66
Ein unabdingbares Opfer
Heute Abend wurden die Toten mit militärischen
Ehren beerdigt; und drei Gesetzlose, die im Lauf der Schlacht
gefangen genommen wurden, wurden vor der versammelten Armeeführung
gehängt. Dies bereitete den Männern große Genugtuung & war zu
diesem Zeitpunkt ein unabdingbares Opfer, um das Raunen unter den
Truppen zu besänftigen, welche lauthals forderten, dass einigen der
im Kampf festgenommenen Gesetzlosen unverzüglich der Prozess
gemacht werde, da man sich diesen unter solch großer Gefahr und
unter Verlust so vieler Leben und so viel Blutes entgegen gestellt
habe.
»Tagebuch der Expedition gegen die Aufrührer«,
Wm. Tryon
Roger zerrte fest an dem Seil an seinen
Handgelenken, doch alles, was er damit bewerkstelligte, war, sich
den groben Hanf tiefer in die Haut zu bohren. Er konnte spüren, wie
seine aufgeschürfte Haut brannte, und das feuchte Gefühl musste von
durchsickerndem Blut herrühren, doch seine Hände waren so taub
geworden, dass er es nicht mit Sicherheit sagen konnte. Seine
Finger fühlten sich an, als hätten sie die Größe von Würsten
angenommen, ihre Haut war zum Bersten angespannt.
Er lag im Schatten eines umgestürzten Baumstamms.
Buccleigh und seine Freunde hatten ihn dort hingeworfen, nachdem
sie ihn an Händen und Füßen gefesselt hatten. Da er nach seinem Bad
im Fluss bis auf die Haut durchnässt war, hätte er wohl vor Kälte
gezittert, wenn er sich nicht so verzweifelt angestrengt hätte,
sich zu befreien. Statt dessen lief ihm der Schweiß über den Hals,
seine Wangen brannten, und sein Kopf fühlte sich an, als würde ihn
der heftige Blutzufluss gleich zum Platzen bringen.
Sie hatten ihn mit der Parlamentärflagge geknebelt
- ihm das Baumwolltuch so tief in den Hals gerammt, dass er dem
Ersticken nahe war, und ihm seine eigene Halsbinde um den Mund
geknotet. Vorfahr oder nicht, er würde
Hackfleisch aus William Buccleigh MacKenzie machen, und wenn es
das Letzte war, was er tat.
In seiner Nähe fielen immer noch Schüsse; nicht in
Salven, sondern als abgehacktes Popcorngeknatter. Die Luft roch
nach Schwarzpulverrauch, und dann und wann kam irgendetwas pfeifend
durch die Bäume gesaust und wütete zerstörerisch im Geäst.
Kettenschuss? Kanonenkugeln?
Eine Kanonenkugel war vorhin auf das Flussufer
gedonnert, hatte sich mit einer kleinen Explosion eingegraben und
den Kampf kurzfristig unterbrochen. Einer von Buccleighs Freunden
hatte einen Schrei ausgestoßen und war planschend auf den Schutz
der Bäume zugerannt, doch der andere war geblieben und hatte weiter
boxend mit ihm gerungen, bis es ihm und Buccleigh schließlich
gelungen war, Roger den Kopf unter Wasser zu drücken und ihn zu
überwältigen. Seine Schleimhäute brannten immer noch vom
Flusswasser.
Jetzt hatte er es geschafft, sich auf die Knie
aufzurichten, gekrümmt wie ein Mehlwurm, doch er wagte es nicht,
den Kopf über den Baumstamm zu heben, weil er Angst hatte, er
könnte ihm abgeschossen werden. Heftige Wut durchströmte seine
Adern, so dass er eigentlich keine Angst hatte, nicht einmal, als
er begriff, dass um ihn herum die Schlacht tobte. Doch ganz hatte
er den Verstand nicht verloren.
Er rieb fest mit dem Gesicht über die krümelige
Rinde des Baumstammes, um sich von dem Leinenstreifen zu befreien,
der um seinen Kopf gebunden war. Es funktionierte; er blieb an
einem Aststumpf hängen, riss den Kopf hoch und zog sich so die
Halsbinde über das Kinn. Vor Anstrengung grunzend, schob er das
zusammengeballte Tuch ein Stückchen vor, hakte es am selben Ast
fest und bog den Kopf zurück, so dass er das nasse Tuch aus seinem
Hals zog wie ein umgekehrter Schlangenschlucker.
