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Der Keim der Zwietracht
Ich spähte einem von Farquard Campbells Sklaven in
die Nase, in Gedanken halb bei dem Polypen, der ihm das Nasenloch
verstopfte, halb bei Gouverneur Tryon. Der Polyp war mir eindeutig
der Sympathischere von beiden, und selbst ihn würde ich mit
einem heißen Eisen ins Jenseits kauterisieren.
Es kam mir so furchtbar ungerecht vor, dachte ich,
während ich stirnrunzelnd mein Skalpell sterilisierte und das
kleinste Kautereisen in ein Becken mit heißen Kohlen legte.
War das der Anfang? Oder einer der Anfänge? Es war
Ende 1770; in fünf Jahren würden sich alle dreizehn Kolonien im
Krieg befinden. Doch jede Kolonie würde durch einen anderen Prozess
an diesen Punkt gelangen. Da ich so lange in Boston gelebt hatte,
wusste ich aus Briannas Geschichtshausaufgaben, wie dieser Prozess
in Massachusetts ausgesehen hatte - oder aussehen würde. Steuern,
das Massaker von Boston, der Hafen, Hancock, Adams,
die Tea Party, all diese Dinge. Aber North Carolina? Wie war es
hier dazu gekommen - wie würde es hier dazu kommen?
Möglich, dass es schon im Gange war. Schon seit
mehreren Jahren glomm die Zwietracht zwischen den Pflanzern der
Ostküste und den geplagten Siedlern des Hinterlandes im Westen. Die
Regulatoren rekrutierten sich größtenteils aus der letzteren
Klasse; Erstere stand mit ganzem Herzen auf Tryons Seite - und
damit auf Seiten der Krone.
»Geht es jetzt?« Ich hatte dem Sklaven einen
kräftigen Schluck Whisky als Medizin zur Stärkung verabreicht. Ich
lächelte ermutigend, und er nickte mit unsicherer, aber ergebener
Miene.
Ich hatte noch nie von Regulatoren gehört, doch
hier waren sie nun - und ich hatte inzwischen genug gesehen, um zu
wissen, wie viel die Geschichtsbücher ausließen. Wurde die Saat der
Revolution direkt vor meiner Nase ausgestreut?
Ich murmelte dem Sklaven beruhigend zu, wickelte
mir eine Leinenserviette um die linke Hand, ergriff das Kinn des
Sklaven fest damit, schob ihm das Skalpell in die Nase und trennte
den Polypen mit einer geschickten Bewegung der Klinge ab. Natürlich
blutete es heftig, und warmes Blut strömte durch das um meine Hand
gewickelte Tuch, doch es war offensichtlich nicht sehr schmerzhaft.
Der Sklave sah überrascht, aber nicht gequält aus.
Das Kautereisen hatte die Form eines winzigen
Spatens, ein quadratisches, flaches Metallstück am Ende eines
schmalen Stiels, der einen Holzgriff hatte. Das flache Ende qualmte
im Feuer, seine Kanten glühten rot. Ich presste dem Mann das Tuch
fest gegen die Nase, um den Blutfluss zu stoppen, entfernte es
wieder, und in dem Bruchteil einer Sekunde, bevor das Blut wieder
hervorschoss, schob ich ihm das heiße Eisen in die Nase und drückte
es gegen die Nasenscheidewand. Jetzt konnte ich nur noch hoffen,
dass ich die richtige Stelle getroffen hatte.
Der Sklave gab einen erstickten Kehllaut von sich,
regte sich aber nicht, obwohl ihm die Tränen über die Wangen liefen
und feucht und warm auf meinen Fingern landeten. Der Geruch nach
versengtem Blut und Fleisch unterschied sich nicht von dem Geruch,
der auch von den Grillfeuern herüber wehte. Mein Magen knurrte
laut; der Sklave sah mich mit hervorquellenden, blutunterlaufenen
Augen erstaunt an. Mein Mund zuckte, und er kicherte schwach
zwischen Tränen und Rotz.
Ich zog das Eisen fort und hielt das Tuch bereit.
