18

Der Schleier des Schlafes lichtete sich langsam, und Talias Blick wurde klarer. Aber der Traum verging nicht.

Adam war zurück.

Sein Kinn von einem grauen Schatten aus Bartstoppeln überzogen. Vollkommen erschöpft, seine Lider schwer, sein Blick wachsam und besorgt. Die Last des Krieges erdrückte ihn.

Aber er war zurück.

Nur: Wie brachte sie ihn dazu zu bleiben?

Talia führte eine Hand zu ihrem Morgenrock und löste den Gürtel. Die eine Seite des Mantels glitt dank der Schwerkraft allein von ihrem Körper; die andere schob sie zur Seite. Ihr träges Herz begann stürmisch zu schlagen, ihre entspannten Nerven vibrierten nervös. Als die kühle Luft über ihre nackte Haut strich, überzog eine Gänsehaut ihre Beine bis hinauf zu ihrem Bauch und richtete ihre Nippel auf.

Bei ihrem Anblick löste sich ein Stöhnen aus Adams Kehle, das tief aus seiner Seele kam.

Talias Hals schmerzte von einem Ton, der aus ihrer eigenen Seele drängte, aber sie hielt ihn zurück. Was sie empfand, klang wahrscheinlich vollkommen wirr harte Vorwürfe wurden von Sorge hinweggespült, eine Angstwelle weckte die Sehnsucht nach dem festen Halt seiner starken Arme, Lust strömte viel zu schnell auf einen Abgrund zu, den sie allein nicht überlebte.

Aber wie konnte sie irgendetwas davon sagen, wenn sie nicht sprechen durfte, damit sie gesund wurde? Sie würde gesund werden und dann schreien, als wenn sein Leben davon abhinge. Nein, sie würde schreien, weil sein Leben davon abhing.

Verzweiflung lastete schwer auf ihrem Herzen, während Adam sie anstarrte er wirkte schon halbtot. Er war ihr Kraftzentrum, ihr Boden, der Fels dieser Welt, aber er wankte.

Der Mann brauchte Schlaf, keinen Sex. Vielleicht war das doch keine so gute Idee. Talia setzte sich unsicher auf.

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Was von Adams Willenskraft geblieben war, löste sich vollends auf, als Talia ihren nackten Körper aufrichtete. Ihre Brüste zeigten sich in ganzer Fülle, ihre Beine waren leicht gespreizt, und als ihre Füße den Boden berührten, bildete sich ein verführerisches dunkles Dreieck. Der Morgenrock lag ausgebreitet hinter ihr, und ihre Haare fielen in dichten Locken über ihre Schultern. Seine schlafende Schöne war nun hellwach.

Sein Mund wurde trocken, während sein Körper seinen Verstand verriet, die Lust seine Willenskraft verdrängte. Ich komme hier jetzt nicht unbemerkt weg, sein Blut war aufgewühlt und spülte eine Lawine des Verlangens aus den zerklüfteten Felsen seines Verstandes.

Er sollte gehen, irgendeinen Vorwand nutzen, um ein paar Stunden zu gewinnen. Gehen war das Klügste, was er tun konnte, und daher das Richtige. Er durfte Talia nicht noch mehr verwirren, als er es schon getan hatte. Und sich selbst auch nicht.

Doch seine Erschöpfung und seine Lust zwangen ihn in die Knie, und er zog sich an ihr hoch. Mit aller Kraft klammerte er sich an die gepolsterte Bank, kämpfte mit sich selbst und lockte sie zugleich. Während seine Brust sich schwer hob und senkte, neigte er den Kopf in ihren Schoß und spürte ihre weiche kühle Haut an seiner heißen Wange.

