DREI

(I)

»Tante Annie!«, rief Charity. Sie breitete die Arme aus. Die Frau, die auf die Veranda getreten war, sah aus wie etwa 60. Sie hatte schneeweißes Haar und war trotz ihres Alters attraktiv; ein warmes Lächeln lag auf ihrem leicht verwitterten Gesicht. Sie trug ein abgenutztes weißes Sommerkleid und schwarze Arbeitsstiefel. Kühle blaue Augen schienen sich auf die Besucher zu heften, als sie aus dem Wagen stiegen.

Die alte Frau stand auf der Veranda und brach in Tränen aus.

Charity war plötzlich in einem Zeitloch. Die Welt blieb stehen. Alles, was sie sah, schien eingefroren zu sein, und sie stellte fest, dass sie mehr auf sich selbst blickte als auf alles andere. Nein, es war ihr nicht klar gewesen, wie es sich anfühlte, nach Hause zu fahren, und sie hatte auch nicht gewusst, was es für ein Gefühl sein würde, Tante Annie wiederzusehen. Luntville, ihre Tante, dieses Haus – das alles waren die zerbrochenen Scherben ihres Lebens, die man am besten mit allem anderen hinter sich zurückließ, zusammen mit den tieferen Wunden: dem Tod ihres Vaters, den psychischen Problemen und dem Selbstmord ihrer Mutter, den Eltern, die sie nie gekannt hatte, den Schatten. Doch jetzt, wo sie mitten in diesem erstarrten Bild ihrer Erinnerung stand, wusste sie, dass sie das Richtige getan hatte. Das einzig Mögliche, um genau zu sein.

Die Rückkehr nach Luntville würde Charity die Möglichkeit geben, sich selbst gegenüberzutreten und all den Teilen ihres Selbst endlich den richtigen Platz zuzuweisen. Und das waren eine Menge Teile.

Charity, jetzt selbst in Tränen aufgelöst, umarmte ihre Tante auf der Verandatreppe.

»Oh Gott, Charity«, heulte Tante Annie. »Dich wiederzusehen, ist ein Geschenk des Himmels.«

»Aber ihr müsst müde sein«, sagte Annie und führte sie in den Salon. »Nach so einer langen Fahrt.«

»Es war nicht so schlimm«, sagte Jerrica. »Ungefähr zehn Stunden.«

»Oh, tut mir leid«, entschuldigte sich Charity, die vergessen hatte, ihre Begleiterin vorzustellen. »Das ist meine Freundin Jerrica Perry. Sie arbeitet für diese große Zeitung in Washington.«

»Freut mich, Sie kennenzulernen«, sagte Annie und reichte Jerrica ihre kleine, weiße Hand. »Eine Reporterin, hm?«

»Nicht ganz«, gab Jerrica zu. »Ich schreibe für die Lokalredaktion der Post. Ich gehöre zur Belegschaft, aber ich bekomme nur ganz bestimmte Aufträge. Und deshalb ist es ja so großartig, dass Charity und ich zusammen hierherfahren konnten.«

Tante Annie hielt inne und versuchte sich ihre Verwirrung nicht anmerken zu lassen. »Ich versteh nich’ ganz, was Sie meinen.«

Mein Gott, dachte Jerrica. Ich glaube, Charity hat ihr überhaupt nichts von mir gesagt. »Wir haben uns bei den Kleinanzeigen getroffen. Wir wollten beide Annoncen wegen der Fahrt hierher aufgeben. Meine Zeitung hat mich damit beauftragt, eine Serie von Artikeln über ländliche Regionen in der Nähe von Washington, D.C., zu schreiben. Die ersten Artikel werden von dieser Gegend hier handeln, zwischen den Allegheny Mountains und den Appalachen.«

»Das klingt nach einer wundervollen Chance für eine hübsche junge Frau wie Sie, in Ihrem Beruf, meine ich.«

Jerrica war verdutzt. Sie war sich nicht ganz sicher, was das heißen sollte. Normalerweise würde sie sich jetzt beleidigt fühlen; sie hasste es, wenn im Zusammenhang mit ihrer Karriere auf ihr Geschlecht angespielt wurde. Doch dann überlegte sie: Sie stammt aus einer anderen Welt, aus einer anderen Gesellschaft ... »Ja, so ist es«, antwortete sie, und es stimmte ja auch. Sie arbeitete für die Zeitung, seit sie ihren Abschluss an der Uni gemacht hatte, und dies war der erste richtig gute Rechercheauftrag, den sie bekommen hatte. Sie versuchte, die Unterhaltung etwas zu beleben. »Es ist eine Chance, da haben Sie recht, und das Beste dabei ist: Mein Chef bezahlt alles.«