Es floss kein frisches Blut. Ich bog den Kopf des Mannes zurück,
lugte ihm mit zusammengekniffenen Augen in die Nase und entdeckte
erfreut die kleine, saubere Brandmarke am oberen Teil der
Schleimhaut. Ich wusste, dass die Brandwunde leuchtend rot sein
musste, doch ohne Beleuchtung sah sie schwarz aus, eine kleine
Schrunde, die sich wie eine Zecke im behaarten Schatten des
Nasenloches verbarg.
Der Mann sprach kein Englisch; ich lächelte ihm zu,
wandte mich aber an
seine Begleiterin, eine junge Frau, die ihm während der Prozedur
die Hand gehalten hatte.
»Er wird wieder gesund. Sagt ihm bitte, dass er die
Kruste nicht aufkratzen soll. Wenn die Wunde anschwillt, eitert
oder er Fieber bekommt -« Ich hielt inne, denn eigentlich hätte die
nächste Zeile lauten sollen, »sucht sofort einen Arzt auf.«
»Geht zu Eurer Herrin«, sagte ich stattdessen
zögernd. »Oder sucht Euch eine Kräuterfrau.« Die derzeitige Mrs.
Campbell war jung, und nach allem, was ich von ihr wusste, war sie
sehr zerstreut. Dennoch sollte jede Plantagenherrin das nötige
Wissen und die Mittel zur Fieberbehandlung besitzen. Und wenn es
über eine simple Infektion hinaus zu einer Blutvergiftung kommen
sollte... nun, in diesem Fall konnte niemand viel tun.
Ich klopfte dem Sklaven auf die Schulter und
entließ ihn, während ich dem nächsten Patienten in der
Warteschlange zunickte.
Eine Infektion. Das war es, was sich hier
zusammenbraute. Im Großen und Ganzen schien die Lage ruhig zu sein
- schließlich zog die Krone sogar ihre Truppen zurück! Doch
Dutzende, Hunderte, Tausende kleiner Zwietrachtskeime mussten auf
der Lauer liegen und überall in den Kolonien Konfliktherde bilden.
Die Regulation war nur einer davon.
Zu meinen Füßen stand ein kleiner Eimer mit
destilliertem Alkohol zur Desinfektion der Instrumente. Ich tauchte
das Kautereisen hinein, dann stieß ich es wieder ins Feuer; der
Alkohol entzündete sich mit einem kurzen, flammenlosen
Piff.
Ich hatte das unangenehme Gefühl, dass der Brief,
der Jamie gerade ein Loch in den Sporran sengte, auch zu jenen
Flammen gehörte, die sich gerade Millionen von Zündschnüren
näherten. Möglich, dass manche wieder ausgetreten wurden und andere
von selbst herunterbrannten - doch es würden genügend andere Feuer
fangen und weiterbrennen und sich ihren zerstörerischen Weg durch
die Heime und Familien fressen. Am Ende würde ein sauberer Schnitt
stehen, doch es würde sehr viel Blut fließen, bevor das heiße Eisen
der Gewehre die offene Wunde versiegeln konnte.
Würde uns denn nie ein wenig Friede vergönnt sein,
Jamie und mir?
»Dann wäre da Duncan MacLeod; er hat dreihundert
Acres am Yadkin River, aber es lebt niemand darauf außer ihm selbst
und seinem Bruder.« Jamie rieb sich mit dem Ärmel über das Gesicht,
um den Feuchtigkeitsfilm abzuwischen, der an seiner Haut klebte. Er
kniff die Augen zu, um seinen Blick zu klären, und schüttelte sich
wie ein Hund, so dass es die Tropfen regnete, die sich in seinem
Haar verfangen hatten.
