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Quecksilber
Zu Jamies Erleichterung ging die Trauung ohne
weitere Schwierigkeiten vonstatten. Die Zeremonie - die auf
Französisch abgehalten wurde - fand in Jocastas kleinem Wohnzimmer
in der ersten Etage statt, und ihr wohnten nur das Brautpaar, der
Priester, er selbst und Claire als Zeugen sowie Brianna und ihr
Mann bei. Jemmy war ebenfalls dabei gewesen, doch er zählte kaum,
da er den Gottesdienst verschlafen hatte.
Duncan war bleich, aber gefasst gewesen, und seine
Tante hatte ihr Gelöbnis mit fester Stimme und ohne jede Spur von
Zögern abgelegt. Brianna, die selbst erst vor kurzem geheiratet
hatte und daher zur Sentimentalität neigte, hatte mit feuchten
Augen zugeschaut und ihrem Mann fest den Arm gedrückt, und Roger
Mac hatte zärtlich auf sie hinab geblickt. Obwohl er wusste, was er
von dieser Ehe zu halten hatte, hatte das Sakrament auch ihn nicht
ungerührt gelassen, und er hatte Claires Finger an seine Lippen
geführt und sie kurz mit einem leichten Kuss gestreift, als der
dicke, kleine Priester den Segen anstimmte.
Als dann die Formalitäten abgeschlossen und die
Heiratsurkunden unterzeichnet waren, waren sie alle die Treppe
hinuntergestiegen, um mit den Gästen auf der Terrasse ein
reichhaltiges Hochzeitsdinner bei Fackelschein zu sich zu nehmen.
Das Licht der hohen Flammen hatte sich über eine reiche Tafel
ergossen, die unter dem Reichtum von River Run ächzte.
Jamie nahm sich ein Glas Wein von einem der Tische
und lehnte sich mit dem Rücken an die Terrassenbrüstung, während
die Anspannung des Tages spürbar von ihm wich. Ein Problem
weniger.
Die Sklavin Betty schlief immer noch wie ein
niedergeknüppelter Ochse,
doch für den Augenblick war sie nicht in Gefahr. Sonst war niemand
vergiftet gefunden worden, daher war es also wahrscheinlich, dass
sie die Droge selbst genommen hatte. Der alte Ninian und Barlow
waren beide fast genauso hinüber wie die Magd und stellten daher
weder füreinander noch für sonst jemanden eine Bedrohung dar. Und
was auch immer Husband und seine Regulatoren im Schilde führten,
sie trieben es in sicherer Entfernung. Jamie fühlte sich angenehm
leicht, der Verantwortung enthoben und bereit, sich der Erholung zu
widmen.
Er hob sein Glas automatisch zum Salut, als Caswell
und Osborn vorbeigingen, die einander die Köpfe in ernstem Diskurs
zugewandt hatten. Doch ihm stand der Sinn nicht nach politischer
Konversation; er erhob sich, wandte sich ab und bahnte sich seinen
Weg durch die Menge am Büffet.
Was er wirklich wollte, war seine Frau. Es war zwar
noch früh, doch der Himmel war schon dunkel, und unter den hohen
Flammen der Fackeln breitete sich unbekümmerte Feierstimmung im
Haus und auf der Terrasse auf. Die Luft war kalt, und als jetzt der
gute Wein durch sein Blut pulsierte, besannen sich seine Hände der
warmen Haut unter ihrem Rock, vorhin im Eichenhain - weich und
üppig wie ein aufgesprungener Pfirsich in seiner Handfläche,
sonnengereift und saftig.
Er begehrte sie sehr.
Da. Am Ende der Terrasse, die Wellen ihres Haars,
die unter diesem lächerlichen Stückchen Spitze hochgesteckt waren
und vom Fackelschein erleuchtet wurden. Seine Finger zuckten; wenn
er erst mit ihr allein war, würde er ihr die Haarnadeln
herausziehen, eine nach der anderen, und ihr das Haar mit den
Händen auf dem Kopf auftürmen, nur um des Vergnügens willen, es
dann wieder lose über ihren Rücken fallen zu lassen.
Sie lachte über irgendetwas, das Lloyd Stanhope
gesagt hatte, ein Glas in der Hand. Ihr Gesicht war vom Wein leicht
errötet, und dieser Anblick erfüllte ihn mit einer angenehmen,
nervösen Vorfreude.
Wenn er mit ihr zu Bett ging, konnte ihn von großer
Zärtlichkeit bis hin zu völligem Aufruhr alles erwarten, doch sie
zu nehmen, wenn sie ein wenig betrunken war, war ihm eine besondere
Lust.
