57
Und lasst uns ruhig schlafen
Fraser’s Ridge
15. April
15. April
Roger lag im Bett und lauschte dem immer wieder
ertönenden Summen einer unsichtbaren Mücke, die sich an der Ölhaut
vor dem Fenster der Blockhütte vorbeigezwängt hatte. Jemmys Wiege
war mit einem Gazenetz bedeckt, aber er und Brianna hatten einen
solchen Schutz nicht. Wenn das verdammte Ding doch nur auf ihm
landen würde, könnte er es erwischen - doch es schien unermüdlich
über ihrem Bett zu kreisen und gelegentlich herabzustoßen, um ihm
sein ärgerliches Niiiieee-Liedchen ins Ohr zu singen, bevor
es wieder in die Dunkelheit davonsauste.
Nach den hektischen Aktivitäten der letzten Tage
hätte er eigentlich müde
genug sein sollen, um selbst inmitten eines Luftangriffs ganzer
Mückengeschwader einzuschlafen. Zwei Tage lang war er im Eiltempo
durch die Bergtäler und über die Kämme geritten und hatte die
Nachricht in den umliegenden Siedlungen verbreitet, deren Bewohner
wiederum die abgelegeneren Mitglieder der Miliz alarmieren würden.
Die Frühlingsaussaat war in Rekordzeit bewerkstelligt worden, da
sämtliche verfügbaren Männer jede Sekunde zwischen Sonnenaufgang
und Sonnenuntergang auf den Feldern verbracht hatten. Sein
Kreislauf war immer noch mit Adrenalin geladen, das ihm in kleinen
Stößen durch Kopf und Muskeln fuhr, als hätte er Kaffee intravenös
zu sich genommen.
Heute hatte er den ganzen Tag dabei geholfen, die
Farm für die Zeit ihrer Abwesenheit vorzubereiten, und jedes Mal,
wenn er die Augen schloss, liefen hinter seinen Augenlidern
Bildfragmente der zahllosen Aufgaben ab. Zäune mussten repariert,
Heu umgelagert werden, ein hastiger Ausflug zur Mühle, um das Mehl
zu holen, das unterwegs zur Verpflegung der Kompanie benötigt
wurde. An einem Wagenrad musste eine gebrochene Felge in Ordnung
gebracht werden, ein zerrissener Zugriemen musste geflickt werden,
und er hatte dabei geholfen, die weiße Sau einzufangen, die einen
vergeblichen Fluchtversuch aus dem Stall unternommen hatte.
Holzhacken, und schließlich hatte er kurz vor dem Abendessen eine
Stunde lang angestrengt im Garten gegraben, damit Claire ihr
kleines Yamwurzel- und Erdnussbeet bepflanzen konnte, bevor sie
aufbrachen.
Trotz der Eile und Anstrengung war es eine
willkommene Erholung von der organisierten Hektik des Tages
gewesen, im Dämmerlicht vor sich hinzugraben; der Gedanke daran
ließ ihn jetzt innehalten, und er durchlebte es in der Erinnerung
noch einmal, in der Hoffnung, seine Gedankengänge zu verlangsamen
und so weit zur Ruhe zu kommen, dass er schlafen konnte.
Es war später Frühling, warm für die Jahreszeit,
und überall in Claires Garten wucherte es: grüne Keimlinge,
sprossende Blätter und kleine, leuchtende Blumen, Kletterranken,
die sich an den Palisaden emporwanden und an denen sich über ihm
langsam weiße Trompeten öffneten, während er im zunehmenden
Zwielicht arbeitete.
Ringsum stiegen die kräftigen Düfte der Pflanzen
und der frisch gewendeten Erde wie Weihrauch in der sich
abkühlenden Luft auf. Die Motten kamen zu den Trompetenblumen,
sanfte, weiß, grau und schwarz gescheckte Kreaturen, die aus dem
Wald heranschwebten. Auch Wolken von Kriebelmücken und Moskitos
kamen herbei, angelockt von seinem Schweiß, und nach ihnen die
Fledermäuse, dunkle, energische Geschöpfe mit schmalen Flügeln und
pelzigen Körpern, die mit der aggressiven Ausstrahlung von
Fußballhooligans zwischen den Stockrosen umhersausten.
