39
Im Garten der Lüste
»Meinst du, sie schlafen in einem Bett?«
Jamie erhob seine Stimme nicht, doch er bemühte sich auch nicht, sie zu senken. Zum Glück standen wir am anderen Ende der Terrasse, außer Hörweite des Brautpaars. Doch eine ganze Reihe von Köpfen wandte sich in unsere Richtung.
Ninian Bell Hamilton starrte uns offen an. Ich lächelte dem älteren Schotten strahlend zu, grüßte ihn mit einer kleinen Geste meines geschlossenen Fächers und stieß Jamie energisch in die Rippen.
»Was für ein überaus anständiger Gedanke eines Neffen über seine Tante«, sagte ich mit gedämpfter Stimme.
Jamie trat außer Reichweite meines Ellbogens und musterte mich mit hoch gezogener Augenbraue.
»Was hat das denn mit Anstand zu tun? Sie heiraten doch. Und sind beide mehr als mündig«, fügte er hinzu, während er Ninian angrinste, der vor unterdrücktem Humor leuchtend rot wurde. Ich hatte keine Ahnung, wie alt Duncan Innes war, schätzte ihn aber auf Mitte fünfzig. Jamies Tante Jocasta musste mindestens ein Jahrzehnt älter sein.
Über die Köpfe der Menge hinweg konnte ich knapp sehen, wie Jocasta am anderen Ende huldvoll ihre Nachbarn und Freunde begrüßte. Sie war eine hoch gewachsene Frau und trug heute ein Kleid aus rostbraunem Wollstoff. Sie war von Steinvasen flankiert, die getrocknete Goldrutenbüschel enthielten; ihr schwarzer Butler Ulysses stand würdevoll in Perücke und grüner Livree daneben. Mit der eleganten, weißen Spitzenhaube, die ihre kühnen MacKenziezüge krönte, war sie unleugbar die Königin der Plantage von River Run. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und hielt nach ihrem Partner Ausschau.
Duncan war zwar etwas kleiner als Jocasta, aber er hätte dennoch zu sehen sein müssen. Etwas früher am Morgen hatte ich ihn auch schon gesehen, in die feinste, scharlachrote Highlandtracht gekleidet, in der er prachtvoll, wenn auch furchtbar befangen aussah. Ich reckte den Hals und legte Jamie die Hand auf den Arm, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Er ergriff meinen Ellbogen, um mich zu stützen.
»Wonach suchst du, Sassenach?«
»Duncan. Sollte er nicht bei deiner Tante sein?«
Niemand hätte Jocasta angesehen, dass sie blind war - dass sie zwischen den großen Vasen stand, um sich zu orientieren, oder dass Ulysses bei ihr war, um ihr die Namen der heran nahenden Gäste ins Ohr zu flüstern. Ich sah, wie sich ihre linke Hand von ihrer Seite weg nach außen vortastete, nur Luft berührte und sich wieder senkte. Doch ihr Gesicht blieb unverändert; sie lächelte und nickte, während sie etwas zu Richter Henderson sagte.
»Vor der Hochzeitsnacht davon gelaufen?«, mutmaßte Ninian und hob Kinn und Augenbrauen, um über die Menge hinwegspähen zu können, ohne sich auf die Zehen zu stellen. »Diese Aussicht würde mich wahrscheinlich auch ein bisschen nervös machen. Eure Tante ist eine stattliche Frau, Fraser, aber wenn sie es darauf anlegt, bekommt sogar der König von Japan weiche Knie.«
Jamies Mund zuckte.
»Vielleicht ist Duncan irgendwie verhindert«, sagte er. »Ganz gleich, warum, er ist heute Morgen schon dreimal auf dem Abort gewesen.«
Jetzt zog auch ich die Augenbrauen hoch. Duncan litt unter chronischer Verstopfung; Jamies rüden Bemerkungen über die Natur eines passenden Hochzeitsgeschenkes zum Trotz hatte ich sogar ein Paket mit Sennesblättern und Salomonssiegelwurzeln für ihn dabei. Duncan musste nervöser sein, als ich gedacht hatte.
»Nun, für meine Tante wird es keine große Überraschung werden; sie war ja schließlich schon dreimal verheiratet«, sagte Jamie, nachdem Hamilton ihm etwas zugemurmelt hatte. »Aber für Duncan wird es die erste Ehe. Das ist für jeden Mann ein Schock. Ich kann mich noch gut an meine eigene Hochzeitsnacht erinnern, aye?« Er grinste mich an, und ich spürte, wie mir die Hitze in die Wangen stieg. Auch ich konnte mich daran erinnern - lebhaft.
»Ziemlich warm hier draußen, findest du nicht?« Ich schlug meinen Fächer zu einem Halbkreis aus elfenbeinfarbener Spitze auf und hielt ihn mir wedelnd vor die Wangen.
»Wirklich?«, sagte er und grinste mich weiter an. »Das war mir gar nicht aufgefallen.«
»Duncan aber«, meldete sich Ninian zu Wort. Er spitzte seine krausen Lippen, um sein Gelächter zu unterdrücken. »Als ich ihn zuletzt gesehen habe, hat er geschwitzt wie ein Pudding im Wasserbad.«
In der Tat war es im Freien sogar geradezu kühl, trotz der gusseisernen Wannen voll glühender Kohlen, die an den Ecken der Steinterrasse standen und süßen Apfelholzduft verbreiteten. Der Frühling war da, und der Rasen war frisch und grün, genau wie die Bäume am Ufer, doch in der Morgenluft lag immer noch ein Hauch von beißender Winterkälte. In den Bergen war auch noch Winter, und unser Weg nach River Run hatte uns bis weit in den Süden nach Greensboro noch durch Schnee geführt, auch wenn die Krokusse und Osterglocken schon tapfer ihre Köpfe an die Luft steckten.
Doch heute war ein klarer, heller Märztag, und Haus, Terrasse, Rasen und Garten waren mit Hochzeitsgästen bevölkert, die in ihrem Sonntagsstaat leuchteten wie ein verfrühter Schmetterlingsschwarm. Jocastas Hochzeit würde eindeutig das gesellschaftliche Ereignis des Jahres am Cape Fear werden; es mussten fast zweihundert Leute hier sein, die zum Teil sogar aus Halifax oder Edenton gekommen waren.
Ninian sagte leise etwas auf Gälisch zu Jamie und warf mir einen Seitenblick zu. Jamie antwortete ihm mit einer elegant formulierten Bemerkung ausgesprochen rüden Inhalts und sah mich unverbindlich an, während der ältere Mann sich vor Lachen fast verschluckte.
Eigentlich verstand ich inzwischen ganz gut Gälisch, doch es gab Situationen, in denen Diskretion eine Tugend war. Ich schlug meinen Fächer zu seiner vollen Breite auf, um meine Miene zu verbergen. Der elegante Umgang mit einem Fächer bedurfte zwar einiger Übung, doch für einen Menschen, der wie ich mit einem gläsernen Gesicht geschlagen war, war er in Gesellschaft ein ausgesprochen nützlicher Gegenstand.
Ich wandte mich von der Unterhaltung ab, die alle Anzeichen zeigte, noch weiter zu degenerieren, und suchte die Menge nach Spuren des verschwundenen Bräutigams ab. Vielleicht war Duncan ja wirklich krank und hatte mehr als nur Nervenflattern. Wenn ja, dann kümmerte ich mich wohl besser um ihn.
»Phaedre! Hast du Mr. Innes heute Morgen schon gesehen?« Jocastas Leibdienerin kam an mir vorbei gehuscht, den Arm voller Tischdecken, doch auf meinen Ruf hin blieb sie abrupt stehen.
»Hab’ Master Duncan seit dem Frühstück nicht mehr gesehen, Ma’am«, sagte sie und schüttelte den Kopf, der mit einem ordentlichen Spitzenhäubchen geschmückt war.
»Was für einen Eindruck hat er da gemacht? Hat er gut gegessen?« Das Frühstück war eine Angelegenheit von mehreren Stunden, bei der sich die Gäste des Hauses nach Belieben von der Anrichte bedienten. Wahrscheinlich waren Duncan eher die Nerven auf den Magen geschlagen als eine Lebensmittelvergiftung, doch ein Teil des Wurstaufschnitts auf der Anrichte war mir sehr verdächtig vorgekommen.
»Nein, Ma’am, kaum einen Bissen.« Phaedre legte die glatte Stirn in Falten; sie hatte Duncan gern. »Die Köchin hat versucht, ihn mit einem schönen, gekochten Ei zu locken, aber er hat nur den Kopf geschüttelt und ein kränkliches Gesicht gemacht. Aber einen Becher Rumpunsch hat er getrunken«, sagte sie, und dieser Gedanke schien sie ein wenig zu trösten.
»Aye, dann ist es ja gut«, merkte Ninian an, als er das hörte. »Macht Euch keine Sorge, Mrs. Claire, Duncan schafft das schon.«
Phaedre machte einen Knicks und eilte auf die Tische zu, die gerade unter den Bäumen aufgestellt wurden. Ihre gestärkte Schürze flatterte im Wind. Das köstliche Aroma gegrillten Schweinefleisches wehte durch die kühle Frühlingsluft, und duftende Wolken aus Hickoryrauch stiegen von den Feuern in der Nähe der Schmiede auf, wo Wildkeulen, halbe Hammel und Geflügel sich zu Dutzenden an Spießen drehten. Mein Magen knurrte trotz der festen Schnüre meines Mieders laut vor Vorfreude.
Dies schien weder Jamie noch Ninian aufzufallen, doch ich trat diskret einen Schritt zur Seite und wandte mich ab, um mit meinen Blicken die Rasenfläche abzusuchen, die sich von der Terrasse bis zur Anlegestelle am Fluss erstreckte. Ich war nicht so überzeugt von den Tugenden des Rums, vor allem, wenn er auf nüchternen Magen getrunken wurde. Duncan wäre zugegebenermaßen nicht der erste Bräutigam gewesen, der in einem Zustand fortgeschrittener Intoxikation vor den Altar schritt, aber dennoch...
Brianna stand neben einer der Marmorstatuen, die den Rasen schmückten. Sie trug ein Wollkleid im leuchtenden Blau des Frühlingshimmels, hatte Jemmy auf ihre Hüfte gesetzt und war in ein Gespräch mit Gerald Forbes vertieft. Auch sie hatte einen Fächer, doch Jemmy hatte ihn in die Finger bekommen und kaute auf seinem Elfenbeingriff herum, und sein kleines, rosa Gesicht trug einen Ausdruck tiefster Konzentration.
Aber für Brianna war eine gute Fächertechnik ja auch nicht so notwendig wie für mich, da sie Jamies Fähigkeit geerbt hatte, all ihre Gedanken hinter einer Maske freundlicher Unverbindlichkeit zu verbergen. Diese Maske hatte sie jetzt aufgesetzt, was mir einen guten Eindruck von der Meinung vermittelte, die sie über Mr. Forbes hegte. Wo war Roger?, fragte ich mich. Vorhin war er doch noch bei ihr gewesen.
Ich wandte mich Jamie zu, um ihn zu fragen, was er von dieser Epidemie verschwundener Ehemänner hielt, musste jedoch feststellen, dass sie ihn ebenfalls erwischt hatte. Ninian Hamilton hatte sich umgedreht und unterhielt sich mit jemand anderem, und der Platz an meiner Seite wurde jetzt von zwei Sklaven eingenommen, die unter dem Gewicht einer gigantischen Korbflasche mit Branntwein schwankten und auf die Tische mit den Erfrischungen zuhielten. Ich ging ihnen hastig aus dem Weg und wandte mich ab, um nach Jamie Ausschau zu halten.
Er war in der Menge verschwunden wie ein Moorhuhn im Heidekraut. Ich drehte mich langsam und ließ dabei den Blick über die Terrasse und die Rasenflächen schweifen, aber es war keine Spur von ihm in der wogenden Menge zu sehen. Ich kniff die Augen zusammen, weil mich die Sonne blendete, und überschattete meine Augen mit meiner Hand.
Es war ja schließlich nicht so, als ob er unauffällig gewesen wäre; als Highlander mit dem Blut der Wikingerriesen in den Adern überragte er die meisten Männer um mehr als einen Kopf, und die Sonne fing sich in seinem Haar wie auf polierter Bronze. Und zur Krönung des Ganzen war er zur Feier von Jocastas Hochzeit in seinen besten Staat gekleidet - ein gegürtetes Plaid aus purpurrotem und schwarzem Tartanstoff, dazu sein guter, grauer Rock nebst Weste und das schrillste Paar rotschwarzer Argylestrümpfe, das je die Schienbeine eines Schotten geziert hatte. Er hätte auffallen müssen wie ein Blutfleck auf frischem Leinen.
Zwar fand ich ihn nicht, aber ein bekanntes Gesicht entdeckte ich dennoch. Ich verließ die Terrasse und schlängelte mich zwischen den Trauben der Gäste hindurch.
»Mr. MacLennan!« Auf meinen Zuruf hin drehte er sich um und machte ein überraschtes Gesicht, doch dann breitete sich ein herzliches Lächeln über seine groben Züge.