Unter dem Einfluss des Alkohols nahm sie weniger
Rücksicht auf ihn als gewöhnlich; völlig hemmungslos, hatte sie
dann nur noch ihr eigenes Vergnügen im Sinn und kratzte und biss
ihn - und flehte ihn an, es genauso zu machen. Er liebte das Gefühl
der Macht, die ihm dies verlieh, die prickelnde Wahl, sich sogleich
in animalischer Lust mit ihr zu vereinen oder sich - für eine Weile
- zu kontrollieren und nach Lust und Laune mit ihr zu
verfahren.
Er nippte seinerseits an seinem Wein, kostete das
seltene Vergnügen aus, einen anständigen Tropfen zu trinken, und
beobachtete sie dabei heimlich. Sie bildete das Zentrum einer
Traube von Herren, mit denen sie gerade ein lustvolles Wortgefecht
zu führen schien. Ein oder zwei Gläser lösten ihr - wie auch ihm -
die Zunge und machten ihren Verstand geschmeidig. Noch ein
paar Gläser, und ihr Leuchten würde sich in Glut verwandeln. Es
war noch früh, und das eigentliche Fest hatte kaum begonnen.
Er fing einen kurzen Blick von ihr auf und
lächelte. Er fasste sein Glas am Kelch an, und seine Finger
schmiegten sich um das glatte Glas. Sein Daumen bewegte sich
langsam darüber, so als wäre es ihre Brust. Sie sah es und
verstand. Sie blinzelte ihn mit kokett gesenkten Wimpern an und
wandte sich mit noch röterem Gesicht wieder ihrer Unterhaltung
zu.
Mit ihr zu schlafen, wenn sie etwas getrunken
hatte, war wunderbar paradox: Während sie ihn einerseits nur noch
als Mittel zum Zweck ihrer eigenen Empfindungen wahrnahm, vergaß
sie andererseits aber auch jeden Selbstschutz und lag damit
vollständig vor ihm bloß. Er konnte sie aufreizen und liebkosen
oder sie weich kneten wie Butter, sie zur Ekstase bringen, bis sie
keuchend und schlaff unter ihm lag, auf sein Erbarmen
angewiesen.
Sie setzte ihren Fächer ausgesprochen wirkungsvoll
ein, blickte mit weit geöffneten Augen über seine Kante hinweg und
täuschte Schockiertheit über irgendetwas vor, das dieser Sodomit
Forbes gesagt hatte. Er fuhr sich nachdenklich mit der Zunge über
die empfindliche Kante seiner Unterlippe und schmeckte in der
Erinnerung silbern-süßes Blut. Erbarmen? Nein, das würde er nicht
haben.
Als er diesen Entschluss gefällt hatte, wandte er
seine Gedanken dem praktischeren Problem zu, eine Stelle zu finden,
die hinreichend abgeschieden für die Durchführung dieses packenden
Plans war, wurde jedoch unterbrochen, als Milford Lyon zu ihm trat,
ein Mann, der einen aalglatten und überheblichen Eindruck machte.
Er war dem Herrn vorgestellt worden, wusste jedoch nicht viel von
ihm.
»Mr. Fraser. Habt Ihr einen Augenblick Zeit,
Sir?«
»Stets zu Diensten, Sir.«
Er wandte sich kurz ab, um sein Glas abzustellen,
und eine kleine Gewichtsverlagerung reichte aus, um sein Plaid
diskret zurechtzurücken. Er war froh, dass er keine enge Satinhose
trug wie Wylie, dieser Geck. Er fand diese Hosen unanständig, und
furchtbar unbequem dazu. Gott, man lief damit ja Gefahr, in
Damengesellschaft allmählich entmannt zu werden, wenn man nicht von
Natur aus Eunuch war - und das war Wylie eindeutig nicht, dachte er
grimmig, trotz seines Puders und seiner Pflästerchen. Doch ein
gegürtetes Plaid konnte eine ganze Reihe von Sünden verbergen -
oder zumindest einen Dolch und eine Pistole, ganz zu schweigen von
einem zufälligen Ständer.
»Wollen wir ein Stückchen laufen, Mr. Lyon?«,
schlug er vor und drehte sich wieder um. Wenn das Anliegen des
Mannes so persönlich war, wie sein Verhalten es nahe legte, blieben
sie besser nicht hier stehen, wo sie jede Sekunde von anderen
Hochzeitsgästen unterbrochen werden konnten.