Tante Annie legte den Kopf etwas schief. »Na, wegen Kost und Logis brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen.« Sie klopfte Charity auf die Schulter. »Ich würde nich’ im Traum dran denken, einer Freundin meines kleinen Mädchens etwas zu berechnen.«

»Ich weiß Ihre Großzügigkeit sehr zu schätzen«, antwortete Jerrica, aber ihr war der Ausdruck in Charitys Gesicht nicht entgangen. Hier scheint es noch ein paar Kommunikationsprobleme zu geben, dachte sie. Lieber nicht fragen ...

»Das mit den Schildern ist schön«, sagte Charity und ließ sich endlich entspannt in die großen Kissen des Sofas sinken. »Wir haben sie überall an der Interstate gesehen. ›Annies Gästehaus‹, alle 20 oder 30 Meilen. Die müssen ein Vermögen gekostet haben.«

»Haben sie auch«, gab Annie zu. »und das is’ auch etwas, worüber wir reden müssen.«

Doch bevor Annie fortfahren konnte, unterbrach Charity sie wieder. »Und das Haus erst – es sieht großartig aus. Es sieht fast aus wie neu.«

»Na ja, nich’ wirklich neu«, schmunzelte Annie. »Aber ich hab’ einiges in die Renovierung gesteckt. Die McKully-Brüder – erinnerst du dich an sie? Sie haben bei der Renovierung hervorragende Arbeit geleistet und sie haben es für einen Spottpreis gemacht, wenn man die wirtschaftliche Lage bedenkt. Und was die Straßenschilder angeht – sie sind nich’ billig, aber sie bringen die Kundschaft her, vor allem im Herbst und Frühling.«

Charity beugte sich gespannt vor. »Aber, Tante Annie, wie konntest du dir das alles leisten?«

Wieder reagierte Annie zurückhaltend und zögerlich. »Ich bin zu etwas Geld gekommen. So wie jeder hier auf dem Nordkamm. Ich ... ich werde dir später alles erzählen.«

»Das ist doch wundervoll!«, freute sich Charity.

Aber Jerrica hatte die Botschaft verstanden: Annie wollte nicht darüber reden, aus welchen Gründen auch immer, jedenfalls nicht jetzt. Deshalb warf sie schnell ein: »Aber Charity hat recht, Miss Walsh. Das Gästehaus sieht wirklich fantastisch aus.«

»Ach, Sie dummes Ding«, kicherte Annie. »Nennen Sie mich doch bitte Annie. Oh – ich hole schnell den Tee!«

Tante Annie erhob sich vom Sofa, sehr schnell und beweglich für eine Frau ihres Alters, und verschwand durch einen dunkelroten Vorhang. »Deine Tante ist wirklich cool«, nutzte Jerrica die Gelegenheit.

»Ja, das ist sie.« Charity starrte schweigend vor sich hin. »Sie ist der wunderbarste Mensch der Welt. Ich verstehe nicht, wie ich das vergessen konnte.«

»Na ja, wenn man so lange von jemandem getrennt ist, verblasst die Erinnerung an ihn.«

»Ich weiß«, gab Charity zu. »Aber Annie ist anders. Viele Leute kommen aus dieser Gegend. Sie ist ...«

»Unvergleichlich«, schlug Jerrica vor.

Charity strahlte. »Das ist es! Das ist das perfekte Wort!«

»Was ist das perfekte Wort?«, fragte Tante Annie, die ein Tablett mit einem wunderschönen silbernen Service dampfender Teetassen trug.

»Ach, nichts, Tante Annie«, sagte Charity. »Nur Mädchengeplapper.«

Annie lächelte. »Tatsächlich? Nun, ihr werdet’s vielleicht nicht glauben, aber ich war auch mal jung. Und ich weiß, was Mädchen plappern. Deshalb hab’ ich auch dafür gesorgt, dass Jerricas Zimmer direkt neben deinem liegt, Charity. Da gibt’s ’ne Verbindungstür, die könnt ihr aufmachen, wenn ihr Mädchengespräche führen wollt.«

Jerrica wog diese Bemerkung ab. Ein vielsagender Kommentar ...

