39
Im Garten der Lüste
»Meinst du, sie schlafen in einem Bett?«
Jamie erhob seine Stimme nicht, doch er bemühte
sich auch nicht, sie zu senken. Zum Glück standen wir am anderen
Ende der Terrasse, außer Hörweite des Brautpaars. Doch eine ganze
Reihe von Köpfen wandte sich in unsere Richtung.
Ninian Bell Hamilton starrte uns offen an. Ich
lächelte dem älteren Schotten strahlend zu, grüßte ihn mit einer
kleinen Geste meines geschlossenen Fächers und stieß Jamie
energisch in die Rippen.
»Was für ein überaus anständiger Gedanke eines
Neffen über seine Tante«, sagte ich mit gedämpfter Stimme.
Jamie trat außer Reichweite meines Ellbogens und
musterte mich mit hoch gezogener Augenbraue.
»Was hat das denn mit Anstand zu tun? Sie heiraten
doch. Und sind beide mehr als mündig«, fügte er hinzu, während er
Ninian angrinste, der vor unterdrücktem Humor leuchtend rot wurde.
Ich hatte keine Ahnung, wie alt Duncan Innes war, schätzte ihn aber
auf Mitte fünfzig. Jamies Tante Jocasta musste mindestens ein
Jahrzehnt älter sein.
Über die Köpfe der Menge hinweg konnte ich knapp
sehen, wie Jocasta am anderen Ende huldvoll ihre Nachbarn und
Freunde begrüßte. Sie war eine hoch gewachsene Frau und trug heute
ein Kleid aus rostbraunem Wollstoff. Sie war von Steinvasen
flankiert, die getrocknete Goldrutenbüschel enthielten; ihr
schwarzer Butler Ulysses stand würdevoll in Perücke und grüner
Livree daneben. Mit der eleganten, weißen Spitzenhaube, die ihre
kühnen MacKenziezüge krönte, war sie unleugbar die Königin der
Plantage von River Run. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und
hielt nach ihrem Partner Ausschau.
Duncan war zwar etwas kleiner als Jocasta, aber er
hätte dennoch zu sehen sein müssen. Etwas früher am Morgen hatte
ich ihn auch schon gesehen, in die feinste, scharlachrote
Highlandtracht gekleidet, in der er prachtvoll, wenn auch furchtbar
befangen aussah. Ich reckte den Hals und legte Jamie die Hand auf
den Arm, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Er ergriff meinen
Ellbogen, um mich zu stützen.
»Wonach suchst du, Sassenach?«
»Duncan. Sollte er nicht bei deiner Tante
sein?«
Niemand hätte Jocasta angesehen, dass sie blind war
- dass sie zwischen
den großen Vasen stand, um sich zu orientieren, oder dass Ulysses
bei ihr war, um ihr die Namen der heran nahenden Gäste ins Ohr zu
flüstern. Ich sah, wie sich ihre linke Hand von ihrer Seite weg
nach außen vortastete, nur Luft berührte und sich wieder senkte.
Doch ihr Gesicht blieb unverändert; sie lächelte und nickte,
während sie etwas zu Richter Henderson sagte.
»Vor der Hochzeitsnacht davon gelaufen?«, mutmaßte
Ninian und hob Kinn und Augenbrauen, um über die Menge hinwegspähen
zu können, ohne sich auf die Zehen zu stellen. »Diese Aussicht
würde mich wahrscheinlich auch ein bisschen nervös machen. Eure
Tante ist eine stattliche Frau, Fraser, aber wenn sie es darauf
anlegt, bekommt sogar der König von Japan weiche Knie.«
Jamies Mund zuckte.
»Vielleicht ist Duncan irgendwie verhindert«, sagte
er. »Ganz gleich, warum, er ist heute Morgen schon dreimal auf dem
Abort gewesen.«
Jetzt zog auch ich die Augenbrauen hoch. Duncan
litt unter chronischer Verstopfung; Jamies rüden Bemerkungen über
die Natur eines passenden Hochzeitsgeschenkes zum Trotz hatte ich
sogar ein Paket mit Sennesblättern und Salomonssiegelwurzeln für
ihn dabei. Duncan musste nervöser sein, als ich gedacht
hatte.
»Nun, für meine Tante wird es keine große
Überraschung werden; sie war ja schließlich schon dreimal
verheiratet«, sagte Jamie, nachdem Hamilton ihm etwas zugemurmelt
hatte. »Aber für Duncan wird es die erste Ehe. Das ist für jeden
Mann ein Schock. Ich kann mich noch gut an meine eigene
Hochzeitsnacht erinnern, aye?« Er grinste mich an, und ich spürte,
wie mir die Hitze in die Wangen stieg. Auch ich konnte mich daran
erinnern - lebhaft.
»Ziemlich warm hier draußen, findest du nicht?« Ich
schlug meinen Fächer zu einem Halbkreis aus elfenbeinfarbener
Spitze auf und hielt ihn mir wedelnd vor die Wangen.
»Wirklich?«, sagte er und grinste mich weiter an.
»Das war mir gar nicht aufgefallen.«
»Duncan aber«, meldete sich Ninian zu Wort. Er
spitzte seine krausen Lippen, um sein Gelächter zu unterdrücken.
»Als ich ihn zuletzt gesehen habe, hat er geschwitzt wie ein
Pudding im Wasserbad.«
In der Tat war es im Freien sogar geradezu kühl,
trotz der gusseisernen Wannen voll glühender Kohlen, die an den
Ecken der Steinterrasse standen und süßen Apfelholzduft
verbreiteten. Der Frühling war da, und der Rasen war frisch und
grün, genau wie die Bäume am Ufer, doch in der Morgenluft lag immer
noch ein Hauch von beißender Winterkälte. In den Bergen war auch
noch Winter, und unser Weg nach River Run hatte uns bis weit in den
Süden nach Greensboro noch durch Schnee geführt, auch wenn die
Krokusse und Osterglocken schon tapfer ihre Köpfe an die Luft
steckten.
Doch heute war ein klarer, heller Märztag, und
Haus, Terrasse, Rasen und Garten waren mit Hochzeitsgästen
bevölkert, die in ihrem Sonntagsstaat
leuchteten wie ein verfrühter Schmetterlingsschwarm. Jocastas
Hochzeit würde eindeutig das gesellschaftliche Ereignis des Jahres
am Cape Fear werden; es mussten fast zweihundert Leute hier sein,
die zum Teil sogar aus Halifax oder Edenton gekommen waren.
Ninian sagte leise etwas auf Gälisch zu Jamie und
warf mir einen Seitenblick zu. Jamie antwortete ihm mit einer
elegant formulierten Bemerkung ausgesprochen rüden Inhalts und sah
mich unverbindlich an, während der ältere Mann sich vor Lachen fast
verschluckte.
Eigentlich verstand ich inzwischen ganz gut
Gälisch, doch es gab Situationen, in denen Diskretion eine Tugend
war. Ich schlug meinen Fächer zu seiner vollen Breite auf, um meine
Miene zu verbergen. Der elegante Umgang mit einem Fächer bedurfte
zwar einiger Übung, doch für einen Menschen, der wie ich mit einem
gläsernen Gesicht geschlagen war, war er in Gesellschaft ein
ausgesprochen nützlicher Gegenstand.
Ich wandte mich von der Unterhaltung ab, die alle
Anzeichen zeigte, noch weiter zu degenerieren, und suchte die Menge
nach Spuren des verschwundenen Bräutigams ab. Vielleicht war Duncan
ja wirklich krank und hatte mehr als nur Nervenflattern. Wenn ja,
dann kümmerte ich mich wohl besser um ihn.
»Phaedre! Hast du Mr. Innes heute Morgen schon
gesehen?« Jocastas Leibdienerin kam an mir vorbei gehuscht, den Arm
voller Tischdecken, doch auf meinen Ruf hin blieb sie abrupt
stehen.
»Hab’ Master Duncan seit dem Frühstück nicht mehr
gesehen, Ma’am«, sagte sie und schüttelte den Kopf, der mit einem
ordentlichen Spitzenhäubchen geschmückt war.