Sie schlenderten langsam zum Ende der Terrasse,
wechselten dabei Allgemeinplätze und tauschten Höflichkeiten mit
Passanten aus, bis sie schließlich allein auf dem Vorplatz standen,
wo sie kurz zögerten.
»Vielleicht das Paddock?« Ohne Lyons zustimmendes
Nicken abzuwarten, wandte sich Jamie in Richtung der Stallungen. Er
wollte sowieso noch einen Blick auf die Friesen werfen.
»Ich habe schon viel von Euch gehört, Mr. Fraser«,
begann Lyon freundlich, während sie auf den großen Uhrenturm des
Stallblockes zuschlenderten.
»Habt Ihr das, Sir? Nun, dann hoffe ich doch, dass
das meiste davon nichts Nachteiliges war.« Er hatte auch schon von
Lyon gehört; er handelte mit allem, was käuflich oder verkäuflich
war - und hatte möglicherweise keine allzu großen Skrupel, was die
Herkunft seiner Waren anging. Man sagte, dass er gelegentlich auch
mit Dingen handelte, die sich nicht anfassen ließen wie Papier oder
Eisen - doch das war nur ein Gerücht.
Lyon lachte und zeigte dabei seine einigermaßen
ebenmäßigen, vom Tabak jedoch stark fleckigen Zähne.
»Allerdings nicht, Mr. Fraser. Abgesehen von Euren
nachteiligen Familienbanden - die man Euch wohl kaum zum Vorwurf
machen kann, wenn die Leute auch voreilige Schlüsse daraus ziehen
werden -, habe ich nichts als glühende Komplimente gehört,
sowohl, was Euren Charakter als auch Eure Leistungen angeht.«
A Dhia, dachte Jamie, schon mit seinem
ersten Satz schmiert er mir Honig ums Maul und erpresst
mich. Ob es nur daran lag, dass North Carolina so hinterwäldlerisch
und eines kompetenteren Intrigenschmiedes nicht würdig war? Er
lächelte höflich unter bescheidenem Gemurmel und wartete ab, was
der Idiot wollte.
Nicht sehr viel, zumindest anfangs. Die Stärke der
Milizkompanie von Fraser’s Ridge und die Namen der Männer. Das war
ja interessant, dachte er. Lyon gehörte also nicht zu den Männern
des Gouverneurs, sonst wären ihm derartige Informationen zugänglich
gewesen. Wer steckte dahinter, wenn überhaupt? Mit Sicherheit nicht
die Regulatoren; der Einzige von ihnen, der einen Shilling
entbehren konnte, war Ninian Bell Hamilton, und wenn der alte
Ninian etwas hätte wissen wollen, wäre er selbst gekommen und hätte
danach gefragt. Dann vielleicht einer der reichen Pflanzer von der
Küste? Die meisten Aristokraten interessierten sich nur insofern
für die Kolonie, als sie ihren Geldbeutel betraf.
Was den logischen Schluss nach sich zog, dass Lyons
Hintermänner durch die möglichen Unruhen in der Kolonie etwas zu
gewinnen oder zu verlieren hatten. Wer konnte das sein?
»Chisholm. McGillivray. Lindsay...«, sagte der Mann
nachdenklich. »Also sind Eure Männer zum Großteil Highlandschotten.
Sind es Söhne früherer Siedler oder vielleicht Soldaten im
Ruhestand wie Ihr selbst, Sir?«
»Oh, ich bezweifle, dass ein Soldat jemals wirklich
in den Ruhestand tritt, Sir«, sagte Jamie und bückte sich, um einen
der Stallhunde an seinen Händen schnüffeln zu lassen. »Wenn ein
Mann einmal unter Waffen gewesen ist,
vermute ich, dass ihn das für immer prägt. Ich habe sogar schon
einmal jemanden sagen hören, dass alte Soldaten niemals sterben;
sie vergehen einfach.«
Darüber lachte Lyon maßlos, das sei ja ein
großartiger Spruch, ob er von ihm selbst stamme? Ohne die Antwort
abzuwarten, fuhr er fort und steuerte jetzt spürbar auf sein Ziel
zu.
»Es freut mich, solche Worte zu hören, Mr. Fraser.