Er musste automatisch würgen und spürte, wie ihm
die Galle im Hals aufstieg. Begierig nach Sauerstoff, schnappte er
nach Luft, und sein Magen beruhigte sich ein wenig.
Na schön, er konnte atmen, und was jetzt? Es wurde
nach wie vor geschossen, und zu seiner Linken konnte er es krachen
hören, als mehrere Männer durch das Gebüsch pflügten, ohne sich an
irgendwelchen Hindernissen zu stören.
Rennende Füße kamen auf ihn zu; er duckte sich
gerade noch rechtzeitig in den Schutz des Baumstammes, um nicht
platt gewalzt zu werden, als ein Körper darüber hinweg katapultiert
wurde. Sein neuer Begleiter rappelte sich auf Hände und Knie hoch
und presste sich fest gegen den Baumstamm. Erst dann bemerkte er
Rogers Anwesenheit.
»Ihr!« Es war der Schwarzbart aus Husbands Lager.
Er starrte Roger an, und das Blut stieg ihm langsam ins Gesicht. Er
konnte den Mann riechen, ein scharfer, durchdringender Gestank nach
Angst und Wut. Wahrscheinlich roch er ganz genauso, oder er hätte
so gerochen, wenn er nicht baden gegangen wäre.
Schwarzbart packte ihn vorn am Hemd und riss ihn
dicht an sich heran.
»Das ist Eure Schuld! Mistkerl!«
Da er immer noch an Händen und Füßen gefesselt war,
war es ihm unmöglich, sich zu wehren, doch er fuhr zurück und
versuchte, sich zu befreien.
»Loslassen, Schwachkopf!«
Erst jetzt begriff der Mann, dass er gefesselt war,
und erstaunt ließ er ihn los. Roger verlor das Gleichgewicht und
fiel zur Seite, wobei er sich an der rauen Rinde des Baumstamms
schmerzhaft das Gesicht aufschürfte. Schwarzbart riss verwundert
die Augen auf, dann verengte er sie schadenfroh.
»Lieber Himmel, Ihr seid ja gefangen! Wenn das kein
Glück ist? Wer hat Euch denn erwischt, Schwachkopf?«
»Er gehört mir.« Eine leise Stimme in seinem Rücken
verkündete die Rückkehr William Buccleigh MacKenzies. »Wie meinst
du das, es ist seine Schuld? Was denn?«
»Das hier!« Schwarzbart wies mit einer ausladenden
Geste seines Arms auf das Feld ringsum und die abklingende
Schlacht. Die Geschütze waren verstummt, und es waren nur noch
verstreute Gewehrschüsse in der Ferne zu hören.
»Dieser verdammte Schönredner ist heute Morgen ins
Lager gekommen, hat nach Hermon Husband gefragt und ihn zu einer
Unterredung unter vier Augen mitgenommen. Ich weiß nicht, was in
Dreiteufelsnamen er gesagt hat, aber als er fertig war, ist Husband
herausgekommen, geradewegs zu seinem Pferd gegangen, hat uns allen
gesagt, wir sollten heim gehen, und ist davongeritten!«
Schwarzbart funkelte Roger an, holte mit der Hand
aus und schlug ihm fest ins Gesicht. »Was hast du zu ihm gesagt,
Hundsfott?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte er sich wieder
an Buccleigh, der seinen Blick zwischen seinem Gefangenen und
seinem Besucher hin und her wandern ließ, während ihm ein Ausdruck
höchsten Interesses die blasse Stirn zerfurchte.
»Wenn Hermon bei uns geblieben wäre, hätten wir es
vielleicht geschafft«, kochte Schwarzbart. »Doch dass er einfach so
davonspaziert ist, hat uns den Boden unter den Füßen weggezogen -
keiner wusste mehr, was er eigentlich tun sollte, und schon kommt
Tryon und fordert uns auf, uns zu ergeben -, und natürlich wollten
wir das nicht, aber wir waren auch nicht gerade das, was man
kampfbereit nennt...« Nach diesen Worten verstummte er, denn er
fing Rogers Blick auf und wurde unangenehm daran erinnert, dass
dieser ihn panisch auf der Flucht gesehen hatte.
