69
Ein schrecklicher Notfall
Jamie und Brianna waren beinahe fertig zum
Aufbruch. Obwohl sie rauchfleckig und erschöpft waren, hatten
einige der Männer angeboten, sich dem Suchtrupp anzuschließen, ein
Angebot, das Brianna mit zusammengepressten Lippen kopfnickend
angenommen hatte. Sie war dankbar für das Hilfsangebot, das wusste
ich - doch eine größere Gruppe in Bewegung zu setzen, brauchte
seine Zeit, und ich konnte sehen, wie die Ungeduld in roten Flecken
unter ihrer Haut aufflammte, während überall ringsum die Waffen
gereinigt, Wasserflaschen neu gefüllt und verlegte Schuhe ausfindig
gemacht wurden.
Josh war etwas nervös gewesen, was seine neue Rolle
als OP-Assistent betraf, doch er war schließlich Stallknecht und
daher daran gewöhnt, mit Pferdekrankheiten umzugehen. Der einzige
Unterschied, so sagte ich ihm - und brachte ihn damit zum Grinsen
-, bestand darin, dass menschliche Patienten einem sagen konnten,
wo es weh tat.
Ich hatte gerade innegehalten, um mir die Hände zu
waschen, bevor ich einen Kopfhautriss nähte, als mir zu Bewusstsein
kam, dass hinter mir am Rand der Wiese Unruhe aufgekommen war.
Jamie, der es ebenfalls hörte, wandte den Kopf - und kam dann mit
hochgezogenen Augenbrauen rasch zu mir zurück.
»Was ist los?« Ich drehte mich um und sah eine
junge Frau, die offensichtlich am Ende ihrer Kräfte war, humpelnd
auf uns zutraben. Sie war schmal gebaut und hinkte stark - sie
hatte irgendwo einen Schuh verloren -, bewegte sich aber immer noch
halb rennend vorwärts, an der einen Seite auf Murdo Lindsay
gestützt, der sie auszufragen schien, während er ihr half.
»Fräser!«, hörte ich sie keuchen. »Fraser!« Sie
ließ Murdo los und schob sich zwischen den wartenden Männern
hindurch, während ihre Augen ihnen suchend in die Gesichter sahen.
Ihr braunes Haar war verworren und voller Laub, ihr Gesicht
zerkratzt und blutig.
»James... Fraser... ich muss... seid Ihr...?« Sie
schnappte keuchend nach Luft, ihre Brust hob und senkte sich
krampfhaft, und ihr Gesicht war so rot, dass es aussah, als würde
sie gleich einen Schlaganfall bekommen.
Jamie trat vor und ergriff sie beim Arm.
»Ich bin Jamie Fraser, Kleine. Suchst du
mich?«
Sie nickte keuchend, doch zum Reden fehlte ihr der
Atem. Ich goss ihr hastig einen Becher Wasser ein, den ich ihr
anbot, doch sie schüttelte heftig den Kopf und fuchtelte
stattdessen aufgeregt mit den Armen und wies wild gestikulierend
zum Fluss.
»Ro... ger«, brachte sie heraus und schnappte nach
Luft wie ein gestrandeter Fisch. »Roger. MacKen... zie.« Ehe sie
die letzte Silbe ausgesprochen hatte, war Brianna an der Seite der
jungen Frau.
»Wo ist er? Ist er verletzt?« Sie ergriff den Arm
der jungen Frau, ebenso, um ihr eine Antwort zu entlocken wie um
sie zu stützen.
Der Kopf des Mädchens nickte auf und nieder,
schüttelte sich hin und her, und sie keuchte: »Häng... sie... sie
häng... hängen ihn! Gouv-neur!«
Brianna ließ sie los und rannte zu den Pferden.
Jamie war schon dort und band ihre Zügel mit derselben flinken
Intensität los, die er zu Beginn der Schlacht an den Tag gelegt
hatte. Wortlos bückte er sich und formte mit den Händen einen
Steigbügel; Brianna trat hinein, schwang sich in den Sattel und
trieb das Pferd zur Bewegung an, noch bevor Jamie das seine
erreicht hatte. Doch Gideon holte die Stute innerhalb von Sekunden
ein, und beide Pferde verschwanden wie vom Erdboden verschluckt
zwischen den Weiden.
Ich murmelte etwas vor mich hin, ohne genau zu
wissen, ob es ein Fluch oder ein Gebet war. Ich drückte dem
erschrockenen Josh Nadel und Faden in die Hände, ergriff den Beutel
mit meiner Notfallausrüstung und rannte zu meinem Pferd. Hinter mir
brach die braunhaarige Frau im Gras zusammen und übergab sich vor
Anstrengung.