»Was für einen Eindruck hat er da gemacht? Hat er
gut gegessen?« Das Frühstück war eine Angelegenheit von mehreren
Stunden, bei der sich die Gäste des Hauses nach Belieben von der
Anrichte bedienten. Wahrscheinlich waren Duncan eher die Nerven auf
den Magen geschlagen als eine Lebensmittelvergiftung, doch ein Teil
des Wurstaufschnitts auf der Anrichte war mir sehr verdächtig
vorgekommen.
»Nein, Ma’am, kaum einen Bissen.« Phaedre legte die
glatte Stirn in Falten; sie hatte Duncan gern. »Die Köchin hat
versucht, ihn mit einem schönen, gekochten Ei zu locken, aber er
hat nur den Kopf geschüttelt und ein kränkliches Gesicht gemacht.
Aber einen Becher Rumpunsch hat er getrunken«, sagte sie, und
dieser Gedanke schien sie ein wenig zu trösten.
»Aye, dann ist es ja gut«, merkte Ninian an, als er
das hörte. »Macht Euch keine Sorge, Mrs. Claire, Duncan schafft das
schon.«
Phaedre machte einen Knicks und eilte auf die
Tische zu, die gerade unter den Bäumen aufgestellt wurden. Ihre
gestärkte Schürze flatterte im Wind. Das köstliche Aroma gegrillten
Schweinefleisches wehte durch die kühle Frühlingsluft, und duftende
Wolken aus Hickoryrauch stiegen von den Feuern in der Nähe der
Schmiede auf, wo Wildkeulen, halbe Hammel und Geflügel
sich zu Dutzenden an Spießen drehten. Mein Magen knurrte trotz der
festen Schnüre meines Mieders laut vor Vorfreude.
Dies schien weder Jamie noch Ninian aufzufallen,
doch ich trat diskret einen Schritt zur Seite und wandte mich ab,
um mit meinen Blicken die Rasenfläche abzusuchen, die sich von der
Terrasse bis zur Anlegestelle am Fluss erstreckte. Ich war nicht so
überzeugt von den Tugenden des Rums, vor allem, wenn er auf
nüchternen Magen getrunken wurde. Duncan wäre zugegebenermaßen
nicht der erste Bräutigam gewesen, der in einem Zustand
fortgeschrittener Intoxikation vor den Altar schritt, aber
dennoch...
Brianna stand neben einer der Marmorstatuen, die
den Rasen schmückten. Sie trug ein Wollkleid im leuchtenden Blau
des Frühlingshimmels, hatte Jemmy auf ihre Hüfte gesetzt und war in
ein Gespräch mit Gerald Forbes vertieft. Auch sie hatte einen
Fächer, doch Jemmy hatte ihn in die Finger bekommen und kaute auf
seinem Elfenbeingriff herum, und sein kleines, rosa Gesicht trug
einen Ausdruck tiefster Konzentration.
Aber für Brianna war eine gute Fächertechnik ja
auch nicht so notwendig wie für mich, da sie Jamies Fähigkeit
geerbt hatte, all ihre Gedanken hinter einer Maske freundlicher
Unverbindlichkeit zu verbergen. Diese Maske hatte sie jetzt
aufgesetzt, was mir einen guten Eindruck von der Meinung
vermittelte, die sie über Mr. Forbes hegte. Wo war Roger?, fragte
ich mich. Vorhin war er doch noch bei ihr gewesen.
Ich wandte mich Jamie zu, um ihn zu fragen, was er
von dieser Epidemie verschwundener Ehemänner hielt, musste jedoch
feststellen, dass sie ihn ebenfalls erwischt hatte. Ninian Hamilton
hatte sich umgedreht und unterhielt sich mit jemand anderem, und
der Platz an meiner Seite wurde jetzt von zwei Sklaven eingenommen,
die unter dem Gewicht einer gigantischen Korbflasche mit Branntwein
schwankten und auf die Tische mit den Erfrischungen zuhielten. Ich
ging ihnen hastig aus dem Weg und wandte mich ab, um nach Jamie
Ausschau zu halten.
Er war in der Menge verschwunden wie ein Moorhuhn
im Heidekraut. Ich drehte mich langsam und ließ dabei den Blick
über die Terrasse und die Rasenflächen schweifen, aber es war keine
Spur von ihm in der wogenden Menge zu sehen. Ich kniff die Augen
zusammen, weil mich die Sonne blendete, und überschattete meine
Augen mit meiner Hand.
Es war ja schließlich nicht so, als ob er
unauffällig gewesen wäre; als Highlander mit dem Blut der
Wikingerriesen in den Adern überragte er die meisten Männer um mehr
als einen Kopf, und die Sonne fing sich in seinem Haar wie auf
polierter Bronze. Und zur Krönung des Ganzen war er zur Feier von
Jocastas Hochzeit in seinen besten Staat gekleidet - ein gegürtetes
Plaid aus purpurrotem und schwarzem Tartanstoff, dazu sein guter,
grauer Rock nebst Weste und das schrillste Paar rotschwarzer
Argylestrümpfe, das je die Schienbeine eines Schotten geziert
hatte. Er hätte auffallen müssen wie ein Blutfleck auf frischem
Leinen.
Zwar fand ich ihn nicht, aber ein bekanntes Gesicht
entdeckte ich dennoch. Ich verließ die Terrasse und schlängelte
mich zwischen den Trauben der Gäste hindurch.
»Mr. MacLennan!« Auf meinen Zuruf hin drehte er
sich um und machte ein überraschtes Gesicht, doch dann breitete
sich ein herzliches Lächeln über seine groben Züge.
»Mrs. Fraser!«
»Wie schön, Euch zu sehen«, sagte ich und reichte
ihm die Hand. »Wie geht es Euch?« Er sah viel besser aus als bei
unserem letzten Zusammentreffen. Er war sauber, und in seinem
dunklen Anzug und seinem schlichten, gestreiften Hut bot er ein
anständiges Bild. Doch seine Wangen waren hohl, und hinter seinen
Augen lauerte ein Schatten, der auch nicht verschwand, als er mich
anlächelte.
»Oh... ganz gut, Ma’am. Wirklich gut.«
»Seid Ihr... wo lebt Ihr denn jetzt?« Diese Frage
schien mir höflicher zu sein als: »Warum seid Ihr nicht im
Gefängnis?« Da er kein Dummkopf war, beantwortete er beide
Fragen.
»Ach, nun ja, Euer Gatte war so freundlich, an Mr.
Ninian dort drüben zu schreiben -« Er wies mit dem Kopf auf die
hagere Gestalt von Ninian Bell Hamilton, der auf dem Rasen in eine
erhitzte Diskussion verwickelt war. »Er hat ihn von meinem Kummer
unterrichtet. Mr. Ninian ist ein großer Freund der Regulatoren -
und außerdem ein guter Freund von Richter Henderson.« Er schüttelte
den Kopf, die Lippen verwundert gespitzt.
»Ich kann nicht genau sagen, wie es dazu gekommen
ist, aber Mr. Ninian hat mich aus dem Gefängnis geholt und mich in
sein Haus aufgenommen. Dort bin ich also nun zurzeit. Es war gütig
- sehr gütig.« Er meinte seine Worte offensichtlich aufrichtig, und
doch sprach er sie mit einer gewissen Geistesabwesenheit. Dann
verstummte er. Er sah mich immer noch an, doch seine Augen waren
ausdruckslos. Ich versuchte, mir etwas zu überlegen, was ich sagen
könnte, um ihn vielleicht in die Gegenwart zurückzuholen, doch ein
Ausruf Ninians riss ihn aus seiner Trance und ersparte mir die
Mühe. Abel entschuldigte sich höflich bei mir und ging zu ihm, um
ihn bei der Diskussion zu unterstützen.