»Mrs. Fraser!«
»Wie schön, Euch zu sehen«, sagte ich und reichte ihm die Hand. »Wie geht es Euch?« Er sah viel besser aus als bei unserem letzten Zusammentreffen. Er war sauber, und in seinem dunklen Anzug und seinem schlichten, gestreiften Hut bot er ein anständiges Bild. Doch seine Wangen waren hohl, und hinter seinen Augen lauerte ein Schatten, der auch nicht verschwand, als er mich anlächelte.
»Oh... ganz gut, Ma’am. Wirklich gut.«
»Seid Ihr... wo lebt Ihr denn jetzt?« Diese Frage schien mir höflicher zu sein als: »Warum seid Ihr nicht im Gefängnis?« Da er kein Dummkopf war, beantwortete er beide Fragen.
»Ach, nun ja, Euer Gatte war so freundlich, an Mr. Ninian dort drüben zu schreiben -« Er wies mit dem Kopf auf die hagere Gestalt von Ninian Bell Hamilton, der auf dem Rasen in eine erhitzte Diskussion verwickelt war. »Er hat ihn von meinem Kummer unterrichtet. Mr. Ninian ist ein großer Freund der Regulatoren - und außerdem ein guter Freund von Richter Henderson.« Er schüttelte den Kopf, die Lippen verwundert gespitzt.
»Ich kann nicht genau sagen, wie es dazu gekommen ist, aber Mr. Ninian hat mich aus dem Gefängnis geholt und mich in sein Haus aufgenommen. Dort bin ich also nun zurzeit. Es war gütig - sehr gütig.« Er meinte seine Worte offensichtlich aufrichtig, und doch sprach er sie mit einer gewissen Geistesabwesenheit. Dann verstummte er. Er sah mich immer noch an, doch seine Augen waren ausdruckslos. Ich versuchte, mir etwas zu überlegen, was ich sagen könnte, um ihn vielleicht in die Gegenwart zurückzuholen, doch ein Ausruf Ninians riss ihn aus seiner Trance und ersparte mir die Mühe. Abel entschuldigte sich höflich bei mir und ging zu ihm, um ihn bei der Diskussion zu unterstützen.
Ich schlenderte über den Rasen und nickte über den Fächer hinweg diversen Bekannten zu. Es freute mich, Abel wiederzusehen und zu wissen, dass er zumindest körperlich unversehrt war - doch ich konnte nicht leugnen, dass mir bei seinem Anblick kalt ums Herz wurde. Ich hatte das Gefühl, dass es Abel MacLennan kaum interessierte, wo sich sein Körper aufhielt; sein Herz lag mit seiner Frau im Grab.
Warum hatte Ninian ihn heute mitgebracht? fragte ich mich. Eine solche Hochzeit konnte ihn doch nur an seine eigene Ehe erinnern; das hatten Hochzeiten nun einmal so an sich.
Die Sonne stand jetzt so hoch, dass sie die Luft erwärmte, doch ich erschauerte. Zu sehr erinnerte mich der Anblick von MacLennans Schmerz an die Tage nach Culloden, als ich in der Gewissheit, dass Jamie tot war, in meine eigene Zeit zurückgekehrt war. Ich kannte diese Leblosigkeit des Herzens nur zu gut; das Gefühl, am Tage schlafzuwandeln und des Nachts mit offenen Augen dazuliegen, keine Ruhe zu finden, das einzige Gefühl eine Leere, die kein Frieden war.
Jocastas Stimme schwebte von der Terrasse herab und rief nach Ulysses. Sie hatte drei Ehemänner verloren und war jetzt entschlossen, sich einen vierten zu nehmen. Sie mochte ja blind sein, doch in ihren Augen war nichts Totes. Ob das wohl bedeutete, dass sie nie tiefe Gefühle für einen ihrer Männer gehegt hatte?, fragte ich mich. Oder nur, dass sie eine Frau von großer Kraft war, die den Schmerz besiegen konnte, und das nicht nur einmal, sondern mehrfach?
Ich selbst hatte es einmal getan - um Briannas willen. Doch Jocasta hatte keine Kinder; zumindest jetzt nicht mehr. Hatte sie einst Kinder gehabt und den Schmerz eines gespaltenen Herzens unterdrückt, um für ein Kind zu leben?
Ich schüttelte mich und versuchte, diese melancholischen Gedanken zu vertreiben. Dies war schließlich ein festlicher Anlass, und der Tag war wie geschaffen dafür. Der Hartriegel stand in voller Blüte, und balzende Drosseln und Kardinalvögel schossen wie Konfetti in den grünenden Bäumen umher, verrückt vor Lust.
»Aber natürlich haben sie das«, sagte eine Frau mit herrischer Stimme. »Mein Gott, sie wohnen jetzt doch schon seit Monaten im selben Haus!«
»Aye, das stimmt«, pflichtete eine ihrer Begleiterinnen ihr zweifelnd bei. »Aber wenn man sie so ansieht, möchte man es nicht glauben. Sie sehen einander ja kaum an! Äh... ich meine, natürlich kann sie ihn nicht ansehen, blind, wie sie ist, aber man möchte doch meinen...«
Es ging nicht nur den Vögeln so, dachte ich belustigt. Ein Gefühl aufsteigender Säfte durchtränkte die ganze Hochzeitsgesellschaft. Als ich zur Terrasse hinaufblickte, konnte ich junge Frauen zwitschernd und tratschend wie die Hennen in kleinen Gruppen zusammengedrängt sehen, während die Männer ach-so-beiläufig vor ihnen auf und ab schritten, bunt wie die Pfauen in ihren Festtagskleidern. Es würde mich nicht im Mindesten überraschen, wenn dieses Fest in einigen Verlobungen resultierte - und auch in der einen oder anderen Schwangerschaft. Sex lag in der Luft; unter den betörenden Düften von Frühlingsblumen und kochendem Essen konnte ich es riechen.
Das Gefühl der Melancholie war von mir gewichen, wenn es mich auch immer noch drängte, Jamie zu finden.
Ich war auf der einen Seite des Rasens hinunter und auf der anderen wieder heraufgegangen, sah aber zwischen dem großen Plantagenhaus und dem Dock - wo livrierte Sklaven immer noch späte Ankömmlinge begrüßten, die auf dem Wasser angereist waren - nirgends eine Spur von ihm. Unter denen, die noch erwartet wurden - und in der Tat sehr spät dran waren -, befand sich auch der Priester, der die Eheschließung vollziehen sollte.
Vater LeClerc war ein Jesuit, der aus New Orleans zu einer Missionsstation in der Nähe von Quebec unterwegs war, sich jedoch von Jocasta durch eine beträchtliche Spende an die Gesellschaft Jesu vom strikten Pfad der Pflichterfüllung hatte abbringen lassen. Möglich, dass man mit Geld kein Glück kaufen konnte, sinnierte ich, aber es war trotzdem eine nützliche Annehmlichkeit.
Ich blickte in die andere Richtung und erstarrte. Nicht weit von mir entfernt fing Ronnie Campbell meinen Blick auf und verneigte sich; ich grüßte mit erhobenem Fächer zurück, war aber zu sehr abgelenkt, um mich mit ihm zu unterhalten. Zwar hatte ich Jamie nicht gefunden, aber ich hatte gerade wahrscheinlich den Grund für sein plötzliches Verschwinden erspäht. Ronnies Vater, Farquard Campbell, kam von der Anlegestelle über den Rasen geschritten, begleitet von einem Herrn in der rot-braunen Uniform der Armee Seiner Majestät und einem weiteren in einer Marineuniform - Leutnant Wolff.
Dieser Anblick versetzte mir einen unangenehmen Schrecken. Leutnant Wolff gehörte nicht zu den Menschen, deren Anblick mich erfreute. Auch sonst war er bei niemandem, der ihn kannte, beliebt.
Ich ging davon aus, dass es wohl nur vernünftig gewesen war, ihn einzuladen, da die Königliche Marine der Hauptabnehmer für das auf River Run produzierte Holz, den Teer und das Terpentin war, und Leutnant Wolff vertrat die Marine in diesen Dingen. Und es war gut möglich, dass Jocasta ihn außerdem auch aus persönlichen Gründen eingeladen hatte - der Leutnant hatte vor einiger Zeit um ihre Hand angehalten. Nicht, wie sie trocken angemerkt hatte, aus Verlangen nach ihrer Person, sondern, um River Run in seine Finger zu bekommen.
Ja, ich konnte mir vorstellen, dass sie ihren Spaß an der Anwesenheit des Leutnants bei ihrer Hochzeit hatte - auch wenn Duncan, der von Natur aus weder hinterlistig noch rachsüchtig war, dies anders sehen mochte.
Farquard Campbell hatte mich entdeckt und schob sich jetzt durch die Menge, wobei er die Armee im Rücken hatte. Ich erhob meinen Fächer und traf in meinem Gesicht die notwendigen Vorbereitungen für eine höfliche Konversation, doch der Leutnant erspähte - zu meiner großen Erleichterung - einen Bediensteten, der ein Tablett mit Gläsern über die Terrasse trug, und ließ seine Eskorte rücksichtslos im Stich, um zu dessen Verfolgung anzusetzen und eine Erfrischung zu ergattern.
Der andere Herr vom Militär sah ihm nach, folgte Farquard jedoch pflichtbewusst. Seit dem Abzug des letzten Highlandregimentes im Herbst war der Anblick eines roten Rockes in der Kolonie etwas Ungewöhnliches. Wer mochte das sein?
Nachdem ich, wie ich hoffte, ein freundliches Lächeln aufgesetzt hatte, sank ich zu einem formalen Hofknicks nieder und breitete meine bestickten Röcke so vorteilhaft wie möglich aus.
»Mr. Campbell.« Ich warf einen unauffälligen Blick hinter ihn, doch Leutnant Wolff war uns auf der Suche nach etwas Alkoholischem abhanden gekommen.
»Mrs. Fraser. Stets zu Diensten, Ma’am«, antwortete Farquard mit einer eleganten Verbeugung. Mr. Campbell war ein älterer Mann von vertrocknetem Aussehen, der wie üblich in nüchternes, schwarzes Tuch gekleidet war. Ein kleiner Rüschenkragen war sein einziges Zugeständnis an den festlichen Anlass.
Er spähte über meine Schulter hinweg und runzelte ein wenig verwirrt die Stirn. »Ich habe doch - ich meine, ich hätte Euren Gatten an Eurer Seite gesehen?«
»Oh. Nun, ich glaube, er ist... äh... fort.« Ich wedelte geziert mit dem Fächer in Richtung der Bäume, wo der Abort lauerte, durch einen ästhetischen Abstand und eine Reihe kleiner Weißkiefern vom Herrenhaus getrennt.
»Ah, ich verstehe. Nun gut.« Campbell räusperte sich und wies auf den Mann in seiner Begleitung. »Mrs. Fraser, darf ich Euch Major Donald MacDonald vorstellen?«
MacDonald war ein hakennasiger, aber gut aussehender Gentleman Ende dreißig. Er hatte das verwitterte Gesicht und die aufrechte Haltung eines Berufssoldaten und ein angenehmes Lächeln, das von einem scharfen, blauen Augenpaar in der hellen, kräftigen Farbe von Briannas Kleid Lügen gestraft wurde.
»Stets zu Diensten, Ma’am.« Er verneigte sich sehr elegant. »Darf ich anmerken, Ma’am, wie wunderbar Euch diese Farbe steht?«
»Der Major ist erst vor kurzem in Cross Creek eingetroffen«, erklärte Farquard. »Ich habe ihm versichert, dass er keine bessere Gelegenheit finden wird, Bekanntschaft mit seinen Landsleuten zu schließen und sich mit seiner Umgebung vertraut zu machen.« Er wies mit einer ausladenden Geste über die Terrasse und die Anwesenden - die in der Tat ein Who’s Who der schottischen Gesellschaft am Cape Fear repräsentierten.
»In der Tat«, sagte der Major höflich. »So viele schottische Namen habe ich das letzte Mal in Edinburgh gehört. Mr. Campbell hat mir zu verstehen gegeben, dass Euer Gatte der Neffe von Mrs. Cameron ist - oder vielleicht sollte ich Mrs. Innes sagen?«
»Ja. Habt Ihr Mrs.... äh... Innes schon kennen gelernt?« Ich blickte zum anderen Ende der Terrasse. Immer noch keine Spur von Duncan, von Roger oder Jamie ganz zu schweigen. Verflixt, wo waren sie nur alle? Bei einer Gipfelkonferenz auf dem Lokus?
»Nein, aber ich freue mich darauf, ihr meine Aufwartung zu machen. Der verstorbene Mr. Campbell war ein Bekannter meines Vaters, Robert MacDonald of Stornoway.« Er neigte seinen mit einer Perücke bedeckten Kopf respektvoll in Richtung des kleinen, weißen Marmorgebäudes am Rande der Rasenfläche - das Mausoleum, das derzeit die fleischlichen Überreste Hector Camerons beherbergte. »Hat Euer Gatte zufällig Verbindungen zu den Frasers of Lovat?«
Ich stöhnte innerlich auf, denn mir war klar, dass er vorhatte, ein schottisches Spinnennetz zu knüpfen. Jede Begegnung zweier beliebiger Schotten begann unabänderlich mit dem Auswerfen fragender Schlingen, bis genügend Stränge von Beziehungen und Bekannten haften geblieben waren, um ein brauchbares Netzwerk zu bilden. Ich persönlich neigte dazu, mich in den klebrigen Fäden der Sippen und Clans zu verwickeln, bis ich am Ende wie eine fette, saftige Fliege in der Falle saß und der Gnade des Fragestellers hilflos ausgeliefert war.