»Danke, Tante Annie, das war sehr aufmerksam.« Charitys Stimme nahm einen verträumten Ton an. »Es ist so schön, wieder hier zu sein.«

»Und es is’ schön, dich wieder hier zu haben. Ich war immer davon überzeugt, dass du nie hättest gehen sollen, aber ...«

»Tante Annie, nicht«, unterbrach Charity sie und beugte sich wieder vor. »Es war nicht deine Schuld.«

Annie lehnte sich schwerfällig in ihrem Sessel zurück. Eine Pause dehnte sich aus.

»Stört es Sie, wenn ich rauche?«, fragte Jerrica, um die Stille zu durchbrechen. Sie hatte den umgedrehten Schildkrötenpanzer auf dem Holztisch bemerkt.

»Oh nein, überhaupt nicht«, antwortete Annie. Jerrica zündete sich erleichtert eine Zigarette an, nahm einen tiefen Zug und beobachtete dann mit einigem Erstaunen, wie Annie eine lange Meerschaumpfeife hervorholte und sie mit Tabak stopfte. Die Klischees verwirrten sie. Mein Gott, dachte Jerrica. Das ist alles so provinziell hier. Ein Wunder, dass sie keine Maiskolbenpfeife rausgeholt hat!

Jerrica nahm sich einen Moment, um Annies Gesicht genauer zu betrachten. Ja, es war verwittert, aber vornehm, faltig, aber hübsch. Ihre blauen Augen waren so klar wie die eines Teenagers. Sie schien für eine Frau ihres Alters eine fantastische Figur zu haben. Ich hoffe, dass ich auch so viel Glück habe.

Dann wanderte ihr Blick zu Charity. Anderes Haar, eine andere Gesichtsform, aber trotzdem auf eine seltsame, schlichte Weise hübsch. Doch die Stille wurde immer drückender. Jerrica wusste, dass sie etwas dagegen unternehmen musste. »Oh, da ist noch etwas, das ich Sie fragen wollte. Ich habe es im Redaktionsnetzwerk gelesen. Ich würde gern etwas über die Abtei wissen.«

Annie sah plötzlich erschrocken aus. Dünner Rauch stieg aus dem kleinen weißen Pfeifenkopf auf. »Die Abtei? Ach, du meine Güte«, schaffte sie schließlich zu sagen. »Die ist doch schon seit Jahrzehnten geschlossen.«

»Ich erinnere mich, dass du etwas von einer Abtei erwähnt hast«, sagte Charity. »In einem deiner Briefe.«

Annie seufzte. »Oh, natürlich, aber da gibt’s nich’ viel zu erzählen. Es war, nachdem ... also ... nachdem der Staat dich mitgenommen hatte. Wroxeter nannten sie sie. In den Wäldern hinter Crolls Feldern. Nichts Besonderes. Die Katholiken hatten da ’n paar von ihren Nonnen untergebracht, es war ’n Ruhesitz für Priester.«

»Sie meinen, ein Hospiz«, erinnerte sich Jerrica an das, was sie gelesen hatte. »Für sterbende Priester?« Die Abtei war offensichtlich ein wunder Punkt; die Frage hatte Charitys Tante so sehr aus der Ruhe gebracht, dass Jerrica es nicht übersehen konnte. Ihren Recherchen zufolge war Wroxeter Abbey von der Diözese als Pflegeheim für alte Priester wiedereröffnet worden. Aber worum war es bei den Kontroversen gegangen?

»Es hat dort Probleme gegeben«, gestand Annie schließlich ein. »Doch das is’ alles lange her.« Der folgende Themenwechsel kam so abrupt, dass Jerrica genau wusste, dass sie die falsche Frage gestellt hatte. »Ihr wollt sicher eure Zimmer sehen«, sagte Annie. »Charity hat natürlich ihr altes Zimmer. Und Sie, Jerrica, haben das direkt daneben, die GouverneurThomas-Suite. Die Straße ist nach ihm benannt, müssen Sie wissen.«

»Gouverneur Thomas?«, fragte Jerrica.