Ich schlenderte über den Rasen und nickte über den
Fächer hinweg diversen Bekannten zu. Es freute mich, Abel
wiederzusehen und zu wissen, dass er zumindest körperlich
unversehrt war - doch ich konnte nicht leugnen, dass mir bei seinem
Anblick kalt ums Herz wurde. Ich hatte das Gefühl, dass es Abel
MacLennan kaum interessierte, wo sich sein Körper aufhielt; sein
Herz lag mit seiner Frau im Grab.
Warum hatte Ninian ihn heute mitgebracht? fragte
ich mich. Eine solche Hochzeit konnte ihn doch nur an seine eigene
Ehe erinnern; das hatten Hochzeiten nun einmal so an sich.
Die Sonne stand jetzt so hoch, dass sie die Luft
erwärmte, doch ich erschauerte.
Zu sehr erinnerte mich der Anblick von MacLennans Schmerz an die
Tage nach Culloden, als ich in der Gewissheit, dass Jamie tot war,
in meine eigene Zeit zurückgekehrt war. Ich kannte diese
Leblosigkeit des Herzens nur zu gut; das Gefühl, am Tage
schlafzuwandeln und des Nachts mit offenen Augen dazuliegen, keine
Ruhe zu finden, das einzige Gefühl eine Leere, die kein Frieden
war.
Jocastas Stimme schwebte von der Terrasse herab und
rief nach Ulysses. Sie hatte drei Ehemänner verloren und war jetzt
entschlossen, sich einen vierten zu nehmen. Sie mochte ja blind
sein, doch in ihren Augen war nichts Totes. Ob das wohl bedeutete,
dass sie nie tiefe Gefühle für einen ihrer Männer gehegt hatte?,
fragte ich mich. Oder nur, dass sie eine Frau von großer Kraft war,
die den Schmerz besiegen konnte, und das nicht nur einmal, sondern
mehrfach?
Ich selbst hatte es einmal getan - um Briannas
willen. Doch Jocasta hatte keine Kinder; zumindest jetzt nicht
mehr. Hatte sie einst Kinder gehabt und den Schmerz eines
gespaltenen Herzens unterdrückt, um für ein Kind zu leben?
Ich schüttelte mich und versuchte, diese
melancholischen Gedanken zu vertreiben. Dies war schließlich ein
festlicher Anlass, und der Tag war wie geschaffen dafür. Der
Hartriegel stand in voller Blüte, und balzende Drosseln und
Kardinalvögel schossen wie Konfetti in den grünenden Bäumen umher,
verrückt vor Lust.
»Aber natürlich haben sie das«, sagte eine Frau mit
herrischer Stimme. »Mein Gott, sie wohnen jetzt doch schon seit
Monaten im selben Haus!«
»Aye, das stimmt«, pflichtete eine ihrer
Begleiterinnen ihr zweifelnd bei. »Aber wenn man sie so ansieht,
möchte man es nicht glauben. Sie sehen einander ja kaum an! Äh...
ich meine, natürlich kann sie ihn nicht ansehen, blind, wie sie
ist, aber man möchte doch meinen...«
Es ging nicht nur den Vögeln so, dachte ich
belustigt. Ein Gefühl aufsteigender Säfte durchtränkte die ganze
Hochzeitsgesellschaft. Als ich zur Terrasse hinaufblickte, konnte
ich junge Frauen zwitschernd und tratschend wie die Hennen in
kleinen Gruppen zusammengedrängt sehen, während die Männer
ach-so-beiläufig vor ihnen auf und ab schritten, bunt wie die
Pfauen in ihren Festtagskleidern. Es würde mich nicht im Mindesten
überraschen, wenn dieses Fest in einigen Verlobungen resultierte -
und auch in der einen oder anderen Schwangerschaft. Sex lag in der
Luft; unter den betörenden Düften von Frühlingsblumen und kochendem
Essen konnte ich es riechen.
Das Gefühl der Melancholie war von mir gewichen,
wenn es mich auch immer noch drängte, Jamie zu finden.
Ich war auf der einen Seite des Rasens hinunter und
auf der anderen wieder heraufgegangen, sah aber zwischen dem großen
Plantagenhaus und dem Dock - wo livrierte Sklaven immer noch späte
Ankömmlinge begrüßten, die auf dem Wasser angereist waren -
nirgends eine Spur von ihm. Unter denen,
die noch erwartet wurden - und in der Tat sehr spät dran waren -,
befand sich auch der Priester, der die Eheschließung vollziehen
sollte.
Vater LeClerc war ein Jesuit, der aus New Orleans
zu einer Missionsstation in der Nähe von Quebec unterwegs war, sich
jedoch von Jocasta durch eine beträchtliche Spende an die
Gesellschaft Jesu vom strikten Pfad der Pflichterfüllung hatte
abbringen lassen. Möglich, dass man mit Geld kein Glück kaufen
konnte, sinnierte ich, aber es war trotzdem eine nützliche
Annehmlichkeit.
Ich blickte in die andere Richtung und erstarrte.
Nicht weit von mir entfernt fing Ronnie Campbell meinen Blick auf
und verneigte sich; ich grüßte mit erhobenem Fächer zurück, war
aber zu sehr abgelenkt, um mich mit ihm zu unterhalten. Zwar hatte
ich Jamie nicht gefunden, aber ich hatte gerade wahrscheinlich den
Grund für sein plötzliches Verschwinden erspäht. Ronnies Vater,
Farquard Campbell, kam von der Anlegestelle über den Rasen
geschritten, begleitet von einem Herrn in der rot-braunen Uniform
der Armee Seiner Majestät und einem weiteren in einer Marineuniform
- Leutnant Wolff.
Dieser Anblick versetzte mir einen unangenehmen
Schrecken. Leutnant Wolff gehörte nicht zu den Menschen, deren
Anblick mich erfreute. Auch sonst war er bei niemandem, der ihn
kannte, beliebt.
Ich ging davon aus, dass es wohl nur vernünftig
gewesen war, ihn einzuladen, da die Königliche Marine der
Hauptabnehmer für das auf River Run produzierte Holz, den Teer und
das Terpentin war, und Leutnant Wolff vertrat die Marine in diesen
Dingen. Und es war gut möglich, dass Jocasta ihn außerdem auch aus
persönlichen Gründen eingeladen hatte - der Leutnant hatte vor
einiger Zeit um ihre Hand angehalten. Nicht, wie sie trocken
angemerkt hatte, aus Verlangen nach ihrer Person, sondern, um River
Run in seine Finger zu bekommen.
Ja, ich konnte mir vorstellen, dass sie ihren Spaß
an der Anwesenheit des Leutnants bei ihrer Hochzeit hatte - auch
wenn Duncan, der von Natur aus weder hinterlistig noch rachsüchtig
war, dies anders sehen mochte.
Farquard Campbell hatte mich entdeckt und schob
sich jetzt durch die Menge, wobei er die Armee im Rücken hatte. Ich
erhob meinen Fächer und traf in meinem Gesicht die notwendigen
Vorbereitungen für eine höfliche Konversation, doch der Leutnant
erspähte - zu meiner großen Erleichterung - einen Bediensteten, der
ein Tablett mit Gläsern über die Terrasse trug, und ließ seine
Eskorte rücksichtslos im Stich, um zu dessen Verfolgung anzusetzen
und eine Erfrischung zu ergattern.
Der andere Herr vom Militär sah ihm nach, folgte
Farquard jedoch pflichtbewusst. Seit dem Abzug des letzten
Highlandregimentes im Herbst war der Anblick eines roten Rockes in
der Kolonie etwas Ungewöhnliches. Wer mochte das sein?
Nachdem ich, wie ich hoffte, ein freundliches
Lächeln aufgesetzt hatte,
sank ich zu einem formalen Hofknicks nieder und breitete meine
bestickten Röcke so vorteilhaft wie möglich aus.
»Mr. Campbell.« Ich warf einen unauffälligen Blick
hinter ihn, doch Leutnant Wolff war uns auf der Suche nach etwas
Alkoholischem abhanden gekommen.
»Mrs. Fraser. Stets zu Diensten, Ma’am«, antwortete
Farquard mit einer eleganten Verbeugung. Mr. Campbell war ein
älterer Mann von vertrocknetem Aussehen, der wie üblich in
nüchternes, schwarzes Tuch gekleidet war. Ein kleiner Rüschenkragen
war sein einziges Zugeständnis an den festlichen Anlass.