Jamie dagegen hatte mit Hilfe solcher Kenntnisse jahrelang die Intrigen der französischen und schottischen Politik überlebt - mit riskanten Manövern hatte er sich an den geheimen Fäden solcher Netze entlangbewegt und sich dabei von den klebrigen Fallen von Loyalität und Verrat fern gehalten, die so viele andere ins Verderben gestürzt hatten. Ich richtete mich darauf ein, ihm gut zuzuhören, und gab mir größte Mühe, diesen MacDonald unter den Tausenden seiner Namensvettern richtig einzuordnen.
MacDonald of Keppoch, MacDonald of the Isles, MacDonald of Clanranald, MacDonald of Sleat. Wie viele Sorten von MacDonalds gab es denn nur?, fragte ich mich etwas unwirsch. Eine oder zwei mussten für den Hausgebrauch doch reichen.
MacDonald of the Isles, wie es aussah; die Familie des Majors stammte von der Insel Harris. Während des Verhörs hielt ich mit einem Auge nach Jamie Ausschau, doch er war spurlos untergetaucht.
Farquard Campbell - der das Spiel auch nicht schlecht beherrschte - schien den verbalen Schlagabtausch zu genießen, und seine dunklen Augen huschten mit belustigtem Ausdruck zwischen dem Major und mir hin und her. Seine Belustigung wechselte jedoch in einen Ausdruck der Überraschung über, als ich nach dem gekonnten Vortrag des Majors meine ausgesprochen verworrene Analyse der väterlichen Abstammung Jamies beendete.
»Der Großvater Eures Mannes war Simon, Lord Lovat?«, sagte Campbell. »Der Alte Fuchs?« Er erhob ungläubig die Stimme.
»Nun... ja«, sagte ich ein wenig beklommen. »Ich dachte, Ihr wüsstet das.«
»Ist das so«, sagte Farquard. Er sah aus, als hätte er eine Branntweinpflaume heruntergeschluckt und zu spät bemerkt, dass sie noch einen Stein hatte. Natürlich hatte er gewusst, dass Jamie ein begnadigter Jakobit war, doch ganz offensichtlich hatte Jocasta seine enge Verbindung mit dem Alten Fuchs nicht erwähnt - der für seine Rolle beim Stuartaufstand als Verräter hingerichtet worden war. Die Campbells hatten in diesem Schlamassel weitenteils auf Regierungsseite gekämpft.
»Ja«, sagte MacDonald, ohne Campbells Reaktion zu beachten. Er runzelte konzentriert die Stirn. »Ich habe die Ehre, mit dem derzeitigen Lord Lovat flüchtig bekannt zu sein - der Titel ist wieder eingesetzt worden, wenn ich mich recht entsinne?«
Er wandte sich erklärend an Campbell und fuhr fort. »Das ist der Junge Simon, der ein Regiment aufgestellt hat, um gegen die Franzosen zu kämpfen... wann, achtundfünfzig? Nein, siebenundfünfzig. Ja, siebenundfünfzig. Ein tapferer Soldat und ein exzellenter Kämpfer. Und er ist also... der Neffe Eures Gatten? Nein, der Onkel.«
»Halbonkel«, stellte ich klar. Der Alte Simon war dreimal verheiratet gewesen und hatte aus der Existenz seiner außerehelichen Sprösslinge kein Geheimnis gemacht - und zu diesen hatte auch Jamies Vater gehört. Doch darauf brauchte ich jetzt nicht einzugehen.
MacDonald nickte, und sein hageres Gesicht klärte sich angesichts der Tatsache, dass er es alles erfolgreich ausgeknobelt hatte, zufrieden auf. Farquards Miene entspannte sich etwas, als er hörte, dass der Ruf der Familie Fraser so weit wiederhergestellt war.
»Papist natürlich«, fügte MacDonald hinzu, »aber dennoch ein exzellenter Soldat.«
»Wo wir gerade von Soldaten sprechen«, unterbrach Campbell, »wisst Ihr wohl...«
Vor Erleichterung seufzte ich so heftig auf, dass meine Korsettschnüre ächzten, als Mr. Campbell den Major jetzt zu einer Analyse eines lange vergangenen Militärereignisses verleitete. Der Major, so schien es, stand nicht im aktiven Dienst, sondern war wie so viele andere bei halbem Sold in Pension gegangen. Solange die Krone keinen weiteren Bedarf an seinen Diensten hatte, blieb es ihm daher überlassen, sich auf Beschäftigungssuche in den Kolonien herumzudrücken. Der Friede war hart für einen Berufssoldaten.
Wartet nur, dachte ich und erschauerte vorausahnend. Noch etwa vier Jahre, und der Major würde genug zu tun bekommen.
Aus dem Augenwinkel sah ich Tartanstoff aufblitzen und wirbelte herum, um zu sehen, zu wem er gehörte, doch es war weder Jamie noch Duncan. Dennoch, ein Rätsel weniger; es war Roger, dunkelhaarig und schmuck in seinem Kilt. Sein Gesicht erhellte sich, als er Brianna erspähte, und seine Schritte wurden länger. Sie wandte den Kopf, als spürte sie seine Gegenwart, und auch ihr Gesicht erhellte sich als Reaktion.
Er trat zu ihr, und ohne Notiz von dem Herrn in ihrer Begleitung zu nehmen, umarmte er sie und küsste sie fest auf den Mund. Als sie sich voneinander lösten, hielt er Jemmy die Arme entgegen und drückte ihm einen weiteren Kuss auf seinen seidenen Rotschopf.
Ich wandte mich wieder dem Gespräch vor meiner Nase zu, da mir verspätet klar wurde, dass Farquard Campbell schon seit einiger Zeit redete, ohne dass ich die geringste Ahnung hatte, was er gesagt hatte. Als er meine Verwirrung sah, lächelte er leicht ironisch.
»Ich muss mich entfernen und anderswo meine Aufwartung machen, Mrs. Fraser«, sagte er. »Wenn Ihr mich entschuldigen würdet? Ich werde Euch in der vorzüglichen Gesellschaft des Majors zurücklassen.« Er tippte sich höflich an den Hut und schlängelte sich auf das Haus zu, vielleicht, um Leutnant Wolff aufzuspüren und ihn daran zu hindern, das Tafelsilber einzusacken.
Da der Major nun mit mir festsaß, fischte er nach einem geeigneten Gesprächsthema und verlegte sich auf die nahe liegendste Frage zwischen zwei neuen Bekannten.
»Seid Ihr und Euer Gatte schon lange in den Kolonien, Ma’am?«
»Nicht sehr lange«, sagte ich voller Argwohn. »Etwa drei Jahre. Wir leben in einer kleinen Siedlung im Hinterland -« Ich gestikulierte mit meinem geschlossenen Fächer in Richtung der unsichtbaren Berge im Westen. »Ein Ort namens Fraser’s Ridge.«
»Ah ja. Ich habe schon davon gehört.« In der Nähe seines Mundwinkels zuckte ein Muskel, und ich fragte mich beklommen, was genau er gehört hatte. Jamies Destille war im Hinterland und unter den schottischen Siedlern am Cape Fear ein offenes Geheimnis - ja, es standen sogar mehrere Fässer mit unreifem Whisky aus der Destillerie für jedermann sichtbar bei den Ställen, Jamies Hochzeitsgeschenk an seine Tante und Duncan -, doch ich hoffte, dass es nicht so offen war, dass ein frisch in den Kolonien eingetroffener Armeeoffizier gleich davon gehört hatte.
»Sagt mir, Mrs. Fraser...« Er zögerte, dann gab er sich einen Ruck. »Habt Ihr in Eurer Gegend der Kolonie sehr viel mit... Parteigeist zu tun?«
»Parteigeist? Oh, äh... nein, eigentlich nicht.« Ich blickte argwöhnisch zu Hector Camerons Mausoleum hinüber, wo Hermon Husbands dunkles Quäkergrau sich wie ein Fleck von dem reinweißen Marmor abhob. Parteigeist war ein Codewort für die Aktivitäten von Männern wie Husband und James Hunter - Regulatoren.
Die Milizaktion des Gouverneurs im Dezember hatte zwar die gewalttätigen Ausschreitungen zum Erliegen gebracht, doch die Regulation war immer noch ein brodelnder Topf unter einem sehr festen Deckel. Husband war aufgrund seiner ausdrucksstarken Pamphlete im Februar festgenommen und kurze Zeit eingekerkert worden, doch diese Erfahrung hatte weder seiner Einstellung noch seiner Wortwahl Abbruch getan. Der Topf konnte jederzeit überkochen.
»Es freut mich, das zu hören«, sagte Major MacDonald mit ausgesprochen enttäuschtem Gesicht. »Erfahrt Ihr denn in Eurer abgelegenen Siedlung viele Neuigkeiten?«
»Nicht viel. Äh... schönes Wetter heute, nicht wahr? Wir haben dieses Jahr wirklich Glück. Hattet Ihr eine gute Anreise aus Charleston? So früh im Jahr... der Schlamm...«
»Ja, Ma’am. Wir hatten ein paar kleine Schwierigkeiten, aber nicht mehr als...««
Im Lauf dieser Plauderei betrachtete mich der Major ganz unverhüllt und registrierte abschätzend den Schnitt und die Qualität meines Kleides, die Perlen an meinem Hals und meinen Ohren. Es lag nicht die geringste Spur von Anzüglichkeit oder Koketterie in seinem Blick. Er beurteilte einfach nur meine gesellschaftliche Stellung und den Grad der Wohlhabenheit und des Einflusses, den mein Mann hatte.
Ich ließ mich davon nicht beleidigen; schließlich machte ich es ja mit ihm nicht anders. Wohlerzogen und aus gutem Hause. So viel machte allein sein Rang deutlich, doch der schwere, goldene Siegelring an seiner rechten Hand beantwortete auch die letzte diesbezügliche Frage. Er persönlich war jedoch nicht allzu gut betucht; seine Uniform war an den Kanten abgetragen, und seine Stiefel waren stark zerkratzt, wenn auch gut poliert.
Ein leichter, schottischer Akzent mit einem Hauch von französischer Gutturalität - Erfahrung in Kontinentalfeldzügen. Und, wie ich vermutete, gerade erst in der Kolonie eingetroffen; sein Gesicht war von einer Krankheit gezeichnet, die noch nicht lange zurücklag, und das Weiße seiner Augen zeigte eine leichte Spur von Gelbsucht, die bei Neuankömmlingen häufig war, weil sie sich oft alles Mögliche von der Malaria bis zum Denguefieber einfingen, wenn sie auf die wimmelnden Keimparadiese in den Küstenstädten trafen.
»Sagt mir, Mrs. Fraser -«, begann der Major.
»Damit beleidigt Ihr nicht nur mich, sondern jeden Ehrenmann hier!«
Ninian Bell Hamiltons ziemlich schrille Stimme ertönte inmitten einer allgemeinen Gesprächspause, und auf der ganzen Rasenfläche wandten sich die Köpfe.
Er stand direkt vor Robert Barlow, einem Mann, dem ich vorhin vorgestellt worden war. Irgendein Kaufmann, erinnerte ich mich vage - aus Edenton? Oder vielleicht auch New Bern. Er war ein untersetzter Mann, der aussah, als sei er keinen Widerspruch gewöhnt, und er verhöhnte Hamilton ganz unverhohlen.
»Regulatoren nennt Ihr sie? Knastbrüder und Aufrührer! Und Ihr wollt sagen, dass solche Männer Ehrgefühl besitzen, ja?«
»Ich will es nicht sagen - ich konstatiere es als Tatsache, und als solche werde ich es auch verteidigen!« Der alte Herr richtete sich auf und tastete nach seinem Schwertknauf. Glücklicherweise trug er kein Schwert; aus gegebenem, festlichem Anlass trug keiner der anwesenden Herren eine solche Waffe.
Ob diese Tatsache Barlows Verhalten beeinflusste, konnte ich nicht sagen, doch er lachte verächtlich und kehrte Hamilton den Rücken, um sich zu entfernen. Wutentbrannt trat der ältere Schotte ihm darauf prompt in den Hintern.
Barlow, der mit einer solchen Attacke nicht rechnete und das Gleichgewicht verlor, schoss nach vorn und landete auf Händen und Knien, so dass ihm die Rockschöße über die Ohren flogen und er ein höchst lächerliches Bild abgab. Sämtliche Zuschauer brachen unabhängig von ihrer politischen Einstellung in Gelächter aus. Dadurch ermutigt, blies sich Ninian auf wie ein Zwergkampfhahn und stolzierte um seinen gestürzten Gegner herum, um ihn von vorn anzusprechen.
Ich hätte ihm sagen können, dass dies ein taktischer Fehler war, aber ich hatte ja auch den Vorteil, Barlows Gesicht zu sehen, das vor Wut und Verlegenheit knallrot war. Mit vorquellenden Augen rappelte er sich umständlich auf, setzte sich mit Gebrüll in Bewegung und rannte den kleineren Mann um.
