielleicht habe ich schon so lange kein Date mehr gehabt, weil ich viel um die Ohren hatte«, gibt er zurück.
Ja, genau. »Was für eine Frau würde dir denn vorschweben?«
»Warum?«
»Vielleicht kann ich dir helfen.«
»Amy, darüber werde ich ganz bestimmt nicht mit dir diskutieren.«
»Aber –«
»Kein Aber. Hör auf, dir den Kopf über mein Liebesleben zu zerbrechen, und kümmere dich lieber um deine Hausaufgaben.«
Hausaufgaben sind aber viel langweiliger. »Weißt du, was dein Problem ist?«, frage ich ihn.
»Ja. Ich habe eine Tochter, die alles besser weiß.«
»Das ist kein Problem, Aba, sondern ein Segen.«
Mein Dad grinst und stellt das Abendessen auf den Tisch.
Ich angle die Stäbchen aus der Tüte, schnappe mir eine pikante Thunfisch-Roll vom Teller und tunke sie in ein kleines Schälchen Sojasoße. Wie lieb, dass er extra bei meinem Lieblingsrestaurant vorbeigefahren ist. Da hängen nie irgendwelche zähen weißen Sehnen am Thunfisch. Ich esse nämlich kein Sushi mit zähen weißen Sehnen drin. Nachdem ich mir das Röllchen in den Mund geschoben habe, schließe ich genießerisch die Augen.
»Ich habe ganz vergessen zu fragen, wie es gestern bei deiner Mutter war«, meint Dad.
Ich beobachte gespannt seine Reaktion, als ich sage: »Sie ist schwanger.«
Der Ärmste legt die Gabel weg und starrt mich an. »Wirklich?«
Ich nicke. Ich bin nicht in der Lage, auch nur einen Pieps rauszubringen, selbst wenn ich wollte. Ich will unbedingt vermeiden, dass meine Emotionen jetzt mit mir durchgehen.
»Wow.«
Nach diesem Kommentar isst er weiter. Ich habe das Gefühl, mich entschuldigen zu müssen, obwohl ich ja gar nichts dafür kann. Vermutlich ist er am Boden zerstört, weil meine Mom so einen Trottel ihm vorgezogen hat. Und jetzt ist sie nicht nur mit dem Kerl verheiratet, sondern hatte auch noch Geschlechtsverkehr mit ihm, um sich fortzupflanzen. Bäh! Die Vorstellung, dass meine Mutter in ihrem Alter Sex hat, ist einfach nur abartig. Und die Vorstellung, dass sie es mit meinem Stiefvater macht, ist noch viel widerwärtiger.
Die einzige Möglichkeit, diese Situation irgendwie halbwegs zu retten, besteht darin, eine Frau für Dad zu finden. Nicht, damit noch mehr Babys in die Welt gesetzt werden, sondern damit er sich so ohne Partnerin nicht wie das fünfte Rad am Wagen vorkommt. Mit Sicherheit verbirgt er seine wahren Gefühle und frisst seine Verzweiflung darüber, dass er meine Mom verloren hat, in sich rein, um mich nicht zu belasten.
Nach dem Abendessen geht er ins hauseigene Fitnessstudio unseres Wohnblocks, während ich mich schnurstracks an den Rechner setze.
Ich surfe im Internet. Keine Sorge, natürlich weiß ich, dass man im Chat keine persönlichen Daten verrät. Mein Dad arbeitet schließlich nicht umsonst als Berater im Ministerium für Innere Sicherheit. Er hat mich mit seinen Ausführungen zu den Gefahren des Internets so zu Tode gelangweilt, dass ich schon dachte, mir fallen gleich die Ohren ab.
Außerdem habe ich kein Interesse an Chatrooms, nee, ganz bestimmt nicht. Ich habe nur eins im Sinn: eine Frau für meinen Dad zu suchen. Also … wo bekomme ich die perfekte Partnerin für ihn her?
Ich surfe, bis ich schließlich fündig werde. Jippie!
Professionelles Jüdisches Single-Netzwerk.