Er spähte über meine Schulter hinweg und runzelte
ein wenig verwirrt die Stirn. »Ich habe doch - ich meine,
ich hätte Euren Gatten an Eurer Seite gesehen?«
»Oh. Nun, ich glaube, er ist... äh... fort.« Ich
wedelte geziert mit dem Fächer in Richtung der Bäume, wo der Abort
lauerte, durch einen ästhetischen Abstand und eine Reihe kleiner
Weißkiefern vom Herrenhaus getrennt.
»Ah, ich verstehe. Nun gut.« Campbell räusperte
sich und wies auf den Mann in seiner Begleitung. »Mrs. Fraser, darf
ich Euch Major Donald MacDonald vorstellen?«
MacDonald war ein hakennasiger, aber gut
aussehender Gentleman Ende dreißig. Er hatte das verwitterte
Gesicht und die aufrechte Haltung eines Berufssoldaten und ein
angenehmes Lächeln, das von einem scharfen, blauen Augenpaar in der
hellen, kräftigen Farbe von Briannas Kleid Lügen gestraft
wurde.
»Stets zu Diensten, Ma’am.« Er verneigte sich sehr
elegant. »Darf ich anmerken, Ma’am, wie wunderbar Euch diese Farbe
steht?«
»Der Major ist erst vor kurzem in Cross Creek
eingetroffen«, erklärte Farquard. »Ich habe ihm versichert, dass er
keine bessere Gelegenheit finden wird, Bekanntschaft mit seinen
Landsleuten zu schließen und sich mit seiner Umgebung vertraut zu
machen.« Er wies mit einer ausladenden Geste über die Terrasse und
die Anwesenden - die in der Tat ein Who’s Who der schottischen
Gesellschaft am Cape Fear repräsentierten.
»In der Tat«, sagte der Major höflich. »So viele
schottische Namen habe ich das letzte Mal in Edinburgh gehört. Mr.
Campbell hat mir zu verstehen gegeben, dass Euer Gatte der Neffe
von Mrs. Cameron ist - oder vielleicht sollte ich Mrs. Innes
sagen?«
»Ja. Habt Ihr Mrs.... äh... Innes schon kennen
gelernt?« Ich blickte zum anderen Ende der Terrasse. Immer noch
keine Spur von Duncan, von Roger oder Jamie ganz zu schweigen.
Verflixt, wo waren sie nur alle? Bei einer Gipfelkonferenz auf dem
Lokus?
»Nein, aber ich freue mich darauf, ihr meine
Aufwartung zu machen. Der verstorbene Mr. Campbell war ein
Bekannter meines Vaters, Robert MacDonald of Stornoway.« Er neigte
seinen mit einer Perücke bedeckten Kopf
respektvoll in Richtung des kleinen, weißen Marmorgebäudes am
Rande der Rasenfläche - das Mausoleum, das derzeit die
fleischlichen Überreste Hector Camerons beherbergte. »Hat Euer
Gatte zufällig Verbindungen zu den Frasers of Lovat?«
Ich stöhnte innerlich auf, denn mir war klar, dass
er vorhatte, ein schottisches Spinnennetz zu knüpfen. Jede
Begegnung zweier beliebiger Schotten begann unabänderlich mit dem
Auswerfen fragender Schlingen, bis genügend Stränge von Beziehungen
und Bekannten haften geblieben waren, um ein brauchbares Netzwerk
zu bilden. Ich persönlich neigte dazu, mich in den klebrigen Fäden
der Sippen und Clans zu verwickeln, bis ich am Ende wie eine fette,
saftige Fliege in der Falle saß und der Gnade des Fragestellers
hilflos ausgeliefert war.
Jamie dagegen hatte mit Hilfe solcher Kenntnisse
jahrelang die Intrigen der französischen und schottischen Politik
überlebt - mit riskanten Manövern hatte er sich an den geheimen
Fäden solcher Netze entlangbewegt und sich dabei von den klebrigen
Fallen von Loyalität und Verrat fern gehalten, die so viele andere
ins Verderben gestürzt hatten. Ich richtete mich darauf ein, ihm
gut zuzuhören, und gab mir größte Mühe, diesen MacDonald unter den
Tausenden seiner Namensvettern richtig einzuordnen.
MacDonald of Keppoch, MacDonald of the Isles,
MacDonald of Clanranald, MacDonald of Sleat. Wie viele Sorten von
MacDonalds gab es denn nur?, fragte ich mich etwas unwirsch. Eine
oder zwei mussten für den Hausgebrauch doch reichen.
MacDonald of the Isles, wie es aussah; die Familie
des Majors stammte von der Insel Harris. Während des Verhörs hielt
ich mit einem Auge nach Jamie Ausschau, doch er war spurlos
untergetaucht.
Farquard Campbell - der das Spiel auch nicht
schlecht beherrschte - schien den verbalen Schlagabtausch zu
genießen, und seine dunklen Augen huschten mit belustigtem Ausdruck
zwischen dem Major und mir hin und her. Seine Belustigung wechselte
jedoch in einen Ausdruck der Überraschung über, als ich nach dem
gekonnten Vortrag des Majors meine ausgesprochen verworrene Analyse
der väterlichen Abstammung Jamies beendete.
»Der Großvater Eures Mannes war Simon, Lord
Lovat?«, sagte Campbell. »Der Alte Fuchs?« Er erhob ungläubig die
Stimme.
»Nun... ja«, sagte ich ein wenig beklommen. »Ich
dachte, Ihr wüsstet das.«
»Ist das so«, sagte Farquard. Er sah aus, als hätte
er eine Branntweinpflaume heruntergeschluckt und zu spät bemerkt,
dass sie noch einen Stein hatte. Natürlich hatte er gewusst, dass
Jamie ein begnadigter Jakobit war, doch ganz offensichtlich hatte
Jocasta seine enge Verbindung mit dem Alten Fuchs nicht erwähnt -
der für seine Rolle beim Stuartaufstand als Verräter hingerichtet
worden war. Die Campbells hatten in diesem Schlamassel weitenteils
auf Regierungsseite gekämpft.
»Ja«, sagte MacDonald, ohne Campbells Reaktion zu
beachten. Er runzelte konzentriert die Stirn. »Ich habe die Ehre,
mit dem derzeitigen Lord Lovat flüchtig bekannt zu sein - der Titel
ist wieder eingesetzt worden, wenn ich mich recht entsinne?«
Er wandte sich erklärend an Campbell und fuhr fort.
»Das ist der Junge Simon, der ein Regiment aufgestellt hat, um
gegen die Franzosen zu kämpfen... wann, achtundfünfzig? Nein,
siebenundfünfzig. Ja, siebenundfünfzig. Ein tapferer Soldat und ein
exzellenter Kämpfer. Und er ist also... der Neffe Eures Gatten?
Nein, der Onkel.«
»Halbonkel«, stellte ich klar. Der Alte Simon war
dreimal verheiratet gewesen und hatte aus der Existenz seiner
außerehelichen Sprösslinge kein Geheimnis gemacht - und zu diesen
hatte auch Jamies Vater gehört. Doch darauf brauchte ich jetzt
nicht einzugehen.
MacDonald nickte, und sein hageres Gesicht klärte
sich angesichts der Tatsache, dass er es alles erfolgreich
ausgeknobelt hatte, zufrieden auf. Farquards Miene entspannte sich
etwas, als er hörte, dass der Ruf der Familie Fraser so weit
wiederhergestellt war.
»Papist natürlich«, fügte MacDonald hinzu, »aber
dennoch ein exzellenter Soldat.«
»Wo wir gerade von Soldaten sprechen«, unterbrach
Campbell, »wisst Ihr wohl...«
Vor Erleichterung seufzte ich so heftig auf, dass
meine Korsettschnüre ächzten, als Mr. Campbell den Major jetzt zu
einer Analyse eines lange vergangenen Militärereignisses
verleitete. Der Major, so schien es, stand nicht im aktiven Dienst,
sondern war wie so viele andere bei halbem Sold in Pension
gegangen. Solange die Krone keinen weiteren Bedarf an seinen
Diensten hatte, blieb es ihm daher überlassen, sich auf
Beschäftigungssuche in den Kolonien herumzudrücken. Der Friede war
hart für einen Berufssoldaten.