Die beiden wälzten sich mit fliegenden Fäusten und Rockschößen im Gras, und die Zuschauer johlten ihnen ermunternd zu. Überall von der Rasenfläche und der Terrasse kamen die Gäste herbeigeeilt, um zu sehen, was hier vor sich ging. Abel MacLennan schob sich durch den Pöbel, offenbar in der Absicht, seinem Gastgeber Unterstützung anzubieten. Richard Caswell packte ihn am Arm, um ihn daran zu hindern, und er fuhr herum, wodurch Caswell das Gleichgewicht verlor.
James Hunter, dessen hageres Gesicht vor Schadenfreude leuchtete, stellte Caswell ein Bein, und dieser landete mit dem Hintern auf dem Rasen und machte ein überraschtes Gesicht. Caswells Sohn George heulte entrüstet auf und boxte Hunter in die Nieren. Hunter wirbelte herum und schlug George auf die Nase.
Eine Anzahl von Damen war in Gekreische ausgebrochen - nicht alle vor Schrecken. Eine oder zwei schienen Ninian Hamilton anzufeuern, der in dieser Minute auf der Brust seines Opfers saß und Anstalten machte, ihn zu erwürgen, wenn er auch dank Barlows kräftigem Hals und seiner Halsbinde damit wenig erfolgreich war.
Ich sah mich panisch nach Jamie um - oder Roger oder Duncan. Gottverdammt, wo waren sie nur alle?
George Caswell war überrascht zurückgewichen und hielt sich die Nase, aus der ihm das Blut auf sein Hemd tropfte. DeWayne Buchanan, einer von Hamiltons Schwiegersöhnen, schob sich zielstrebig durch die dichter werdende Menge. Ich wusste nicht genau, ob er seinen Schwiegervater von Barlow wegzureißen oder ihm bei seinem Mordversuch zu helfen gedachte.
»Oh, verflixt«, knurrte ich vor mich hin. »Hier, haltet das.« Ich drückte Major MacDonald meinen Fächer in die Hand und hob meine Röcke, um mich in den Schlamassel zu begeben, während ich mir noch überlegte, nach wem ich am wirkungsvollsten zuerst trat - und wohin.
»Möchtet Ihr, dass ich es beende?«
Der Major, der das Spektakel genossen hatte, machte bei diesem Gedanken ein enttäuschtes, aber pflichtergebenes Gesicht. Auf mein ziemlich verblüfftes Nicken hin griff er nach seiner Pistole, zielte zum Himmel und schoss in die Luft.
Der Knall war so laut, dass er für ein paar Sekunden alle zum Schweigen brachte. Die Streithähne erstarrten, und in der vorübergehenden Stille betrat Hermon Husband die Szene.
»Freund Ninian«, sagte er und blickte unter freundlichem Kopfnicken in die Runde. »Freund Buchanan. Ihr erlaubt.« Er ergriff den älteren Schotten an beiden Armen und zog ihn von Barlows Körper hoch. Er warf James Hunter einen warnenden Blick zu; Hunter gab ein hörbares »Hmpf!« von sich, trat jedoch ein paar Schritte zurück.
Die jüngere Mrs. Caswell, eine Frau von Verstand, hatte ihren Mann bereits vom Schlachtfeld entfernt und hielt ihm ein Taschentuch unter die Nase und ein silbernes Messer vom Buffet in den Nacken. DeWayne Buchanan und Abel MacLennan hatten je einen von Ninians Armen ergriffen und taten so, als müssten sie ihn unter großer Mühe bändigen, während sie mit ihm zum Haus davonmarschierten - obwohl es doch einigermaßen deutlich war, dass jeder Einzelne von ihnen ihn problemlos hätte hochheben und tragen können.
Richard Caswell war allein aufgestanden, und er sah zwar arg beleidigt aus, hatte aber offensichtlich nicht vor, auf irgendjemanden einzuschlagen. Er stand da, klopfte sich das trockene Gras vom Rücken seines Rockes und hatte die Lippen missbilligend zusammengepresst.
»Euer Fächer, Mrs. Fraser?« Aus meiner Analyse des Konfliktes gerissen, stellte ich fest, dass Major MacDonald mir höflich meinen Fächer wieder entgegenhielt. Seine Miene war ausgesprochen selbstzufrieden.
»Danke«, sagte ich, ergriff den Fächer und betrachtete MacDonald mit einigem Respekt. »Sagt mir, Major - lauft Ihr immer mit geladener Pistole herum?«
»Ein Versehen, Ma’am«, erwiderte er unverbindlich. »Wenn auch vielleicht ein glückliches, aye? Ich war gestern in Cross Creek, und da ich nach Anbruch der Dunkelheit allein zu Mr. Farquard Campbells Plantage zurückkehrte, hielt ich es für besser, auf der Straße vorsichtig zu sein.«
Er wies mit dem Kinn über meine Schulter hinweg.
»Sagt mir, Mrs. Fraser, wer ist dieses schlecht rasierte Individuum? Er scheint ein Mann von Stehvermögen zu sein, trotz seines Mangels an Benimm. Glaubt Ihr, er wird jetzt um seiner selbst willen auf die Barrikaden gehen?«
Ich fuhr herum und sah Hermon Husband Nase an Nase mit Barlow, der sich wieder erhoben hatte. Er hatte sich den runden, schwarzen Hut tief ins Gesicht geschoben, und sein Bart stand kampflustig ab. Barlow wich keinen Zentimeter zurück. Sein Gesicht war rot angelaufen, und der Zorn stand ihm auf die Stirn geschrieben, doch er hatte die Arme fest vor der Brust verschränkt, während er Husband zuhörte.
»Hermon Husband ist Quäker«, sagte ich in leicht tadelndem Tonfall. »Nein, er wird sich nicht auf Gewalt verlegen. Nur auf Worte.«
Eine ziemliche Menge Worte. Barlow versuchte beharrlich, ihn mit seinen eigenen Ansichten zu unterbrechen, doch Husband ignorierte diese und vertrat seine Meinung mit solchem Enthusiasmus, dass ihm der Speichel aus den Mundwinkeln flog.
»...ein schrecklicher Fehlgriff der Justiz! Sheriffs, so bezeichnen sie sich zumindest selbst, die nicht getreu der Buchstaben des Gesetzes ernannt worden sind, sondern sich vielmehr selbst ernennen, und dies zu keinem anderen Zweck als sich selbst zu bereichern, und verächtlich auf jedes legitime...«
Barlow ließ die Arme sinken und begann zurückzuweichen, um der Verbalattacke zu entfliehen. Doch als Husband kurz inne hielt, um Luft zu holen, nutzte Barlow die Gelegenheit, um sich vorzubeugen und Husband drohend den Finger in die Brust zu bohren.
»Ihr sprecht von Gerechtigkeit, Sir? Was haben denn Aufruhr und Zerstörung mit Gerechtigkeit zu tun? Wenn Ihr die Vernichtung von Eigentum als Mittel zur Wiedergutmachung befürwortet -«
»Das ist keineswegs der Fall! Aber sollen denn die Armen den Skrupellosen zum Opfer fallen, und soll ihr Leiden unbeachtet bleiben? Ich sage Euch, Sir, Gott wird die Unterdrücker der Armen gnadenlos zur Rechenschaft ziehen, und -«
»Worüber streiten sie sich denn?«, fragte MacDonald, der den Wortwechsel interessiert verfolgte. »Religion?«
Nachdem sie gesehen hatten, dass Husband die Bühne betrat, und sie begriffen, dass keine weiteren Schlägereien zu erwarten waren, hatten die meisten Zuschauer das Interesse verloren und waren zu den Buffettischen und den Kohlebecken auf der Terrasse davonspaziert. Hunter und ein paar andere Regulatoren blieben, um Husband moralisch zu unterstützen, doch die meisten Gäste waren Pflanzer und Kaufleute. Sie mochten zwar theoretisch auf Barlows Seite sein, waren jedoch praktisch nicht geneigt, den seltenen, festlichen Anlass durch eine Kontroverse mit Hermon Husband über die Rechte der steuerzahlenden Armen zu ruinieren.
Auch ich brannte nicht besonders darauf, die Rhetorik der Regulation im Detail zu ergründen, tat aber mein Bestes, um Major MacDonald einen groben Überblick über die Situation zu verschaffen.
»...und daher fühlte sich Gouverneur Tryon gezwungen, die Miliz einzuberufen, um dem entgegenzuwirken, aber die Regulatoren haben nachgegeben«, sagte ich abschließend. »Allerdings sind sie keinesfalls von ihren Forderungen abgerückt.«
Auch Husband hatte nicht von seinem Streitgespräch abgelassen - das tat er nie -, doch war es Barlow endlich gelungen, sich zurückzuziehen, und er leckte jetzt in Gesellschaft einiger mitfühlender Freunde an den Erfrischungstischen unter den Ulmen seine Wunden. Sie warfen in Abständen missbilligende Blicke in Husbands Richtung.
»Ich verstehe«, sagte MacDonald interessiert. »Farquard Campbell hat diese aufrührerische Bewegung schon erwähnt. Und der Gouverneur hat eine Miliz einberufen, um ihrer Herr zu werden, sagt Ihr, und könnte dies wieder tun? Wisst Ihr, wer seine Truppen befehligt?«
»Äh... ich glaube, General Waddell - Hugh Waddell - kommandiert mehrere Kompanien. Doch der Gouverneur hat den Großteil selbst befehligt; er ist ein ehemaliger Soldat.«
»Ach wirklich?« MacDonald schien von dem Thema gefesselt zu sein; er hatte seine Pistole nicht weg gesteckt, sondern tätschelte sie geistesabwesend. »Campbell sagt mir, dass Euer Gatte der Inhaber einer großen Landvergabe im Hinterland ist. Ist er ein Vertrauter des Gouverneurs?«
»So würde ich es nicht gerade ausdrücken«, sagte ich trocken. »Aber er kennt den Gouverneur, ja.«
Angesichts dieser Wendung des Gespräches wurde mir ein wenig mulmig. Es war - genau gesehen - illegal für Katholiken, eine königliche Landvergabe in den Kolonien inne zu haben. Ich wusste nicht, ob sich Major MacDonald dieser Tatsache bewusst war, aber angesichts von Jamies Herkunft war ihm zweifelsohne klar, dass dieser Katholik war.
»Meint Ihr, Euer Gatte lässt sich vielleicht dazu bewegen, ein Wort für mich einzulegen, verehrte Dame?« Seine blassblauen Augen leuchteten spekulierend, und ich begriff schlagartig, worum es ihm ging.
Um einen Berufssoldaten war es ohne Krieg in punkto Beschäftigung und Einkommen definitiv schlecht bestellt. Die Regulation mochte ja nur ein Sturm im Wasserglas sein, doch andererseits, wenn es auch nur die geringste Aussicht auf ein Eingreifen des Militärs gab... Tryon hatte schließlich keine regulären Truppen; es war gut möglich, dass ihm ein erfahrener Offizier willkommen war - und er bereit war, ihn zu bezahlen -, falls die Miliz noch einmal zusammengerufen wurde.
Ich warf einen argwöhnischen Blick in Richtung des Rasens. Husband und seine Freunde hatten sich ein Stück zurückgezogen und konferierten jetzt in einem dichten Pulk neben einer von Jocastas neuen Statuen. Der jüngsten Beinahe-Prügelei nach zu urteilen, kochte die Regulation immer noch gefährlich vor sich hin.
»Das ist gut möglich«, sagte ich vorsichtig. Ich sah keinen Grund, warum Jamie etwas dagegen haben sollte, ein Referenzschreiben an Tryon zu verfassen - und schließlich war ich dem Major etwas schuldig, da er gerade einen ausgewachsenen Aufruhr verhindert hatte. »Ihr müsstet meinen Mann natürlich selbst fragen - aber ich werde gern ein Wort für Euch einlegen.«
Der Major marschierte zur Terrasse davon, und als ich mich umdrehte, sah ich Hermon Husband auf mich zustiefeln, gefolgt von Hunter und einigen anderen Männern.
»Mrs. Fraser, ich muss Euch bitten, Mrs. Innes meine guten Wünsche und mein Bedauern auszusprechen, wenn Ihr so gütig wärt«, sagte er ohne Umschweife. »Ich muss gehen.«
»Oh, müsst Ihr uns schon verlassen?« Ich zögerte. Einerseits hätte ich ihn gern gedrängt zu bleiben; andererseits sah ich weitere Probleme voraus, wenn er dies tat. Barlows Freunde hatten ihn seit der Beinahe-Schlägerei nicht mehr aus den Augen gelassen.
Er las mir meinen Gedanken vom Gesicht ab und nickte nüchtern. Die Röte der Debatte war aus seinem Gesicht gewichen, und es war von grimmigen Furchen durchzogen.
