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Ein Päckchen aus London
Das Päckchen traf im August ein. Der freundliche
Postbote war Jeffrey Wainwright, einer der wenigen fahrenden
Händler, deren Unternehmergeist ausreichte, um die gewundenen
Steilpfade nach Fraser’s Ridge zu erklimmen. Feuerrot im Gesicht
und keuchend von seiner Klettertour und dem Abladen seines
Packesels, reichte mir Mr. Wainwright das Päckchen mit einem
Kopfnicken und stolperte auf meine Einladung hin dankbar in
Richtung Küche davon. Seinen Esel ließ er auf dem Hof grasen.
Es war ein kleines Päckchen, ein Kästchen, das
sorgsam in Ölhaut eingenäht
und obendrein mit Zwirn verschnürt war. Es war schwer. Ich
schüttelte es, doch das einzige Geräusch war ein gedämpftes
Klopfen, so als sei der Inhalt mit einem dämmenden Material
verpackt. Auf dem Etikett stand schlicht: »An Mr. James Fraser,
Esq., Fraser’s Ridge, Carolina.«
»Was meinst du wohl, was das ist?«, fragte ich den
Esel. Es war eine rhetorische Frage, doch der Esel, der ein
freundliches Geschöpf war, blickte von seiner Mahlzeit auf und
ih-ahte als Antwort. Dabei baumelten ihm die Schwingelgrasstängel
aus dem Maul.
Das Geräusch provozierte Clarence und die Pferde zu
Neugier- und Willkommensrufen, und innerhalb von Sekunden tauchten
Jamie und Roger aus der Scheune auf, Brianna kam aus dem Kühlhaus,
und Mr. Bug erhob sich in Hemdsärmeln hinter dem Misthaufen wie ein
Geier, der von einem Stück Aas aufsteigt. Der Lärm hatte sie alle
angelockt.
»Danke«, sagte ich zu dem Esel, der bescheiden mit
dem Ohr wackelte und sich erneut dem Gras zuwandte.
»Was ist es denn?« Brianna stellte sich auf die
Zehenspitzen, um Jamie über die Schulter zu lugen, als er mir das
Päckchen abnahm. »Es ist doch nicht aus Lallybroch, oder?«
»Nein, es ist weder lans Handschrift... noch die
meiner Schwester«, erwiderte Jamie nach kaum merklichen Zögern,
obwohl mir nicht entging, dass er zweimal hinsah, um ganz sicher zu
gehen. »Aber es hat einen langen Weg hinter sich - per Schiff?« Er
hielt mir das Päckchen fragend unter die Nase. Ich roch daran und
nickte.
»Ja, es riecht ein wenig nach Teer. Sind denn keine
Begleitpapiere dabei?«
Er drehte das Päckchen um, dann schüttelte er den
Kopf.
»Es war versiegelt, aber das Siegel ist fort.« An
der Paketschnur klebten ein paar gräuliche Wachsfragmente, doch das
Siegel, das uns Aufschluss über den Absender hätte geben können,
war längst den Strapazen der Reise und Mr. Wainwrights Lasttrage
zum Opfer gefallen.
»Hmp.« Mr. Bug schüttelte den Kopf und blinzelte
das Päckchen skeptisch an. »Keine Hacke.«
»Nein, es ist keine Hacke«, pflichtete Jamie ihm
bei und stemmte das kleine Päckchen abschätzend hoch. »Und auch
kein Buch, ganz zu schweigen von einem Block Papier. Sonst fällt
mir nichts ein, was ich bestellt habe. Meinst du, es könnte
vielleicht Saatgut sein, Sassenach? Mr. Stanhope hat dir doch ein
paar Dinge aus dem Garten seines Freundes versprochen, aye?«
»Oh, das könnte sein!« Das war eine aufregende
Möglichkeit; Mr. Stanhopes Freund Mr. Crossley besaß einen großen
Ziergarten mit einer Anzahl exotischer und importierter Gattungen,
und Stanhope hatte mir angeboten, sich zu erkundigen, ob Crossley
vielleicht zu einem Tausch bereit war; Samen und Setzlinge von
einigen der selteneren europäischen und asiatischen Kräuter seiner
Sammlung gegen Zwiebeln und Samen aus meiner »Bergfestung«, wie
Stanhope es nannte.
Roger und Brianna wechselten einen kurzen Blick.
Saaten faszinierten sie sehr viel weniger als Bücher oder Papier es
getan hätten. Dennoch war jeder Brief und jedes Päckchen eine
solche Abwechslung, dass niemand vorschlug, es zu öffnen, bevor man
nicht die Spekulationen über seinen Inhalt bis zur Neige
ausgekostet hatte.