Wartet nur, dachte ich und erschauerte
vorausahnend. Noch etwa vier Jahre, und der Major würde genug zu
tun bekommen.
Aus dem Augenwinkel sah ich Tartanstoff aufblitzen
und wirbelte herum, um zu sehen, zu wem er gehörte, doch es war
weder Jamie noch Duncan. Dennoch, ein Rätsel weniger; es war Roger,
dunkelhaarig und schmuck in seinem Kilt. Sein Gesicht erhellte
sich, als er Brianna erspähte, und seine Schritte wurden länger.
Sie wandte den Kopf, als spürte sie seine Gegenwart, und auch ihr
Gesicht erhellte sich als Reaktion.
Er trat zu ihr, und ohne Notiz von dem Herrn in
ihrer Begleitung zu nehmen, umarmte er sie und küsste sie fest auf
den Mund. Als sie sich voneinander lösten, hielt er Jemmy die Arme
entgegen und drückte ihm einen weiteren Kuss auf seinen seidenen
Rotschopf.
Ich wandte mich wieder dem Gespräch vor meiner Nase
zu, da mir verspätet klar wurde, dass Farquard Campbell schon seit
einiger Zeit redete,
ohne dass ich die geringste Ahnung hatte, was er gesagt hatte. Als
er meine Verwirrung sah, lächelte er leicht ironisch.
»Ich muss mich entfernen und anderswo meine
Aufwartung machen, Mrs. Fraser«, sagte er. »Wenn Ihr mich
entschuldigen würdet? Ich werde Euch in der vorzüglichen
Gesellschaft des Majors zurücklassen.« Er tippte sich höflich an
den Hut und schlängelte sich auf das Haus zu, vielleicht, um
Leutnant Wolff aufzuspüren und ihn daran zu hindern, das
Tafelsilber einzusacken.
Da der Major nun mit mir festsaß, fischte er nach
einem geeigneten Gesprächsthema und verlegte sich auf die nahe
liegendste Frage zwischen zwei neuen Bekannten.
»Seid Ihr und Euer Gatte schon lange in den
Kolonien, Ma’am?«
»Nicht sehr lange«, sagte ich voller Argwohn. »Etwa
drei Jahre. Wir leben in einer kleinen Siedlung im Hinterland -«
Ich gestikulierte mit meinem geschlossenen Fächer in Richtung der
unsichtbaren Berge im Westen. »Ein Ort namens Fraser’s
Ridge.«
»Ah ja. Ich habe schon davon gehört.« In der Nähe
seines Mundwinkels zuckte ein Muskel, und ich fragte mich
beklommen, was genau er gehört hatte. Jamies Destille war im
Hinterland und unter den schottischen Siedlern am Cape Fear ein
offenes Geheimnis - ja, es standen sogar mehrere Fässer mit
unreifem Whisky aus der Destillerie für jedermann sichtbar bei den
Ställen, Jamies Hochzeitsgeschenk an seine Tante und Duncan -, doch
ich hoffte, dass es nicht so offen war, dass ein frisch in den
Kolonien eingetroffener Armeeoffizier gleich davon gehört
hatte.
»Sagt mir, Mrs. Fraser...« Er zögerte, dann gab er
sich einen Ruck. »Habt Ihr in Eurer Gegend der Kolonie sehr viel
mit... Parteigeist zu tun?«
»Parteigeist? Oh, äh... nein, eigentlich nicht.«
Ich blickte argwöhnisch zu Hector Camerons Mausoleum hinüber, wo
Hermon Husbands dunkles Quäkergrau sich wie ein Fleck von dem
reinweißen Marmor abhob. Parteigeist war ein Codewort für die
Aktivitäten von Männern wie Husband und James Hunter -
Regulatoren.
Die Milizaktion des Gouverneurs im Dezember hatte
zwar die gewalttätigen Ausschreitungen zum Erliegen gebracht, doch
die Regulation war immer noch ein brodelnder Topf unter einem sehr
festen Deckel. Husband war aufgrund seiner ausdrucksstarken
Pamphlete im Februar festgenommen und kurze Zeit eingekerkert
worden, doch diese Erfahrung hatte weder seiner Einstellung noch
seiner Wortwahl Abbruch getan. Der Topf konnte jederzeit
überkochen.
»Es freut mich, das zu hören«, sagte Major
MacDonald mit ausgesprochen enttäuschtem Gesicht. »Erfahrt Ihr denn
in Eurer abgelegenen Siedlung viele Neuigkeiten?«
»Nicht viel. Äh... schönes Wetter heute, nicht
wahr? Wir haben dieses Jahr wirklich Glück. Hattet Ihr eine gute
Anreise aus Charleston? So früh im Jahr... der Schlamm...«
»Ja, Ma’am. Wir hatten ein paar kleine
Schwierigkeiten, aber nicht mehr als...««
Im Lauf dieser Plauderei betrachtete mich der Major
ganz unverhüllt und registrierte abschätzend den Schnitt und die
Qualität meines Kleides, die Perlen an meinem Hals und meinen
Ohren. Es lag nicht die geringste Spur von Anzüglichkeit oder
Koketterie in seinem Blick. Er beurteilte einfach nur meine
gesellschaftliche Stellung und den Grad der Wohlhabenheit und des
Einflusses, den mein Mann hatte.
Ich ließ mich davon nicht beleidigen; schließlich
machte ich es ja mit ihm nicht anders. Wohlerzogen und aus gutem
Hause. So viel machte allein sein Rang deutlich, doch der schwere,
goldene Siegelring an seiner rechten Hand beantwortete auch die
letzte diesbezügliche Frage. Er persönlich war jedoch nicht allzu
gut betucht; seine Uniform war an den Kanten abgetragen, und seine
Stiefel waren stark zerkratzt, wenn auch gut poliert.
Ein leichter, schottischer Akzent mit einem Hauch
von französischer Gutturalität - Erfahrung in Kontinentalfeldzügen.
Und, wie ich vermutete, gerade erst in der Kolonie eingetroffen;
sein Gesicht war von einer Krankheit gezeichnet, die noch nicht
lange zurücklag, und das Weiße seiner Augen zeigte eine leichte
Spur von Gelbsucht, die bei Neuankömmlingen häufig war, weil sie
sich oft alles Mögliche von der Malaria bis zum Denguefieber
einfingen, wenn sie auf die wimmelnden Keimparadiese in den
Küstenstädten trafen.
»Sagt mir, Mrs. Fraser -«, begann der Major.
»Damit beleidigt Ihr nicht nur mich, sondern jeden
Ehrenmann hier!«
Ninian Bell Hamiltons ziemlich schrille Stimme
ertönte inmitten einer allgemeinen Gesprächspause, und auf der
ganzen Rasenfläche wandten sich die Köpfe.
Er stand direkt vor Robert Barlow, einem Mann, dem
ich vorhin vorgestellt worden war. Irgendein Kaufmann, erinnerte
ich mich vage - aus Edenton? Oder vielleicht auch New Bern. Er war
ein untersetzter Mann, der aussah, als sei er keinen Widerspruch
gewöhnt, und er verhöhnte Hamilton ganz unverhohlen.
»Regulatoren nennt Ihr sie? Knastbrüder und
Aufrührer! Und Ihr wollt sagen, dass solche Männer Ehrgefühl
besitzen, ja?«
»Ich will es nicht sagen - ich konstatiere
es als Tatsache, und als solche werde ich es auch verteidigen!« Der
alte Herr richtete sich auf und tastete nach seinem Schwertknauf.
Glücklicherweise trug er kein Schwert; aus gegebenem, festlichem
Anlass trug keiner der anwesenden Herren eine solche Waffe.