Ich holte sie innerhalb weniger Augenblicke ein.
Wir wussten nicht genau, wo Tryon sein Standgericht abhielt, und
verloren wertvolle Zeit, weil Jamie sich wieder und wieder
gezwungen sah, anzuhalten und sich vom Pferd zu beugen, um nach dem
Weg zu fragen - und die Antworten waren oft konfus und
widersprüchlich. Brianna war ganz in sich versunken und bebte wie
ein angelegter Pfeil, der zwar zum Abflug bereit war, seine
Zielrichtung aber noch nicht kannte.
Ich versuchte, mich auf alles gefasst zu machen,
das Schlimmste eingeschlossen. Ich hatte keine Ahnung, was für
Vorbereitungen Tryon getroffen hatte oder wie viel Zeit wohl
zwischen Verurteilung und Vollstreckung liegen mochte. Nicht sehr
viel, dachte ich. Ich kannte Tryon lange genug, um zu wissen, dass
er seine Handlungen gut durchdachte, sie dann aber auch
entschlossen ausführte - und er wusste mit Sicherheit, dass man
solche Dinge am besten schnell erledigte, wenn sie denn sein
mussten.
Was den Grund anging... hier ließ mich meine
Phantasie vollständig im Stich. Ich konnte nur hoffen, dass die
Frau sich geirrt hatte; dass sie jemand anderen für Roger gehalten
hatte. Und doch glaubte ich es nicht, und Brianna
ebenso wenig - sie trieb ihr Pferd mit einer solchen Heftigkeit
über eine sumpfige Stelle, dass ich den Eindruck hatte, sie wäre am
liebsten vom Pferd gesprungen und hätte es selbst durch den Schlamm
gezogen.
Der Nachmittag verblasste schon, und wir waren von
Wolken kleiner Mücken umgeben, doch Jamie machte keine Anstalten,
sie zu vertreiben. Seine Schultern waren wie aus Stein gemeißelt
und darauf gefasst, die Bürde der Gewissheit zu tragen. Das war es,
was mir mindestens so deutlich wie meine eigene Angst sagte, dass
Roger wahrscheinlich tot war.
Dieser Gedanke schlug auf mich ein wie ein kleiner,
spitzer Hammer von der Sorte, mit der man Steine spaltet. Bis jetzt
empfand ich nur kurze, sich wiederholende Schrecksekunden, in denen
ich mir den Verlust ausmalte - jedesmal, wenn ich Briannas weißes
Gesicht ansah, wenn ich daran dachte, dass der kleine Jemmy zur
Waise werden könnte, wenn ich Rogers sanfte, tiefe Stimme als Echo
in der Ferne lachen hörte, wenn er in meinem Herzen sang. Ich
versuchte erst gar nicht, die hämmernden Gedanken zu verdrängen; es
hätte nichts genützt. Und ich wusste, dass ich erst dann wirklich
zerbrechen würde, wenn ich seine Leiche sah.
Selbst dann würde ich nur innerlich brechen.
Brianna würde mich brauchen. Jamie würde wie ein Fels zu ihr
stehen, würde tun, was getan werden musste - doch auch er würde
mich später brauchen. Niemand konnte ihn von der Schuld
freisprechen, von der ich wusste, dass er sie empfand, doch ich
konnte wenigstens seine Beichte hören, zwischen ihm und Brianna
vermitteln. Meine eigene Trauer konnte warten - lange warten, so
hoffte ich.
Das Terrain öffnete sich und ging in den flachen
Rand einer großen Wiese über. Jamie trieb Gideon zum Galopp an, und
die anderen Pferde folgten ihm zügig. Unsere Schatten flogen wie
Fledermäuse über das Gras, und das Geräusch unseres Hufgetrappels
verlor sich in den Geräuschen der Menschenmenge, die das Feld
füllte.
Auf einer Erhebung am anderen Ende der Wiese stand
eine riesige Silbereiche, deren Frühlingslaub in der tief stehenden
Sonne leuchtete. Mein Pferd machte eine plötzliche Bewegung, um an
einer Gruppe von Männern vorbeizuschießen, und dann sah ich sie,
drei Strichmännchen, die zerknickt im tiefen Schatten der Eiche
baumelten. Der Hammer schlug ein letztes Mal zu, und mein Herz
zersplitterte wie Eis.
Zu spät.