Letztlich blieb das Päckchen ungeöffnet, bis auch
der Letzte von uns nach dem Abendessen Gelegenheit gehabt hatte, es
in den Händen zu wiegen, es zu befühlen und daran zu riechen und
seine Meinung über den möglichen Inhalt kundzutun. Nachdem er
seinen leeren Teller beiseite geschoben hatte, griff Jamie
schließlich feierlich nach dem Paket, schüttelte es ein letztes Mal
und reichte es mir.
»Der Knoten ist eine Aufgabe für Chirurgenhände,
Sassenach«, sagte er grinsend. So war es; wer auch immer das Paket
verknotet hatte, war kein Matrose gewesen, sondern hatte
Gründlichkeit anstelle von Kenntnis walten lassen. Ich musste
mehrere Minuten lang daran herumfummeln, doch schließlich bekam ich
den Knoten auf und rollte die Schnur für den zukünftigen Gebrauch
ordentlich zusammen.
Dann öffnete Jamie vorsichtig mit der Dolchspitze
die Naht, und zog unter den Erstaunenslauten der Anwesenden eine
kleine Holzkiste heraus. Sie war schlicht gestaltet, aber elegant
ausgeführt, hatte Scharniere und eine Schließe aus Messing, und in
den Deckel war eine passende Messingplatte eingelassen.
»Werkstatt Messrs. Halliburton & Halliburton,
Portman Square 14, London«, las Brianna, die sich mit gerecktem
Hals über den Tisch gebeugt hatte, laut vor. »Wer in aller Welt
sind Halliburton und Halliburton?«
»Ich habe nicht die leiseste Ahnung«, erwiderte
Jamie. Er hob mit einem Finger die Schließe und klappte behutsam
den Deckel auf. Im Inneren befand sich ein Beutel aus dunkelrotem
Samt. Er holte ihn heraus, öffnete die Zugschnur und zog langsam
einen... Gegenstand hervor.
Es war eine flache, goldene Scheibe von etwa zehn
Zentimetern Durchmesser. Mit vor Staunen weit aufgerissenen Augen
konnte ich sehen, dass ihr Rand wie bei einem Teller leicht erhöht
und mit winzigen Symbolen verziert war. In die Mitte des Kreises
war eine Perforation eingelassen, an der eine silbrige
Metallkonstruktion befestigt war. Diese bestand aus einer kleinen,
offenen Skala, ähnlich dem Ziffernblatt einer Uhr, doch ihre
Außenkante war durch drei Zeiger mit dem Mittelpunkt des Kreises
verbunden.
Der kleine Silberkreis war ebenfalls mit
eingravierten Symbolen verziert, die so fein waren, dass man sie
kaum sehen konnte, und während der eine Zeiger am Ende eine Lyra
trug, war der andere gewellt wie ein Aal. Darauf war ein goldener
Balken montiert, dessen Enden sich wie eine dicke Kompassnadel
verjüngten. Dieser war mit einem Stift in der Mitte der Scheibe
befestigt, so dass er sich um sich selbst drehen konnte. In der
Mitte des Balkens war in fließenden Buchstaben der Name »James
Fraser« eingraviert.
»Oh, was in aller Welt ist das denn?« Mrs.
Bug war natürlich die Erste, die sich von ihrer Überraschung
erholte.
»Es ist ein planisphärisches Astrolabium«,
erwiderte Jamie, der seine Überraschung ebenfalls überwunden hatte
und dessen Tonfall jetzt beinahe beiläufig klang.
»Oh, natürlich«, murmelte ich. »Was auch
sonst.«
Er drehte es um und gab eine flache Oberfläche
preis, in die mehrere konzentrische Kreise eingraviert waren, die
wiederum durch Hunderte von kleinen Markierungen und Symbolen
unterteilt waren. Auch diese Seite hatte einen Drehzeiger, ähnlich
der Kompassnadel auf der anderen Seite, allerdings rechteckig
geformt. Die Enden des Zeigers waren umgebogen, flach gedrückt und
eingekerbt, so dass die Kerben eine Art Visiereinrichtung
bildeten.
Brianna streckte einen Finger aus und berührte
ehrfürchtig die glänzende Oberfläche des Instruments.
»Mein Gott«, sagte sie. »Ist das wirklich
Gold?«
»So ist es.« Jamie legte ihr den Gegenstand
vorsichtig auf die ausgestreckte Handfläche. »Und was ich gern
wüsste ist, warum?«
»Warum Gold, oder warum ein Astrolabium?«, fragte
ich.