Seine Majestät hat sich immer schon auf die Standfestigkeit der
Highlander und auf ihre kämpferischen Qualitäten verlassen. Habt
Ihr oder haben Eure Nachbarn vielleicht im Regiment Eures Vetters
gedient? Die Achtundsiebzigsten Frasers haben sich während der
letzten Konflikte bei der Ausübung ihrer Pflicht sehr hervorgetan;
und die Kunst der Kriegsführung liegt den Frasers doch im Blut,
nicht wahr?«
Unverblümter ging es kaum noch. Der jüngere Simon
Fraser war zwar nicht sein Vetter, sondern sein Halbonkel, der Sohn
seines Großvaters. Als Sühne für den Verrat des alten Mannes und in
dem Bestreben, das Vermögen und die Ländereien der Familie
zurückzuerlangen, hatte der Junge Simon zwei Regimenter für den
Siebenjährigen Krieg gestellt - den Brianna beharrlich als
Franzosen- und Indianerkrieg bezeichnete, als hätte Britannien gar
nichts damit zu tun gehabt.
Nun fragte Lyon also, ob sich auch Jamie darum
bemüht hatte, sich einen Namen als loyaler Soldat der Krone zu
machen, indem er sich eine Kommission bei einem der
Highlandregimenter verschaffte. Er konnte es kaum glauben, wie
ungeschickt der Mann sich anstellte.
»Ah, nein. Ich bedaure, dass ich einen solchen
Dienst nicht leisten konnte«, sagte Jamie. »Ich war noch durch
einen früheren Feldzug indisponiert, versteht Ihr?« Die
Indisposition hatte darin bestanden, dass er nach dem Aufstand
mehrere Jahre lang Gefangener der Krone gewesen war, auch wenn er
dies nicht erwähnte. Wenn Lyon es nicht schon wusste, hatte es auch
keinen Sinn, es ihm zu erzählen.
Sie hatten das Paddock erreicht und lehnten sich
bequem an den Holzzaun. Die Pferde waren noch nicht für die Nacht
in den Stall gebracht worden; die großen, schwarzen Geschöpfe
bewegten sich wie Schatten, und ihr Fell glänzte im gedämpften
Licht der Fackeln.
»Was für seltsame Pferde, nicht wahr?« Er
unterbrach Lyons Vortrag über die bösen Folgen des Parteigeistes
und beobachtete die Pferde fasziniert.
Es waren nicht nur die enorm langen, seidigen
Mähnen, die sich wie Wasser wellten, wenn die Tiere die Köpfe
schütteln, und auch nicht das kohlrabenschwarze Fell und die
geschwungenen Schwanenhälse, die viel dicker und muskulöser waren
als bei Jocastas Vollblütern. Auch ihre Rümpfe waren dick mit
breitem Bug, Widerrist und Brustkorb, so dass jedes einzelne Pferd
nahezu klobig erschien - und doch bewegten sie sich nicht minder
elegant als andere Pferde, geschickt und leichtfüßig, und sie
strahlten eine solche
Verspieltheit und Intelligenz aus, dass er am liebsten über den
Zaun geklettert wäre, um mit ihnen Bekanntschaft zu
schließen.
»Ja, sie sind eine sehr alte Rasse«, sagte Lyon und
stellte seine Neugier für einen Moment hintenan, um den Pferden
zuzusehen. »Ich habe sie schon einmal gesehen - in Holland.«
»Holland? Seid Ihr dort schon oft gewesen?«
»Nicht sehr. Doch ich war vor ein paar Jahren
einmal dort und bin durch Zufall einem Verwandten von Euch
begegnet. Einem Weinhändler namens Jared Fräser?«
Jamie spürte einen Ruck der Überraschung, gefolgt
von einem warmen Gefühl der Freude bei der Erwähnung seines
Onkels.
»Wirklich? Aye, Jared ist ein Vetter meines Vaters.
Ich hoffe, es ging ihm gut.«
»Ausgezeichnet sogar.« Lyon rückte ein winziges
Stück näher und machte es sich am Zaun bequem, und Jamie begriff,
dass der Mann jetzt zur Sache kommen würde, was auch immer das sein
mochte. Er trank sein Glas leer, stellte es beiseite und war zum
Zuhören bereit.
»Ich habe den Eindruck, dass ein gewisses... Talent
in Punkto Alkohol bei Euch in der Familie liegt, Mr. Fraser.«
Er lachte, obwohl ihm nicht besonders danach zumute
war.