»Er war vor hundert Jahren Gouverneur, und, na ja, er war, äh, ’n Mann, der gern mit anderen Männern zusammen war.« Tante Annie lächelte. »Damals war so was – schwul nennt man’s heute wohl – nichts, was man anderen erzählte. Er war verheiratet, um den Schein zu wahren. Aber jeden Donnerstag traf er sich mit seinem jugendlichen Liebhaber in diesem Haus ... oh, tut mir leid, ich hab’ gar nicht darüber nachgedacht.« Tante Annies klare blaue Augen richteten sich besorgt auf Jerrica. »Vielleicht ist es ihnen unangenehm, in so einem Zimmer zu wohnen, wo sich solche Sachen abgespielt haben.«

Jerrica hätte fast gelacht. »Nicht im Geringsten, Annie«, sagte sie. »Es ist mir eine Ehre, in Gouverneur Thomas’ Zimmer wohnen zu dürfen.«

»Gut, gut«, sagte Annie. »Fein. Es ist ’n sehr schönes Zimmer. Perfekter Blick auf die Wälder. GOOP!«

Jerrica und Charity wären bei dem Schrei fast aufgesprungen. Goop?, fragte sich Jerrica. Was ist das?

Plötzlich erschien ein großer Mann im Overall im Durchgang zum Wohnzimmer. Jerrica starrte ihn an. Noch ein Klischee. Overall, Arbeitsschuhe, sogar ein paar Strohhalme steckten in seinem zerzausten schulterlangen Haar. Tatsächlich war die Haarlänge das Einzige, was nicht dem Klischee entsprach. Doch seine Statur – Mein Gott!, dachte Jerrica. Nichts als Muskeln an einem kräftigen, großen, v-förmigen Oberkörper.

»Das hier ist Goop Gooder und das ist Jerrica Perry und das hier ist meine wunderbare Nichte Charity, von der ich dir schon so viel erzählt hab’«, sagte Annie lebhaft und mit einer Spur von Strenge in ihrer gedehnten Sprechweise. »Kümmer dich nich’ um sie, lass sie einfach in Ruhe.«

»Ja, Ma’am«, sagte Goop.

»Jerrica, wollen Sie Goop nicht Ihre Autoschlüssel geben, damit er Ihre Koffer aus dem Wagen holen kann?«

»Natürlich«, sagte Jerrica. Sie reichte ihm die Schlüssel. Sie lächelte. »Hi, Goop.« Goop? Soll das ein Witz sein? Das ist doch kein Name! »Nett, Sie kennenzulernen.«

Goop errötete. »Ah, oh, hi ... freut mich auch, Sie kennzulern’, Miss Jerrica, und Sie auch, Miss Char...«

»Goop!«, rief Annie. »Nimm einfach die dämlichen Koffer und bring sie nach oben!«

Goop zuckte die Schultern, ohne sein Grinsen aufzugeben, und zottelte durch die Haustür nach draußen, seine schweren Arbeitsschuhe schlurften dabei über den Parkettboden.

»Ich weiß, Sie sind aus der Stadt«, sagte Annie zu Jerrica, »und Sie finden’s wahrscheinlich nich’ nett, dass ich so mit Goop rede. Aber Sie müssen wissen, dass Goop wohl der beste Gehilfe hier in der Gegend ist, aber er is’ auch ’n bisschen langsam im Kopf, und hübsche Frauen können ihn ’n bisschen aufregen.«

»Ich verstehe«, sagte Jerrica. Noch mehr Hinterwäldlerbräuche, noch mehr Klischees. Langsam im Kopf? Na ja, in der Hose scheint er gut bestückt zu sein, dachte sie verwegen, da sie unmöglich Goop Gooders Ausstattung im unteren Bereich hatte übersehen können ... Das war etwas, worauf sie bei Männern immer achtete, etwas, wohin ihre Augen immer unbewusst wanderten. Und Goops Lendenbereich sah aus, als hätte sich die gesamte Sportabteilung der Post in seiner Hose versammelt.

»Kommt mit nach oben, Mädels«, sagte Annie. Einen Arm um Charitys Schultern gelegt, führte sie sie durch den Wohnzimmervorhang zu einer Wendeltreppe. »Ich zeig’ euch eure Zimmer.«

Charity legte ihren Arm um Annies schmalen Rücken. »Hast du im Moment viele Gäste?«, fragte sie.

»Nein, mein Schatz, momentan gar keine, aber ich hab’ eine Reservierung für morgen.« Und damit blieb Annie auf der Treppe stehen und blickte über ihre Schulter zu Jerrica zurück.

»Es ist übrigens ’n Priester«, sagte Annie. »Bleibt für ’ne Woche oder so.«

»Ein Priester?«, fragte Jerrica.