Die Verspannungen in seinem Nacken lösten sich, während sich ein anderer Teil unerträglich spannte. Dass er Talia berührte, war ein weiterer Fehler. Seine Fehler türmten sich um ihn herum, Stein auf Stein. Er hätte so vieles anders machen müssen, hätte vieles schon viel früher begreifen müssen. Seinen Kopf in Talias Schoß zu legen, war mit das Dümmste, was er tun konnte, denn wie konnte er ihr so nah sein, ohne von ihr zu kosten?

Er ließ seine Hände an den Außenseiten ihrer schlanken Schenkel bis zu der festen Rundung ihres Hinterteils hinaufgleiten, umfasste ihre Pobacken und zog sie an den Rand des Diwans. Sie ließ die Hände auf seinen Kopf sinken, strich mit den Fingern durch seine Haare und trieb eine elektrisierende Lustwelle durch seinen Körper, die ein wildes Feuer in ihm entfachte.

Er vergrub kurz sein Gesicht in ihrer Hüftbeuge, direkt über ihren krausen Locken sie hatte geduscht und roch himmlisch, wie frischer Frühlingsregen. Sicher war sie auch feucht.

»Ich kann mich einfach nicht dagegen wehren«, sagte er mit dem Mund an ihrer Haut und strich mit den Lippen über ihren Bauch hinauf zu ihrer Brust.

»Dann lass es«, flüsterte sie zurück, denn sie sehnte sich danach, seinen Körper auf ihrem zu spüren, seine Haut auf ihrer.

Talia griff die Ärmel seines T-Shirts und zog es ihm über den Kopf. Er hob kurz Hände und Arme, mit denen er gerade dabei war, seine Hose abzustreifen.

Mit einer lustvollen Bewegung drang er in sie ein.

Schatten entströmten Talias Lust und waberten zwischen ihnen wie dunkler Dampf aus Wasser und Feuer. Ausnahmsweise wehrte sie sich nicht gegen ihre reflexartige Reaktion. Sie ließ zu, dass die Schatten den Raum füllten, während Adam in sie eindrang, in ihren Körper, ihre Seele.

Eine Woge der Lust erregte ihre Sinne derart heftig, dass sie sich ihm entgegenbog. Sie schlang die Beine um seinen Körper und zog ihn dichter an sich, sie wollte alles geben, um seine Lust zu stillen.

Er hatte sie schon einmal so begehrt. Ihr erster Kuss in Segue war von diesem Verlangen bestimmt gewesen, damals war sie davor geflohen. Jetzt verschloss sie sich dem nicht mehr, lief nicht mehr davon. Er drang in sie ein, wollte sich vergessen, seine Sorgen, seine Nöte, und sie reagierte darauf mit ihrer eigenen Lust. Adam, nur Adam durfte sie so sehen, ihre Feenseite und ihre menschliche Seite vollkommen ungeschützt. Endlich.

Adam drückte Talia zurück in die Polster, bedeckte ihren Körper mit seinem und tauchte mit einem Kuss in ihre Schatten ein. Er strich mit den Zähnen über ihre Unterlippe. Seine Zunge liebkoste ihren Mund, ihren Hals, ihre Brust. Das Glück ihrer verbundenen Körper ließ keinen Gedanken zu, keinen Widerspruch. Es gab nur sie und ihn, sie ritten auf Wellen aus Feuer.

Sie strahlte wieder ihre Schatten gaben ebenso viel von ihr preis wie sie verbargen sie war unglaublich schön, magisch, und zugleich eine Frau. Seine Frau.

Er ließ eine Hand um ihre Hüfte gleiten, griff tief zwischen ihre Beine, um sie noch mehr zu öffnen und drang wieder in sie ein. Und noch einmal. Die sinnliche Reibung wirkte wie ein Streichholz, das sie entflammte.

Talia spürte es wie einen Blitz am Horizont, eine Explosion, die ihre Wahrnehmung für immer veränderte. Adams Gefühlsschleier aus Selbstvorwürfen, Bedauern und Kummer wurde transparent, und Talia erkannte den Grund für Adams unbeugsamen Willen.