Jenseits des Baumstammes war alles still; das
Schießen hatte ganz aufgehört. Roger dämmerte, dass die Schlacht
nicht nur vorbei, sondern auch hoffnungslos verloren war. Was
wiederum bedeutete, dass die Miliz in Kürze hier ausschwärmen
würde. Seine Augen tränten noch von der Ohrfeige, doch
er kniff sie zusammen, um wieder klar sehen zu können, und
funkelte Schwarzbart an.
»Ich habe Husband dasselbe gesagt wie Euch«, sagte
er mit aller Autorität, die er aufbringen konnte, während er
verschnürt wie eine Weihnachtsgans auf dem Boden lag. »Der
Gouverneur meint es ernst. Er hat vor, diese Rebellion zu beenden,
und wie es aussieht, hat er das auch getan. Wenn Euch Eure Haut
lieb ist - und davon gehe ich aus -«
Mit einem unartikulierten Wutgrollen packte
Schwarzbart Roger an den Schultern und versuchte, seinen Kopf gegen
den Baumstamm zu rammen.
Roger wand sich wie ein Aal. Er warf sich zurück
und befreite sich aus dem Griff des Mannes, dann stürzte er nach
vorn und rammte Schwarzbart die Stirn vor die Nase. Er hörte ein
zufriedenstellendes Knirschen von Knochen und Knorpel; Blut schoss
ihm heiß und nass ins Gesicht, und er ließ sich keuchend auf einen
Ellbogen zurücksinken.
Es war das erste Mal, dass er jemandem eine solche
Kopfnuss verpasste, doch es schien wie selbstverständlich zu
funktionieren. Der Ruck hatte ihn am Handgelenk geschmerzt, doch
das kümmerte ihn nicht mehr. Er wünschte sich nur noch, dass
Buccleigh ihm nahe genug kam, um sich auch eine einzufangen.
Buccleigh betrachtete ihn mit einer Mischung aus
Belustigung und argwöhnischem Respekt.
»Oh, ein Mann mit vielen Talenten, aye? Verräter,
Frauenräuber und Faustkämpfer, alles in einem, was?«
Schwarzbart übergab sich und verschluckte sich an
dem Blut aus seiner zerschmetterten Nase, doch Roger beachtete ihn
nicht. Jetzt, da er wieder klar sehen konnte, hielt er den Blick
unverwandt auf Buccleigh gerichtet. Er wusste, welcher der beiden
Männer die größere Bedrohung darstellte.
»Ein Mann, der sich seiner Frau sicher ist, braucht
sich keine Sorgen zu machen, dass jemand anders sie rauben könnte«,
sagte er, und nur ein Hauch von Wachsamkeit hielt seine Wut im
Zaum. »Ich bin mir meiner Frau sicher, und die Eure brauche ich
nicht, amadain.«
Buccleigh war sonnengebräunt, und sein Gesicht war
von der Schlacht gerötet, doch bei diesen Worten schlich sich eine
noch tiefere Röte über seine Züge. Dennoch behielt er die Fassung
und lächelte schwach.
»Ihr seid verheiratet? Dann muss Eure Frau ja
ziemlich hässlich sein, dass Ihr der meinen hinterherschnüffelt.
Oder hat sie Euch nur aus dem Bett geworfen, weil Ihr’s ihr nicht
ordentlich besorgen konntet?«
Das Scheuern des Seils an seinen Handgelenken
erinnerte Roger daran, dass er sich in der falschen Position
befand, um eine große Klappe zu riskieren. Mühsam verkniff er sich
die Retourkutsche, die ihm auf der Zunge lag, und schluckte sie
herunter. Sie hinterließ einen üblen Geschmack.
»Falls Ihr Eure Frau nicht zur Witwe machen wollt,
sollten wir wohl besser
gehen, oder?«, sagte er. Er wies mit dem Kopf über den Baumstamm
hinweg, wo nach kurzer Stille jetzt der Klang entfernter Stimmen
folgte.
»Die Schlacht ist vorbei, Eure Sache ist verloren.
