24
Spiel mit dem Feuer
Er wusste nicht genau, was er erwartet hatte. Etwas wie das Spektakel am groϐen Feuer des gatherings vielleicht. Die Vorbereitungen waren die gleichen, und sie umfassten große Mengen an Ess- und Trinkbarem. Ein großes Fass Bier und ein kleineres mit Whisky standen auf Planken am Rand des Hofes, und ein gigantisches Grillschwein drehte sich langsam an einem grünen Hickoryspieß über einem Kohlefeuer und entsandte Rauchwölkchen und ein köstliches Aroma in die kalte Abendluft. Die Frauen wechselten sich schon seit der Morgendämmerung mit der Beaufsichtigung des Barbecues ab - ein geladenes Gewehr stets zur Hand, für den Fall, dass sich raublustige Bären oder Großkatzen durch den Duft angezogen fühlten.
Gefahr gebannt, dachte Roger. Bis auf mehrere Meilen würde sich kein wildes Tier diesem Lärm nähern.
Er grinste den in Feuer getauchten Gesichtern vor ihm zu, die mit Bratenfett geölt und vom Alkohol gerötet waren, und schlug sein Bodhran. Sein Magen knurrte laut, doch das Geräusch ging im grölenden Refrain von »Killiecrankie« unter.
»O, I met the De-ev-ill and Dundeeeee...
On the brae-aes o’ Killiecrankie-O!«
Wenn er schließlich irgendwann etwas zu essen bekam, würde er es sich verdient haben. Er spielte und sang bereits seit Anbruch der Dunkelheit, und jetzt ging der Mond über dem Black Mountain auf. Er nutzte den Refrain, um kurz inne zu halten, gerade lange genug, um nach dem Alebecher zu greifen, der unter seinem Hocker stand, und sich die Kehle anzufeuchten und dann die neue Strophe frisch gestärkt anzugehen.
»I fought on land, I fought on sea.
At hame I fought my auntie, Oh!
I met the Devil and Dundee...
On the braes o’Killiecrankie-O!«
Während er sang, setzte er sein professionelles Lächeln auf, erwiderte hier einen Blick, konzentrierte sich dort auf ein Gesicht und rechnete sich im Hinterkopf seine Fortschritte aus. Er hatte ihnen jetzt gut eingeheizt - zugegebenermaßen mit ein wenig Hilfe seitens der dargebotenen Getränke - und sie auf das eingestimmt, was Brianna »Kriegstreiberei« genannt hatte.
Er konnte das Kreuz in seinem Rücken spüren, im Dunkeln beinahe unsichtbar. Doch jeder hatte die Gelegenheit gehabt, es zu sehen; er hatte das interessierte, spekulative Gemurmel gehört.
Jamie Fraser stand abseits, außerhalb des vom Feuer erhellten Kreises. Roger konnte seine hoch gewachsene Gestalt gerade eben ausmachen, dunkel im Schatten der großen Blaufichte, die dicht neben dem Haus stand. Den ganzen Abend hatte sich Fraser systematisch unter den Anwesenden vorgearbeitet, war stehen geblieben, um hier eine Höflichkeit auszutauschen, dort einen Witz zu erzählen oder sich ein Problem oder eine Geschichte anzuhören. Jetzt stand er allein da und wartete. Fast an der Zeit also - was auch immer er vorhatte.
Roger ließ ihnen eine Minute Zeit zum Applaudieren und um selbst wieder zu Atem zu kommen, dann begann er »Johnny Cope«, rasant und gnadenlos komisch.
Er hatte dieses Lied mehrfach beim gathering gesungen und wusste ganz gut, wie sie es aufnehmen würden. Kurzes Innehalten, Unsicherheit, dann fielen mehr und mehr Stimmen ein - am Ende der zweiten Strophe würden sie im Hintergrund johlen und spotten.
Einige der Männer hier hatten in Prestonpans gekämpft; sie mochten in Culloden besiegt worden sein, doch zuerst hatten sie immer noch Johnnie Copes Truppen aufgemischt, und sie freuten sich über die Gelegenheit, diesen legendären Sieg noch einmal zu durchleben. Und wer von den Highlandschotten nicht dort gekämpft hatte, hatte davon gehört. Die Muellers, die wahrscheinlich noch nie von Charles Stuart gehört hatten und nur jedes zehnte Wort verstanden, schienen in der letzten Reihe ihren eigenen Jodelrefrain zu improvisieren und schwenkten bei jeder Strophe ihre überschwappenden Becher zum Salut. Aye, schön, solange sie ihren Spaß hatten.