Er streckte seine langen Zehen nach dem Gewicht der
Quiltdecke aus; sein Bein berührte gerade eben das Bein seiner
Frau, und in Gedanken spürte er den Spaten in die Erde stechen,
seine harte Kante unter seinem Fuß und das
befriedigende Gefühl bröckelnder Erde und durchtrennter Wurzeln.
Und wieder hatte er eine Schaufel voll gewonnen, schwarze, feuchte
Erde, die mit den blinden, weißen Rhizomen des wilden Grases
durchzogen war und in der die Regenwürmer flüchtig aufglänzten, als
sie sich panisch außer Sichtweite wanden.
Eine riesige Crecopiamotte war an seinem Kopf
vorbei geflogen, angelockt von den Gartendüften. Ihre blassbraunen
Flügel hatten die Spannweite seiner Hand und waren mit starrenden
Augenflecken gezeichnet, deren stille Schönheit etwas
Gespenstisches hatte.
Wer einen Garten anlegt arbeitete mit Gott.
Das hatte auf der Kante der kupfernen Sonnenuhr im Garten des
Pfarrhauses in Inverness gestanden, in dem er aufgewachsen war.
Ironisch, angesichts der Tatsache, dass der Reverend weder Zeit
noch Talent zum Gärtnern gehabt hatte und der Garten ein Dschungel
aus ungemähtem Gras und uralten Rosenbüschen gewesen war, die aus
Mangel an Pflege ins Kraut geschossen waren. Er lächelte bei dieser
Erinnerung und wünschte in Gedanken dem Schatten des Reverends eine
gute Nacht.
Gute Nacht, Papa. Gott segne dich.
Er hatte es sich schon lange abgewöhnt, auf diese
Weise einer kurzen Liste von Familienmitgliedern und Freunden eine
gute Nacht zu wünschen, das Überbleibsel der Nachtgebete seiner
Kindheit, die mit der üblichen Liste endeten: »Gott segne Oma, und
Opa Guy im Himmel und meinen besten Freund Peter und Lillian, die
Hündin, und die Katze des Gemüsehändlers...«
Er hatte es schon seit Jahren nicht mehr getan,
doch die Erinnerung an den Frieden dieses kleinen Rituals bewog ihn
jetzt, eine neue Liste anzulegen. Besser als Schafe zu zählen,
dachte er - und mehr noch als nach dem Schlaf sehnte er sich nach
dem friedvollen Gefühl, an das es ihn erinnerte.
Gute Nacht, Mrs. Graham, dachte er und
lächelte vor sich hin, während er vor seinem inneren Auge kurz ein
lebhaftes Bild der betagten Haushälterin des Reverends
heraufbeschwor, die ihre Hand in eine Schüssel tauchte und Wasser
auf ein heißes Blech spritzte, um zu sehen, ob die Tropfen tanzen
würden. Gottes Segen.
Der Reverend, Mrs. Graham, ihre Enkeltochter Fiona
und Fionas Mann Ernie... seine Eltern, wenn auch nur pro
forma als Kopfnicken in Richtung zweier gesichtsloser
Gestalten. Claire, oben im Herrenhaus, und nach kurzem Zögern auch
Jamie. Dann seine eigene, kleine Familie. Bei dem Gedanken an sie
wurde ihm warm.
Gute Nacht, Kleiner, dachte er und wandte
den Kopf in Richtung der Wiege, in der Jemmy schlief. Gottes
Segen. Und Brianna.
Er drehte den Kopf zur anderen Seite, öffnete die
Augen und sah das dunkle Oval ihres schlafenden Gesichtes, das ihm
zugewandt war, keine dreißig Zentimeter von sich entfernt auf dem
Kissen. Er drehte sich so leise wie möglich auf die Seite und
beobachtete sie. Sie hatten das Feuer ausgehen lassen,
da sie früh am Morgen aufbrechen würden; es war so dunkel im
Zimmer, dass er nicht mehr von ihren Gesichtszügen ausmachen konnte
als die schwachen Markierungen ihrer Augenbrauen und Lippen.
Brianna lag niemals wach. Sie drehte sich auf den
Rücken, räkelte sich und machte es sich mit einem zufriedenen
Seufzer bequem, holte dreimal tief Luft und war weg. Vielleicht war
es Erschöpfung, vielleicht die Segnungen guter Gesundheit und eines
reinen Gewissens - doch manchmal hatte er auch das Gefühl, dass sie
es nicht abwarten konnte, sich in ihre private Traumwelt zu
flüchten, jenen Ort, an dem sie frei am Steuer ihres Wagens durch
die Gegend zog und ihr Haar im Wind flatterte.