Es war eine lausige Hinrichtung. Da er nicht auf
offizielle Truppen zurückgreifen konnte, hatte Tryon auch niemanden
zur Hand gehabt, der die nötigen, wenn auch schaurigen Handgriffe
der Henkerskunst beherrschte. Man hatte die drei Verurteilten auf
Pferde gesetzt, die Seile, die man ihnen um die Hälse gelegt hatte,
über die Äste geworfen, und auf das Signal hin hatte man die Pferde
unter ihnen weggeführt, so dass sie in der Luft baumelten.
Nur einer von ihnen hatte das Glück gehabt, an
Genickbruch zu sterben. Ich konnte seinen stark abgewinkelten Kopf
sehen, und seine Gliedmaßen hingen schlaff in ihren Fesseln. Es war
nicht Roger.
Die anderen waren langsam erstickt. Ein Mann - eine
Leiche - wurde gerade abgeschnitten, als ich näher ritt, und in den
Armen seines Bruders an mir vorbeigetragen. Ihre Gesichter
unterschieden sich nicht sehr; ein jedes war in seiner einsamen
Agonie verzerrt und verdunkelt. Sie hatten das erstbeste Seil
benutzt, das zur Hand war; es war neu und noch nicht gedehnt.
Rogers Zehen schleiften durch den Staub; er war größer gewesen als
die anderen. Seine Hände hatten sich befreit; er hatte es
geschafft, sich mit den Fingern einer Hand unter dem Seil
einzuhaken. Die Finger waren fast schwarz, von jeder Blutzufuhr
abgeschnitten. Ich konnte ihm nicht sofort ins Gesicht sehen.
Stattdessen sah ich Brianna an; ihre Miene war weiß und vollkommen
reglos, jeder Knochen und jede Sehne wie im Tod erstarrt.
Jamies Gesicht sah nicht anders aus, doch während
Briannas Augen vor Entsetzen ausdruckslos waren, brannten die
seinen wie schwarze, verkohlte Löcher in seinem Schädelknochen. Er
blieb einen Moment vor Roger stehen, dann bekreuzigte er sich und
sagte ganz leise etwas auf Gälisch. Er zog den Dolch an seiner
Seite.
»Ich halte ihn fest. Schneide du ihn ab.« Jamie
reichte Brianna das Messer, ohne sie anzusehen. Dann trat er vor,
fasste den Körper um die Hüfte und hob ihn ein wenig an, um den Zug
von dem Seil zu nehmen.
Roger stöhnte. Jamie erstarrte, die Arme eng um ihn
geschlungen, und seine vor Schreck geweiteten Augen huschten zu mir
herüber. Das Geräusch war fast unhörbar gewesen, und nur Jamies
Reaktion überzeugte mich davon, dass ich es tatsächlich gehört
hatte - doch ich hatte es gehört, und Brianna ebenfalls. Sie
stürzte sich auf das Seil und sägte es hektisch und schweigend
durch, und ich begann - im ersten Augenblick reglos vor Verblüffung
- so schnell wie möglich zu überlegen.
Vielleicht nicht; vielleicht war es ja nur das
Geräusch der Restluft gewesen, die bei der Bewegung aus dem Körper
entwich - doch das war es nicht; ich konnte Jamies Gesicht sehen,
als er ihn festhielt, und ich wusste, dass es nicht so war.
Ich schoss nach vorn und streckte die Hände aus,
als Roger herabsank, um seinen Kopf aufzufangen und ihn gerade zu
halten, während Jamie ihn zu Boden gleiten ließ. Er war kalt, aber
fest. Natürlich, wenn er lebte, war das ganz normal, aber ich war
auf das schlaffe Gefühl toten Fleisches gefasst gewesen und
erschrak enorm, als ich Leben unter meinen Händen spürte.
»Ein Brett«, sagte ich atemlos, als hätte mir
jemand in den Bauch geboxt. »Eine Planke, eine Tür, etwas, worauf
wir ihn legen können. Wir dürfen seinen Kopf nicht bewegen; es kann
sein, dass sein Genick gebrochen ist.«
Jamie schluckte krampfhaft, dann ruckte er befangen
mit dem Kopf und setzte sich in Bewegung. Er ging zunächst steif,
dann schneller und schneller
an den Trauben trauernder Verwandter und neugieriger Gaffer
vorbei, deren Blicke sich jetzt in unsere Richtung wandten.
Brianna hatte den Dolch immer noch in der Hand. Als
die Leute sich jetzt auf uns zubewegten, trat sie an mir vorbei,
und mein Blick fiel kurz auf ihr Gesicht. Es war immer noch weiß,
immer noch starr - doch ihre Augen brannten jetzt in einem
schwarzen Licht, das jede Menschenseele zu versengen drohte, die so
töricht war, uns zu nahe zu kommen.