»Aber«, fuhr er fort und wies dabei auf die
Rauchwolke, die MacLeods Lagerstelle kennzeichnete, »er ist mit dem
alten Rabbie Cochrane verwandt. Rabbie ist nicht zum
gathering gekommen - wie ich höre, hat er die Wassersucht -,
aber er hat elf erwachsene Kinder, die überall auf seinem Berg
verstreut
wohnen. Nimm dir also Zeit mit MacLeod, sieh zu, dass er gerne
kommt, und sag ihm dann, dass er Rabbie benachrichtigen soll. Sag
ihm, die Musterung ist in vierzehn Tagen in Fraser’s Ridge.«
Er zögerte und legte Roger eine Hand auf den Arm,
um zu verhindern, dass dieser verfrüht aufbrach. Er blinzelte in
den Nebel und erwägte weitere Möglichkeiten. Sie hatten drei
Lagerstellen gemeinsam besucht, und vier Männer hatten ihnen ihre
Zusage gegeben. Wie viele konnten sie noch beim gathering
antreffen?
»Von Duncan aus gehst du hinüber zu den
Schafspferchen. Angus Og ist bestimmt da - du kennst doch Angus
Og?«
Roger nickte und hoffte, dass er den richtigen
Angus Og meinte. Er hatte im Lauf der vergangenen Woche mindestens
vier Männer dieses Namens kennen gelernt, aber nur einem von ihnen
war ein Hund nicht von der Seite gewichen, und er hatte nach
Rohwolle gerochen.
»Campbell, aye? Krumm wie ein Angelhaken und hat
ein Glasauge?«
»Aye, das ist er.« Jamie nickte zustimmend und
lockerte seinen Griff. »Er ist zu verbaut, um selbst zu kämpfen,
aber er wird dafür sorgen, dass seine Neffen kommen, und es in den
Siedlungen in der Gegend von High Point weitersagen. Also, Duncan,
Angus... oh, aye, Joanie Findlay.«
»Joanie?«
Fraser grinste.
»Aye, man nennt sie die alte Joan. Sie hat ihr
Lager in der Nähe meiner Tante, sie und ihr Bruder lain
Mhor.«
Roger nickte skeptisch.
»Aye. Aber ich soll mit ihr sprechen,
ja?«
»Dir wird nichts anderes übrig bleiben«, sagte
Fraser. »Iain Mhor kann nicht sprechen. Aber sie hat noch zwei
andere Brüder, die es können, und zwei Söhne in kampffähigem Alter.
Die wird sie schicken.«
Jamie warf einen Blick zum Himmel; der Tag hatte
sich ein wenig erwärmt, und es regnete weniger, als dass es
nebelte. Die Wolken waren so weit ausgedünnt, dass die Sonne zu
sehen war, eine blasse, verschwommene Scheibe, die zwar noch hoch
am Himmel stand, jedoch im Abstieg begriffen war. Es würde
vielleicht noch zwei Stunden hell sein.
»Das reicht«, beschloss er und wischte sich die
Nase mit dem Ärmel ab. »Komm zurück zum Feuer, wenn du bei Joan
fertig bist, und dann essen wir eine Kleinigkeit zu Abend, bevor du
heiratest, aye?« Er zog eine Augenbraue hoch und lächelte Roger
schwach zu, dann wandte er sich ab. Bevor Roger sich entfernen
konnte, drehte er sich noch einmal um.
»Sag von Anfang an, dass du Hauptmann MacKenzie
bist«, riet er Roger. »Dann wirst du mehr Beachtung finden.« Er
drehte sich wieder um und schritt davon, um die weniger viel
versprechenden Kandidaten auf seiner Liste aufzusuchen.
MacLeods Feuer brannte wie ein Schlot im Nebel.
Roger wandte sich ihm
zu und murmelte dabei die Namen wie ein Mantra vor sich hin.
»Duncan MacLeod, Rabbie Cochrane, Angus Og Campbell, Joanie
Findlay... Duncan MacLeod, Rabbie Cochrane...« Kein Problem,
dreimal, und er hatte alles im Kopf, ganz gleich, ob es der Text
eines neuen Liedes war, den er sich einprägen musste, Daten aus
einem Lehrbuch oder psychologische Gebrauchsanweisungen für
potentielle Milizrekruten.
Er sah ein, dass es sinnvoll war, so viele Schotten
aus dem Hinterland wie möglich jetzt gleich aufzusuchen, bevor sie
sich wieder auf ihre Farmen und Blockhütten verteilten. Und er fand
es ermutigend, dass die Männer, an die Fraser bis jetzt
herangetreten war, die Einberufung zur Miliz höchstens mit einem
säuerlichen Blick und einem resignierten Räuspern akzeptiert
hatten.