Ob diese Tatsache Barlows Verhalten beeinflusste,
konnte ich nicht sagen, doch er lachte verächtlich und kehrte
Hamilton den Rücken, um sich zu entfernen. Wutentbrannt trat der
ältere Schotte ihm darauf prompt in den Hintern.
Barlow, der mit einer solchen Attacke nicht
rechnete und das Gleichgewicht
verlor, schoss nach vorn und landete auf Händen und Knien, so dass
ihm die Rockschöße über die Ohren flogen und er ein höchst
lächerliches Bild abgab. Sämtliche Zuschauer brachen unabhängig von
ihrer politischen Einstellung in Gelächter aus. Dadurch ermutigt,
blies sich Ninian auf wie ein Zwergkampfhahn und stolzierte um
seinen gestürzten Gegner herum, um ihn von vorn anzusprechen.
Ich hätte ihm sagen können, dass dies ein
taktischer Fehler war, aber ich hatte ja auch den Vorteil, Barlows
Gesicht zu sehen, das vor Wut und Verlegenheit knallrot war. Mit
vorquellenden Augen rappelte er sich umständlich auf, setzte sich
mit Gebrüll in Bewegung und rannte den kleineren Mann um.
Die beiden wälzten sich mit fliegenden Fäusten und
Rockschößen im Gras, und die Zuschauer johlten ihnen ermunternd zu.
Überall von der Rasenfläche und der Terrasse kamen die Gäste
herbeigeeilt, um zu sehen, was hier vor sich ging. Abel MacLennan
schob sich durch den Pöbel, offenbar in der Absicht, seinem
Gastgeber Unterstützung anzubieten. Richard Caswell packte ihn am
Arm, um ihn daran zu hindern, und er fuhr herum, wodurch Caswell
das Gleichgewicht verlor.
James Hunter, dessen hageres Gesicht vor
Schadenfreude leuchtete, stellte Caswell ein Bein, und dieser
landete mit dem Hintern auf dem Rasen und machte ein überraschtes
Gesicht. Caswells Sohn George heulte entrüstet auf und boxte Hunter
in die Nieren. Hunter wirbelte herum und schlug George auf die
Nase.
Eine Anzahl von Damen war in Gekreische
ausgebrochen - nicht alle vor Schrecken. Eine oder zwei schienen
Ninian Hamilton anzufeuern, der in dieser Minute auf der Brust
seines Opfers saß und Anstalten machte, ihn zu erwürgen, wenn er
auch dank Barlows kräftigem Hals und seiner Halsbinde damit wenig
erfolgreich war.
Ich sah mich panisch nach Jamie um - oder Roger
oder Duncan. Gottverdammt, wo waren sie nur alle?
George Caswell war überrascht zurückgewichen und
hielt sich die Nase, aus der ihm das Blut auf sein Hemd tropfte.
DeWayne Buchanan, einer von Hamiltons Schwiegersöhnen, schob sich
zielstrebig durch die dichter werdende Menge. Ich wusste nicht
genau, ob er seinen Schwiegervater von Barlow wegzureißen oder ihm
bei seinem Mordversuch zu helfen gedachte.
»Oh, verflixt«, knurrte ich vor mich hin. »Hier,
haltet das.« Ich drückte Major MacDonald meinen Fächer in die Hand
und hob meine Röcke, um mich in den Schlamassel zu begeben, während
ich mir noch überlegte, nach wem ich am wirkungsvollsten zuerst
trat - und wohin.
»Möchtet Ihr, dass ich es beende?«
Der Major, der das Spektakel genossen hatte, machte
bei diesem Gedanken ein enttäuschtes, aber pflichtergebenes
Gesicht. Auf mein ziemlich verblüfftes Nicken hin griff er nach
seiner Pistole, zielte zum Himmel und schoss in die Luft.
Der Knall war so laut, dass er für ein paar
Sekunden alle zum Schweigen brachte. Die Streithähne erstarrten,
und in der vorübergehenden Stille betrat Hermon Husband die
Szene.
»Freund Ninian«, sagte er und blickte unter
freundlichem Kopfnicken in die Runde. »Freund Buchanan. Ihr
erlaubt.« Er ergriff den älteren Schotten an beiden Armen und zog
ihn von Barlows Körper hoch. Er warf James Hunter einen warnenden
Blick zu; Hunter gab ein hörbares »Hmpf!« von sich, trat jedoch ein
paar Schritte zurück.
Die jüngere Mrs. Caswell, eine Frau von Verstand,
hatte ihren Mann bereits vom Schlachtfeld entfernt und hielt ihm
ein Taschentuch unter die Nase und ein silbernes Messer vom Buffet
in den Nacken. DeWayne Buchanan und Abel MacLennan hatten je einen
von Ninians Armen ergriffen und taten so, als müssten sie ihn unter
großer Mühe bändigen, während sie mit ihm zum Haus
davonmarschierten - obwohl es doch einigermaßen deutlich war, dass
jeder Einzelne von ihnen ihn problemlos hätte hochheben und tragen
können.
Richard Caswell war allein aufgestanden, und er sah
zwar arg beleidigt aus, hatte aber offensichtlich nicht vor, auf
irgendjemanden einzuschlagen. Er stand da, klopfte sich das
trockene Gras vom Rücken seines Rockes und hatte die Lippen
missbilligend zusammengepresst.
»Euer Fächer, Mrs. Fraser?« Aus meiner Analyse des
Konfliktes gerissen, stellte ich fest, dass Major MacDonald mir
höflich meinen Fächer wieder entgegenhielt. Seine Miene war
ausgesprochen selbstzufrieden.
»Danke«, sagte ich, ergriff den Fächer und
betrachtete MacDonald mit einigem Respekt. »Sagt mir, Major - lauft
Ihr immer mit geladener Pistole herum?«
»Ein Versehen, Ma’am«, erwiderte er unverbindlich.
»Wenn auch vielleicht ein glückliches, aye? Ich war gestern in
Cross Creek, und da ich nach Anbruch der Dunkelheit allein zu Mr.
Farquard Campbells Plantage zurückkehrte, hielt ich es für besser,
auf der Straße vorsichtig zu sein.«
Er wies mit dem Kinn über meine Schulter
hinweg.
»Sagt mir, Mrs. Fraser, wer ist dieses schlecht
rasierte Individuum? Er scheint ein Mann von Stehvermögen zu sein,
trotz seines Mangels an Benimm. Glaubt Ihr, er wird jetzt um seiner
selbst willen auf die Barrikaden gehen?«
Ich fuhr herum und sah Hermon Husband Nase an Nase
mit Barlow, der sich wieder erhoben hatte. Er hatte sich den
runden, schwarzen Hut tief ins Gesicht geschoben, und sein Bart
stand kampflustig ab. Barlow wich keinen Zentimeter zurück. Sein
Gesicht war rot angelaufen, und der Zorn stand ihm auf die Stirn
geschrieben, doch er hatte die Arme fest vor der Brust verschränkt,
während er Husband zuhörte.
»Hermon Husband ist Quäker«, sagte ich in leicht
tadelndem Tonfall. »Nein, er wird sich nicht auf Gewalt verlegen.
Nur auf Worte.«
Eine ziemliche Menge Worte. Barlow versuchte
beharrlich, ihn mit seinen
eigenen Ansichten zu unterbrechen, doch Husband ignorierte diese
und vertrat seine Meinung mit solchem Enthusiasmus, dass ihm der
Speichel aus den Mundwinkeln flog.
»...ein schrecklicher Fehlgriff der Justiz!
Sheriffs, so bezeichnen sie sich zumindest selbst, die nicht getreu
der Buchstaben des Gesetzes ernannt worden sind, sondern sich
vielmehr selbst ernennen, und dies zu keinem anderen Zweck als sich
selbst zu bereichern, und verächtlich auf jedes legitime...«
Barlow ließ die Arme sinken und begann
zurückzuweichen, um der Verbalattacke zu entfliehen. Doch als
Husband kurz inne hielt, um Luft zu holen, nutzte Barlow die
Gelegenheit, um sich vorzubeugen und Husband drohend den Finger in
die Brust zu bohren.