Es war sie selbst. Er war bereit, alles für sie tun.

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Als Adam aus der Dusche kam, war Talia weg. Schnell schlüpfte er in seine schwarze Jeans und ein langärmeliges T-Shirt, das er in einem Secondhandladen am Bahnhof gekauft hatte. Es war Zeit zu gehen.

Er fühlte sich völlig klar und sah sein Ziel deutlich vor Augen. Schon lange hatte er sich nicht mehr so ausgeglichen gefühlt. Hundemüde, ja, aber seit er Talia geweckt hatte, fühlte er sich seltsamerweise irgendwie besser vorbereitet.

Talia.

Er holte den USB-Stick und den Notizzettel und legte beides zurück auf den Beistelltisch, damit sie es später fand. Er hatte ihre Zukunft so sicher gestaltet wie er konnte.

Während er den Raum verließ, schob er das Röhrchen mit den L-Pillen tiefer in seine Tasche. Als er an der offen stehenden Tür vorbeikam, spähte er in Abigails Zimmer, doch sie war nicht da. Am Fuß der Treppe hielt er einen Jungen mit abstehenden Haaren und rosaroten Strähnen an.

»Wo ist Talia?«, fragte Adam.

Die Tür zur Garderobe ging auf, und Zoe trat heraus. Sie hielt eine Smokingjacke am Kragen fest und streckte sie ihm entgegen.

»Gerade noch rechtzeitig«, sagte sie. »Aber das wusste ich eigentlich schon.«

»Ich kann nicht. Ich muss eine Weile weg.« Er drängte sich an Zoe vorbei, um ein letztes Mal mit Talia zu sprechen.

Als er hereinkam, drehte Talia sich zu ihm um. Alle Fragen, die er hatte stellen wollen, alle seine Pläne lösten sich schlagartig in Luft auf, und Adam blieb fast das Herz stehen.

Ihre dichten weißgoldenen Locken ergossen sich über ihre blassen, nackten Schultern. Ein schwarzes Korsett schnürte ihre bereits schlanke Taille zu einem Nichts zusammen und stellte derart interessante Sachen mit ihren Brüsten an, dass er sie am liebsten augenblicklich die Treppe wieder hochgezerrt hätte. Sie trug einen langen schwarzen Rock, der auf den ersten Blick schlicht wirkte, bis sie sich umdrehte, um im Spiegel nervös ihr Aussehen zu überprüfen, und er eine viktorianische Turnüre auf der Rückseite entdeckte. Es juckte ihm in den Fingern, unter den Stoff zu schlüpfen und über die seidige Haut ihres Hinterns zu streichen, die sich darunter verbarg. Die spitzen Schuhe, die unter dem Saum hervorlugten, hatten etwas Hexenhaftes, waren aber sehr sexy.

Talia legte eine Hand auf ihre schmale Taille. »Ich hätte mich von Zoe nicht dazu überreden lassen sollen. Sie hat gesagt, es sei angemessen, aber ich sollte mich wieder umziehen. Das bin eindeutig nicht ich.«

Adam hatte einen trockenen Mund. »… hinreißend.« Er schluckte schwer und versuchte es noch einmal. »Du siehst hinreißend aus.«

»Gegen die Haare hat sie sich vielleicht gewehrt, aber ich habe gewonnen«, sagte Zoe, die erneut mit dem Jackett auf ihn zukam.

»Mir gefällt es auch, wenn sie die Haare offen trägt«, murmelte Adam. Ihr Pferdeschwanz hatte ihn in Segue beinahe verrückt gemacht.

Talia errötete, die Farbe kroch von den wundervollen Wölbungen ihres Dekolletés bis hinauf in ihre Wangen. Sein Blut strömte genau in die entgegengesetzte Richtung.