Ich weiß nicht, ob sie vorhaben, Gefangene zu machen -«
»Sie haben schon einige.« Buccleigh sah ihn
stirnrunzelnd an, und es war deutlich, dass er sich nicht
entscheiden konnte. Es gab nicht übermäßig viele Möglichkeiten,
dachte Roger; Buccleigh konnte ihn nur laufen lassen, ihn gefesselt
liegen lassen oder ihn umbringen. Gegen die beiden ersten
Möglichkeiten hatte er nichts einzuwenden. Was die dritte anging -
wenn Buccleigh vorhatte, ihn umzubringen, wäre er doch bestimmt
längst tot gewesen.
»Geht lieber, solange Ihr noch könnt«, meinte
Roger. »Eure Frau wird sich Sorgen machen.«
Es war ein Fehler, Morag erneut zu erwähnen.
Buccleighs Gesicht verfinsterte sich, doch bevor er etwas sagen
konnte, wurde er durch das Auftauchen besagter Frau unterbrochen,
die in Begleitung des Mannes war, der Buccleigh vorhin geholfen
hatte, ihn zu fesseln.
»Will! Oh, Willie! Gott sei Dank, dass dir nichts
passiert ist! Bist du verletzt?« Sie war blass und nervös und hatte
ein kleines Kind auf dem Arm, das sich wie ein Äffchen an ihren
Hals klammerte. Trotz dieser Bürde streckte sie eine Hand nach
ihrem Mann aus, um sich zu versichern, dass er tatsächlich
unverletzt war.
»Keine Sorge, Morag«, sagte Buccleigh schroff. »Mir
ist nichts passiert.« Dennoch tätschelte er ihre Hand und küsste
sie befangen auf die Stirn.
Ohne dieses zärtliche Wiedersehen zu beachten,
stieß Buccleighs Begleiter Roger interessiert mit der Schuhspitze
in die Seite.
»Was machen wir denn nun hiermit, Buck?«
Buccleigh zögerte, vorübergehend von seiner Frau
abgelenkt. Als Morag Roger auf dem Boden erblickte, stieß sie einen
unterdrückten Schrei aus und schlug sich die Hand vor den
Mund.
»Was hast du getan, Willie?«, rief sie. »Um Himmels
willen, lass ihn gehen!«
»Das werde ich nicht tun. Er ist ein verdammter
Verräter.« Buccleigh kniff den Mund zu einer grimmigen Linie
zusammen. Offensichtlich passte es ihm gar nicht, dass seine Frau
Notiz von Roger nahm.
»Das ist er nicht, das kann nicht sein!« Ihren Sohn
eng an sich geklammert, bückte sich Morag, um einen Blick auf Roger
zu werfen. Zwischen ihren Augenbrauen hatte sich eine nervöse Falte
gebildet. Als sie den Zustand seiner Hände sah, schnappte sie nach
Luft und wandte sich entrüstet an ihren Mann.
»Will! Wie kannst du diesen Mann so behandeln,
nachdem er deiner eigenen Frau und deinem Kind einen solchen Dienst
erwiesen hat!«
Um Gottes willen, Morag, halt dich da
heraus!, dachte Roger, als er sah, dass Buccleigh plötzlich die
Faust ballte. Buccleigh war sowieso schon ein
eifersüchtiger Hund, und die Tatsache, dass er sich auf der
Verliererseite der Schlacht wiederfand, die gerade vorbei war, war
seiner Laune nicht besonders zuträglich.
»Verschwinde, Morag«, sagte Buccleigh und
wiederholte damit Rogers Gedanken in etwas weniger höflicher
Ausdrucksweise. »Das hier ist kein Ort für dich oder das Kind; nimm
es mit und geh.«
Schwarzbart hatte sich inzwischen ein wenig erholt
und baute sich neben Buccleigh auf. Er sah funkelnd auf Roger herab
und hielt die Hände vorsichtig an seine geschwollene Nase
gedrückt.
»Schneid’ ihm die Kehle durch, sag’ ich, und das
war’s.« Er unterstrich seine Meinung mit einem Tritt in die Rippen,
so dass Roger sich zusammenrollte wie eine Krabbe.
Morag schrie heftig auf und trat Schwarzbart vor
das Schienbein.
»Lasst ihn in Ruhe!«
Schwarzbart jaulte überrascht auf und hüpfte
rückwärts. Buccleighs anderer Begleiter schien das ausgesprochen
lustig zu finden, unterdrückte seine Heiterkeit jedoch, als
Buccleigh ihn Furcht erregend anfunkelte.