»Eine Vorliebe vielleicht. Was das Talent betrifft,
so kann ich dazu nichts sagen.«
»Nein? Ah, nun ja. Ihr seid bestimmt nur zu
bescheiden, Mr. Fraser. Die Qualität Eures Whiskys ist weithin
bekannt.«
»Ihr schmeichelt mir, Sir.« Er wusste, was jetzt
kommen würde, und richtete sich darauf ein, sich den Anschein zu
geben, als höre er aufmerksam zu. Es war nicht das erste Mal, dass
ihm jemand eine Partnerschaft vorschlug; er sollte den Whisky
liefern, die andere Seite seinen Vertrieb übernehmen - nach Cross
Creek, Wilmington, sogar bis nach Charleston. Lyon, so schien es,
hatte noch hochtrabendere Pläne.
Der am weitesten gereifte Whisky würde entlang der
Küste nach Boston und Philadelphia verschifft werden, schlug er
vor. Den Rohwhisky dagegen könne man jenseits der Vertragsgrenze an
die Dörfer der Cherokee liefern und gegen Häute und Pelze
eintauschen. Er hatte Partner, die dafür sorgen würden...
Jamie hörte ihm mit wachsender Abneigung zu, dann
schnitt er Lyon abrupt das Wort ab.
»Aye. Ich danke Euch für Euer Interesse, Sir, aber
ich fürchte, für das, was Ihr da vorschlagt, reicht meine
Produktion nicht einmal annähernd aus. Ich stelle den Whisky nur
für den Bedarf meiner Familie her - und dann und wann darüber
hinaus ein paar Fässer, die ich vor Ort als Tauschware benutze.
Nicht mehr.«
Lyon grunzte liebenswürdig.
»Ihr könntet Eure Produktion doch sicher steigern,
Mr. Fraser, denn das nötige Wissen und die Erfahrung habt Ihr ja.
Falls es an den Rohstoffen scheitert... das lässt sich sicher
arrangieren... Ich kann mich mit den Herren unterhalten, die unsere
Partner bei diesem Unternehmen wären, und -«
»Nein, Sir. Das kommt leider nicht in Frage. Wenn
Ihr mich jetzt bitte entschuldigt...?« Er verbeugte sich abrupt,
machte auf dem Absatz kehrt und ließ Lyon im Dunklen stehen,
während er selbst wieder auf die Terrasse zuhielt.
Er musste sich unbedingt bei Farquard Campbell nach
Lyon erkundigen. Man musste den Mann im Auge behalten. Nicht, dass
Jamie ernsthafte Einwände gegen die Schmuggelei gehabt hätte.
Allerdings hatte er sehr wohl Einwände dagegen, sich dabei
erwischen zu lassen, und er konnte sich kaum etwas Gefährlicheres
vorstellen als das, was Lyon vorgeschlagen hatte, im großen Stil zu
betreiben und dabei einerseits selbst bis über beide Ohren
involviert zu sein, andererseits aber keinerlei Kontrolle über die
gefährlicheren Teile des Prozesses zu haben.
Aye, der Gedanke an das Geld hatte seinen Reiz -
doch dieser war nicht groß genug, um ihn den Risiken gegenüber
blind zu machen. Wenn er einen solchen Handel anfing, würde
er es allein tun, vielleicht mit Fergus’ oder Roger Macs Hilfe -
vielleicht auch mit dem alten Arch Bug und Joseph Wemyss -, doch
mit niemandem sonst. Es war viel sicherer, so etwas im kleinen Stil
privat zu betreiben... doch da Lyon es nun einmal vorgeschlagen
hatte, war es vielleicht weiteres Nachdenken wert. Fergus war kein
Farmer, das stand fest; es musste eine Beschäftigung für ihn
gefunden werden - und der Franzose war noch aus ihrer gemeinsamen
Zeit in Edinburgh gut mit dem riskanten Gewerbe, wie man es nannte,
vertraut.
Er schlenderte zur Terrasse zurück und überlegte
dabei weiter, doch dann löschte der Anblick seiner Frau jeden
Gedanken an Whisky aus.
Claire hatte Stanhope und seine Begleiter stehen
gelassen und stand jetzt am Buffet. Sie betrachtete die
aufgetischten Delikatessen mit einem leichten Runzeln ihrer klaren
Stirn, als erfüllte sie ein solcher Überfluss mit Verwirrung.
Er sah, wie Gerald Forbes’ Blick voller Spekulation
auf ihr ruhte, und er setzte sich automatisch in Bewegung und schob
sich gezielt zwischen seine Frau und den Anwalt. Er spürte, wie der
Blick des Mannes auf seinen Rücken prallte, und lächelte grimmig
vor sich hin. Sie gehört mir, du alte Krähe, dachte
er bei sich.