Was träumte sie wohl jetzt?, fragte er sich. Er
konnte ihren warmen Atem schwach auf seinem Gesicht spüren.
Letzte Nacht habe ich geträumt ich hätte mit
Roger geschlafen. Die Erinnerung an diesen Eintrag ging ihm
immer noch unangenehm nahe, so sehr er auch versuchte, ihn als
unwichtig abzutun. Eingelullt von seiner Litanei, war er schon im
Begriff gewesen, in den Schlaf zu driften, doch die Erinnerung an
ihr Traumbuch weckte ihn wieder. Wehe, wenn sie jetzt so etwas
träumte! Nicht nach dem, was sie beide gerade erlebt hatten.
Er schloss die Augen wieder und konzentrierte sich
auf das regelmäßige Pulsieren ihres Atems. Seine Stirn war nur
Zentimeter von der ihren entfernt. Vielleicht konnte er ja das Echo
ihres Traums durch ihre Schädelknochen hindurch auffangen. Doch was
er spürte, war das Echo ihres Körpers und der Nachhall ihres
Abschieds mit all seinen Zweifeln und Freuden.
Sie und der Junge würden am Morgen ebenfalls
abreisen; ihre Sachen waren gepackt und standen neben seinem Bündel
an der Tür. Mr. Wemyss würde sie nach Hillsborough fahren, wo sie
sich der hoffentlich gefahrlosen - und einträglichen - Aufgabe
widmen würde, Mrs. Sherston zu porträtieren.
»Sei bloß vorsichtig«, hatte er zum dritten Mal am
selben Abend zu ihr gesagt. Hillsborough lag mitten im Territorium
der Regulatoren, und er hatte beträchtliche Einwände dagegen, dass
sie überhaupt dort hinfuhr. Sie hatte seine Sorgen mit einer Geste
abgetan und ein verächtliches Gesicht gemacht, als er den Gedanken
äußerte, dass sie oder Jemmy in Gefahr geraten könnten.
Wahrscheinlich hatte sie ja Recht ─ und doch war er sich nicht
allzu sicher, dass sie sich anders verhalten würde, wenn eine
Gefahr bestünde. Sie war so aus dem Häuschen über ihre
verflixte Auftragsarbeit, dachte er, dass sie geradewegs durch
einen bewaffneten Pöbel marschieren würde, um nach Hillsborough zu
gelangen.
Sie hatte leise vor sich hingesungen - ausgerechnet
»Loch Lomond«, dieses unglückliche Abschiedslied zweier
Liebender.
»Hast du mich gehört?«, hatte er sie gefragt und
sie am Arm gepackt, während sie gerade Jemmys letztes Kittelchen
faltete.
»Ja, Liebster«, hatte Brianna gemurmelt und in
gespielter Unterwerfung
mit den Wimpern geklimpert. Das hatte ihn so irritiert, dass er
ihr Handgelenk ergriff und sie zu sich umdrehte.
»Ich meine es ernst«, sagte er. Er starrte ihr in
die Augen, die jetzt weit geöffnet waren, in deren dunkelblauen
Tiefen jedoch immer noch ein Hauch von Spott glitzerte. Er hatte
ihr Handgelenk fester umklammert; obwohl sie so hochgewachsen und
kräftig war, fühlten sich ihre Knochen zart und beinahe
zerbrechlich an. Plötzlich hatte er die Knochen unter Briannas Haut
vor seinem inneren Auge gesehen - die hohen, breiten Wangenknochen,
den gewölbten Schädel und die langen, weißen Zähne; es war viel zu
leicht, sich diese Zähne bis zur Wurzel entblößt zwischen für ewig
erstarrten Knochen vorzustellen.
Da hatte er sie mit plötzlicher Gewalt an sich
gerissen und sie so heftig geküsst, dass er ihre Zähne an den
seinen spürte, ohne sich darum zu kümmern, ob er einem von ihnen
wehtat.
Sie trug nur ein Hemd, und er hatte sich nicht die
Mühe gemacht, es ihr auszuziehen, sondern sie nur rückwärts auf das
Bett gedrückt und es ihr über die Oberschenkel hochgeschoben. Sie
hatte ihm die Hände entgegen gehoben, doch er hatte nicht geduldet,
dass sie ihn berührte; zuerst hatte er ihre Arme gegen das Bett
gedrückt, und sie dann, später, mit seinem Körpergewicht in die
Mulde der Matratze gedrückt, mahlend, klammernd, während er in der
dünnen Schicht aus Haut und Muskeln, die ihre Knochen von den
seinen trennte, Sicherheit suchte.