Ich konnte keine Aufmerksamkeit an etwaige
Einmischungen verschwenden - oder an sonst etwas. Er atmete nicht
sichtbar; keine offensichtlichen Bewegungen der Brust, kein Zucken
der Lippen oder Nasenflügel. Ich tastete sein freies Handgelenk
vergeblich nach seinem Puls ab - zwecklos, in den geschwollenen
Gewebemassen an seinem Hals zu graben - und fand schließlich seine
Bauchschlagader, die unter seinem Brustbein schwach vor sich hin
schlug.
Das Seil hatte sich tief in seinen Hals gegraben;
ich suchte in meiner Tasche hektisch nach meinem Taschenmesser. Es
war ein neues Seil, frischer Hanf. Die Fasern waren haarig und
hatten braune Flecken aus getrocknetem Blut - eine Tatsache, die
ich beiläufig mit dem abgelegenen Teil meines Verstandes
registrierte, der für solche Dinge Zeit hatte, während meine Hände
beschäftigt waren. Neue Seile sind dehnbar. Ein richtiger Henker
hat seine eigenen Seile, die schon gedehnt und eingeölt sind und
die er vor Gebrauch ausprobiert hat. Der rohe Hanf zerkratzte mir
die Finger und stach schmerzhaft unter meinen Fingernägeln, während
ich daran zog, sägte und zerrte.
Die letzte Strähne barst, und ich riss sie ab, ohne
mich darum zu kümmern, ob das Seil Rogers Haut zerschürfte - das
spielte jetzt kaum eine Rolle. Ich konnte es nicht riskieren,
seinen Kopf hintenüber zu beugen; wenn seine Halswirbel gebrochen
waren, konnte ich ihn damit zum Krüppel machen oder umbringen. Wenn
er allerdings nicht atmen konnte, spielte auch das keine Rolle
mehr.
Ich ergriff ihn am Kinn und versuchte, ihm mit den
Fingern durch den Mund zu fahren, um ihn von Schleim und anderen
Blockaden zu befreien. Es nützte nichts; seine Zunge war
geschwollen - sie ragte ihm zwar nicht aus dem Mund, doch sie war
im Weg. Aber Luft braucht weniger Platz als ein Finger. Ich kniff
ihm die Nase zu, holte ein paar Mal so tief wie möglich Luft, dann
legte ich meinen Mund auf den seinen und blies.
Hätte ich sein Gesicht gesehen, als er noch am Baum
hing, wäre mir sofort klar gewesen, dass er nicht tot war; seine
Gesichtszüge waren erschlafft, als er das Bewusstsein verlor, und
seine Lippen und Augenlider waren blau - doch sein Gesicht war
nicht durch einen Blutstau geschwärzt, und seine Augen quollen
nicht vor, sondern sie waren geschlossen. Sein Darm hatte sich
entleert, aber sein Rückenmarkskanal war intakt, und er war nicht
erstickt - noch nicht.
Allerdings lief er jetzt Gefahr, genau dies vor
meiner Nase zu tun. Sein
Brustkorb bewegte sich nicht. Ich holte erneut Luft und blies,
wobei ich meine freie Hand auf seine Brust legte. Nichts. Ich
blies. Keine Bewegung. Ich blies. Ein bisschen. Nicht genug. Ich
blies. Die Luft entströmte rings um meinen Mund. Ich blies. Es war
nicht so, als wollte man einen Ballon aufblasen, sondern einen
Stein. Ich blies noch einmal.
Stimmengewirr über meinem Kopf. Brianna rief etwas,
dann war Jamie an meiner Seite.
»Hier ist das Brett«, sagte er ruhig. »Was müssen
wir tun?«
Ich holte keuchend Luft und wischte mir über den
Mund.
»Nimm du seine Hüften, Brianna seine Schultern.
Hebt ihn an, wenn ich es euch sage, nicht vorher.«
Wir lagerten ihn zügig um, und ich hielt seinen
Kopf in den Händen, als sei es der Heilige Gral. Wir waren jetzt
ganz von Leuten umringt, doch ich hatte keine Zeit, mich nach ihnen
umzusehen oder ihnen zuzuhören; ich hatte nur Augen für das, was zu
tun war.