»Kannst du dich nicht entscheiden, wo du anfangen
sollst, Sassenach?« Er nahm ihr das leere Weinglas aus der Hand und
nutzte die Bewegung, um gleichzeitig dicht an sie heranzutreten und
sich an ihren Rücken zu pressen, so dass er ihre Wärme durch sein
Leinenhemd spürte.
Sie lachte und lehnte sich an ihn, auf seinen Arm
gestützt. Sie roch schwach nach Reispuder und warmer Haut, und
Hagebuttenduft hing in ihrem Haar.
»Ich habe eigentlich gar keinen großen Hunger. Ich
habe nur die Gelees und Marmeladen gezählt. Es sind
siebenunddreißig verschiedene Sorten - falls ich mich nicht
verzählt habe.«
Er warf einen flüchtigen Blick auf den Tisch, auf
dem in der Tat eine erstaunliche Ansammlung von Silberschälchen,
Porzellanschüsseln und Holzbrettchen stand und der unter einer
Menge von Speisen ächzte, von der ein Dorf in den Highlands einen
Monat lang satt geworden wäre. Doch er hatte ebenfalls keinen
Hunger. Zumindest nicht auf Pudding und Häppchen.
»Nun, dafür wird Ulysses gesorgt haben; er kann
doch die Gastfreundschaft meiner Tante nicht in ein schlechtes
Licht rücken.«
»Diese Gefahr besteht bestimmt nicht«, versicherte
sie ihm. »Hast du das Barbecue da draußen gesehen? Da braten nicht
weniger als drei ganze Ochsen am Spieß, und mindestens ein Dutzend
Schweine. Ich habe gar nicht erst versucht, die Hühner und Enten,
Wachteln, Tauben und Truthähne zu zählen. Glaubst du, es ist
wirklich nur Gastfreundschaft, oder möchte deine Tante
demonstrieren, was für gute Arbeit Duncan geleistet hat - indem sie
damit angibt, wie viel Profit River Run unter seiner Leitung
abwirft, meine ich?«
»Das kann schon sein«, sagte er, obwohl er es
persönlich für unwahrscheinlich hielt, dass Jocastas Beweggründe so
rücksichtsvoller und großzügiger Natur waren. Er ging eher davon
aus, dass der Pomp der gegenwärtigen Feier ihrem Wunsch entsprang,
Farquard Campbell eins auszuwischen und das Fest in den Schatten zu
stellen, das er im Dezember zur Feier seiner jüngsten Eheschließung
in Greenoaks gegeben hatte.
Und wo gerade von Ehen die Rede war...
»Hier, Sassenach.« Er stellte ihr leeres Glas auf
ein Tablett, das gerade von einem Sklaven vorbeigetragen wurde, und
ergriff dafür ein volles, das er ihr in die Hand drückte.
»Oh, ich habe schon -«, begann sie, doch er
unterbrach sie, indem er sich ebenfalls ein Glas vom Tablett nahm
und ihr damit zuprostete. Ihre Wangen erröteten noch mehr, und ihre
Bernsteinaugen leuchteten.
»Auf die Schönheit«, sagte er leise und
lächelte.
Mir war angenehm fließend zumute, so als seien
mein Inneres und meine Gliedmaßen mit Quecksilber gefüllt. Das kam
nicht nur vom Wein, obwohl er wirklich sehr gut war. Eher vom
Nachlassen der Anspannung nach all den Sorgen und Konflikten des
Tages.
Es war eine stille, zärtliche Hochzeitszeremonie
gewesen, und die abendlichen Feierlichkeiten würden sicherlich
extrem laut werden - ich hatte mitbekommen, wie einige der jüngeren
Männer für den späteren Abend ein paar vulgäre Ausgelassenheiten
planten -, doch ich brauchte mir darum keine Gedanken zu machen.
Ich persönlich hatte vorgehabt, das wunderbare Abendessen zu
genießen, das am Buffet aufgetischt worden war, vielleicht noch ein
oder zwei Gläser des exzellenten Weins... und dann wollte ich
Jamie suchen und mit ihm das romantische Potential der steinernen
Bank unter den Weiden erkunden.
Jamie war etwas verfrüht in meinem Abendprogramm
erschienen, da ich noch nichts gegessen hatte, doch ich hatte
nichts dagegen, meine Prioritäten umzustellen. Es würde schließlich
Reste in Hülle und Fülle geben.