»So wird es besser sein. Jocasta Cameron ist mir und den Meinen immer eine gute Freundin gewesen; ich würde ihr ihre Güte schlecht lohnen, indem ich bei ihrer Hochzeitsfeier Zwietracht säe. Das würde ich niemals freiwillig tun - und doch kann ich nicht guten Gewissens schweigend verharren, wenn ich solche verderblichen Ansichten höre, wie sie mir hier zu Ohren gekommen sind.« Er warf Barlows Anhängern einen Blick voll kalter Verachtung zu, der in gleicher Münze zurückgezahlt wurde.
»Außerdem«, fügte er hinzu und tat das Thema Barlow ab, indem er ihm und seinen Konsorten den Rücken zukehrte, »haben wir etwas zu erledigen, das unsere Anwesenheit anderswo erfordert.« Er zögerte, und es war offensichtlich, dass er sich fragte, ob er mir noch mehr sagen sollte, doch dann entschied er sich dagegen. »Werdet Ihr es ihr ausrichten?«
»Ja natürlich. Mr. Husband - es tut mir Leid.«
Er lächelte mich melancholisch an und schüttelte den Kopf, sagte aber nichts mehr. Doch als er sich von seinen Begleitern gefolgt zum Gehen wandte, blieb James Hunter stehen, um mich leise anzusprechen.
»Die Regulatoren sammeln sich. Es ist ein großes Lager oben in der Nähe von Salisbury«, sagte er. »Vielleicht möchtet Ihr Eurem Gatten das ausrichten.«
Er nickte, tippte sich mit der Hand an die Hutkrempe und schritt davon, ohne eine Bestätigung abzuwarten. Sein schwarzer Rock verschwand in der Menge wie ein Sperling, der von einer Pfauenschar verschluckt wird.
 
Von meinem Aussichtspunkt am Rand der Terrasse aus konnte ich die ganze Festgesellschaft überblicken, die sich in einem Strom vom Haus bis zum Fluss ergoss und am Rande kleine Sammelbecken bildete, die für das geschulte Auge gut sichtbar waren.
Jocasta bildete das Zentrum des größten gesellschaftlichen Strudels - doch auch Ninian Bell Hamilton und Richard Caswell waren von kleineren, ominösen Wirbeln umspült, und eine unruhige Strömung schlängelte sich durch die ganze Hochzeitsgesellschaft und ließ Gesprächsfetzen wie Ablagerungen an ihrem Rand zurück, wo die Spekulationen auf fruchtbaren Boden fielen. Nach allem, was ich mitbekam, bildete die Frage nach dem möglichen Sexualleben unserer Gastgeber das vorherrschende Thema, allerdings dicht gefolgt von der Politik - und den Regulatoren.
Ich sah nach wie vor keine Spur von Jamie oder Duncan. Doch da war der Major wieder. Er blieb stehen, ein Glas Cidre in der Hand; Brianna war ihm ins Auge gefallen. Ich beobachtete ihn mit einem ironischen Lächeln.
Brianna verblüffte die Männer oft, wenn auch nicht immer ausschließlich vor Bewunderung. Sie hatte eine ganze Reihe von Dingen von Jamie geerbt; die blauen Katzenaugen und das flammende Haar, die lange, gerade Nase und den breiten, festen Mund, die kühnen Gesichtsknochen, die von irgendeinem Nordmann der Vergangenheit stammten. Doch zusätzlich zu all diesen auffallenden Attributen hatte sie auch noch seine Körpergröße geerbt. In einer Zeit, in der die durchschnittliche Frau etwas unter einsfünfzig groß war, brachte es Brianna auf einen Meter achtzig. Die Leute gafften sie häufig an.
So auch Major MacDonald, der seinen Cidre ganz vergessen hatte. Roger bemerkte es; er lächelte kopfnickend und fing ein Gespräch mit dem Major an, trat aber jenen einen Schritt dichter an Brianna heran, der unmissverständlich ausdrückte: »Sie gehört mir, Kumpel.«
Während ich den Major bei der Unterhaltung beobachtete, fiel mir auf, wie blass und dürr er im Vergleich zu Roger aussah, der beinahe genauso groß war wie Jamie - er war breitschultrig und olivenhäutig, und sein Haar glänzte schwarz wie ein Krähenflügel in der Frühlingssonne, möglicherweise das Erbe eines alten, spanischen Invasoren. Ich musste zugeben, dass es keine sichtbare Ähnlichkeit zwischen ihm und dem kleinen Jemmy gab, der rotgolden war wie ein neuer Messingkerzenhalter.
Ich konnte es weiß aufblitzen sehen, wenn Roger lächelte; der Major hielt seine Lippen beim Lächeln herunter gezogen, wie es die meisten Leute über dreißig taten, um die Zahnlücken und den Verfall zu verbergen, der wie eine Seuche wütete. Vielleicht war es die Belastung, die der Beruf des Majors mit sich brachte; vielleicht auch nur die Auswirkungen schlechter Ernährung in der Kindheit. Nur, weil ein Kind aus einer guten Familie stammte, bedeutete das in dieser Zeit nicht, dass es auch gut aß.
Ich fuhr mir leicht mit der Zunge über meine eigenen Zähne und testete die Kante meiner Schneidezähne. Gerade und gesund, und angesichts des derzeitigen Standes der Zahnmedizin bemühte ich mich nach Leibeskräften darum, dass dies auch so blieb.
»Oh, Mrs. Fraser.« Eine helle Stimme drängte sich in meine Gedanken, und als ich mich umdrehte, sah ich Philip Wylie neben mir stehen. »Woran denkt Ihr nur gerade, meine Liebe? Ihr seht ja geradezu gefährlich aus«, sagte er mit gesenkter Stimme, ergriff meine Hand, und entblößte seine ebenfalls recht ansehnlichen Zähne zu einem anzüglichen Lächeln.
»Ich bin nicht Eure Liebe«, sagte ich ziemlich scharf und entriss ihm meine Hand. »Und apropos gefährlich, es überrascht mich, dass Euch noch niemand in den Allerwertesten gebissen hat.«
»Oh, ich gebe die Hoffnung nicht auf«, versicherte er mir mit glitzernden Augen. Er verbeugte sich und schaffte es dabei, meine Hand erneut zu fassen zu bekommen. »Dürfte ich die Ehre haben, Euch später um einen Tanz zu bitten, Mrs. Fraser?«
»Ganz bestimmt nicht«, sagte ich und ruckte an meiner Hand. »Lasst los.«
»Euer Wunsch ist mir Befehl.« Er ließ los, jedoch nicht, ohne mir zuvor einen leichten Kuss auf den Handrücken zu drücken. Ich unterdrückte das Bedürfnis, mir die feuchte Stelle an meinem Rock abzuwischen.
»Hinweg mit Euch, Kindskopf«, sagte ich. Ich schlug mit dem Fächer nach ihm. »Kusch.«
Philip Wylie war ein Lebemann. Ich war ihm bereits zweimal begegnet, und beide Male war er so sehr herausgeputzt gewesen, dass es einem schier den Atem verschlug: Satinkniehose, Seidenstrümpfe und alles, was dazugehörte, einschließlich gepuderter Perücke, gepudertem Gesicht und einem kleinen, schwarzen, halbmondförmigen Schönheitspflaster, das ganz hinreißend neben seinem Auge klebte.
Jetzt hatte sich die Dekadenz allerdings ausgeweitet. Die gepuderte Perücke war malvenfarbig, die Satinweste war bestickt mit - ich kniff die Augen zu. Ja, mit Löwen und Einhörnern in Gold- und Silbergarn. Die Satinhose passte ihm wie ein zweigeteilter Handschuh, und der Halbmond war einem Stern neben seinem Mundwinkel gewichen. Mr. Wylie war ein Honigkuchenpferd geworden - mit Zuckerguss.
»O nein, ich habe nicht vor, Euch einfach so stehen zu lassen, Mrs. Fraser«, versicherte er mir. »Ich habe überall nach Euch gesucht.«
»Oh. Nun, jetzt habt Ihr mich ja gefunden«, sagte ich und betrachtete seinen Rock, der aus rosafarbenem Samt war. Er hatte riesige Ärmelaufschläge aus blassrosa Seide und Porzellanknöpfe, die mit scharlachroten Pfingstrosen bemalt waren. »Obwohl es ja kein Wunder ist, dass Ihr Schwierigkeiten hattet. Der Glanz Eurer Weste hat Euch wohl geblendet.«
Wie immer war Lloyd Stanhope bei ihm; ebenfalls wohlhabend, aber sehr viel schlichter gekleidet als sein Freund. Stanhope prustete los, doch Wylie ignorierte ihn und verbeugte sich elegant vor mir.
»Ah, nun, Fortuna ist mir dieses Jahr hold. Der Handel mit England hat sich wieder erholt, den Göttern sei Dank - und ich habe meinen Anteil daran, und mehr als das. Ihr müsst mitkommen und Euch ansehen, was ich -«
In diesem Moment rettete mich Adlai Osborn, ein gut betuchter Kaufmann von der Küste, durch sein plötzliches Auftauchen. Er tippte Wylie auf die Schulter. Ich nutzte die Gelegenheit, die sich durch diese Ablenkung bot, um meinen Fächer zu heben und mich durch eine Lücke in der Menge davonzustehlen.
Da ich mir für den Augenblick selbst überlassen war, verließ ich die Terrasse und schlenderte lässig über den Rasen. Ich hielt nach wie vor nach Jamie oder Duncan Ausschau, nutzte jedoch auch die Gelegenheit, mir erstmals Jocastas neueste Errungenschaften anzusehen, die die Hochzeitsgäste zu immer neuen Kommentaren anregten. Es waren zwei weiße Marmorstatuen, die jeweils in der Mitte eines Rasenquadrates standen.
Unmittelbar in meiner Nähe befand sich die lebensgroße Replik eines griechischen Kriegers - ich vermutete, dass es ein Spartaner war, da man auf jedes frivole Kleidungsstück verzichtet hatte und der Herr nichts als einen stabil aussehenden Helm mit einem Federbusch trug und in jeder Hand ein Schwert hatte. Zu seinen Füßen stand strategisch platziert ein großer Schild, der die auffälligen Mängel seiner Garderobe überdeckte.
Auf der rechten Rasenfläche stand das Gegenstück, das Diana, die Jägerin, darstellte. Die Dame war zwar spärlich bekleidet, und ihre wohlgeformten, weißen Brüste zogen anerkennende Seitenblicke der anwesenden Herrenwelt auf sich, doch was das Ausmaß der öffentlichen Faszination betraf, so konnte sie ihrem Begleiter nicht das Wasser reichen. Ich lächelte hinter meinem Fächer, als ich sah, wie Mr. und Mrs. Sherston an der Statue vorbeischwebten, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Ihre erhobenen Nasen und gelangweilten Mienen besagten, dass solche Kunstwerke in Europa gang und gäbe seien. Nur Kolonialisten, denen es sowohl an Kultur als auch an guter Herkunft mangelte, würden ein Spektakel darin sehen, meine Liebe.
Als ich die Statue meinerseits genauer betrachtete, stellte ich fest, dass sie doch keinen anonymen Griechen darstellte, sondern vielmehr Perseus. Jetzt konnte ich auch erkennen, dass der Gegenstand am Fuß des Schildes, den ich für einen Felsbrocken gehalten hatte, tatsächlich ein abgetrennter Gorgonenkopf war, dessen Schlangen zum Teil in schockierter Bestürzung abstanden.
Die unübersehbar kunstfertige Machart dieser Reptilien lieferte einer Anzahl von Damen eine Entschuldigung zur näheren Betrachtung, und sie wagten sich dicht heran, spitzten kennerhaft die Lippen und äußerten sich mit Bewunderungslauten über das Geschick des Bildhauers bei der Andeutung jeder einzelnen Schuppe. Dann und wann ließ die eine oder andere ihren Blick für den Bruchteil einer Sekunde in die Höhe schnellen, bevor sie ihn mit einem Ruck wieder auf das Gorgonengesicht heftete und rot anlief - zweifellos von dem Glühwein, der von den Dienstboten herumgereicht wurde.
Ein dampfender Becher dieses Getränkes, der mir unter die Nase gehalten wurde, lenkte mich von Perseus ab.
»Trinkt etwas davon, Mrs. Fraser.« Es war Lloyd Stanhope, die Liebenswürdigkeit in Person. »Ihr wollt Euch doch nicht erkälten, werte Dame.«
Das war zwar kaum wahrscheinlich, da sich der Tag zunehmend erwärmte, doch ich nahm den Becher entgegen und genoss den Duft von Zimt und Honig, der mir von seiner dampfenden Oberfläche entgegen wehte.
Ich drehte mich zur Seite und sah mich nach Jamie um, doch er blieb unsichtbar. Eine Gruppe von Herren, die darüber diskutierten, ob Virginiatabak oder Indigo lukrativer war, drängte sich um Perseus’ Vorderseite, während die Rückseite der Statue jetzt drei junge Mädchen verbarg, die sie im Schutz ihrer Fächer mit roten Gesichtern kichernd von hinten betrachteten.