Talia sah majestätisch aus, ganz wie eine edle Prinzessin, aber nicht die übliche Sorte aus den Kindermärchen. Nicht einmal annähernd. Talia war die Fleischwerdung seiner Fantasien, seiner dunkelsten Träume. In denen er immer wieder um die Befriedigung einer Frau gefleht hatte, die ihn geistig, körperlich und seelisch herausforderte. All das hatte sie ihm gegeben, und zwar genau in dieser Reihenfolge. Wenn es so etwas überhaupt gab, war Talia seine Seelenverwandte. Das war ihm jetzt klar.

Als er sie musterte, funkelten ihre schwarzen Augen vor Freude. Der Anblick löste einen Schmerz an einer Stelle in ihm aus, an die Blut- und Nervenbahnen nicht heranreichten. Es war der unbestimmte Teil in ihm, der für immer Talia gehörte.

»Was auch immer es ist, es kann warten.« Zoe hob die Brauen und machte ein bedrohlich wissendes Gesicht. Die Göre wusste ganz offensichtlich, was er vorhatte, und würde ihn verpetzen, wenn er nicht mitkam. Zoe stieß ihn mit dem Jackett an, und er nahm es ihr mit einem ebenso bedeutungsvollen Blick ab.

Zoe streckte ihm die Zunge heraus und drehte ihm den Rücken zu. »Talia, zieh schon einmal die Handschuhe an.«

Talia nahm einen schwarzen Satinhandschuh, griff den langen Schaft, ließ ihre rechte Hand hineingleiten und wackelte mit den Fingern, bis sie in den Spitzen angekommen war. Sie zog den Stoff über den Ellbogen ihren weißen Arm hinauf.

Der Anblick bedeutete Qual und Glück zugleich. Er wollte dabei sein, wenn sie die Handschuhe wieder auszog. Nein, er wollte sie ihr selbst abstreifen.

»Atmen nicht vergessen, Adam.« Zoe lachte. »Und zieh das Jackett an, bevor wir alt werden.«

Er schlüpfte in die Smokingjacke, während Talia den anderen Handschuh ihren linken Arm hinaufschob.

Er hatte keine Zeit. Er musste allein mit Talia sprechen und sich dann auf den Weg machen

»Es sitzt ein bisschen eng, aber es wird gehen«, stellte Zoe fest. »Hört jetzt auf, euch gegenseitig anzuschmachten und kommt.«

Zoe leitete sie durch einen schmalen Flur im ersten Stock und um die Ecke zu einer Tür, von der die Farbe abblätterte und durch die man anscheinend in das Herz des Klubs gelangte.

»Wartet zehn Sekunden und kommt mir dann nach«, wies Zoe sie an. Sie öffnete die Tür einen Spaltbreit und schlüpfte hinein.

Endlich war er allein mit Talia.

Er spürte das Tablettenröhrchen, das sie für immer voneinander trennen würde, deutlich in seiner Tasche.

Adam wartete einen Augenblick und überlegte, was von den vielen Sachen, die ihm im Kopf herumgingen, er ihr sagen wollte, sagen musste. Schließlich entschied er sich für den lautesten Gedanken.

»Hoffentlich werden wir heiraten«, sagte er.

Talia gab ein ersticktes Quieken von sich. Ihr Ausdruck war unbezahlbar und dabei hatte er gedacht, für den entsprechenden Betrag könnte man alles kaufen.

Sie sah ihn aus ihren großen Augen ungläubig und gespannt an. Und dann etwas verletzt. »Mach keine dummen Witze«, entgegnete sie.

»Ich mache keine Witze, Talia. Der Klub hat ein Medium im Haus. Für Abigail muss ziemlich offensichtlich sein, was ich mir für meine Zukunft wünsche.« Natürlich nur, wenn ich eine Zukunft habe.

»Das ist keine Hochzeit. Sie wollen nur, dass ich einen großen Auftritt habe.« Ihre bezaubernden Augen füllten sich mit Tränen. Sie biss sich auf die Unterlippe, bis diese sich kirschrot färbte.