Er schimmerte im Fackelschein, und sein Haar, seine
Augenbrauen und seine Haut glänzten wie Kupfer. Der Abendwind hatte
sich erhoben. Er ließ die Tischtücher knattern und zog die Flammen
der Fackeln zu feurigen Zungen lang, und er rupfte Jamie ein paar
Haarsträhnen aus seinem Zopf und wehte sie ihm ins Gesicht. Er hob
sein Glas und lächelte mir über den Rand hinweg zu.
»Auf die Schönheit«, sagte er leise und trank, ohne
den Blick von mir abzuwenden.
Das Quecksilber verrutschte und lief zitternd durch
meine Hüften und an den Rückseiten meiner Beine entlang.
»Auf die... äh... Zurückgezogenheit«, erwiderte ich
und hob ebenfalls mein Glas. Ich fühlte mich angenehm hemmungslos,
und so zog ich mir mit der freien Hand gemächlich die Zierspitze
aus dem Haar. Meine Locken fielen mir halb gelöst über den Rücken,
und ich hörte, wie hinter mir jemand schockiert den Atem
anhielt.
Vor mir verlor Jamies Gesicht plötzlich jeden
Ausdruck, und sein Blick fixierte mich wie der eines Falken ein
Kaninchen. Ohne den Blick von seinen Augen abzuwenden, trank ich
mein Glas in langsamen Zügen leer. Das Innere meines Kopfes war mit
dem Duft schwarzer Trauben parfümiert, und die Hitze des Weines
wärmte mein Gesicht und meinen Hals, meine Brüste, meine Haut.
Jamie machte eine abrupte Bewegung, um mir das Glas aus der Hand zu
nehmen, seine Finger kalt und hart auf den meinen.
Und dann ertönte hinter ihm in der von Kerzen
erleuchteten Glastür eine Stimme.
»Mr. Fraser.«
Wir fuhren beide zusammen, und das Glas fiel
zwischen uns zu Boden und zersprang auf den Steinplatten der
Terrasse explodierend in Scherben. Jamie fuhr herum, und seine
linke Hand hob sich reflexiv an den Knauf seines Dolches. Dann
entspannte sie sich wieder, denn er sah den Umriss der Gestalt, und
er trat zurück, den Mund zu einer ironischen Grimasse
verzogen.
Philip Wylie trat in den Fackelschein. Sein Gesicht
war so stark gerötet, dass man es durch den Puder sehen konnte, und
auf seinen Wangenknochen brannten nervöse Flecken.
»Mein Freund Stanhope hat für später eine Runde
Whist vorgeschlagen«, sagte er zu Jamie, wobei er mich gezielt
ignorierte. »Möchtet Ihr Euch nicht zu uns gesellen, Mr.
Fraser?«
Jamie warf ihm einen langen, kühlen Blick zu, und
ich sah, wie die einst
verletzten Finger seiner rechten Hand ganz leicht zuckten. Sein
Puls hämmerte an der Seite seines Halses, doch seine Stimme war
ruhig.
»Whist?«
»Ja.« Wylie lächelte ihn dünn an und vermied es
immer noch gewissenhaft, mich anzusehen. »Mir ist zu Ohren
gekommen, dass Ihr ein guter Kartenspieler seid, Sir.« Er schürzte
die Lippen. »Obwohl wir natürlich um sehr hohe Einsätze spielen.
Vielleicht seht Ihr Euch ja nicht in der Lage -«
»Es wird mir ein Vergnügen sein«, sagte Jamie in
einem Tonfall, aus dem deutlich hervorging, dass ihm nur eines
wirklich ein Vergnügen gewesen wäre, und zwar Philip Wylie das
Gebiss zu demolieren.
Besagtes Gebiss glänzte kurz auf.
»Ah. Vorzüglich. Ich... freue mich schon
darauf.«
»Stets zu Diensten, Sir.« Jamie verbeugte sich
abrupt, dann fuhr er auf dem Absatz herum, ergriff mich am Ellbogen
und schritt über die Terrasse davon, meine ergebene Wenigkeit im
Schlepptau.
Ich marschierte neben ihm her und hielt schweigend
mit ihm Schritt, bis wir außer Hörweite waren. Das Quecksilber war
aus meinen unteren Regionen aufwärts geschossen und rollte mir
jetzt nervös über den Rücken, so dass ich mich gefährlich instabil
fühlte.
»Hast du denn völlig den Verstand verloren?«,
erkundigte ich mich höflich. Da ich nur ein kurzes Prusten zur
Antwort erhielt, rammte ich meine Absätze in den Boden und zog an
seinem Arm, um ihn zum Stehen zu bringen.