»Warum Gold«, erwiderte er und sah das Instrument
stirnrunzelnd an. »So etwas suche ich schon lange, konnte aber von
Albany bis Charleston keines finden. Lord John Grey hatte mir
versprochen, mir eins aus London kommen zu lassen, und ich vermute,
dass es dies ist. Aber wieso um Himmels willen...«
Wir alle waren noch von dem Astrolabium gefesselt,
doch Jamie wandte den Blick ab und griff statt dessen in die Kiste,
in der es gekommen war. Und siehe da, am Boden der Kiste lag eine
Notiz, die ordentlich zusammengefaltet und mit blauem Wachs
versiegelt war. Doch das Siegelwappen zeigte nicht Lord Johns
üblichen, lächelnden Halbmond mit Sternen, sondern einen
unvertrauten Fisch mit einem Ring im Maul.
Jamie betrachtete es stirnrunzelnd, dann erbrach er
das Siegel und faltete den Brief auseinander.
Mr. James Fraser, Esq.
in Fraser’s Ridge
Kronkolonie North Carolina
in Fraser’s Ridge
Kronkolonie North Carolina
Mein werter Sir,
Ich habe die Ehre, Euch das Beiliegende mit den
Empfehlungen meines Vaters, Lord John Grey, zu übersenden. Bei
meiner Abreise nach London gab er mir die Anweisung, das
bestmögliche Instrument zu erwerben, und da mir bekannt ist, wie
sehr er Eure Freundschaft schätzt,
habe ich mir alle erdenkliche Mühe gegeben, dies zu tun. Ich
hoffe, dass es Euren Beifall findet.
Euer ergb. Diener
William Ransome, Lord Ellesmere,
Hauptmann der 9ten Welsh-Dragoner
William Ransome, Lord Ellesmere,
Hauptmann der 9ten Welsh-Dragoner
»William Ransome?« Brianna war aufgestanden, um
über Jamies Schulter hinweg mitzulesen. Sie sah mich stirnrunzelnd
an. »Er sagt, Lord John ist sein Vater - aber ist Lord Johns Sohn
nicht noch ein kleiner Junge?«
»Er ist fünfzehn.« Jamies Stimme hatte einen
seltsamen Unterton, und ich sah, wie Roger abrupt von dem
Astrolabium in seinen Händen aufblickte und seine grünen Augen
plötzlich einen gebannten Ausdruck annahmen. Dann richtete er den
Blick mit jenem Ausdruck auf mich, den er in letzter Zeit
entwickelt hatte, als lauschte er auf etwas, das niemand sonst
hören konnte. Ich wandte meine Augen ab.
»... nicht Grey«, sagte Brianna gerade.
»Nein.« Jamie betrachtete nach wie vor den Brief in
seiner Hand und klang leicht abwesend. Er schüttelte kurz den Kopf,
als wollte er einen Gedanken verwerfen, und wandte sich wieder dem
Thema zu.
»Nein«, wiederholte er und legte den Brief weg.
»Der Junge ist Lord Johns Stiefsohn - sein Vater war der Graf von
Ellesmere; der Junge ist der neunte Träger dieses Titels. Ransome
ist Ellesmeres Familienname.«
Ich hielt meinen Blick geflissentlich auf den Tisch
und die leere Kiste gerichtet, weil ich befürchtete, dass mein
transparentes Gesicht sonst etwas preisgeben könnte - und wenn es
nur die Tatsache war, dass ich etwas preiszugeben hatte.
William Ransomes Vater war nämlich nicht der achte
Graf von Ellesmere. James Fraser war sein Vater, und ich konnte die
Anspannung in seinem Bein spüren, das unter dem Tisch das meine
berührte, auch wenn sein Gesicht jetzt nur noch einen schwach
entnervten Ausdruck trug.
»Offensichtlich hat man dem Jungen ein Patent
gekauft«, sagte er, während er den Brief ordentlich zusammenfaltete
und ihn wieder in die Kiste steckte. »Also ist er nach London
gefahren und hat dort auf Johns Anweisung das Instrument gekauft.
Aber für einen Jungen seiner Herkunft ist ›bestmöglich‹ wohl
gleichbedeutend mit ›vergoldet‹!«
Er streckte die Hand aus, und Mr. Wainwright, der
gerade in der polierten Goldfläche sein Spiegelbild bewunderte,
rückte das Astrolabium widerstrebend heraus.
Jamie untersuchte es kritisch und ließ mit dem
Zeigefinger den silbernen Aalzeiger kreisen.