Beim letzten Refrain brüllte die Menge beinahe und übertönte ihn fast dabei.
»Hey Johnnie Cope, are ye walking yet?
And are your drums a-beatin’ yet?
If ye were walkin’, I wad wait,
Tae gang tae the coals in the mornin’!«
Er schlug ein letztes Mal auf die Trommel und verbeugte sich unter tosendem Applaus. Damit waren sie aufgewärmt; Zeit, die Bühne für das Hauptprogramm zu räumen. Er verbeugte sich und lächelte, erhob sich von seinem Hocker und verdrückte sich in den Schatten neben den zerhackten Überresten des riesigen Schweinekadavers.
Dort erwartete ihn Brianna, die Jemmy auf dem Arm hatte, hellwach mit riesigen Eulenaugen. Sie beugte sich zu ihm herüber und küsste ihn. Dabei reichte sie ihm das Kind und nahm ihm dafür das Bodhran ab.
»Du warst toll!«, sagte sie. »Halt ihn fest; ich besorge dir etwas zu essen und ein Bier.«
Normalerweise blieb Jemmy lieber bei seiner Mutter, doch er war zu sehr vom Lärm und den lodernden Flammen betäubt, um gegen die Übergabe zu protestieren. Er kuschelte sich an Rogers Brust und nuckelte konzentriert an seinem Daumen.
Roger schwitzte vor Anstrengung, sein Herz raste vom Adrenalinrausch seiner Darbietung, und die Luft abseits des Feuers und der Menge war kalt in seinem erröteten Gesicht. Das Gewicht des eingewickelten Babys fühlte sich gut an, warm und fest in seiner Armbeuge. Er hatte seine Sache gut gemacht, und er wusste es. Hoffentlich war es das, was Fraser wollte.
Als Brianna mit seinem Bier und einem Teller voll Schweinefleisch, Reibekuchen aus Rübchen und Bratkartoffeln wieder auftauchte, war Jamie in den vom Feuer erleuchteten Kreis getreten und hatte Rogers Platz vor dem Kreuz eingenommen.
Hoch gewachsen und breitschultrig stand er da, in seinem besten, grauen Sonntagsrock, unter dem er einen weichen, blauen Kilt trug, das leuchtende Haar lose auf den Schultern, auf der einen Seite einen dünnen, geflochtenen Kriegerzopf, den eine einzelne Feder zierte. Das Feuer glitzerte auf dem Goldknauf seines Dolches und der Brosche, die das um seine Schultern geschlungene Plaid festhielt. Seine Miene wirkte zufrieden, aber sein Verhalten war ernst und konzentriert. Er zog eine gute Show ab, das musste Roger zugeben - und er wusste es auch.
Die Menge verstummte innerhalb von Sekunden, und hier und da brachte jemand seine dreisteren Nachbarn mit dem Ellbogen zum Schweigen.
»Ihr wisst alle genau, warum wir hier sind, aye?«, fragte er ohne Einleitung. Er hob die Hand, in der er die zerknitterte Order des Gouverneurs hielt, auf der das rote Siegel im Feuerschein wie eine rote Schmierspur zu sehen war. Es erscholl ein beifälliges Grummeln; die Menge war in guter Stimmung, Blut und Whisky strömten ungehemmt durch ihre Adern.
»Man ruft uns, unsere Pflicht zu tun, und wir kommen als Ehrenmänner, um der Sache des Gesetzes zu dienen - und dem Gouverneur.«
Roger sah, wie sich der alte Gerhard Mueller zur Seite beugte, um die Übersetzung zu hören, die ihm einer seiner Söhne ins Ohr murmelte. Er nickte beifällig und rief: »Ja! Lang lebe der Gouverneur!« Es erklang Gelächter, gefolgt von ähnlichen Ausrufen auf Englisch und Gälisch.
Jamie wartete lächelnd, bis der Lärm verstummte. Dann vollzog er eine langsame Wendung und nickte dabei einem Gesicht nach dem anderen zu, nahm die Anwesenheit jedes einzelnen Mannes zur Kenntnis. Dann wandte er sich zur Seite und wies mit erhobener Hand auf das Kreuz, das kahl und schwarz hinter ihm stand.