»...einzigartig«, sagte Philip Wylie gerade zu irgendjemandem. Die Randgewässer der Konversation hatten ihn wieder an meine Seite geschwemmt. »Absolut einzigartig! Man nennt sie Schwarze Perlen. Ich wette, so etwas habt Ihr noch nicht gesehen.« Er sah sich um, und als er mich entdeckte, streckte er die Hand aus, um sacht meinen Ellbogen zu berühren. »Ich habe gehört, Ihr habt einige Zeit in Frankreich verbracht, Mrs. Fraser. Habt Ihr sie dort vielleicht gesehen?«
»Schwarze Perlen?«, sagte ich und bemühte mich, den Gesprächsfaden aufzunehmen. »Nun, ja, ein paar. Ich erinnere mich, dass der Erzbischof von Rouen einen kleinen Mohrenpagen hatte, der eine große, schwarze Perle in der Nase trug.«
Stanhope fiel der Kinnladen herunter, ein Bild der Lächerlichkeit. Wylie starrte mich für den Bruchteil einer Sekunde an, dann lachte er so laut auf, dass sowohl die Tabaklobby als auch die kichernden Mädchen verstummten und uns anstarrten.
»Ihr bringt mich noch um, meine Liebe«, keuchte Wylie, während Stanhope in unterdrücktes Prusten verfiel. Wylie zog ein Spitzentaschentuch hervor und betupfte sich vorsichtig die Augenwinkel, damit keine Lachträne seinen Puder befleckte.
»Also wirklich, Mrs. Fraser, habt Ihr denn meine Schätze noch nicht gesehen?« Er ergriff meinen Ellbogen und schob mich überraschend geschickt aus der Menge hinaus. »Kommt, ich will sie Euch zeigen.«
Er manövrierte mich reibungslos durch das Gewimmel und dann seitlich am Haus vorbei auf einen gepflasterten Weg, der zu den Stallungen führte. Eine weitere Menschenansammlung - zum Großteil Männer - drängte sich um das Paddock, wo Jocastas Stallknecht gerade mehreren Pferden Heu hinstreute.
Es waren fünf, zwei Stuten, zwei Zweijährige und ein Hengst. Alle fünf waren kohlrabenschwarz, und ihr Fell glänzte in der blassen Frühlingssonne, obwohl es noch das struppige Winterfell war. Ich war keine Expertin, was das Exterieur von Pferden betraf, wusste aber inzwischen genug, um den breiten Bug, den tonnenförmigen Rumpf und die reliefartigen Hinterteile zur Kenntnis zu nehmen, die ihnen das seltsame, aber höchst ansprechende Aussehen stämmiger Eleganz verliehen. Über die Schönheit ihres Körperbaus und ihres Fells hinaus war das Auffälligste an diesen Pferden ihr Langhaar.
Während die meisten Pferdemähnen ihr Dasein irgendwo zwischen kurzen Stoppeln und unordentlichem Gewirr fristeten, hatten diese schwarzen Pferde massenweise fließendes, seidiges Haar - fast wie Frauenhaar -, das sich im Rhythmus ihrer Bewegungen hob und wogte, genau wie auch die Wasserfälle ihrer langen, dichten Schweife. Dazu waren die Hufe und Fesseln eines jeden Pferdes mit einem feinen Federbusch aus schwarzen Haaren verziert, die sich bei jedem Schritt bewegten wie Gänsedistelsamen auf dem Wasser.
Im Vergleich zu den normalen, grobknochigen Reitpferden und kräftigen Zugpferden schienen diese Pferde beinahe etwas Magisches an sich zu haben - und den ehrfürchtigen Kommentaren der Zuschauer nach zu schließen, hätten sie genauso gut aus dem Märchenland wie von Philip Wylies Plantage in Edenton kommen können.
»Sie gehören Euch?«, fragte ich Wylie, ohne ihn anzusehen, denn ich wollte meine Augen nicht von dem bezaubernden Anblick abwenden. »Wo habt Ihr sie nur her?«
»Ja«, sagte er, und schlichter Stolz siegte über seine übliche, affektierte Art. »Sie gehören mir. Es sind Friesen. Eine der ältesten Warmblutrassen - ihre Abstammung lässt sich über Jahrhunderte zurückverfolgen. Und wo ich sie her habe -« Er lehnte sich über den Zaun, streckte eine Hand aus, die Handfläche nach oben gekehrt, und winkte den Pferden einladend mit den Fingern. »Ich züchte sie schon seit einigen Jahren. Ich habe sie auf Mrs. Camerons Einladung hin mitgebracht; sie denkt darüber nach, eventuell eine meiner Stuten zu kaufen, und meinte, es seien vielleicht auch ein oder zwei ihrer Nachbarn interessiert. Doch was Lucas hier angeht -« der Hengst war zu uns herübergekommen, als er seinen Besitzer erkannte, und ließ sich gnädig die Stirn kraulen, »er ist unverkäuflich.«
Die beiden Stuten waren hochtragend; Lucas war der Zuchthengst, und daher, sagte Wylie, hatte er ihn mitgebracht, um die Qualität der Linie zu beweisen. Deshalb, dachte ich insgeheim belustigt, und um mit ihm anzugeben. Wylies »Schwarze Perlen« erregten beträchtliches Interesse, und eine Reihe von Pferdezüchtern aus der näheren Umgebung waren bei Lucas’ Anblick sichtlich grün vor Neid geworden. Philip Wylie plusterte sich auf wie ein Zwerghahn.
»Oh, da bist du ja, Sassenach«, erklang Jamies Stimme plötzlich in meinem Ohr. »Ich habe schon nach dir gesucht.«
»Ach wirklich?«, sagte ich und wandte mich vom Paddock ab. Bei seinem Anblick verspürte ich eine plötzliche Wärme unter dem Brustbein und lächelte trotz meiner Ungeduld. »Und wo genau bist du gewesen?«
»Oh, hier und dort«, sagte Jamie, ohne sich von meinem anklagenden Tonfall stören zu lassen. »Wirklich ein schönes Pferd, Mr. Wylie.« Ein höfliches Nicken, und er hatte mich am Arm gepackt und hielt auf die Rasenfläche zu, noch bevor Philip Wylie sein gemurmeltes »Stets zu Diensten, Sir« ganz ausgesprochen hatte.
»Was machst du denn hier draußen mit Philip Wylie?«, fragte Jamie, während er sich seinen Weg durch eine Schar von Haussklaven bahnte, die aus dem Küchenhaus geströmt kamen und Tabletts mit Essen vor sich hertrugen, das unter weißen Servietten einladend dampfte.
»Mir seine Friesenpferde anschauen, natürlich«, sagte ich und legte mir eine Hand auf den Magen, um das resonante Knurren zu unterdrücken, das der Anblick des Essens auslöste. »Und was hast du die ganze Zeit gemacht?«
»Duncan gesucht«, sagte er und führte mich um eine Pfütze herum. »Ich kann ihn nirgendwo finden. Er war nicht auf dem Abort und auch nicht in der Schmiede, im Stall, in der Küche oder dem Küchenhaus... Ich habe mir ein Pferd genommen und bin zu den Tabakschuppen hinausgeritten, aber keine Spur von dem Mann. Ich weiß ja, dass er nicht davongelaufen ist, aber-«
»Vielleicht hat Leutnant Wolff ihn ja ermordet«, meinte ich. »Enttäuschter Rivale und so.«
»Wolff?« Er blieb stehen und sah mich mit konsterniert gerunzelter Stirn an. »Ist der Mistkerl etwa hier?«
»Höchstpersönlich«, erwiderte ich und wedelte mit meinem Fächer in Richtung des Rasens. Wolff hatte in unmittelbarer Nähe des Buffets Position bezogen; seine kurze, untersetzte Gestalt in der blauweißen Marineuniform war nicht zu verkennen. »Meinst du, deine Tante hat ihn eingeladen?«
»Aye, ich denke schon«, sagte er und klang grimmig, aber resigniert. »Schätze, sie konnte der Versuchung nicht widerstehen, ihn mit der Nase darauf zu stoßen.«
»Das habe ich mir auch schon gedacht. Aber er ist erst seit einer halben Stunde hier - und wenn er weiter so schluckt«, fügte ich mit einem missbilligenden Blick auf die Flasche hinzu, die der Leutnant umklammert hielt, »ist er bewusstlos, noch bevor die Trauung statt findet.«
Jamie tat den Leutnant mit einer verächtlichen Geste ab.
»Soll er sich doch selbst in Alkohol einlegen, solange er den Mund nur auftut, um sich etwas Trinkbares hinein zu schütten. Aber wo hat sich Duncan nur versteckt?«
»Vielleicht hat er sich in den Fluss gestürzt?« Das sollte ein Scherz sein, doch ich blickte trotzdem zum Fluss hinüber und sah ein Boot auf die Anlegestelle zusteuern. Der Ruderer stand am Bug, um einem wartenden Sklaven sein Anbindeseil zuzuwerfen. »Sieh nur - ist das endlich der Priester?«
Er war es; eine kurze, rundliche Gestalt, die schwarze Soutane bis über die behaarten Knie hochgezogen, kletterte gerade ungeschickt auf das Dock, und die Bootsleute schubsten ihn von unten helfend an. Ulysses war bereits zur Landestelle unterwegs, um ihn zu begrüßen.
»Gut«, sagte Jamie in zufriedenem Tonfall. »Dann haben wir also einen Priester und eine Braut. Zwei von dreien - das ist doch schon ein Fortschritt. Halt, Sassenach, warte - dein Haar löst sich.« Er zeichnete langsam die Linie einer herab gefallenen Haarsträhne auf meinem Rücken nach, und ich ließ gehorsam das Schultertuch von den Schultern sinken. Mein Kleid war ziemlich tief ausgeschnitten, bis hin zur Mitte meines Rückens; am französischen Hof hätte es sicher noch prüde gewirkt, doch für Cross Creek war es sehr gewagt.
Es schien die gewünschte Wirkung zu haben; Jamie steckte mir gekonnt die Locke wieder hoch, dann küsste er sanft meinen Nacken, und ich erschauerte. Offensichtlich war auch er gegen die Frühlingsluft nicht immun.
»Dann muss ich wohl weiter nach Duncan suchen«, sagte er mit einer Spur von Bedauern. Seine Finger verharrten auf meinem Rücken, und sein Daumen fuhr mir deliziös über die Furche meiner Wirbelsäule. »Aber wenn ich ihn erst gefunden habe... muss es doch hier irgendwo ein Plätzchen geben, an dem man unter sich sein kann.«
Bei den Worten »unter sich« lehnte ich mich an Jamie und blickte zum Flussufer, wo eine Gruppe von Trauerweiden eine Steinbank überschattete - eine sehr zurückgezogene, romantische Stelle, vor allem bei Nacht. Die Weiden waren dicht begrünt, doch zwischen den herabhängenden Zweigen sah ich etwas Scharlachrotes aufblitzen.
»Hab’ ihn!«, rief ich aus und richtete mich so abrupt auf, dass ich Jamie auf den Zeh trat. »Oh - tut mir Leid!«
»Nichts passiert«, beruhigte er mich. Er war meiner Blickrichtung gefolgt und richtete sich jetzt zielstrebig auf. »Ich gehe und hole ihn. Geh zum Haus hinauf, Sassenach, und behalte meine Tante und den Priester im Auge. Lass sie nicht entwischen, solange diese Ehe nicht geschlossen ist.«
 
Während Jamie über den Rasen auf die Weiden zuging, erwiderte er geistesabwesend die Begrüßungen von Freunden und Bekannten. In Wirklichkeit waren seine Gedanken weniger bei Duncans bevorstehender Vermählung als vielmehr bei seiner eigenen Frau.
Er war sich stets bewusst, welch ein Segen ihre Schönheit war; selbst wenn sie in ihrem alltäglichen, groben Leinenkleid knietief im Gartenschlamm steckte oder bei der Ausübung ihrer Berufung blutbefleckt glühte, ging ihm der Anblick ihres Körpers durch Mark und Bein, und ihre Whiskyaugen konnten ihn mit einem Blick betrunken machen. Außerdem brachte ihn das verrückte Gewirr ihrer Haare zum Lachen.
Schon bei dem bloßen Gedanken daran lächelte er vor sich hin und begriff, dass er tatsächlich leicht angetrunken war. Der Alkohol floss bei diesem Empfang wie Wasser, und einige Männer lehnten bereits mit glasigen Augen und schlaffen Kiefern am Mausoleum des alten Hector; er erspähte auch jemanden, der hinter dem Gebäude ins Gebüsch pinkelte. Er schüttelte den Kopf. Wenn es erst Abend wurde, würde unter jedem Busch jemand liegen.
Himmel. Ein einziger Gedanke an Gestalten unter Büschen, und schon beehrte ihn sein Gehirn mit einer äußerst unanständigen Vision von Claire, die mit gespreizten Gliedern lachend unter einem solchen lag. Ihre Brüste fielen aus ihrem Kleid, und das tote Laub und das trockene Gras hatten dieselbe Farbe wie ihr zerknitterter Rock und das lockige Haar zwischen... Er würgte den Gedanken abrupt ab und verbeugte sich höflich vor Mrs. Alderdyce, der Mutter des Richters.
»Stets zu Diensten, Ma’am.«
»Guten Tag, junger Mann, guten Tag.« Die alte Dame nickte in Oberlehrermanier und ging weiter, auf den Arm ihrer Begleiterin gestützt, einer geduldigen, jungen Frau, die Jamies Gruß mit einem schwachen Lächeln beantwortete.