»Aye, nun ja«, sagte er beinahe widerstrebend. »Was
das Handwerkliche angeht, ist es ein sehr gutes
Instrument.«
»Hübsch.« Mr. Bug nickte beifällig und griff nach
einem der heißen Teilchen, die seine Frau herumreichte.
»Landvermessung?«
»Aye, so ist es.«
»Vermessung?« Brianna nahm sich zwei der kleinen
Kartoffelklößchen, setzte sich neben Roger und gab ihm automatisch
eins davon. »Es ist ein Vermessungsinstrument?«
»Unter anderem.« Jamie drehte das Astrolabium um
und schob vorsichtig den flachen Balken an, so dass sich die
Visierkerben drehten. »Dieser Teil - man benutzt ihn als Transit.
Du weißt, was das ist?«
Brianna nickte interessiert.
»Sicher. Ich kenne verschiedene
Vermessungsmethoden, aber wir haben immer mit...«
Ich sah, wie Roger beim Schlucken eine Grimasse
zog, weil ihm der Bissen im Hals stecken blieb. Ich hob meine Hand
an den Wasserkrug, doch er fing meinen Blick auf und schüttelte
beinahe unmerklich den Kopf. Er schluckte erneut, diesmal
ungehinderter, und hustete.
»Ich wusste doch, dass du gesagt hast, du kannst
vermessen.« Jamie betrachtete seine Tochter beifällig. »Darum
wollte ich das Astrolabium -« Er hob den Gegenstand in seiner Hand
hoch. »Obwohl ich eigentlich an etwas weniger Prunkvolles gedacht
hatte. Zinn wäre praktischer gewesen. Aber so lange ich es nicht
bezahlen muss...«
»Zeig her.« Brianna streckte die Hand aus, ergriff
das Instrument und runzelte gebannt die Stirn, während sie die
innere Skala bewegte.
»Kannst du mit einem Astrolabium umgehen?«, fragte
ich sie skeptisch.
»Ich kann damit umgehen«, sagte Jamie mit einer
gewissen Genugtuung. »Ich habe es in Frankreich gelernt.« Er stand
auf und wies mit einem Ruck seines Kinns zur Tür. »Bring es mit
nach draußen, Kleine. Ich zeige dir, wie man die Zeit
bestimmt.«
»...aye, genau da.« Jamie beugte sich konzentriert
über Briannas Schulter und zeigte auf einen Punkt auf der äußeren
Skala. Sie brachte die innere Skala vorsichtig in Übereinstimmung
mit dieser Stelle, spähte zur Sonne empor und schob den Zeiger um
den Bruchteil eines Zentimeters weiter.
»Fünf Uhr dreißig!«, rief sie und war ganz rot vor
Begeisterung.
»Fünf Uhr fünfunddreißig«, verbesserte Jamie und
grinste breit. »Siehst du?« Er wies auf einen der winzigen Flecken
am Rand des Instrumentes, der mir aus der Entfernung wie
Fliegendreck vorkam.
»Fünf nach halb sechs«, sagte Mrs. Bug in
ehrfürchtigem Ton. »Stell dir vor, Arch! Ich habe nicht mehr genau
gewusst, wie spät es ist, seit... seit...«
»Edinburgh«, sagte ihr Mann und nickte.
»Aye, richtig! Meine Cousine Jane hatte eine
Standuhr, ein hübsches Ding, schlug wie eine Kirchturmuhr und hatte
ein Ziffernblatt mit Messingzahlen, auf dem Engelchen schwebten,
und -«
»Das ist das erste Mal, dass ich weiß, wie spät es
ist, seit wir von den Sherstons abgereist sind.« Brianna beachtete
weder Mrs. Bugs Begeisterungsstürme noch das Instrument in ihren
Händen. Ich sah, wie ihr Blick Rogers Augen traf und sie lächelte -
und gleich darauf lächelte er schief zurück. Wie lange war es für
ihn her?
Alle blinzelten in den Sonnenuntergang, wedelten
sich die Mückenschwärme aus dem Gesicht und diskutierten darüber,
wann sie das letzte Mal genau gewusst hatten, wie spät es war. Wie
ausgesprochen merkwürdig, dachte ich ein wenig belustigt. Wozu
dieses besessene Messen der Zeit? Und doch war das Phänomen auch
mir nicht fremd.
Ich versuchte, mir zu überlegen, wann es für mich
das letzte Mal gewesen war. Auf Jocastas Hochzeit? Nein - auf dem
Feld am Alamance, unmittelbar vor der Schlacht. Oberst Ashe hatte
eine Taschenuhr gehabt, und - ich hielt inne und überlegte. Nein.