»Wenn sich ein Clanhäuptling in den schottischen Highlands zum Krieg rüstete«, sagte er in einem Tonfall, der sachlich, aber laut genug war, dass man ihn auf dem ganzen Hof hören konnte, »entzündete er das flammende Kreuz und schickte es als Zeichen durch das Land seines Clans. Es war ein Signal für die Männer seines Namens, zu ihren Waffen zu greifen und sich kampfbereit an den Sammelplatz zu begeben.«
Es kam Bewegung in die Menge, man stieß sich gegenseitig an, und es ertönten weitere Beifallsrufe, wenn auch gedämpfter. Ein paar Männer hatten dies schon einmal erlebt oder wussten zumindest, wovon er sprach. Die anderen hoben das Kinn und reckten die Hälse, die Münder vor Neugier halb geöffnet.
»Doch dies ist ein neues Land, und wir sind zwar Freunde -«, er lächelte Gerhard Mueller an, »ja, Freunde, Nachbarn, Landsmänner-«, ein Blick in Richtung der Lindsaybrüder, »-und bald auch Waffenbrüder, doch wir sind kein Clan. Man hat mir zwar den Befehl erteilt, doch ich bin nicht euer Häuptling.«
Natürlich bist du das, dachte Roger. Oder jedenfalls auf dem besten Weg dazu. Er trank einen letzten, großen Schluck kaltes Bier und stellte seinen Becher und den Teller hin. Das Essen konnte noch etwas warten. Brianna hatte das Baby wieder genommen und sich das Bodhran unter den Arm geklemmt; er nahm es ihr ab, und sie lächelte ihm flüchtig zu, doch ihre Aufmerksamkeit war weitgehend auf ihren Vater gerichtet.
Jamie bückte sich und zog eine Fackel aus dem Feuer, stand da, und die Fackel in seiner Hand erleuchtete die scharfen Kanten seines Gesichtes.
»Möge Gott unseren guten Willen bezeugen und unseren Armen Kraft verleihen -« Er hielt inne, um den Deutschen Zeit zum Übersetzen zu lassen. »Doch möge dieses Flammenkreuz als Zeichen unserer Ehre hier stehen und Gottes Schutz auf unsere Familien herabrufen - bis wir gesund heimkehren.«
Er drehte sich um und hielt die Fackel an den senkrechten Balken des Kreuzes, bis die trockene Rinde sich entzündete und eine kleine Flamme sich glühend auf dem dunklen Holz ausbreitete.
Alles stand schweigend da und sah zu. Es war kein Geräusch zu hören bis auf die Bewegungen und die Atemzüge der Menge, ein Echo des seufzenden Windes in der Wildnis ringsum. Es war nicht mehr als eine winzige, züngelnde Flamme, die bei jedem Windhauch flackerte und ganz zu erlöschen drohte. Kein benzingetränktes Dröhnen, keine gierige Feuersbrunst. Roger spürte, wie Brianna an seiner Seite aufseufzte und ihre Anspannung ein wenig nachließ.
Die Flamme schlug an und begann, gleichmäßig zu brennen. Die unregelmäßigen Kanten der Rindenstücke erglühten erst rot, dann weiß und wurden zu Asche, als die Flamme nun aufwärts züngelte. Es war groß und stabil und würde langsam brennen, dieses Kreuz, die halbe Nacht lang, und den Platz erhellen, während sich die Männer darunter sammelten, aßen und tranken und allmählich zu dem wurden, als was Jamie Fraser sie sehen wollte: Freunde, Nachbarn, Waffenbrüder. Unter seinem Befehl.
Fraser beobachtete die Flamme einen Moment, um sicher zu gehen, dass sie richtig brannte. Dann wandte er sich erneut den versammelten Männern zu und ließ seine Fackel wieder in das Feuer fallen.
»Wir können nicht sagen, was uns widerfahren wird. Gott schenke uns Mut«, sagte er schlicht. »Gott schenke uns Weisheit. Wenn es Sein Wille ist, möge Er uns Frieden schenken. Wir reiten am Morgen.«
Dann machte er kehrt und trat vom Feuer zurück. Dabei sah er sich nach Roger um. Roger nickte ihm zu, schluckte, um den Hals freizubekommen, und begann im Dunkeln leise das Lied zu singen, das Jamie sich zum Abschluss des Zeremoniells gewünscht hatte - »The Flower of Scotland«.