»Ich meine es ernst«, hatte er kurz darauf noch
einmal in das Gewirr ihrer Haare gemurmelt. Er lag auf ihr,
umfasste sie mit den Armen und ließ es nicht zu, dass sie sich
bewegte. Sie zuckte, und er verstärkte seine Umklammerung und hielt
sie bewegungslos fest. Sie seufzte, und er spürte, wie sich ihr
Mund bewegte, sich ihre Zähne sanft in die Haut unter seinem
Schlüsselbein senkten. Sie biss ihn. Nicht abrupt, sondern ein
langsamer, saugender Biss, und er keuchte und richtete sich auf, um
sich ihm zu entziehen.
»Ich weiß«, sagte sie und befreite ihre Arme, um
sie um seinen Rücken zu legen und ihn fest an ihren feuchten,
warmen Körper zu pressen. »Ich meine es auch ernst.«
»War es das, was du wolltest?« Diesmal flüsterte
er die Worte, leise, um sie nicht zu wecken. Sie strahlte ihre
Körperwärme durch die Bettwäsche aus; sie schlief tief und
fest.
Wenn es das war, was sie wollte - was genau war es?
War es die Brutalität seiner Liebkosungen gewesen, auf die sie
reagiert hatte? Oder hatte sie gespürt, was dahinter lag, und auf
die Kraft seiner Gefühle geantwortet - sein verzweifeltes
Bedürfnis, sie zu beschützen?
Und wenn es die Grobheit war... er schluckte und
wehrte sich mit geballter Faust gegen den Gedanken an Stephen
Bonnet. Sie hatte ihm nie erzählt, was zwischen ihr und Bonnet
vorgefallen war - und es war undenkbar, dass
er danach fragte. Undenkbarer noch, dass er argwöhnte, irgendetwas
könnte sie bei dieser Begegnung schamvoll erregt haben. Und doch
reagierte sie spürbar bei jenen seltenen Gelegenheiten, wenn ihn
etwas trieb, sie abrupt und ohne seine übliche Zärtlichkeit zu
nehmen.
An Beten war jetzt nicht mehr zu denken.
Er fühlte sich wie schon einmal, als er in einem
Rhododendrondickicht gefangen saß, stets das gleiche Geflecht aus
feuchten Wurzeln und herabhängenden Blättern vor Augen, ganz
gleich, in welche Richtung er sich drehte. Finstere Tunnel schienen
ihm die Hoffnung auf Flucht zu bieten und führten doch nur in
weitere, verflochtene Engpässe.
For me and my true love will never meet again,
on the bonnie banks and braes of Loch Lomond...
Jetzt war er wieder aufgekratzt und so unruhig,
dass seine Haut prickelte und seine Beine zuckten. Die Mücke surrte
vorbei, und er schlug danach - natürlich ins Leere. Weil er nicht
still halten konnte, schlüpfte er leise aus dem Bett und machte ein
paar rasche Kniebeugen, um seine verkrampften Muskeln zu
lockern.
Das brachte ihm ein wenig Erleichterung, und er
legte sich auf den Boden, um Liegestütze zu machen. Er zählte
wortlos jedes Mal mit, wenn er sich den Bodendielen näherte. Eins.
Zwei. Drei. Er konzentrierte sich allein auf das zunehmende Brennen
in Brust, Armen und Schultern, die beruhigende Monotonie des
Zählens. Sechsundzwanzig, siebenundzwanzig, achtundzwanzig...
Als seine Muskeln schließlich vor Erschöpfung
zitterten, stand er auf, zog die Reißzwecken aus der Ölhaut vor dem
Fenster und stellte sich nackt davor, um sich von der feuchten
Nachtluft umfließen zu lassen. Möglich, dass er weitere Mücken
einließ - möglich aber auch, dass die eine hinausflog.
Der Wald war vom Mondschein versilbert, und ein
schwacher Feuerschein in seiner Mitte verriet die Miliz, die dort
kampierte. Den ganzen Tag über waren sie gekommen, auf Maultieren
oder zottigen Pferden, die Musketen quer über ihre Deckenbündel
gelegt. Er fing die Geräusche von Stimmen und beiläufigem Lachen
auf, Bruchstücke, die der Wind herbei trug. Immerhin war er nicht
der Einzige, der noch wach war; der Gedanke tröstete ihn.