Morag war auf die Knie gesunken, das kleine Messer
in der Hand, das sie am Gürtel trug, und versuchte einhändig, die
Fesseln an seinen Handgelenken zu durchtrennen. So sehr er ihre
guten Absichten zu schätzen wusste, wünschte Roger sich doch, sie
würde nicht länger versuchen, ihm zu helfen. Es war nur zu
offensichtlich, dass das grünäugige Monster Eifersucht von William
Buccleigh MacKenzies Seele Besitz ergriffen hatte und mit
smaragdfarbener Wut aus seinen Augenhöhlen funkelte.
Buccleigh packte seine Frau am Arm und riss sie
hoch. Das Baby begann erschrocken zu kreischen.
»Fort mit dir, Morag!«, knurrte Buccleigh. »Geh,
und zwar sofort!«
»Ja, geh!«, meldete sich Schwarzbart grollend zu
Wort. »Wir brauchen deine Hilfe nicht, du vorwitziges, kleines
Weibsbild!«
»Sprich nicht so von meiner Frau!« Buccleigh machte
auf dem Absatz kehrt und boxte Schwarzbart unvermittelt in den
Bauch. Der Mann setzte sich abrupt hin, und sein Mund öffnete und
schloss sich in komischem Erstaunen. Roger spürte beinahe so etwas
wie Mitgefühl mit Schwarzbart, dem es in der Schusslinie zwischen
den beiden MacKenzies auch nicht viel besser zu ergehen schien als
ihm selbst.
Buccleighs anderer Freund, der diesen Wortwechsel
mit der Faszination eines Zuschauers bei einem spannenden
Tennismatch beobachtet hatte, ergriff das Wort, während Morag
versuchte, ihr Baby zu beruhigen.
»Egal, was du vorhast, Buck, sieh lieber zu, dass
du es hinter dich bringst und wir hier fortkommen.« Er nickte
beklommen in Richtung des Flusses. Dem Stimmengebrumm nach kam eine
ganze Anzahl von Männern auf sie zu. Keine flüchtenden Regulatoren;
sie klangen, als wüssten sie, was sie taten. Milizionäre auf der
Suche nach Gefangenen? Roger hoffte es sehr.
»Aye.« Buccleigh blickte in die Richtung, aus der
die Stimmen kamen, dann wandte er sich seiner Frau zu. Er ergriff
sie bei den Schultern, diesmal jedoch sanft.
»Geh, Morag. Ich möchte, dass du dich in Sicherheit
bringst.«
Sie hörte den flehenden Unterton in seiner Stimme,
und ihre Gesichtszüge wurden sanfter. Dennoch blickte sie von ihrem
Mann zu Roger, der es jetzt mit Telepathie versuchte und seine
Gedanken mit wachsender Verzweiflung an sie richtete.
Um Himmels willen, geh, Frau, bevor du mich
umbringst!
Morag wandte sich wieder an ihren Mann, und ihr
kleines Gesicht drückte Entschlossenheit aus.
»Ich gehe. Aber schwöre mir, William Buccleigh,
dass du diesem Mann kein einziges Haar krümmst!«
Buccleighs Augen quollen jetzt vor, und seine Hände
ballten sich zu Fäusten, aber Morag gab nicht nach, klein, aber
tapfer, wie sie war.
»Schwöre es!«, sagte sie. »Denn im Namen von St.
Bride, ich werde nicht das Bett eines Mörders teilen!«
Sichtlich hin und her gerissen, blickte Buccleigh
erst Schwarzbart an, dann seinen anderen Freund, der von einem Fuß
auf den anderen trat wie jemand, der dringend seine Blase entleeren
muss. Die Milizionäre kamen immer näher. Dann sah er seiner Frau
ins Gesicht.
»Nun gut, Morag«, sagte er schroff. Er schubste sie
sacht an. »Jetzt geh!«
»Nein.« Sie ergriff die Hand ihres Mannes und zog
sie an ihre Brust. Der kleine Jemmy hatte sich von seinem Schrecken
erholt und hatte sich Daumen lutschend an die Schulter seiner
Mutter geschmiegt. Morag legte die Hand seines Vaters auf den Kopf
des kleinen Jungen.