Natürlich musste er sie nun küssen.

Er strich mit seinen Lippen sanft über ihren Mund, denn er wollte, dass die Berührung romantisch war, aber als sie ihre Lippen öffnete und er in ihr versank, erwachte augenblicklich seine Lust. Er glitt mit den Händen über die Stäbe des Korsetts und klammerte sich verzweifelt an sie, während sie ihre Hände in seinen Haaren vergrub und ihn dicht an sich zog. Sie lösten die Lippen voneinander, und Talia streifte sein Kinn mit ihrem Mund, während er mit seinem ihre Stirn berührte. Dabei klammerten sie sich in dem Bemühen aneinander, sich noch näher zu sein.

Schwach bemerkte er, dass sie zitterte. Nein, das war ja er.

Er richtete sich auf und bemühte sich um etwas männliche Haltung. »Wollen wir hineingehen, meine Dame?« Er bot ihr seinen Ellbogen an.

Ihre Augen waren voller Tränen. Sie tupfte sie mit ihren Handschuhen ab und ergriff seinen Arm.

Dann hob sie majestätisch das Kinn und erwiderte. »Gehen wir.«

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Talia ergriff Adams Ellbogen und öffnete die verschrammte Tür zu dem Hauptraum des Klubs.

Sie betraten eine höfische Unterwelt.

Der Klub befand sich in einem Betonloch unterhalb der Straße. Die niedrige Decke verstärkte den Eindruck, sich in einem Grab direkt unter der Erde zu befinden.

Als die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel, verstummte die versammelte Menge und teilte sich, wodurch ein breiter, amarantroter Läufer zum Vorschein kam, der vor dem dreidimensionalen Schwarz des Raumes leuchtete. Die Symbolik blieb Talia, die sich ihr halbes Leben lang mit Nahtoderfahrungen beschäftigt hatte, nicht verborgen: Die Farbe Amarant symbolisierte die Unsterblichkeit.

Der Läufer endete an einem erhöhten Podest, der Bühne des Klubs, wo ein aufwendig geschnitzter orientalischer Thron aus dunklem Holz wartete. Auf der einen Seite saß Abigail in einem Rollstuhl. Ihr Körper schien noch eingefallener, und ihre Augen bestanden ganz aus trüben Schatten. Auf der anderen Seite stand Zoe mit gewichtiger Miene.

Talias Magen krampfte sich zusammen. Wie angewurzelt blieb sie auf der Schwelle stehen.

Oh, bitte, nein. Der Stuhl war für sie bestimmt.

Adam schritt voran, sodass ihr nichts anderes übrig blieb als ihm zu folgen. Entweder das oder wieder aus der Tür zu verschwinden, aber da sie sich vorgenommen hatte, den verschwiegenen Mann nicht mehr aus den Augen zu lassen, zwang sie sich, den Gang hinunterzugehen.

Die murmelnde Menge zu beiden Seiten war in ihre beste Trauerkleidung gewandet, wobei die Mode von neoviktorianisch bis zu modernem Vampirstil reichte. In ihren Korsagen aus Leder und Vinyl strahlten die Frauen eine starke Erotik aus, einige waren bauchfrei, andere trugen Netzstrümpfe oder verschlungene Tätowierungen mit gefährlichen Dornen, alle wunderschön und feierlich. Eine von ihnen hatte eine Art Punk-Tutu aus schwarzem Tüll an, andere waren in hautengen Lederhosen gekommen oder Miniröcken, die in eine Peepshow gepasst hätten. Die Männer trugen schwarze Hosen, Jeans oder Tarnkleidung. Einige waren in elegante lange Ledermäntel gehüllt, die über den schwarzen Boden schleiften, was aussah, als tauchten ihre Träger aus den Schatten auf. Ihre Haare waren schwarz oder schrill bunt gefärbt, bei manchen standen sie wild vom Kopf ab, andere hatten sie ganz glatt frisiert. Männer wie Frauen waren gleichermaßen geschminkt, einige weiblich, andere gruselig fatalistisch.