Es war nach der Schlacht. Und das war sehr wahrscheinlich auch das
letzte Mal, dass Roger gewusst hatte, wie spät es war - wenn er
denn hinreichend bei Bewusstsein gewesen war, um einen der
Militärärzte verkünden zu hören, dass es vier Uhr war - und dass er
seiner wohlüberlegten Meinung nach den Glockenschlag fünf nicht
mehr erleben würde.
»Was kann man noch damit tun, Pa?«
Brianna reichte Jamie das Astrolabium vorsichtig
zurück. Er nahm es entgegen und machte sich sofort daran, mit dem
Hemdschoß die Fingerabdrücke wegzupolieren.
»Oh, eine ganze Reihe von Dingen. Man kann seinen
Standort bestimmen, an Land wie auf See, die Uhrzeit bestimmen,
einen bestimmten Stern am Himmel finden...«
»Sehr nützlich«, merkte ich an. »Wenn auch nicht
ganz so praktisch wie eine Uhr. Aber ich nehme an, dir ging es auch
nicht hauptsächlich darum zu wissen, wie spät es ist?«
»Nein.« Er schüttelte den Kopf und verstaute das
Astrolabium zärtlich in seinem Samtbeutel. »Ich muss die beiden
Landvergaben ordentlich vermessen - und zwar bald.«
»Warum denn bald?« Brianna war schon im Begriff
gewesen, sich zum Gehen zu wenden, machte jetzt aber kehrt und zog
eine Augenbraue hoch.
»Weil die Zeit knapp wird.« Jamie blickte ihr ins
Gesicht, und die Freude über seine Errungenschaft verwandelte sich
in Ernst. Er sah sich um, doch es war niemand mehr auf der Veranda
außer ihm und mir, Brianna und Roger.
Mr. Wainwright, der sich nicht für die Wunderwerke
der Wissenschaft interessierte, war auf den Hof gegangen und
schleppte jetzt sein Gepäck ins Haus, wobei ihm Mr. Bug behilflich
war, während Mrs. Bug den beiden mit ihren pausenlosen Kommentaren
im Weg war. Bis zum Morgen würden alle Bewohner von Fraser’s Ridge
wissen, dass er hier war, und sie würden zum
Haus kommen, um einzukaufen, zu verkaufen und die letzten
Neuigkeiten zu hören.
»Ihr wisst doch, was auf uns zukommt, ihr beide.«
Jamie blickte von Brianna zu Roger. »Der König mag fallen, aber das
Land wird bleiben. Und wenn wir das Land behalten wollen, müssen
wir es ordentlich vermessen und registrieren lassen. Wenn es
Unruhen gibt, wenn man sein Land verlassen muss oder es womöglich
beschlagnahmt wird - dann ist es verteufelt schwierig, es
zurückzubekommen, aber wenn man eine ordentliche Besitzurkunde hat,
ist es vielleicht möglich.«
Die Sonne schlug goldene Funken auf seinem Kopf,
als er aufblickte. Er wies kopfnickend auf die dunkle Bergreihe,
die von einem herrlichen Wolkenfeld in Rosa und Gold umrahmt war,
aber an dem fernen Ausdruck in seinen Augen konnte ich erkennen,
dass er etwas ganz anderes sah.
»Lallybroch - wir haben es durch eine Erburkunde
gerettet. Und der Junge Simon - Lovats Sohn - hat nach Culloden um
sein Land gekämpft und es immerhin zum Großteil zurückbekommen.
Aber nur, weil er die nötigen Papiere hatte, um zu beweisen, was
einmal sein gewesen war. Also.«
Er klappte das Kästchen auf, das er mit ins Freie
gebracht hatte, und legte den Samtbeutel sanft hinein. »Ich werde
mir Papiere beschaffen. Und ob nun der eine oder der andere George
regiert - dieses Land wird uns gehören. Und dir«, fügte er leise
hinzu und sah Brianna in die Augen. »Und nach dir deinen
Kindern.«
Ich legte meine Hand auf die seine, die auf dem
Kästchen ruhte. Seine Haut war von der Arbeit und der Tageshitze
gewärmt, und er roch nach sauberem Schweiß. Die Haare auf seinem
Unterarm glänzten rot und golden in der Sonne, und in diesem Moment
verstand ich sehr gut, warum die Menschen die Zeit messen. Sie
möchten den Augenblick fixieren, weil sie die vergebliche Hoffnung
hegen, damit verhindern zu können, dass er vergeht.