»Schwöre beim Kopf deines Sohnes, Will, dass du
diesem Mann nichts antun oder seinen Tod mit ansehen wirst.«
Im Geiste applaudierte Roger ihrer Geste zwar, doch
er fürchtete, dass sie zu weit gegangen war; Buccleigh erstarrte im
ersten Moment, und das Blut stieg ihm wieder ins Gesicht. Doch nach
ein paar angespannten Sekunden nickte er.
»Ich schwöre es«, sagte er leise und ließ seine
Hand sinken. Morags Gesicht entspannte sich, und jetzt wandte sie
sich wortlos ab und eilte davon, das Baby eng an ihre Brust
gedrückt.
Roger, der die Luft angehalten hatte, atmete aus.
Gott, was für eine Frau! Er hoffte inbrünstig, dass ihr und dem
Baby nichts zustoßen würde - falls ihr sturköpfiger Mann jedoch
beschloss, in ein Rattenloch zu treten und sich das Genick zu
brechen...
William Buccleigh blickte zu ihm herab, die grünen
Augen nachdenklich zusammengekniffen, ohne die wachsende Unruhe
seines Freundes zu beachten.
»Komm schon, Buck!« Der Mann sah sich zum Fluss um,
wo laute Rufe
darauf hindeuteten, dass Suchtrupps das Terrain durchkämmten. »Wir
haben keine Zeit zu verlieren. Es heißt, Tryon hat vor, seine
Gefangenen zu hängen, und ich habe keine Lust, dazu zu
gehören!«
»So, hat er das«, sagte Buccleigh leise. Er wandte
den Blick nicht von Rogers Augen ab, und einen Moment hatte Roger
den Eindruck, dass sich etwas Vertrautes in diesen grünen Tiefen
regte. Ein Schauer der Beklommenheit lief ihm über den
Rücken.
»Er hat Recht«, sagte er zu Buccleigh und wies
kopfnickend auf den anderen Mann. »Geht. Ich werde nichts gegen
Euch sagen - um Eurer Frau willen.«
Buccleigh spitzte nachdenklich die Lippen.
»Nein«, sagte er schließlich. »Das glaube ich auch
nicht. Dass Ihr etwas gegen mich sagen werdet, meine ich.« Er
bückte sich und hob die nasse, schmutzige, ehemalige
Parlamentärflagge vom Boden auf. »Geh schon vor, Johnny. Kümmere
dich um Morag. Ich komme gleich nach.«
»Aber Bück...«
»Geh! Mir wird nichts passieren.« Mit einem
schwachen Lächeln, den Blick unverwandt auf Roger gerichtet, schob
Buccleigh die Hand in seinen Beutel und zog ein kleines Stück
stumpfes Silbermetall hervor. Mit leichtem Schrecken erkannte Roger
seine eigene Milizmarke, auf der die groben Buchstaben »FC« schwarz
in das Zinnrund gebrannt waren.
Buccleigh warf die Marke mit der Handfläche hoch
und wandte sich an Schwarzbart, der sich plötzlich wieder für die
Vorgänge zu interessieren begann.
»Ich habe eine Idee, Sir, was unseren gemeinsamen
Freund betrifft.« Er wies auf Roger. »Wenn Ihr mitmacht?«
Schwarzbart richtete den Blick auf Roger, dann
wieder auf MacKenzie, und unter seiner geröteten Knollennase
breitete sich langsam ein Lächeln aus. Der beklommene Schauer in
Rogers Rücken verwandelte sich plötzlich in waschechte Angst.
»Hilfe!«, brüllte er. »Hilfe, Miliz! Hilfe!« Er
rollte sich auf dem Boden hin und her, um sich ihnen zu entwinden,
doch Schwarzbart packte ihn an den Schultern und riss ihn zurück.
Jenseits der Bäume erschollen Rufe und Schritte, die zu rennen
begannen.
»Nein, Sir«, sagte William Buccleigh und kniete
sich vor ihn. Er nahm Rogers Kinn in seinen eisernen Griff, um
seine Schreie abzuwürgen und auf seine Wangen zu drücken, damit er
den Mund aufmachte. »Ich glaube wirklich nicht, dass Ihr etwas
sagen werdet.« Mit einem kleinen Lächeln rammte er Roger das nasse
Tuch wieder in den Hals und band die zerfetzte Halsbinde fest
darum.
Dann stand er auf, die Milizmarke in der Hand. Als
sich die Büsche teilten, wandte er sich ihnen zu und winkte freudig
grüßend mit dem Arm.