Sobald Talia das Podium erreicht hatte und sich umdrehte, begann Zoe zu sprechen. »Seit geraumer Zeit sind wir uns einer wachsenden Bedrohung bewusst. Es ist ein Dämon in unsere Welt gelangt, der sich selbst als Todessammler bezeichnet. Das ist seine Aufgabe, er sammelt Tote. Dadurch produziert er menschliche Monster. Sie können nicht sterben und ernähren sich von Menschen, damit sie sich nicht in gefräßige Bestien verwandeln. Abigail hat ein Ende vorausgesehen. Nun ist es da.«

Talia beobachtete, wie Zoes Blick kurz zu Adam zuckte. Was hatten sie vor?

»Ich darf euch die Prinzessin der Todesboten vorstellen, die Tochter vom Meister des Todes, Talia O’Brien. Talia, möchtest du vielleicht etwas sagen?«

Wa ? Talia blickte erschrocken zu Zoe. Hier gab es offenbar keine Geheimnisse.

Adam räusperte sich. »Talia erholt sich derzeit von einer Verletzung und darf nicht sprechen. Aber ich möchte euch für eure Gastfreundlichkeit danken. Für die Hilfe, die ihr uns heute gewährt habt. Was die Monster dort draußen angeht, die Geister, haben wir einen Plan und werden alles tun, damit sie sich nicht weiter ausbreiten.«

Die Menge applaudierte.

Talia beobachtete, wie Adam sich an Zoe wandte. »Können wir etwas Musik bekommen? Etwas Langsames. Ich würde gern mit Talia tanzen.«

Zoe nickte, schien einen Augenblick nachzudenken, trat dann zur Seite und flüsterte jemandem hinter der Bühne etwas ins Ohr.

Adam nahm Talias Hand und führte sie auf die Tanzfläche. Ihr Atem ging schneller, als die Menge für sie Platz machte. Während Adam sie zur Mitte der Fläche führte, bildeten die anderen einen Kreis um sie.

»Etwas Schatten bitte«, bat Adam so laut, dass jeder es hören konnte. »Versteck dich nicht mehr. Zeig ihnen, wie du strahlst.«

Zusammen mit dem warmen Schimmer in seinen Augen brachten die Worte tatsächlich etwas in ihr zum Leuchten. Sie lud die Schatten ein, sich leicht über den Raum zu legen, während das tiefe Dröhnen einer Bassgitarre, die wie ein Herzschlag tönte, den Beginn des Musikstücks ankündigte.

Adam legte die Arme um sie. Alles wurde gut. So perfekt, wie sie zusammenpassten, konnte es gar nicht anders sein. Kein Dämon oder Monster konnte über so etwas Wunderbares triumphieren. Nicht, nachdem sie endlich die Antworten gefunden hatte, die sie benötigte. Die Verbindung, die sie brauchte.

Die Melodie des langsamen Stückes legte sich über den Bass und erzählte von einer unvergesslichen Liebe. Adam strich mit der Hand ihren Rücken hinauf und ließ sie auf ihrer nackten Schulter liegen, seine Finger berührten ihre Haare, sein Körper bewegte sich langsam im Takt mit ihrem.

»Ich muss eine Weile weg«, murmelte er.

Talia hielt die Luft an, ihr Herz zog sich zusammen, denn sie spürte, dass er sie anlog. Sie hatte Lust, ihm das zu sagen. Aber was würde er von ihr denken? Würde er sie verlassen?

»Ich muss nur etwas Kleinkram erledigen, dann bin ich zurück«, behauptete er in beschwichtigendem Ton, als wüsste er, dass sie Verdacht schöpfte.

»Kannst du nicht warten, bis das hier vorbei ist? Ich komme mit dir«, flüsterte Talia. Bitte lass mich mit dir gehen.