»Ja, Herzchen. ’n katholischer Priester ... kommt ganz aus Richmond hierher.«

Warum zum Henker? Jerrica runzelte die Stirn. Ein Priester? Kommt hierher? Warum? Aber Jerrica brauchte gar nicht zu fragen.

Annie ging weiter die Treppe hinauf. »Er kommt hierher, um Wroxeter Abbey wiederzueröffnen.«

(II)

Pater Tom Alexander hatte noch nie etwas davon gehört.

Scheiße, dachte der Priester. Wroxeter Abbey?

»Das ist richtig, Tom, wir schicken Sie nach Wroxeter. Zur Lagebeurteilung und Statuskontrolle, wenn Sie so wollen.« Monsignore Halfords hoher gepolsterter Stuhl ächzte melodiös, als er sich zurücklehnte und die Hände im Schoß faltete. Halford war Kanzler des Pastoralzentrums der Diözese Richmond. »Wir haben bereits Vorkehrungen für Ihre Unterbringung getroffen. Sie werden in einem nahe gelegenen Gästehaus unterkommen, da die Abtei selbst noch nicht bewohnbar ist. Es wird ein interessantes Projekt für Sie werden. Und Sie werden froh sein zu hören, dass die Diözese dies nicht als Versetzung einstuft, Sie behalten also Ihren bisherigen Besoldungsstatus.«

Na, da bin ich aber froh, dachte Alexander jetzt, wo Richmond bereits weit hinter ihm zurücklag. Als ob die zusätzlichen 100 Mäuse im Monat ihn beschwichtigen könnten. Alexander interessierte sich einen Scheißdreck für Geld; über so etwas war er längst hinaus. Besoldungsstatus, am Arsch!, dachte er. Die Diözese schmiert mich, das ist alles. Sie werden mir nie meine eigene gottverdammte Gemeinde geben und sie sind einfach nicht Manns genug, es mir ins Gesicht zu sagen. Stattdessen schicken sie mich immer wieder auf diese kleinen Reisen. Zumindest hatte Halford ihm den alten Mercedes der Pfarrgemeinde überlassen, so würde die zermürbende Fahrt wenigstens nicht allzu unerträglich werden.

Die Gründe waren Legion und das war nicht überraschend. Die Wege der Bürokratie waren unerforschlich. Er hatte ihre Spinnennetze überall in seinem Leben gesehen: auf den Schlachtfeldern in Südostasien, auf dem College, in Kneipen und Striplokalen und jetzt, vielleicht noch ausgeprägter, in der Kirche. Alexander war seit zwölf Jahren Priester; die Kirche war heute genauso wenig dazu bereit, ihm eine eigene Gemeinde zu geben, wie an dem Tag, an dem er vom Priesterseminar kam. Sie sind ein Hitzkopf, hatte Monsignore Halford ihm hundertmal gesagt. Sie sind wie ein Hochleistungsmotor, der etwas zu heiß brennt.

Na gut. Vielleicht stimmte es. Er war jetzt 45, die 50 rückte unaufhaltsam näher. Doch er war schon vom ersten Tag an ein unpassender Kandidat für das Priesteramt gewesen. Mit 20 war er ein Army Ranger gewesen, 5th Special Operations Group. Er hatte im Busch hinter den Minen gehockt und in den Gefechtspausen Thomas Merton und St. Ignatius gelesen. Er hatte Dutzende von Männern getötet, einmal sogar eine Frau, die – wie konnte es anders sein – auch noch schwanger war. Sie war zehn Meter davon entfernt gewesen, eine Zwei-Kilo-Sprengladung in ein Feldlazarett voller Verwundeter zu werfen. Was Alexander am meisten entsetzte, war nicht der Krieg selbst, sondern die Sinnlosigkeit. Es gibt keinen Grund für das alles, dachte er jedes Mal, wenn ein Charlie im Zielfernrohr seines M16 fiel. Nicht in Vietnam, nicht anderswo. Das war das Einzige, was er während seines zwölfmonatigen Kampfeinsatzes lernte, vielleicht das einzig Bedeutsame, das er in seinem ganzen Leben lernte. Feldrationen, Fußbrand, Sackratten, Ruhr, Sandflöhe so groß wie Haselnüsse, Moskitobisse so groß wie Hundebisse – das alles machte ihm nichts aus. Es war die Sinnlosigkeit. Es gab einfach keinen Grund dafür, dass Menschen sich gegenseitig umbrachten.