»Ihr sprecht von Gerechtigkeit, Sir? Was haben denn
Aufruhr und Zerstörung mit Gerechtigkeit zu tun? Wenn Ihr die
Vernichtung von Eigentum als Mittel zur Wiedergutmachung
befürwortet -«
»Das ist keineswegs der Fall! Aber sollen denn die
Armen den Skrupellosen zum Opfer fallen, und soll ihr Leiden
unbeachtet bleiben? Ich sage Euch, Sir, Gott wird die Unterdrücker
der Armen gnadenlos zur Rechenschaft ziehen, und -«
»Worüber streiten sie sich denn?«, fragte
MacDonald, der den Wortwechsel interessiert verfolgte.
»Religion?«
Nachdem sie gesehen hatten, dass Husband die Bühne
betrat, und sie begriffen, dass keine weiteren Schlägereien zu
erwarten waren, hatten die meisten Zuschauer das Interesse verloren
und waren zu den Buffettischen und den Kohlebecken auf der Terrasse
davonspaziert. Hunter und ein paar andere Regulatoren blieben, um
Husband moralisch zu unterstützen, doch die meisten Gäste waren
Pflanzer und Kaufleute. Sie mochten zwar theoretisch auf Barlows
Seite sein, waren jedoch praktisch nicht geneigt, den seltenen,
festlichen Anlass durch eine Kontroverse mit Hermon Husband über
die Rechte der steuerzahlenden Armen zu ruinieren.
Auch ich brannte nicht besonders darauf, die
Rhetorik der Regulation im Detail zu ergründen, tat aber mein
Bestes, um Major MacDonald einen groben Überblick über die
Situation zu verschaffen.
»...und daher fühlte sich Gouverneur Tryon
gezwungen, die Miliz einzuberufen, um dem entgegenzuwirken, aber
die Regulatoren haben nachgegeben«, sagte ich abschließend.
»Allerdings sind sie keinesfalls von ihren Forderungen
abgerückt.«
Auch Husband hatte nicht von seinem Streitgespräch
abgelassen - das tat er nie -, doch war es Barlow endlich gelungen,
sich zurückzuziehen, und er leckte jetzt in Gesellschaft einiger
mitfühlender Freunde an den Erfrischungstischen unter den Ulmen
seine Wunden. Sie warfen in Abständen missbilligende Blicke in
Husbands Richtung.
»Ich verstehe«, sagte MacDonald interessiert.
»Farquard Campbell hat
diese aufrührerische Bewegung schon erwähnt. Und der Gouverneur
hat eine Miliz einberufen, um ihrer Herr zu werden, sagt Ihr, und
könnte dies wieder tun? Wisst Ihr, wer seine Truppen
befehligt?«
Ȁh... ich glaube, General Waddell - Hugh Waddell -
kommandiert mehrere Kompanien. Doch der Gouverneur hat den Großteil
selbst befehligt; er ist ein ehemaliger Soldat.«
»Ach wirklich?« MacDonald schien von dem Thema
gefesselt zu sein; er hatte seine Pistole nicht weg gesteckt,
sondern tätschelte sie geistesabwesend. »Campbell sagt mir, dass
Euer Gatte der Inhaber einer großen Landvergabe im Hinterland ist.
Ist er ein Vertrauter des Gouverneurs?«
»So würde ich es nicht gerade ausdrücken«, sagte
ich trocken. »Aber er kennt den Gouverneur, ja.«
Angesichts dieser Wendung des Gespräches wurde mir
ein wenig mulmig. Es war - genau gesehen - illegal für Katholiken,
eine königliche Landvergabe in den Kolonien inne zu haben. Ich
wusste nicht, ob sich Major MacDonald dieser Tatsache bewusst war,
aber angesichts von Jamies Herkunft war ihm zweifelsohne klar, dass
dieser Katholik war.
»Meint Ihr, Euer Gatte lässt sich vielleicht dazu
bewegen, ein Wort für mich einzulegen, verehrte Dame?« Seine
blassblauen Augen leuchteten spekulierend, und ich begriff
schlagartig, worum es ihm ging.
Um einen Berufssoldaten war es ohne Krieg in punkto
Beschäftigung und Einkommen definitiv schlecht bestellt. Die
Regulation mochte ja nur ein Sturm im Wasserglas sein, doch
andererseits, wenn es auch nur die geringste Aussicht auf ein
Eingreifen des Militärs gab... Tryon hatte schließlich keine
regulären Truppen; es war gut möglich, dass ihm ein erfahrener
Offizier willkommen war - und er bereit war, ihn zu bezahlen -,
falls die Miliz noch einmal zusammengerufen wurde.
Ich warf einen argwöhnischen Blick in Richtung des
Rasens. Husband und seine Freunde hatten sich ein Stück
zurückgezogen und konferierten jetzt in einem dichten Pulk neben
einer von Jocastas neuen Statuen. Der jüngsten Beinahe-Prügelei
nach zu urteilen, kochte die Regulation immer noch gefährlich vor
sich hin.
»Das ist gut möglich«, sagte ich vorsichtig. Ich
sah keinen Grund, warum Jamie etwas dagegen haben sollte, ein
Referenzschreiben an Tryon zu verfassen - und schließlich war ich
dem Major etwas schuldig, da er gerade einen ausgewachsenen Aufruhr
verhindert hatte. »Ihr müsstet meinen Mann natürlich selbst fragen
- aber ich werde gern ein Wort für Euch einlegen.«
Der Major marschierte zur Terrasse davon, und als
ich mich umdrehte, sah ich Hermon Husband auf mich zustiefeln,
gefolgt von Hunter und einigen anderen Männern.
»Mrs. Fraser, ich muss Euch bitten, Mrs. Innes
meine guten Wünsche und mein Bedauern auszusprechen, wenn Ihr so
gütig wärt«, sagte er ohne Umschweife. »Ich muss gehen.«
»Oh, müsst Ihr uns schon verlassen?« Ich zögerte.
Einerseits hätte ich ihn gern gedrängt zu bleiben; andererseits sah
ich weitere Probleme voraus, wenn er dies tat. Barlows Freunde
hatten ihn seit der Beinahe-Schlägerei nicht mehr aus den Augen
gelassen.
Er las mir meinen Gedanken vom Gesicht ab und
nickte nüchtern. Die Röte der Debatte war aus seinem Gesicht
gewichen, und es war von grimmigen Furchen durchzogen.
»So wird es besser sein. Jocasta Cameron ist mir
und den Meinen immer eine gute Freundin gewesen; ich würde ihr ihre
Güte schlecht lohnen, indem ich bei ihrer Hochzeitsfeier Zwietracht
säe. Das würde ich niemals freiwillig tun - und doch kann ich nicht
guten Gewissens schweigend verharren, wenn ich solche verderblichen
Ansichten höre, wie sie mir hier zu Ohren gekommen sind.« Er warf
Barlows Anhängern einen Blick voll kalter Verachtung zu, der in
gleicher Münze zurückgezahlt wurde.
»Außerdem«, fügte er hinzu und tat das Thema Barlow
ab, indem er ihm und seinen Konsorten den Rücken zukehrte, »haben
wir etwas zu erledigen, das unsere Anwesenheit anderswo erfordert.«
Er zögerte, und es war offensichtlich, dass er sich fragte, ob er
mir noch mehr sagen sollte, doch dann entschied er sich dagegen.
»Werdet Ihr es ihr ausrichten?«
»Ja natürlich. Mr. Husband - es tut mir
Leid.«
Er lächelte mich melancholisch an und schüttelte
den Kopf, sagte aber nichts mehr. Doch als er sich von seinen
Begleitern gefolgt zum Gehen wandte, blieb James Hunter stehen, um
mich leise anzusprechen.
»Die Regulatoren sammeln sich. Es ist ein großes
Lager oben in der Nähe von Salisbury«, sagte er. »Vielleicht
möchtet Ihr Eurem Gatten das ausrichten.«
Er nickte, tippte sich mit der Hand an die
Hutkrempe und schritt davon, ohne eine Bestätigung abzuwarten. Sein
schwarzer Rock verschwand in der Menge wie ein Sperling, der von
einer Pfauenschar verschluckt wird.