Hauptmann MacKenzie. Der Titel, den ihm Fraser so
beiläufig verliehen hatte, erfüllte ihn mit einem Hauch von
verlegenem Stolz. »Instant-Soldat«, murmelte er spöttisch vor sich
hin und nahm in seinem durchnässten Rock Haltung an. »Geben Sie nur
noch Wasser hinzu.«
Gleichzeitig musste er aber auch zugeben, dass er
ein schwaches Kribbeln der Aufregung verspürte. Es mochte ja so
sein, dass vorerst nicht viel mehr als Soldatenspiele dabei
herauskommen würden - aber der Gedanke daran, in einer Miliz zu
marschieren, die Musketen geschultert und Schießpulvergeruch an den
Händen...
Keine vier Jahre mehr, dachte er, dann würden die
Milizen auf dem Feld bei Lexington stehen. Männer, die auch keine
bessere Soldatenausbildung mitbrachten als diese Männer, mit denen
er hier im Regen sprach - oder als er selbst. Dieses Bewusstsein
jagte ihm einen Schauer über die Haut und ließ sich
bedeutungsschwanger in seinem Magen nieder.
Es kam näher. Himmel, es kam wirklich näher.
Mit MacLeod hatte er keine Probleme, doch er
brauchte länger als gedacht, um Angus Og zu finden, der ganz in die
Arbeit mit seinen Schafen vertieft war und sich über die Störung
furchtbar aufregte. »Hauptmann MacKenzie« hatte wenig Wirkung auf
den alten Schuft ausgeübt; die mit einem drohenden Unterton
ausgesprochene Erwähnung von »Oberst Fraser« schon mehr. Angus Og
hatte launisch und konzentriert an seiner breiten Oberlippe gekaut,
widerstrebend genickt und sich dann mit einem schroffen »Aye, ich
sag’s weiter« wieder seinen Schafen zugewandt.
Das neblige Nieseln hatte aufgehört, und die Wolken
begannen aufzureißen, als er den Hang erklettert hatte und Joan
Findlays Lager erreichte.
»Die alte Joan« war zu seiner Überraschung eine
attraktive Frau Mitte dreißig mit scharfsichtigen, braunen Augen,
die sich unter den Falten eines feuchten Schultertuches voll
Interesse auf ihn richteten.
»So weit ist es also schon, aye?«, sagte sie als
Antwort auf seine kurze Erklärung, warum er hier war. »Ich habe
mich schon gewundert, als ich heute Morgen hörte, was der Soldat zu
sagen hatte.«
Sie tippte sich nachdenklich mit dem Griff ihres
hölzernen Kochlöffels an die Lippe.
»Ich habe eine Tante, die in Hillsborough lebt. Sie
hat ein Zimmer im King’s House, gleich gegenüber von Edmund
Fannings Haus - oder der Stelle, an der es gestanden hat.« Sie
lachte kurz auf, wenn auch ohne wirklichen Humor.
»Sie hat mir geschrieben. Der Pöbel kam die Straße
entlang gekocht, hat sie gesagt, und hat Mistgabeln geschwungen wie
eine Dämonenschar. Sie haben Fannings Haus vor ihren Augen von den
Schwellenbalken abgesägt und es mit Seilen umgerissen. Und jetzt
sollen wir also unsere Männer schicken, um für Fanning die
Kastanien aus dem Feuer zu holen?«
Roger war auf der Hut; er hatte schon viel von
Edmund Fanning gehört, der alles andere als beliebt war.
»Dazu kann ich nichts sagen, Mrs. Findlay«, sagte
er. »Aber der Gouverneur -«
Joan Findlay prustete heftig los.
»Der Gouverneur«, sagte sie und spuckte ins Feuer.
»Pah. Wohl eher die Freunde des Gouverneurs. Aber so ist es nun
einmal - die Armen müssen für das Gold der Reichen bluten, und das
bleibt immer so, was?«
Sie wandte sich zwei kleinen Mädchen zu, die hinter
ihr aufgetaucht waren, still wie kleine, in Tücher gehüllte
Geister.