»Das war keine rhetorische Frage«, sagte ich um
einiges lauter. »Whist? Um hohe Einsätze?«
Jamie war tatsächlich ein exzellenter
Kartenspieler. Außerdem kannte er die meisten Möglichkeiten, beim
Kartenspiel zu betrügen. Allerdings war es schwierig, wenn nicht
gar unmöglich, beim Whist zu betrügen, und Philip Wylie stand
ebenfalls in dem Ruf, ein exzellenter Spieler zu sein - genau wie
Stanhope. Darüber hinaus war da noch die Tatsache, dass Jamie
zufälligerweise keine Einsätze besaß, von hohen Einsätzen ganz zu
schweigen.
»Erwartest du etwa von mir, dass ich zulasse, dass
dieser Laffe auf meiner Ehre herumtrampelt und mich dann auch noch
persönlich beleidigt?« Er fuhr herum, um mir ins Gesicht zu sehen,
und funkelte mich an.
»Er hat es doch bestimmt nicht als -«, begann ich,
doch dann brach ich ab. Falls Wylie es nicht geradeheraus als
Beleidigung gedacht hatte, so war doch offensichtlich, dass
es als Herausforderung gemeint war - und für einen Schotten lief
das wahrscheinlich auf dasselbe hinaus.
»Aber du brauchst es doch nicht zu
tun!«
Ich hätte eine größere Wirkung erzielt, wenn ich
mich mit der Ziegelmauer des Gemüsegartens unterhalten hätte.
»Doch«, sagte er steif. »Ich habe meinen
Stolz.«
Ich rieb mir entnervt mit der Hand über das
Gesicht.
»Ja, und Philip Wylie weiß das offensichtlich! Hast
du schon einmal davon gehört, dass Stolz und Hochmut vor dem Fall
kommen?«
»Ich habe nicht die geringste Absicht zu fallen«,
versicherte er mir. Er spähte zu der Glastür zurück, in der Wylie
verschwunden war, dann wieder zu mir. »Kannst du mir deinen
Goldring geben?«
Mir klappte vor Schreck der Mund auf.
»Kann ich... meinen Ring?« Meine Finger fuhren
unwillkürlich an meine linke Hand und Franks glatten, goldenen
Ehering.
Er beobachtete mich gebannt, den Blick unverwandt
auf meine Augen gerichtet. Auf der Terrasse waren die Fackeln
angezündet worden; das tanzende Licht fiel von der Seite auf ihn,
zeigte seine sturen Züge als scharfes Relief und erleuchtete sein
Auge in brennendem Blau.
»Ich brauche einen Einsatz«, sagte er leise.
»Verdammte Tat.« Ich wandte mich heftig von ihm ab
und starrte über den Rand der Terrasse. Auch auf dem Rasen hatte
man Fackeln angezündet, und Perseus’ weißer Marmorhintern
schimmerte in der Dunkelheit.
»Ich werde ihn nicht verlieren«, sagte Jamie hinter
mir. Seine Hand ruhte auf meiner Schulter, und durch die Spitze
meines Schultertuches spürte ich sie wie ein Gewicht. »Oder falls
doch - werde ich es wieder gut machen. Ich weiß... wie viel er dir
wert ist.«
Ich zog meine Schulter mit einem Ruck unter seiner
Hand fort und trat ein paar Schritte zur Seite. Mein Herz hämmerte,
und mein Gesicht war heiß und klamm zugleich, als wäre ich im
Begriff, in Ohnmacht zu fallen. Der Wein schien zusammen mit dem
Quecksilber in meinem Magen zu einem Kloß geronnen zu sein.
Er sagte nichts und berührte mich nicht; er stand
nur da und wartete.
»Den goldenen«, sagte ich schließlich tonlos.
»Franks Ring. Nicht den silbernen?« Nicht seinen Ring; nicht
sein Besitzsymbol.
»Der Goldring ist mehr wert«, sagte er und fügte
dann nach ganz kurzem Zögern hinzu: »Mehr Geld.«
»Das weiß ich.« Ich drehte mich zu ihm um. Die
Flammen flackerten im Wind und warfen ihr bewegtes Licht auf seine
Züge, so dass sie schwer zu lesen waren.
»Ich meine - nimmst du sie nicht besser beide?«
Meine Hände waren kalt; der Goldring ließ sich leicht abziehen; der
silberne saß fester, aber ich zerrte ihn über meinen Fingerknöchel.
Ich nahm seine Hand und ließ ihm die beiden Ringe klirrend in die
Handfläche fallen.
Dann drehte ich mich um und ging davon.