Sogar mit Garantie: Bei uns werden Sie den idealen jüdischen Partner finden. Da wäre jeder Heiratsvermittler neidisch drauf.
Ich habe Anatevka gesehen – von daher sind das schon mal super Neuigkeiten.
Mein Herz rast, während ich die Homepage überfliege und die Voraussetzungen durchgehe, die man erfüllen muss, um dem PJSN beizutreten. Man muss Single sein. Sag bloß! Zwischen einundzwanzig und fünfundsiebzig Jahre alt. Bingo. Mein Dad ist sage und schreibe siebenunddreißig. Braucht einen College-Abschluss. Passt auch. Mein Dad hat sein Diplom an der University of Illinois gemacht. Muss über eine Kreditkarte verfügen, um die 59,99 Dollar Monatsbeitrag zu zahlen.
Okay, bei der Sache mit der Kreditkarte muss ich ein bisschen tricksen.
Meine Augen huschen zur Wohnungstür. Dads Portemonnaie liegt auf dem kleinen Sideboard, auf das wir immer die Post legen. Ich weiß, dass seine Kreditkarte da drin ist.
Ich schlendere zu seiner Geldbörse hinüber. Die Kreditkarte meiner Mom habe ich schon mal benutzt. Da natürlich mit ihrer Erlaubnis.
Es ist ja nichts dabei, wenn ich die Karte mal rausnehme. Nur einfach mal angucken. Langsam öffne ich seine Brieftasche. Japp, aus einem der Kartenfächer blitzt mich eine glänzende goldene Karte an. Ich ziehe sie heraus und werfe nervös einen Blick auf die Wohnungstür.
Mir bleiben noch mindestens dreißig Minuten, bis er zurückkommt. Ich lege das Portemonnaie auf das Sideboard zurück und setze mich mit seiner Kreditkarte in der Hand wieder an den Computer. Daran, dass es vermutlich verboten ist, die Kreditkarte eines anderen zu benutzen, verschwende ich keinen Gedanken – hier geht es schließlich darum, meinem Vater zu helfen.
In meinem Kopf erklingt mantraartig ein Singsang mit dem Text Seelenverwandte, Seelenverwandte, Seelenverwandte. Mein Dad kann ja nicht den Rest seiner Tage einsam und allein zubringen.
Ich klicke auf Registrieren, woraufhin der Computer mich mit einer Reihe von Fragen bombardiert. Ganz von allein tippen meine Finger die gewünschten Informationen ein.
Name: Ron Barak
Alter: 37
Haarfarbe: dunkelbraun
Augenfarbe: dunkelbraun
Kinder: eine reizende siebzehnjährige Tochter
Beruf: Sicherheitsberater
Bundesstaat: Illinois
Hobbys: Lesen, Wandern, Tennis, Baseball
Na gut, mit der Frage nach den Hobbys habe ich so meine Probleme. Um ehrlich zu sein, habe ich bei den aufgelisteten Hobbys ein wenig geschummelt. Dad hat keine Ahnung von Baseball. Das ist bei Israelis kein sonderlich beliebter Sport. Aber wenn man in Chicago wohnt, muss man entweder Baseball-, Basketball-, Hockey- oder Footballfan sein. In dieser Stadt dreht sich alles um Sport. Und dabei habe ich noch kein Wort über die Rivalität zwischen den Cubs und den Sox, zwischen der North Side und der South Side verloren.
Weiter mit der nächsten Frage: Beschreiben Sie sich mit zwei Worten.
Hm … welche zwei Wörter kommen gut bei den Frauen an? Ich entscheide mich für israelischer und Traumtyp und drücke auf Enter. Umgehend werde ich aufgefordert, ein Foto für sein Profil einzuscannen, und suche eins von unserer Israel-Reise aus.
Zuletzt muss ich noch meine Kreditkartennummer angeben – also seine Kreditkartennummer. Ich hämmere die Zahlen in die Tastatur, und schneller, als ihr »gestohlene Kreditkarte« sagen könnt, hat mein Dad sein eigenes Profil, eine PJSN-Mailadresse und ist bereit, seine Seelenverwandte kennenzulernen. Mannomann, bin ich vielleicht aufgeregt. Mein Dad ist Mitglied beim Professionellen Jüdischen Single-Netzwerk – jetzt können die Dates kommen.