»Master Jamie?« Eine der Mägde stand neben ihm und hielt ihm ein Tablett mit Bechern entgegen. Er griff zu, bedankte sich und trank ihn in einem Zug halb leer.
Er konnte nicht anders. Er musste sich einfach umdrehen und Claire hinterhersehen. Er erhaschte nicht mehr als einen Blick auf ihren Scheitel inmitten der Menge auf der Terrasse - das sture, kleine Weibsbild weigerte sich natürlich, eine anständige Haube zu tragen, und hatte sich stattdessen irgendeine Narrheit angesteckt, einen Hauch von Spitze mit einem Gewirr aus Bändern und Hagebutten. Auch dies weckte in ihm das Bedürfnis zu lachen, und er wandte sich wieder den Trauerweiden zu und lächelte vor sich hin.
Schuld daran war nur der Anblick, den sie in ihrem neuen Kleid bot. Schon seit Monaten hatte er sie nicht mehr wie eine Dame gekleidet gesehen, mit schmaler Taille ganz in Seide gehüllt, die weißen Brüste rund und süß wie Winterbirnen im tiefen Ausschnitt ihres Kleides. Es war, als sei sie plötzlich eine andere Frau; eine, die ihm intim vertraut und doch aufregend fremd war.
Seine Finger zuckten, als er an jene eine, rebellische Locke dachte, die sich frei über ihren Hals kringelte, und an ihren schmalen Nacken und ihren warmen Rücken, den sie so ruchlos für ihn entblößt hatte - und daran, wie sich ihr runder, warmer Hintern durch ihre Röcke hindurch angefühlt hatte, als sie ihn an sein Bein presste. Seit einer Woche hatte er sie nicht mehr gehabt, da sie ständig von Menschenmassen umgeben waren, und er spürte deutlich, wie ihm das fehlte.
Seit sie ihm die Spermien gezeigt hatte, war er sich der Überfüllung, die dann und wann in seinen Hoden herrschen musste, unangenehm bewusst, ein Eindruck, der in Situationen wie dieser zwangsweise noch stärker wurde. Er wusste sehr wohl, dass keine Gefahr eines Risses oder einer Explosion bestand - und doch musste er ständig an das Gedränge denken, das dort vor sich ging.
Ohne Hoffnung auf Entrinnen in einer wimmelnden Masse gefangen zu sein, war eine seiner persönlichen Visionen von der Hölle, und er blieb dicht vor dem Vorhang aus Weidenbäumen stehen, um seine Hoden beruhigend zu drücken und so den Aufruhr hoffentlich ein wenig zu besänftigen.
Er würde warten, bis Duncan mit Brief und Siegel verheiratet war, beschloss er, und dann musste der Mann selbst zurechtkommen. Wenn er bis zum Anbruch der Nacht nichts besseres als einen Busch gefunden hatte, musste es eben ein Busch sein. Er schob einen Schwung Weidenzweige beiseite und duckte sich, um darunter hindurchzutreten.
»Duncan«, begann er und hielt dann inne. Der Wirbel anzüglicher Gedanken verschwand wie Wasser, das in einen Abfluss lief. Der rote Rock gehörte nicht Duncan Innes, sondern einem Fremden, der sich jetzt zu ihm umdrehte und genauso überrascht aussah, wie Jamie sich fühlte. Ein Mann in der Uniform der Armee Seiner Majestät.
 
Der Ausdruck plötzlicher Verblüffung verschwand beinahe ebenso schnell aus dem Gesicht des Mannes, wie sich Jamies Überraschung legte. Dies musste MacDonald sein, der Soldat auf halbem Sold, den Farquard Campbell ihm gegenüber erwähnt hatte. Offensichtlich hatte Farquard ihn dem Major ebenfalls beschrieben; er konnte sehen, dass der Mann wusste, wer vor ihm stand.
Auch MacDonald hatte einen Becher Punsch in der Hand; die Sklaven waren nicht müßig gewesen. Er leerte den Becher gemächlich, dann stellte er ihn auf die Steinbank und wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen.
»Oberst Fraser, nehme ich an?«
»Major MacDonald«, erwiderte er mit einem halb höflichen, halb argwöhnischen Kopfnicken. »Stets zu Diensten, Sir.«
MacDonald verbeugte sich übertrieben förmlich.
»Oberst. Wenn ich Eure Zeit kurz in Anspruch nehmen dürfte?« Er blickte über Jamies Schulter hinweg; hinter ihnen am Ufer ertönten das Gekicher und die aufgeregten, kurzen Aufschreie einiger sehr junger Frauen, die von sehr jungen Männern verfolgt wurden. »Unter vier Augen?«
Jamie nahm mit säuerlicher Belustigung zur Kenntnis, dass der Mann seinen Miliztitel benutzte, nickte jedoch knapp und stellte seinen eigenen, noch halb vollen Becher neben dem des Majors ab.
Er neigte den Kopf fragend in Richtung des Hauses; MacDonald nickte und folgte ihm unter der Weide hervor, und lautes Rascheln und Kreischen verriet ihnen, dass Bank und Bäume jetzt dem jüngeren Element anheim gefallen waren. Er wünschte ihnen viel Glück damit und merkte sich die Stelle für seinen möglichen Eigenbedarf nach Anbruch der Dunkelheit vor.
Der Tag war kalt, aber windstill und sonnig, und eine Reihe von Gästen - zum Großteil Männer, die die zivilisierte Atmosphäre im Inneren des Hauses zu erdrückend fanden - standen diskutierend in Gruppen an den Ecken der Terrasse zusammen oder schlenderten über die Pfade des aufblühenden Gartens, wo ihre Tabakpfeifen ungestört vor sich hinqualmen konnten. Da er Letztere für den besten Weg hielt, einer Unterbrechung vorzubeugen, schwenkte Jamie mit dem Major auf den gepflasterten Pfad ein, der auf die Ställe zuführte.
»Habt Ihr Wylies Friesen schon gesehen?«, fragte der Major, als sie in beiläufiger Unterhaltung das Haus so weit umrundeten, bis sie außer Hörweite waren.
»Aye, das habe ich. Der Hengst ist ein prächtiges Tier, nicht wahr?« Sein Blick wanderte automatisch zu dem Paddock neben der Scheune. Der Hengst knabberte an den vertrockneten Unkräutern neben dem Trog, während die beiden Stuten einträchtig Kopf an Schweif in der Nähe des Stalles standen. Ihre breiten Rücken glänzten in der bleichen Sonne.
»Aye? Nun ja, vielleicht.« Der Major blickte blinzelnd zum Paddock hinüber und kniff in skeptischem Einverständnis ein Auge zu. »Kräftig gebaut, das muss ich sagen. Schöne Brust. Aber diese ganzen Haare - taugen nicht für ein Kavalleriepferd, obwohl, ganz weg, wenn man ihn anständig rasiert und bandagiert...«
Jamie unterdrückte das Bedürfnis zu fragen, ob der Major seine Frauen auch rasiert bevorzugte. Er hatte das Bild der gelösten Haarsträhne, die sich über diesen weißen Rücken ringelte, immer noch im Kopf. Vielleicht waren die Ställe ja besser geeignet... Er schob diesen Gedanken beiseite, um später darauf zurückzukommen.
»Es gab da etwas, das Euch beschäftigt, Major?«, fragte er ein wenig abrupter als beabsichtigt.
»Mich persönlich weniger«, erwiderte MacDonald gleichmütig. »Man hat mir gesagt, dass Ihr Euch für den Aufenthaltsort eines Gentleman namens Stephen Bonnet interessiert. Bin ich da richtig informiert, Sir?«
Der Name traf Jamie wie ein Schlag vor die Brust; er raubte ihm für eine Sekunde den Atem. Ohne, dass er bewusst darüber nachdachte, legte sich seine linke Hand um den Griff seines Dolches.
»Ich - ja. Ihr wisst, wo er sich aufhält?«
»Leider nein.« Angesichts seiner Reaktion zog MacDonald die Augenbrauen hoch. »Aber ich weiß, wo er sich aufgehalten hat. Ein durchtriebener Junge, unser Stephen, wie ich höre?«, erkundigte er sich mit scherzhaftem Unterton.
»Das kann man wohl sagen. Er ist ein Mörder, er hat mich beraubt - und meine Tochter vergewaltigt«, sagte Jamie unverblümt.
Der Major holte Luft, und sein Gesicht verdunkelte sich, als er begriff.
»Verstehe«, sagte er leise. Er hob kurz die Hand, als wolle er Jamies Arm berühren, doch dann ließ er sie an seine Seite sinken. Er ging noch ein paar Schritte, die Stirn konzentriert gerunzelt.
»Verstehe«, sagte er erneut, und jede Spur von Belustigung war aus seiner Stimme gewichen. »Ich wusste nicht... ja. Ich verstehe.« Er verfiel erneut in Schweigen und verlangsamte seine Schritte, als sie sich dem Paddock näherten.
»Ich nehme an, Ihr beabsichtigt, mir zu erzählen, was Ihr von dem Mann wisst?«, sagte Jamie höflich. MacDonald blickte zu ihm auf und schien zu begreifen, dass Jamie zu erfahren plante, was er wusste, ob im Gespräch oder durch direktere Methoden - und ganz gleich, was seine eigenen Absichten waren.
»Ich selbst bin dem Mann nie begegnet«, sagte MacDonald freundlich. »Alles, was ich weiß, habe ich letzten Monat bei einer Abendgesellschaft in New Bern erfahren.«
Es war ein Whistabend, dessen Gastgeber Davis Howell war, ein wohlhabender Schiffseigner und Mitglied im Königlichen Rat des Gouverneurs. Die kleine, aber feine Gesellschaft hatte mit einem exzellenten Abendessen begonnen und war dann zu Konversation und Kartenspiel übergegangen, gut geölt mit Rumpunsch und Brandy.
Als der Abend spät wurde und der Rauch der Zigarillos die Luft schwer werden ließ, wurden die Gespräche achtloser, und man nahm scherzhaft Bezug auf die jüngsten Verbesserungen der Besitzverhältnisse eines gewissen Mr. Butler und spekulierte recht unverhüllt über die Quelle seiner neuen Reichtümer. Einer der Herren legte großen Neid an den Tag und ließ die Worte vernehmen: »Ach, hätte man doch einen Stephen Bonnet in der Tasche...« Dann brachte einer seiner Freunde, dessen Diskretion sich noch nicht vollends in Rum aufgelöst hatte, ihn mit dem Ellbogen zum Schweigen.
»War Mr. Butler unter den Anwesenden dieser soiree, fragte Jamie scharf. Der Name war ihm nicht vertraut, doch wenn Butler mit Mitgliedern des Königlichen Rates bekannt war... nun, die Kreise der Macht in der Kolonie waren klein; irgendjemand würde bestimmt mit seiner Tante bekannt sein, oder mit Farquard Campbell.
»Nein.« Sie hatten das Paddock erreicht; MacDonald lehnte sich mit verschränkten Armen auf den Zaun, die Augen auf den Hengst gerichtet. »Ich glaube, er lebt in Edenton.«
Dort lebte auch Philip Wylie. Der Hengst - Lucas, so hieß er - kam auf sie zu, die weichen, schwarzen Nüstern neugierig gebläht. Jamie hielt ihm automatisch die Fäuste hin, und da sich das Pferd als gutmütig erwies, rieb er ihm den schmalen Kiefer. So schön der Friese auch war, er bemerkte es kaum, denn seine Gedanken drehten sich wie ein Kreisel.
Edenton lag am Albemarle Sound und war per Schiff leicht zu erreichen. Also war es ausgesprochen wahrscheinlich, dass Bonnet sich wieder dem Seemannshandwerk zugewandt hatte - und damit auch der Piraterie und Schmuggelei.
»Ihr habt Bonnet einen durchtriebenen Jungen genannt«, sagte er und wandte sich MacDonald zu. »Warum?«
»Könnt Ihr gut Whist spielen, Oberst Fraser?« MacDonald sah ihn fragend an. »Ich kann es nur wärmstens empfehlen. Es hat einige Vorteile mit dem Schachspiel gemeinsam, denn man muss die Gedanken seines Gegenspielers erraten, und es hat den noch größeren Vorteil, dass man es zu mehreren spielen kann.«
Die harten Linien seines Gesichtes entspannten sich vorübergehend zu einem schwachen Lächeln. »Und den noch größeren Vorteil, dass man damit seinen Lebensunterhalt verdienen kann, was beim Schach selten der Fall ist.«
»Das Spiel ist mir vertraut«, sagte Jamie extrem trocken.
Major MacDonald war ein Offizier auf halbem Sold, der weder offizielle Pflichten noch ein aktives Regiment besaß. Es war alles andere als ungewöhnlich, dass solche Männer ihr mageres Einkommen dadurch aufbesserten, dass sie Informationen sammelten, die sie dann verkauften oder eintauschten. Es war zwar nicht von einer Bezahlung die Rede - noch nicht -, doch das bedeutete nicht, dass die Schuld nicht später noch abgerufen werden konnte. Jamie zeigte durch ein Kopfnicken an, dass er die Situation verstand, und MacDonald nickte seinerseits zufrieden. Wenn es an der Zeit war, würde er seine Wünsche äußern.