»Annie, hol deine Brüder. Joanie, du rührst den
Topf um. Gib Acht, dass du fest über den Boden kratzt, damit es
nicht anbrennt.« Sie reichte dem kleinsten Mädchen den Löffel, dann
wandte sie sich ab und winkte Roger, ihr zu folgen.
Es war ein ärmliches Lager, nicht mehr als eine
Wolldecke, die zwischen zwei Büschen aufgespannt war und eine Art
Unterschlupf bildete. Joan Findlay kauerte sich vor den
höhlenartigen Raum, und Roger, der ihr gefolgt war, bückte sich, um
ihr über die Schulter zu blicken.
»A brathair, hier ist Hauptmann MacKenzie«,
sagte sie und streckte eine Hand nach dem Mann aus, der im Schutz
der Decke auf einer Matratze aus trockenem Gras lag. Roger bekam
einen Schrecken, als er den Mann sah, unterdrückte ihn aber.
Einen Spastiker hätte man ihn in Rogers eigener
Zeit in Schottland genannt; wie nannte man einen solchen Zustand
jetzt? Vielleicht gab es keine spezielle Bezeichnung dafür; Fraser
hatte nur gesagt, er könne nicht sprechen.
Nein, und richtig bewegen konnte er sich auch
nicht. Seine Gliedmaßen waren knochig und ausgemergelt, sein Körper
in unmöglichen Winkeln verdreht. Man hatte eine zerlumpte Bettdecke
über ihn gelegt, doch durch seine ruckartigen Bewegungen war sie
verrutscht, so dass der Stoff zusammengeballt zwischen seinen
Beinen klemmte und sein Oberkörper entblößt war. Sein abgetragenes
Hemd war zerknittert und durch seine angestrengten Bewegungen
halb ausgezogen, so dass die bleiche Haut seiner Schultern und
Rippen kalt und bläulich im Schatten glänzte.
Joan Findlay legte dem Mann ihre Hand auf die Wange
und drehte seinen Kopf, so dass er Roger ansehen konnte.
»Das ist mein Bruder Iain, Mr. MacKenzie«, sagte
sie mit fester Stimme, die ihn warnte, jetzt ja nicht falsch zu
reagieren.
Auch Iain Mhors Gesicht war verzerrt, der
speicheltriefende Mund verzogen, doch aus dieser Verwüstung
blickten Roger ein Paar bildschöne - und intelligente -
haselnussbraune Augen entgegen. Er brachte seine eigenen Gefühle
und Gesichtszüge fest unter Kontrolle und nahm die Klauenhand des
Mannes in die seine. Sie fühlte sich schrecklich an, die Knochen
scharf und zerbrechlich unter seiner Haut, die so kalt war, dass
sie die Haut einer Leiche hätte sein können.
»Iain Mhor«, sagte er leise. »Ich habe schon von
Euch gehört. Jamie Fraser lässt Euch grüßen.«
Die Augenlider senkten sich grazil als Antwort und
hoben sich dann wieder. Der Mann betrachtete Roger mit ruhigem,
klarem Blick.
»Der Hauptmann ist hier, um Männer für die Miliz
anzuwerben«, sagte Joan hinter Rogers Rücken. »Der Gouverneur hat
die Order geschickt, aye? Anscheinend hat er genug von Aufruhr und
Unruhe, so sagt er zumindest; er will jetzt mit Gewalt
durchgreifen.« Ihre Stimme hatte einen kräftigen, ironischen
Unterton.
Iain Mhors Blick wanderte zum Gesicht seiner
Schwester. Sein Mund bewegte sich, rang um Kontrolle, und seine
schmale Brust bäumte sich vor Anstrengung auf. Ein paar gekrächzte
Silben kamen mit reichlich Speichel heraus, dann fiel er schwer
atmend zurück, den Blick gebannt auf Roger gerichtet.
»Er fragt, ob dafür Handgeld gezahlt wird,
Hauptmann«, übersetzte Joan.