Ich riss mir meinen Unterrock herunter, rollte ihn
zusammen und stützte damit seinen Nacken ab; zwar hatte ich nichts
knirschen oder knacken gespürt, als wir ihn umlagerten, aber ich
brauchte mein ganzes Glück für andere Dinge. Dank seiner Sturheit
oder durch ein schieres Wunder war er noch nicht tot. Aber er hatte
einige Zeit dort gehangen, und die Schwellungen in seinem Hals
würden in Kürze bewerkstelligen, was das Seil allein nicht
geschafft hatte.
Ich hatte keine Ahnung, ob mir nur Minuten blieben
oder eine Stunde, doch es würde unausweichlich geschehen, und es
gab nur ein Gegenmittel. Es sickerten nur wenige Luftmoleküle durch
die Masse seines gequetschten, zerstörten Gewebes; wenn die
Schwellung nur ein kleines bisschen zunahm, würde sie den Durchgang
komplett versiegeln. Und wenn die Luft seine Lungen nicht durch
Nase oder Mund erreichen konnte, musste ein anderer Zugang
her.
Ich drehte mich zu Jamie um, doch es war Brianna,
die neben mir kniete. Getöse im Hintergrund deutete darauf hin,
dass sich Jamie um unsere Zuschauer kümmerte.
Ein Luftröhrenschnitt? Eine schnelle Methode, die
keiner großen Erfahrung bedurfte, doch der Schnitt war schwierig
offen zu halten - und reichte möglicherweise nicht aus, um das
Hindernis zu überwinden. Ich hatte eine Hand auf Rogers Brustbein
liegen, und sein Herz schlug sanft und beruhigend unter meinen
Fingern. Kräftig genug... vielleicht.
»Nun denn«, sagte ich zu Brianna und hoffte, dass
ich mich ganz ruhig anhörte. »Ich brauche ein wenig Hilfe.«
»Ja«, sagte sie, und sie klang Gott sei Dank ruhig.
»Was soll ich tun?«
Im Prinzip nichts besonders Schwieriges; sie musste
nur Rogers Kopf weit zurückziehen und ihn still halten, während ich
ihm die Kehle aufschlitzte. Natürlich war es gut möglich, dass wir
seinen Rückenmarkskanal verletzten,
wenn eine Fraktur vorlag, oder ihn unwiderruflich
zusammendrückten. Doch darum brauchte sich Brianna nicht noch
zusätzlich zu sorgen - oder auch nur davon zu wissen.
Sie kniete sich neben seinen Kopf und tat, was ich
ihr sagte. Das Mittelfell der Luftröhre wölbte sich sichtbar vor,
als sich jetzt die darüberliegenden Bänder und die Haut dehnten. Da
war sie, akkurat - so hoffte ich - zwischen den großen Blutgefäßen
auf beiden Seiten eingerahmt. Wenn nicht, war es gut möglich, dass
ich ihm die Halsschlagader oder die Drosselvene anritzte und er mir
unter den Händen verblutete.
Der einzige Vorteil eines schrecklichen Notfalls
ist, dass er einem den Freiraum verleiht, Dinge zu versuchen, die
man kaltblütig niemals ausführen würde.
Ich tastete mit zittrigen Fingern nach dem
Alkoholfläschchen, das ich in meiner Tasche trug. Beinahe hätte ich
es fallen gelassen, doch als ich mir erst einmal etwas von seinem
Inhalt über die Finger geschüttet hatte und sowohl mein Skalpell
als auch Rogers Hals damit abgewischt hatte, war die Trance des
Chirurgen über mich gekommen, und meine Hände waren wieder
ruhig.
Ich nahm mir ein paar Sekunden Zeit, mit
geschlossenen Augen, die Hände auf seinem Hals, nach dem schwachen
Pulsieren der Arterie und der etwas weicheren Schilddrüse zu
tasten. Ich übte leichten Druck nach oben aus; ja, sie bewegte
sich. Ich massierte die Verengung der Schilddrüse und schob sie
fest auf seinen Kopf zu, damit sie nicht im Weg war, und drückte
mit der anderen Hand die Klinge des Messers in den vierten
Luftröhrenknorpel.
Der Knorpel war an dieser Stelle U-förmig, dahinter
lag die Speiseröhre, weich und verletzlich; ich durfte nicht zu
tief zustechen. Ich spürte, wie sich die Fasern von Haut und
Bändern teilten, Widerstand, dann das leise Pop beim Eindringen der
Klinge. Ein plötzliches, lautes Gurgeln, gefolgt von einem
wässrigen Pfeifen; das Geräusch von Luft, die durch Blut gesogen
wurde. Rogers Brust bewegte sich. Ich spürte es, und erst in diesem
Moment begriff ich, dass ich die Augen immer noch geschlossen
hatte.