Nach seiner Dienstzeit hatte er ein Jahr lang herumgehangen, in zivilen Jobs gearbeitet und Dinge getan, die 21-Jährige eben so tun und bei denen oft Frauen eine Rolle spielten. Doch das zivile Leben untermauerte nur das, was er im Krieg gelernt hatte. Viel zu viel Leben drehte sich nur um sich selbst, jeder hatte nur sein eigenes Interesse im Blick. Alexander wollte nicht so sein und er wusste, dass es nur einen Ausweg gab:

Gott.

Das Wiedereingliederungsgesetz brachte ihm einen Platz an der Katholischen Universität, die er mit einem Punktedurchschnitt von 3,9 und einem doppelten Abschluss in Philosophie und Psychologie beendete. Dann zwei weitere Jahre mit Scheißjobs und freiwilliger sozialer Arbeit, die meiste Zeit in AIDS-Kliniken. Man wusste, dass die Menschen einem etwas bedeuteten, wenn man ihnen ehrenamtlich den Arsch abwischte. Doch ...

Würde die Kirche einen ehemaligen Soldaten nehmen, einen Mörder?

Die Zulassung zum Priesterseminar war nicht einfach gewesen. Sie hatten es ihm nicht leicht gemacht. Es war Halford selbst gewesen, der die Vorbefragung am Christ-The-King-Seminar abgehalten hatte. »Warum wollen Sie Priester werden, Tom?«

»Damit ich den Menschen sagen kann, wie sehr ich Jesus liebe. Damit ich sie näher zu Ihm bringen kann«, war Alexanders einfache, aber ehrliche Antwort.

»Das reicht nicht«, sagte Halford. »Das ist eine Standardantwort.«

»Ich will etwas für die Welt und nicht für mich tun.«

»Reicht immer noch nicht.«

Doch dann hatte Alexander mehrere Dissertationen auf den Tisch gelegt. Arbeiten, die er selbst geschrieben hatte: moderne Anwendungen der Werke von Ignatius, Aquin, Kierkegaard; christliche Philosophie angewandt auf die 90er. Alexander hatte das Seminar im Alter von 32 Jahren als Klassenbester beendet.

Doch er brauchte nicht lange, um zu erkennen, dass sie ihm nie eine eigene Gemeinde geben würden. Sie sind als Psychologe zu wertvoll, Tom, war jahrelang Halfords bevorzugte Ausrede gewesen. Wertvoll? Manchmal gab ein Priester auf, und dann war es Alexanders Job, ihn wieder in die Spur zu bringen. Normalerweise war er erfolgreich, aber er fragte sich jedes Mal, ob es richtig war. Warum jemanden dazu zwingen, etwas zu tun, was er nicht mehr tun wollte? Den Rest der Zeit saß er in seinem kleinen Büro hinter der Hauptpfarrei von Richmond und versuchte, gebrochene Männer zusammenzuflicken. Nie kamen Priester aus eigenem Antrieb zu ihm, ihnen wurde die Psychotherapie von der Kirche oder vom Gericht befohlen. Er bekam viele Alkoholiker und viele mutmaßliche Pädophile. Disulfiram für die Alkoholiker, Verhaltenstherapie für die Pädos. »Du bist ein gottverdammter Priester, du Arschloch!«, schrie er sie an. »Priester fummeln nicht an Kindern herum! Und komm mir jetzt nicht mit irgendwelchem Scheiß von wegen schwerer Kindheit oder Hormonstörungen! Du bist Priester, und du trägst Verantwortung! Die Leute vertrauen dir wegen diesem Scheißkragen an deinem Hals und du hast eine Verpflichtung ihnen gegenüber. Wenn du weiter mit Kindern rummachst, wanderst du in den Bau, und da wirst du feststellen, was wirklich sexueller Missbrauch ist. Ist es das, was du willst, du harter Bursche? Willst du die Zellenblocknutte werden? Hast du überhaupt eine Ahnung, was Schwerverbrecher mit Kinderfickern anstellen? Sie machen dich zur Knastpussy. Sie machen dich schneller zur Nutte, als du drei Ave Marias aufsagen kannst, und sie reichen dich jede Nacht für ’ne Handvoll Zigaretten weiter. Aber das wird die kleinste deiner Sorgen sein, denn wenn du das noch einmal machst, werd’ ich dir dermaßen in den Arsch treten, dass deine eigene Mutter dich nicht wiedererkennt!«

Er setzte sie auf Depo-Provera und schickte sie verdattert nach Hause. Natürlich gab es viele Beschwerden über Alexanders Methoden. Doch die Diözese klopfte ihm nie auf die Finger, da seine Erfolgsquote außergewöhnlich hoch war. Jeder Priester, der vom Weg abkam, war eine Peinlichkeit, und die Kirche mochte keine Peinlichkeiten. Hier ist das Problem; bring es in Ordnung. Es interessierte sie nicht, wie.