Roger zögerte. Jamie hatte diese Frage
angesprochen, jedoch keine eindeutige Antwort erhalten. Doch er
konnte spüren, dass die Frau in seinem Rücken und der Mann, der vor
ihm lag, ihre Erwartung nur mühsam unterdrückten. Die Findlays
waren bettelarm; das war jedem klar, der sich die nackten Füße und
die zerlumpten Kleider der kleinen Mädchen ansah, die abgetragenen
Kleider und Bettdecken, die Iain Mhor kaum Schutz vor der Kälte
boten. Doch seine Ehrlichkeit zwang ihn zu antworten.
»Ich weiß es nicht. Es gibt noch keine offizielle
Auskunft darüber - aber es könnte sein.« Ob Handgeld gezahlt werden
würde, hing davon ab, wie groß die Reaktion auf den Aufruf des
Gouverneurs war; wenn seine Order allein nur eine unzureichende
Truppe zustande brachte, war es gut möglich, dass der Gouverneur
sich entschloss, den Milizionären weiteren Anreiz zur Befolgung des
Aufrufs zu liefern.
Ein Ausdruck der Enttäuschung flackerte in Iain
Mhors Augen auf, um
beinahe sofort der Resignation zu weichen. Ihm wäre jede Einkunft
willkommen gewesen, doch er rechnete nicht ernsthaft damit.
»Nun denn.« In Joans Stimme lag die gleiche
Resignation. Roger spürte, wie sie zurücktrat und sich abwandte,
doch der Blick der braunen Augen mit den langen Wimpern hielt ihn
immer noch fest. Iain sah ihn direkt an, furchtlos und neugierig.
Roger zögerte, unsicher, ob er sich einfach verabschieden sollte.
Er hätte gern Hilfe angeboten - aber Gott, was für Hilfe hatte er
denn zu bieten?
Er streckte die Hände nach dem offenen Hemd und der
zerwühlten Bettdecke aus. Es war nicht viel, aber besser als
nichts.
»Darf ich?«
Die haselnussbraunen Augen schlossen sich kurz,
dann öffneten sie sich zustimmend, und er machte sich daran, das
Bett in Ordnung zu bringen. Iain Mhors Körper war ausgemergelt,
aber überraschend schwer und von Rogers Position aus nur
ungeschickt zu heben.
Dennoch dauerte es nur kurz, und er lag ordentlich
zugedeckt da, und ihm war wenigstens wärmer. Roger blickte ihm
erneut in die Augen, lächelte, nickte verlegen und trat von dem mit
Gras ausgekleideten Nest zurück, genauso wortlos wie Iain
Mhor.
Joan Findlays Söhne waren gekommen; sie standen
neben ihrer Mutter, zwei kräftige Jungen von sechzehn und siebzehn,
die Roger mit einer Mischung aus Argwohn und Neugier
betrachteten.
»Das hier ist Hugh«, sagte sie und legte erst dem
einen, dann dem anderen Jungen die Hand auf die Schulter, »und Iain
Og.«
Roger neigte höflich den Kopf.
»Stets zu Diensten, die Herren.«
Die Jungen wechselten einen Blick, dann sahen sie
zu Boden und verkniffen sich das Grinsen.
»Nun, Hauptmann MacKenzie.« Joan Findlays
Stimme legte große Betonung auf das Wort. »Wenn ich Euch meine
Söhne borge, versprecht Ihr mir dann, sie mir gesund wieder nach
Hause zu schicken?«
Die braunen Augen der Frau leuchteten genauso
intelligent wie die ihres Bruders - und genauso furchtlos. Er
musste sich zwingen, den Blick nicht abzuwenden.
»Soweit es in meiner Macht liegt, Ma’am - sorge ich
für ihre Sicherheit.«
Ihr Mundwinkel verzog sich ein wenig; sie wusste
ganz genau, was in seiner Macht lag und was nicht. Doch sie nickte
und ließ die Hände wieder an ihre Seiten sinken.
»Sie werden kommen.«
Jetzt nahm er Abschied und ging davon. Das Gewicht
ihres Vertrauens lastete schwer auf seinen Schultern.