Oh shit! Ich höre, wie die Tür aufgeht. Dabei halte ich noch immer die Kreditkarte meines Vaters in meiner kleinen heißen Hand. Tu was, schnell!, befehle ich mir.
Ich lasse die Kreditkarte unter der Tastatur verschwinden und schließe hastig alle Fenster, die auf dem Monitor geöffnet sind. Die Visa-Card werde ich später ins Portemonnaie zurückschmuggeln. Und bis er checkt, dass ich sie genommen habe, ist er mit Sicherheit schon so euphorisch, weil er seine Zukünftige kennengelernt hat, dass er gar nicht sauer wird. Bestimmt wird er mir auf dem ganzen Weg zum Traualtar dafür danken.
»Amy?«
Mist. Er ist mir auf die Schliche gekommen. Er weiß, dass ich seine Kreditkarte gemopst habe. Oh nein. Ich schlucke schwer. »Ja?«
»Meinst du nicht, dass Köter noch mal rausmuss?«
Ich atme auf. »Äh, ja, stimmt.«
»Na dann …«
Ich stehe auf, lege Köter an die Leine und flitze zum Lift. Sobald die Aufzugtüren sich öffnen, kommt mir mit Schwung ein riesiger Karton entgegen, und ich falle beinahe auf den Po. Meine Brüste werden mies gequetscht, das kann ich euch sagen. Vermutlich sind sie gerade von einem hängenden D-Körbchen auf ein A-Körbchen geschrumpft.
»Hey!«, schreie ich.
»Sorry«, murmelt eine Männerstimme. Dann wird der Karton abgestellt.
Aber es ist kein Mann, zumindest kein richtiger. Es ist der Typ von gestern, der Köter eingefangen und mir den »Wachsamer-Bürger-Vortrag« gehalten hat.
Heute trägt er ein grünes Karohemd und Jeans mit einem viel zu hohen Bund. Und ich könnte schwören, dass der schrullige Mr Obermeyer die gleichen Turnschuhe hat.
»Ärg!«, bellt Köter und versucht dann, ihn im Schritt zu beschnüffeln, als wäre dort ein Leckerli versteckt.
Wachsamer Bürger bedeckt seine Weichteile mit den Händen wie ein Fußballspieler beim Freistoß. Dann schiebt er seine Brille auf der Nase hoch, sodass die Fassung seine grünen Augen umrahmt. »Oh, du bist’s.«
Ich ziehe Köter von seiner Hose weg. »Pass das nächste Mal besser auf, wo du hinläufst. Als wachsamer Bürger«, füge ich noch hinzu, »solltest du es vermeiden, andere mit riesigen Kartons über den Haufen zu rennen.«
Durch meine Schimpftirade verpasse ich den Lift. Verflixt. Ich drücke wieder auf den Pfeil nach unten.
Er macht einen Schritt nach vorn und stolpert über den Karton. »Bist du immer so freundlich?«
Ich mache mir nicht die Mühe, ihm zu antworten. Was denkt der sich eigentlich, mich auch noch dumm anzureden? Zum Glück macht der Fahrstuhl in diesem Moment »pling« und die Tür fährt auf. Hastig steige ich mit Köter ein. Auf keinen Fall verpasse ich meine zweite Chance, diesem Typ ein für alle Mal zu entrinnen.
»Ärg!«
Als die Tür sich schließt, sehe ich nur noch, wie er sich vorbeugt und den Karton wieder anhebt. Ich frage mich, was der Kerl hier in meinem Haus, auf meinem Stockwerk, in meinem Leben zu suchen hat.
Avi sagt immer, dass nichts ohne Grund passiert. Obwohl ich ihm natürlich fast immer recht gebe, muss ich jetzt aber mal feststellen, dass diese Begegnung heute komplett grund- und vor allem sinnlos war.