Doch was war mit Alexanders eigenen Problemen? Zölibat seit 28 und kein einziges Mal hatte er daran gedacht, sein Gelübde zu brechen. Verdammt, ich hole mir noch nicht mal einen runter. Er rauchte und trank in Maßen, und – na ja – er hatte eine Vorliebe für Kraftausdrücke, nicht gerade eine besonders priesterliche Eigenschaft. Einmal hatte er bei den Feierlichkeiten anlässlich einer Priesterweihe Monsignore Tipton ein Arschloch genannt, als sie sich darüber stritten, ob Mädchen als Messdiener zugelassen werden sollten. Halford hatte sich fast in seine Soutane gemacht. »Verdammt, Tom! Dieser Mann wird eines Tages Kardinal werden und Sie haben ihn gerade ein Arschloch genannt!«

Alexander zuckte die Schultern. »Er ist ein Arschloch.«

»Das spielt keine Rolle! Er könnte einen Verweis fordern! Wollen Sie das in Ihrer Priesterakte stehen haben? Er könnte Sie auf eine Mission nach Afrika schicken, um Gottes willen.«

»Soll er doch«, sagte Alexander. »Ich werde ihn in den Arsch treten, dass er nicht weiß, wo oben und unten ist.«

»Er verdient Respekt!«

»Er verdient einen Tritt in den Hintern.«

»Sie sind unmöglich, Tom!«, fuhr Halford mit seiner Tirade fort. »Sie sind so unschicklich, so ... profan. Sie fluchen schlimmer als ein Bierkutscher. Es gibt absolut keine Entschuldigung für einen Priester, der eine solche Sprache verwendet.«

»Was für eine Sprache würden Sie denn vorziehen? Französisch? Deutsch? Wie wäre es mit Vulgärlatein oder Sanskrit? Egal, wie Sie es betrachten, Tipton ist ein vorsintflutliches Arschloch mit mittelalterlichen Ideen, die den Bedürfnissen der Gläubigen widersprechen. Es sind Leute wie er, die für den zunehmenden Niedergang der Kirche verantwortlich sind, und das habe ich ihm auch gesagt. Ich bezeichne die Leute als das, was sie sind. Tipton ist ein Trottel. Ein Scheißkerl. Ein kirchenbürokratischer Speichel leckender Schlappschwanz, der nur wegen seiner eigenen Selbstverherrlichung noch im Geschäft ist, und wenn der Papst ihn jemals zum Kardinal macht, dann kotze ich ihm auf die Soutane.«

»Allmächtiger Gott, Tom«, stöhnte Halford.

Das also war Alexanders klerikale Misere. Wenn er kein richtiger Priester sein konnte, dann wollte er überhaupt keiner sein. Und wenn die Diözese ihn mit großzügigen Zuwendungen unter den Teppich kehren wollte, dann sollte sie es tun. Wenigstens konnten sie ihn nicht rauswerfen. Du wirst für immer ein Priester sein, hatten sie ihm bei seiner Weihe versprochen. Jetzt haben sie mich am Hals und ich sie. Außerdem bin ich wahrscheinlich der beste diözesane Psychologe im ganzen Land und das wissen sie.

Es war beinahe zum Lachen. Jeder Priester wollte seine eigene Gemeinde und Alexander wusste, dass er niemals – nicht in einer Million Jahren – eine bekommen würde. Und warum?

Er lachte laut hinter dem Lenkrad auf. Weil ich fluche!

Also nahm er die Karten, wie sie kamen. Es war Schicksal, oder? Es war calvinistische Prädestination, an die Alexander noch nicht einmal glaubte.

Wenn Gott nicht will, dass ich meine eigene Gemeinde bekomme, sagte er sich, dann wird Er Seine Gründe dafür haben, und ich werde mich nicht mit Ihm streiten.