»Nun, Sir. Wie Ihr Euch vorstellen könnt, brannte ich darauf zu erfahren, wer dieser Bonnet sein könnte - und welche Gans ihn gelegt hatte, wenn er tatsächlich so ein goldenes Ei war.«
Doch nun waren MacDonalds Gesprächspartner wieder auf der Hut gewesen, und er konnte nichts weiter über den mysteriösen Bonnet in Erfahrung bringen - abgesehen davon, was für eine Wirkung er auf die Menschen hatte, die ihm begegneten.
»Ihr wisst doch, dass man oft genauso viel durch das erfährt, was die Leute nicht sagen, wie durch das, was sie sagen. Oder dadurch, wie sie es sagen?« Er fuhr fort, ohne Jamies Kopfnicken abzuwarten.
»Wir waren acht Spieler. Drei haben ihren Spekulationen freien Lauf gelassen, aber ich konnte sehen, dass sie auch nicht mehr über Bonnet wussten als ich selbst. Zwei weitere schienen weder etwas zu wissen noch schien es sie zu interessieren, aber die beiden letzten -« Er schüttelte den Kopf. »Sie sind sehr still geworden, Sir. Wie Menschen, die nicht vom Teufel sprechen möchten, weil sie fürchten, dass er dann kommt.«
MacDonalds Augen leuchteten spekulativ.
»Ihr kennt Bonnet persönlich?«
»Ja. Die beiden Herren, die ihn kannten?«
»Walter Priestly und Hosea Wright«, erwiderte MacDonald prompt. »Beide gute Freunde des Gouverneurs.«
»Kaufleute?«
»Unter anderem. Beide besitzen Lagerhäuser; Wright in Edenton und Plymouth, Priestly in Charleston, Savannah, Wilmington und Edenton. Priestly hat außerdem geschäftliche Interessen in Boston«, fügte MacDonald nachträglich hinzu. »Obwohl ich nicht viel darüber weiß, welcher Natur sie sind. Oh - und Wright ist Bankier.«
Jamie nickte. Er hatte beim Gehen die Hände unter den Rockschößen gefaltet; niemand konnte sehen, wie fest er seine Finger geballt hatte.
»Von Mr. Wright habe ich, glaube ich, schon gehört«, sagte er. »Philip Wylie hat erwähnt, dass ein Herr dieses Namens eine Plantage in der Nähe seiner eigenen besitzt.«
MacDonald nickte zustimmend. Seine Nasenspitze war rot geworden, und auf seinen Wangen zeichneten sich kleine, geplatzte Blutgefäße ab, Überbleibsel jahrelanger Feldzüge.
»Aye, das dürfte Four Chimneys sein.« Er warf Jamie einen Seitenblick zu und betastete beim Nachdenken einen Backenzahn mit seiner Zunge.
»Dann habt Ihr also vor, ihn umzubringen?«
»Natürlich nicht«, erwiderte Jamie gleichmütig. »Einen Mann, der so gute Beziehungen auf höchster Ebene hat?«
MacDonald sah ihn scharf an und wandte sich dann mit einem kurzen Schnauben ab.
»Aye. Nun denn.«
Sie schritten eine Zeit lang Seite an Seite einher, ohne etwas zu sagen, ein jeder mit seinen eigenen Überlegungen beschäftigt - ein jeder in dem vollen Bewusstsein, was für Überlegungen der andere hegte.
Die Neuigkeit von den Verbindungen Bonnets hatte Vor- und Nachteile; einerseits würden sie wahrscheinlich die Suche nach dem Mann erleichtern. Andererseits würden diese Verbindungen die Lage beträchtlich verkomplizieren, wenn es daran ging, den Mann umzubringen. Das würde Jamie nicht aufhalten - und das war MacDonald eindeutig klar -, doch es musste zumindest bedacht werden.
MacDonald selbst stellte ebenfalls eine beträchtliche Komplikation dar. Bonnets Geschäftspartner würden mit großem Interesse zur Kenntnis nehmen, dass jemand sie von der Quelle ihres Profits abschneiden wollte - und sie würden mehr als nur wahrscheinlich Schritte in die Wege leiten, um das zu verhindern. Außerdem würden sie gut für die Information bezahlen, dass ihre goldene Gans bedroht war; eine Aussicht, die MacDonald natürlich zu schätzen wusste.
Doch es gab keine unmittelbare Möglichkeit, MacDonald zum Schweigen zu bringen; Jamie fehlten die Mittel, um ihm Schmiergeld zu zahlen, und das war sowieso ein unkluger Kurs, denn wer sich einmal kaufen ließ, hatte immer einen Preis.
Er sah MacDonald an, der seinen Blick erwiderte, schwach lächelte und dann den Kopf abwandte. Nein, Einschüchterung brachte hier nichts, selbst wenn er bereit gewesen wäre, einen Mann zu bedrohen, der ihm einen Dienst erwiesen hatte. Aber was dann? Er konnte MacDonald kaum eins über den Schädel brummen, um zu verhindern, dass er Wright, Priestly oder Butler gegenüber plauderte.
Nun, und wenn Bestechung oder Gewalt nicht in Frage kamen, konnte nur Erpressung dem Mann das Maul stopfen. Was wiederum ebenfalls mit Komplikationen verbunden war, insofern als er - im Moment - nichts wusste, womit er MacDonald hätte diskreditieren können. Ein Mann mit dem Lebensstil des Majors hatte mit Sicherheit seine Schwachstellen, doch sie zu finden... wie viel Zeit mochte ihm bleiben?
Dieser Gedanke brachte ihn auf eine Idee.
»Wie habt Ihr denn erfahren, dass ich an Neuigkeiten über Bonnet interessiert bin?«, fragte er abrupt und unterbrach MacDonalds Gedankengänge.
MacDonald zuckte mit den Achseln und setzte sich Hut und Perücke fester auf.
»Ich habe es aus einem halben Dutzend unterschiedlicher Quellen gehört, Sir, vom Wirtshaus bis hin zum Magistratengericht. Ich fürchte, Euer Interesse ist weithin bekannt. Nicht aber«, fügte er mit einem kalkulierenden Seitenblick hinzu, »der Grund dafür.«
Jamie grunzte heftig auf. Was für ein zweischneidiges Schwert. Dadurch, dass er sein Netz weit ausgeworfen hatte, hatte er seinen Fisch bekommen - doch er hatte zweifellos auch Wellen aufgeworfen, die den Wal womöglich verscheuchten. Wenn die ganze Küste wusste, dass er Bonnet suchte - so wusste Bonnet es auch.
Das konnte schlecht für ihn sein, vielleicht aber auch nicht. Wenn Brianna davon hörte - sie hatte ausdrücklich gewünscht, dass er Bonnet seinem Schicksal überließ. Das war natürlich Unsinn, doch er hatte nicht mit ihr darüber diskutiert, sondern ihr nur zugehört und dabei den Anschein erweckt, darüber nachzudenken. Sie brauchte schließlich nichts davon zu wissen, solange der Mann nicht unschädlich gemacht war. Doch wenn ihr verfrüht ein unachtsames Wort zu Ohren kam... Er hatte gerade begonnen, die Möglichkeiten abzuwägen, als MacDonald erneut das Wort ergriff.
»Eure Tochter... das ist wohl Mrs. MacKenzie, nicht wahr?«
»Spielt das eine Rolle?« Seine Worte waren kalt, und MacDonald presste kurz die Lippen zusammen.
»Nein. Natürlich nicht. Es ist nur - ich habe mich ein wenig mit Mrs. MacKenzie unterhalten und fand sie sehr... charmant. Der Gedanke, dass...« Er brach ab und räusperte sich. »Ich habe selbst eine Tochter«, sagte er abrupt. Er blieb stehen und drehte Jamie das Gesicht zu.
»Aye?« Jamie war nichts davon bekannt, dass der Major verheiratet war. Wahrscheinlich stimmte es ja auch gar nicht. »In Schottland?«
»In England. Ihre Mutter ist Engländerin.« Die Kälte hatte die verwitterte Haut des Soldaten mit farbigen Streifen überzogen, die sich jetzt noch dunkler färbten. Doch MacDonalds blassblaue Augen hielten Jamies unverwandt fixiert. Sie hatten dieselbe Farbe wie der Himmel hinter ihm.
Jamie spürte, wie sich die Spannung in seiner Wirbelsäule löste. Er zog achselzuckend die Schultern hoch und ließ sie wieder sinken. MacDonald nickte kaum merklich. Ohne es abzusprechen, machten beide Männer kehrt und hielten wieder auf das Haus zu, wobei sie sich beiläufig über die Indigopreise, die jüngsten Neuigkeiten aus Massachusetts und das für die Jahreszeit überraschend milde Wetter unterhielten.
»Ich habe mich vorhin mit eurer Frau unterhalten«, merkte MacDonald an. »Eine charmante Dame, und äußerst liebenswürdig - Ihr seid ein glücklicher Mann, Sir.«
»Dem kann ich nicht widersprechen«, erwiderte Jamie und warf MacDonald einen raschen Blick zu.
Der Soldat hüstelte geziert. »Mrs. Fraser war so freundlich anzudeuten, dass Ihr es möglicherweise in Betracht ziehen würdet, mich mit einem Empfehlungsschreiben an seine Exzellenz, den Gouverneur auszustatten. Sie meinte, ein Mann von meiner Erfahrung könnte angesichts der drohenden Konflikte der jüngsten Zeit möglicherweise in der Lage sein, etwas beizusteuern, was... Ihr versteht?«
Jamie verstand bestens. Und er bezweifelte zwar, dass Claire etwas Derartiges angedeutet hatte, doch er war erleichtert, so billig davonzukommen.
»Wird sofort erledigt«, versicherte er MacDonald. »Sucht mich heute Nachmittag nach der Trauung auf, und ich werde das Schreiben für Euch bereithalten.«
MacDonald neigte den Kopf und machte ein zufriedenes Gesicht.
Als sie den Pfad erreichten, der zu den Aborten führte, verabschiedete sich MacDonald mit einem Kopfnicken und einem Wink seiner Hand. Dabei kam er an Duncan Innes vorbei, der aus jener Richtung kam und verkrampft und eingefallen aussah, ganz wie ein Mann, dessen Eingeweide sich hemmungslos verknotet hatten.
»Geht es dir nicht gut, Duncan?«, fragte Jamie und betrachtete seinen Freund besorgt. Der Tag war nicht heiß, doch auf Innes’ Stirn glänzte ein dünner Schweißfilm, und seine Wangen waren bleich. Wenn es eine Krankheit war, so hoffte Jamie, dass sie nicht ansteckend war.
»Nein«, sagte Innes als Antwort auf seine Frage. »Nein, ich bin... Mac Dubh, ich muss mit dir reden.«
»Natürlich, a charaid.« Alarmiert über das Aussehen des Mannes, ergriff er Duncans Arm, um ihn zu stützen. »Soll ich meine Frau holen? Brauchst du einen kleinen Schluck?« Seinem Geruch nach wäre es nicht sein erster Schluck gewesen, doch das war für einen Bräutigam nicht ungewöhnlich. Er schien nicht betrunken zu sein, doch irgendetwas plagte ihn eindeutig. Vielleicht eine schlechte Muschel gestern beim Abendessen...
Innes schüttelte den Kopf. Er schluckte und verzog das Gesicht, als sei ihm etwas im Hals stecken geblieben. Dann atmete er durch die Nase ein und richtete sich auf, als müsse er sich für irgendetwas stählen.
»Nein, Mac Dubh, du bist es, den ich brauche. Einen kleinen Rat, wenn du so freundlich wärst...«
»Aye, Duncan, natürlich.« Jetzt war er eher neugierig als alarmiert, und er ließ Duncans Arm los. »Was ist denn los, Mann?«
»Wegen - wegen der Hochzeitsnacht«, platzte Duncan heraus. »Ich - das heißt, ich habe -« Er brach abrupt ab, als er sah, dass vor ihnen jemand in den Pfad einbog und auf den Abort zuhielt.
»Hier entlang.« Jamie wandte sich dem Gemüsegarten zu, der von schützenden Ziegelmauern umgeben war. Hochzeitsnacht?, dachte er beruhigt und neugierig zugleich. Er wusste, dass Duncan noch nie verheiratet gewesen war, und während ihrer gemeinsamen Zeit in Ardsmuir hatte er nie anzüglich von Frauen gesprochen, wie es manche Männer taten. Er hatte es damals nur für angeborene Bescheidenheit gehalten, doch vielleicht... aber nein, Duncan war weit über fünfzig; er musste doch dann und wann die Gelegenheit gehabt haben. Blieben Männer oder der Tripper, dachte er, und er hätte geschworen, dass Duncan nichts für Männer übrig hatte. Etwas peinlich natürlich, doch er vertraute fest darauf, dass Claire damit fertig werden würde, sie und ihre Schimmelpilze. Allerdings hoffte er, dass es nur ein Ausfluss war und nicht die Franzosenkrankheit; das war eine scheußliche Seuche.
»Hier, a charaid«, sagte er und zog Duncan hinter sich her in den duftenden Schutz der Zwiebelbeete. »Hier sind wir ganz ungestört. Also, was hast du für Kummer?«
Das Flammende Kreuz
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