Am anderen Ende der Lichtung glühte an der Seite
des großen Hauses ein helleres Licht auf. Eine Laterne; zwei
Gestalten, die dicht nebeneinander hergingen, eine hoch gewachsen,
die andere kleiner.
Der Mann sagte etwas, ein fragendes Brummen; er
erkannte Jamies Stimme, konnte die Worte jedoch nicht
ausmachen.
»Nein«, antwortete Claires hellere Stimme klar und
deutlich, als sie näher kamen. Im Leuchten der Laterne sah er die
Umrisse ihrer Hände gestikulieren. »Ich bin schmutzig vom Garten.
Ich wasche mich noch, bevor ich komme. Geh nur schon ins
Bett.«
Die größere Gestalt zögerte, dann reichte sie ihr
die Laterne. Eine Sekunde
lang sah Roger Claires Gesicht im Licht. Es war nach oben gewandt
und lächelte. Jamie beugte sich nieder und küsste sie kurz, dann
trat er zurück.
»Aber beeil dich«, sagte er, und Roger konnte an
seiner Stimme hören, dass er ebenfalls lächelte. »Ich kann nicht
gut schlafen, wenn du nicht bei mir bist, Sassenach.«
»Dann willst du also gleich schlafen?« Sie hielt
inne, und in ihrer Stimme lag ein spöttischer Unterton.
»Nicht sofort, nein.« Jamies Gestalt war mit der
Dunkelheit verschmolzen, doch der Wind wehte auf die Blockhütte zu,
und seine Stimme erklang aus dem Schatten, ein Teil der Nacht.
»Aber das andere kann ich ja wohl auch nicht besonders gut, wenn du
nicht bei mir bist, oder?«
Claire lachte, wenn auch leise.
»Fang nur ohne mich an«, sagte sie und wandte sich
dem Brunnen zu. »Ich hole dich schon ein.«
Roger wartete am Fenster, bis er sie zurückkommen
sah, so eilig, dass die Laterne bei jedem Schritt mitschwang. Dann
ging sie ins Haus. Der Wind hatte sich gedreht, und er hörte nichts
mehr von den Männern im Wald, obwohl ihr Feuer noch brannte.
Er blickte zum Wald hinüber. Seine Haut war jetzt
kühl, und er bekam eine Gänsehaut auf der Brust. Er rieb sich
geistesabwesend darüber und spürte die empfindliche Stelle, wo
Brianna ihn gebissen hatte. Im Mondschein sah sie dunkel aus, ein
schwacher Fleck auf seiner Haut; würde er am Morgen noch da sein?,
fragte er sich.
Als er den Arm reckte, um die Ölhaut wieder
anzubringen, fiel ihm im Mondschein glänzendes Glas ins Auge.
Briannas kleine Sammlung persönlicher Gegenstände lag auf dem
Regalbord am Fenster: die beiden Schildpattkämme, die Jocasta ihr
geschenkt hatte, ihr Silberarmreif. Das kleine Glas mit dem
Gänsefingerkrautöl, zwei oder drei Schwämmchen diskret daneben. Und
das größere Glas mit den Daucosamen. Sie hatte heute Abend
keine Zeit für das Öl gehabt, aber er hätte sein Leben darauf
verwettet, dass sie im Lauf des Tages irgendwann die Samen
eingenommen hatte.
Er befestigte die Ölhaut und ging wieder zum Bett.
An der Wiege blieb er stehen, um die Hand zu senken und durch das
Moskitonetz den Atem des Babys warm und beruhigend auf seiner Haut
zu spüren.
Jemmy hatte seine Bettdecke weggestrampelt; Roger
hob das Netz, zog sie tastend wieder hoch und steckte sie fest. Da
war etwas Weiches... oh, Jemmys Stoffpuppe; das Baby hatte sie an
seine Brust gedrückt. Roger stand einen Augenblick da, eine Hand
auf Jemmys Rücken, um die beruhigenden Atembewegungen des Kindes zu
spüren.
»Gute Nacht, Kleiner«, flüsterte er schließlich und
berührte den weich gepolsterten Hintern des kleinen Jungen. »Gott
segne und behüte dich.«