Und in der Zwischenzeit:

Da war immer noch Wroxeter Abbey. Er würde mindestens einen Monat dort oben verbringen, um die Ausgaben für die Wiedereröffnung abzuschätzen, die laufenden Kosten zu berechnen und die ersten Renovierungsarbeiten zu beaufsichtigen. Nun, es würde ihm guttun, eine Weile wegzukommen. Richmond war im Herbst, Winter und Frühling sehr schön, aber im Sommer war es eine öde, heiße, hässliche Stadt.

Ja, es wird nett sein, mal in die freie Natur zu kommen.

Tief im Hügelland von Virginia lenkte Alexander den Mercedes um die nächste Kurve, zur Ausfahrt, die ihn von der Route 23 herunterbrachte.

In weniger als einer Stunde würde er da sein.

(III)

Die Puppe schrie, als Bighead ihre Klitoris rausfraß und die Mösenhaut drumrum. ’ne Menge Blut schon da unten – vom Fick, den er ihr grade verpasst hatte – und Bighead mochte ’n Geschmack von Blut, yes Sir, vor allem gemischt mit ’m Geschmack von Mädchenfleisch. Hatte sie mächtich aufgebumst, als er sein’ Prügel reinsteckte, ziemlich zerfetzt, aber das war Bighead schon gewohnt. Hatte immer noch keine Fotze gefunden, die groß genuch für sein’ Hammer war.

So ’n Pech.

War hübsch, die Puppe. ’ne richtig hübsche kleine Puppe, die er am großen Bach gefunden hatte, der aus ’m Unterwald kommt. Hatte sich fein vorgebeugt und Rohrkolben geflückt, vielleicht wollt’ sie da Fannkuchen von machen, wie Grandpap ihm’s mal gezeigt hatte. Die warn mächtich lecker.

Die Puppe hatte fast keine Haare an ihrm Schlitz und sie hatte genau ’n richtigen Geruch. Geil und scharf und nich’ so stinkich wie die meisten Puppen, die Bighead bisher so gefunden hatte. Auch bisschen Haar unter ’n Armen, das Bighead gleich rausriss und mampfte, als er damit fertich war, mit sei’m Rohr in ihrm blutigen Loch rumzurühren. Und süße kleine Füße, winzich klein, und Bighead wischte den Dreck davon ab und knabberte dann die Haut von ihr’n Zehen runter, als Nachtisch.

Dann knackte er ihre Rübe mit ’m Holzklotz und futterte ihr Hirn.

Echt salzich war das, mehr als bei der letzten Puppe. Fleischiger. Viel mehr Geschmack ...

Scheiße Mann, das war echt der Hammer, rohes Hirn aus ’m frisch geknackten Schädel zu futtern!

Natürlich hat Bighead, bevor er ihr Hirn mampfte, ihr Arschloch erstma’ orndlich ausgelutscht. Bighead mochte ’n Geschmack von Arschritze, ja, mocht’ er. Das war außagewöhnich, ’n Wort, das Grandpap ihm beigebracht hatte. War fein, den heißen Kack direkt aus ’m engen Loch zu lutschen, und wenn sie tot warn, war’s immer einfacher. Diese Puppe hier, das kleine Blondie – he, Bighead konnte sogar schmecken, was sie gestern gefuttert hatte. Frischen Mais und Schinken und gekochten Kohl. Paar Flussmuscheln warn auch dabei, das wusste Bighead, weil Muscheln warn immer irnkwie zäh und blieben ihm zwischen ’n Zähnen stecken. Für Bighead war Futter immer am besten, wenn’s aus ’m Hintern von ’ner Puppe kam. Aber echt! Müsst ihr mal probiern!

Dann hockte er sich auf ’n Baumstumpf und kuckte in ’n blauen Himmel und wie die Vögel in ’n Bäumen rummachten und noch mehr so schönes Zeug. Aber wie er das Blondie genudelt hatte – wie er nur wieder dran dachte, wisst ihr – da wurde Bighead gleich wieder hart wie Grandpaps Spazierstock aus Kirschholz. Also holte Bighead ihn wieder raus und rubbelte sich gleich nochma’ so richtig ein’ ab, yes Sir. Guter Schuss war das, echt gut, da wurden ihm die Knie von weich. Wichste in seine Hand und schlürfte’s gleich auf, weil, wisst ihr, Bighead vergeudete nich’ gern was, nich’ mal sein’ eignen Pimmelrotz.

Und ’s schmeckte gut.