»O flower of Scotland,
When will we see your likes again?
You fought and died for
Your wee bit hill and glen...«
Keins von den Liedern, die Brianna kriegstreiberisch fand. Es war ein ernstes, melancholisches Lied. Dennoch war es kein Lied der Trauer, sondern eins der Erinnerung, des Stolzes, der Entschlossenheit. Es war nicht einmal ein echtes, altes Lied - Roger kannte den Mann, der es geschrieben hatte, in seiner eigenen Zeit -, doch Jamie hatte es bei ihm gehört, und da er die Geschichte Stirlings und Bannockburns kannte, war die Aussage des Liedes ganz in seinem Sinne.
»And stood against him,
Proud Edward’s army,
And sent him homeward,
Tae think again.«
Die Schotten in der Menge ließen ihn die Strophen allein singen, doch beim Refrain fielen die Stimmen erst leise, dann lauter ein.
»And sent him ho-omeward...
Tae think again!«
Ihm fiel etwas ein, das Brianna ihm letzte Nacht im Bett erzählt hatte, während der wenigen Minuten, die sie beide noch bei Bewusstsein waren. Sie hatten sich über die Menschen dieser Zeit unterhalten und sich überlegt, ob sie wohl eines Tages Männern wie Jefferson oder Washington persönlich begegnen würden; es war eine aufregende-und alles andere als undenkbare-Vorstellung. Sie hatte John Adams erwähnt und etwas zitiert, wovon sie gelesen hatte, dass Adams es im Lauf der Revolution gesagt hatte - oder vielmehr sagen würde:
 
»Ich bin ein Krieger, auf dass mein Sohn ein Kaufmann werden kann - und sein Sohn ein Poet.«
»The hills are bare now,
And autumn leaves lie thick and still,
O’er land that is lost now,
Which those so dearly held.
 
That stood against him,
Proud Edward’s army,
And sent him homeward,
Tae think again.«
Es war nicht mehr Edwards Armee, wie in dem Lied, sondern Georges Armee. Und doch war es die gleiche, stolze Armee. Er erspähte Claire, die abseits bei den anderen Frauen stand, ganz am Rand des Lichtkreises. Ihre Miene war abwesend, und sie stand bewegungslos, während das Haar ihr lose das Gesicht umwehte und ein innerer Schatten ihre goldenen Augen verdunkelte - die auf Jamie gerichtet waren, der ruhig an ihrer Seite stand.
Dieselbe stolze Armee, in der sie einst gekämpft hatte; die stolze Armee, in der sein Vater gestorben war. Er spürte, wie sich seine Kehle zuschnürte, zwang die Luft aus der Tiefe hindurch und sang mit aller Kraft weiter.Ich bin ein Krieger, auf dass mein Sohn ein Kaufmann werden kann - und sein Sohn ein Poet. Weder Adams noch Jefferson hatten je gekämpft, und Jefferson hatte keine Söhne gehabt. Er war der Poet gewesen, dessen Worte durch die Jahre weiter gehallt hatten, Armeen zusammengetrommelt hatten, in den Herzen jener gebrannt hatten, die bereit waren, für diese Worte zu sterben und für das Land, das sich auf sie gründete.
Vielleicht liegt es ja an seinem Haar, dachte Roger voller Ironie - er sah den rötlichen Schimmer, als Jamie, der schweigend über das Unterfangen wachte, das er begonnen hatte, eine Bewegung machte. Eine Spur von Wikingerblut, die diesen hoch gewachsenen, flammendroten Männern die Gabe verlieh, andere zum Krieg anzustiften.
»You fought and died for
Your wee bit bill and glen...«
Das hatten sie getan, für ihre Täler und Hügel gekämpft, und sie würden es wieder tun. Denn das war es doch immer, wofür Männer kämpften, nicht wahr? Ihre Heime und Familien. Wieder schimmerte rotes Haar auf, lose im Feuerschein neben dem Skelett des Schweins. Brianna, Jemmy auf dem Arm. Und wenn Roger jetzt auch der Barde eines Highlandhäuptlings war, musste er doch auch versuchen, ein Krieger zu werden, wenn die Zeit kam - um seines Sohnes willen und all derer, die nach ihm kommen würden.
»And sent him homeward
Tae think again.
 
Tae think... again.«
Das Flammende Kreuz
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