»Ich muss mit ein paar Informanten sprechen. Die sind sehr empfindlich. Wenn jemand dabei ist, reden sie nicht mit mir.«

Noch eine Lüge. Nun gut.

Talia hob ihr Kinn und eröffnete ihm ihr letztes Geheimnis. »Du solltest wissen dass ich fühlen kann, was du fühlst. Das ist noch eines von meinen seltsamen Talenten.«

Er zog die Brauen zusammen, ließ sie aber nicht los.

Sie fuhr fort. »Ich weiß, dass du mich anlügst. Mein gesamter Körper schreit Lüge. Seit wir Custo gefolgt sind, bist du anders. Verschlossen.«

»Du fühlst, was ich fühle.« Adam streifte ihre Stirn mit seinen Lippen. »Das ergibt einen Sinn. Ich habe gespürt, dass du durch mich hindurchsehen kannst, und habe mich die ganze Zeit gefragt, wieso.«

»Ich hätte es dir sagen sollen «

»Schhh. Es ist zu spät, um irgendetwas zu bereuen. Was fühle ich jetzt?«

Talia schluckte schwer und ließ sich von ihm auf der Tanzfläche drehen. »Kummer.«

»Custo «, hob Adam an. Talia spürte, wie er tief Luft holte. »Custo hätte nicht so sterben dürfen. Qualvoll und gebrochen.«

Talia lehnte sich zurück, um Adam in die Augen zu sehen. »Du bist nicht schuld an seinem Tod.«

Adam wandte den Blick ab. »Er war in meiner Wohnung, ist meinen Anweisungen gefolgt, hat meinen Krieg geführt. Ich habe ihn vielleicht nicht umgebracht, aber ihn ganz bestimmt in die Schusslinie getrieben.«

»Er hat meinen Krieg geführt«, widersprach Talia. Sie konnte nicht erklären, wie sehr sie sich für Custos Tod verantwortlich fühlte. Wenn sie ihr Anderssein nur eher in den Griff bekommen hätte, würden vielleicht beide noch leben, Patty und er.

»Okay, den Krieg der Welt«, sagte Adam. »Der Punkt ist, dass er nicht mehr da ist. Ich werde darüber hinwegkommen, aber erst, wenn der Dämon zerstört ist. In der Zwischenzeit muss ich arbeiten. Es gibt ein paar Sachen, die ich allein zu erledigen habe. In Gang bringen muss. Später kannst du mir helfen, einen neuen Ort zu finden, an dem du dich erholen kannst. An dem wir etwas mehr Privatsphäre haben.«

Noch eine Lüge, aber mit so viel Liebe vorgetragen, dass sie sie einfach durchgehen lassen musste.

Er hob einen Mundwinkel zu einer Art Lächeln. Sie musste sich damit abfinden, auch wenn es ihr nicht gefiel.

»Wirst du jetzt einfach mit mir tanzen?« Ohne ihre Antwort abzuwarten, zog Adam sie an sich.

Talia schlang ihre Arme fest um seinen Körper. Solange es ging, wollte sie ihn so dicht wie möglich bei sich haben. Die Melodie strebte ihrem Höhepunkt entgegen und drückte Hoffnung aus, aber der Text erzählte von Verlust. Von Trennung.

Was wusste Zoe über die Zukunft, dass sie ein solches Stück für den ersten Tanz mit Adam ausgewählt hatte?

»In ein paar Stunden bin ich zurück«, murmelte Adam und hauchte einen Kuss auf ihre Lippen. Er führte sie von der Tanzfläche.

Talia bemerkte, wie er verstohlen zu Zoe hinüberblickte, als sie zu dem Stuhl neben Abigail zurückkehrten.

Zoe wusste ganz offensichtlich eine Menge. Talia würde einige Antworten bekommen, und wenn sie Zoe dazu in Schatten ertränken musste. Ohne sie würde Adam nirgends hingehen.