Von meinem Aussichtspunkt am Rand der Terrasse aus
konnte ich die ganze Festgesellschaft überblicken, die sich in
einem Strom vom Haus bis zum Fluss ergoss und am Rande kleine
Sammelbecken bildete, die für das geschulte Auge gut sichtbar
waren.
Jocasta bildete das Zentrum des größten
gesellschaftlichen Strudels - doch auch Ninian Bell Hamilton und
Richard Caswell waren von kleineren, ominösen Wirbeln umspült, und
eine unruhige Strömung schlängelte sich durch die ganze
Hochzeitsgesellschaft und ließ Gesprächsfetzen wie Ablagerungen an
ihrem Rand zurück, wo die Spekulationen auf fruchtbaren Boden
fielen. Nach allem, was ich mitbekam, bildete die Frage nach dem
möglichen Sexualleben unserer Gastgeber das vorherrschende Thema,
allerdings dicht gefolgt von der Politik - und den
Regulatoren.
Ich sah nach wie vor keine Spur von Jamie oder
Duncan. Doch da war der
Major wieder. Er blieb stehen, ein Glas Cidre in der Hand; Brianna
war ihm ins Auge gefallen. Ich beobachtete ihn mit einem ironischen
Lächeln.
Brianna verblüffte die Männer oft, wenn auch nicht
immer ausschließlich vor Bewunderung. Sie hatte eine ganze Reihe
von Dingen von Jamie geerbt; die blauen Katzenaugen und das
flammende Haar, die lange, gerade Nase und den breiten, festen
Mund, die kühnen Gesichtsknochen, die von irgendeinem Nordmann der
Vergangenheit stammten. Doch zusätzlich zu all diesen auffallenden
Attributen hatte sie auch noch seine Körpergröße geerbt. In einer
Zeit, in der die durchschnittliche Frau etwas unter einsfünfzig
groß war, brachte es Brianna auf einen Meter achtzig. Die Leute
gafften sie häufig an.
So auch Major MacDonald, der seinen Cidre ganz
vergessen hatte. Roger bemerkte es; er lächelte kopfnickend und
fing ein Gespräch mit dem Major an, trat aber jenen einen Schritt
dichter an Brianna heran, der unmissverständlich ausdrückte: »Sie
gehört mir, Kumpel.«
Während ich den Major bei der Unterhaltung
beobachtete, fiel mir auf, wie blass und dürr er im Vergleich zu
Roger aussah, der beinahe genauso groß war wie Jamie - er war
breitschultrig und olivenhäutig, und sein Haar glänzte schwarz wie
ein Krähenflügel in der Frühlingssonne, möglicherweise das Erbe
eines alten, spanischen Invasoren. Ich musste zugeben, dass es
keine sichtbare Ähnlichkeit zwischen ihm und dem kleinen Jemmy gab,
der rotgolden war wie ein neuer Messingkerzenhalter.
Ich konnte es weiß aufblitzen sehen, wenn Roger
lächelte; der Major hielt seine Lippen beim Lächeln herunter
gezogen, wie es die meisten Leute über dreißig taten, um die
Zahnlücken und den Verfall zu verbergen, der wie eine Seuche
wütete. Vielleicht war es die Belastung, die der Beruf des Majors
mit sich brachte; vielleicht auch nur die Auswirkungen schlechter
Ernährung in der Kindheit. Nur, weil ein Kind aus einer guten
Familie stammte, bedeutete das in dieser Zeit nicht, dass es auch
gut aß.
Ich fuhr mir leicht mit der Zunge über meine
eigenen Zähne und testete die Kante meiner Schneidezähne. Gerade
und gesund, und angesichts des derzeitigen Standes der Zahnmedizin
bemühte ich mich nach Leibeskräften darum, dass dies auch so
blieb.
»Oh, Mrs. Fraser.« Eine helle Stimme drängte sich
in meine Gedanken, und als ich mich umdrehte, sah ich Philip Wylie
neben mir stehen. »Woran denkt Ihr nur gerade, meine Liebe? Ihr
seht ja geradezu gefährlich aus«, sagte er mit gesenkter
Stimme, ergriff meine Hand, und entblößte seine ebenfalls recht
ansehnlichen Zähne zu einem anzüglichen Lächeln.
»Ich bin nicht Eure Liebe«, sagte ich ziemlich
scharf und entriss ihm meine Hand. »Und apropos gefährlich, es
überrascht mich, dass Euch noch niemand in den Allerwertesten
gebissen hat.«
»Oh, ich gebe die Hoffnung nicht auf«, versicherte
er mir mit glitzernden Augen. Er verbeugte sich und schaffte es
dabei, meine Hand erneut zu fassen
zu bekommen. »Dürfte ich die Ehre haben, Euch später um einen Tanz
zu bitten, Mrs. Fraser?«
»Ganz bestimmt nicht«, sagte ich und ruckte an
meiner Hand. »Lasst los.«
»Euer Wunsch ist mir Befehl.« Er ließ los, jedoch
nicht, ohne mir zuvor einen leichten Kuss auf den Handrücken zu
drücken. Ich unterdrückte das Bedürfnis, mir die feuchte Stelle an
meinem Rock abzuwischen.
»Hinweg mit Euch, Kindskopf«, sagte ich. Ich schlug
mit dem Fächer nach ihm. »Kusch.«
Philip Wylie war ein Lebemann. Ich war ihm bereits
zweimal begegnet, und beide Male war er so sehr herausgeputzt
gewesen, dass es einem schier den Atem verschlug: Satinkniehose,
Seidenstrümpfe und alles, was dazugehörte, einschließlich
gepuderter Perücke, gepudertem Gesicht und einem kleinen,
schwarzen, halbmondförmigen Schönheitspflaster, das ganz hinreißend
neben seinem Auge klebte.
Jetzt hatte sich die Dekadenz allerdings
ausgeweitet. Die gepuderte Perücke war malvenfarbig, die Satinweste
war bestickt mit - ich kniff die Augen zu. Ja, mit Löwen und
Einhörnern in Gold- und Silbergarn. Die Satinhose passte ihm wie
ein zweigeteilter Handschuh, und der Halbmond war einem Stern neben
seinem Mundwinkel gewichen. Mr. Wylie war ein Honigkuchenpferd
geworden - mit Zuckerguss.
»O nein, ich habe nicht vor, Euch einfach so stehen
zu lassen, Mrs. Fraser«, versicherte er mir. »Ich habe überall nach
Euch gesucht.«
»Oh. Nun, jetzt habt Ihr mich ja gefunden«, sagte
ich und betrachtete seinen Rock, der aus rosafarbenem Samt war. Er
hatte riesige Ärmelaufschläge aus blassrosa Seide und
Porzellanknöpfe, die mit scharlachroten Pfingstrosen bemalt waren.
»Obwohl es ja kein Wunder ist, dass Ihr Schwierigkeiten hattet. Der
Glanz Eurer Weste hat Euch wohl geblendet.«
Wie immer war Lloyd Stanhope bei ihm; ebenfalls
wohlhabend, aber sehr viel schlichter gekleidet als sein Freund.
Stanhope prustete los, doch Wylie ignorierte ihn und verbeugte sich
elegant vor mir.
»Ah, nun, Fortuna ist mir dieses Jahr hold. Der
Handel mit England hat sich wieder erholt, den Göttern sei Dank -
und ich habe meinen Anteil daran, und mehr als das. Ihr müsst
mitkommen und Euch ansehen, was ich -«
In diesem Moment rettete mich Adlai Osborn, ein gut
betuchter Kaufmann von der Küste, durch sein plötzliches
Auftauchen. Er tippte Wylie auf die Schulter. Ich nutzte die
Gelegenheit, die sich durch diese Ablenkung bot, um meinen Fächer
zu heben und mich durch eine Lücke in der Menge
davonzustehlen.
Da ich mir für den Augenblick selbst überlassen
war, verließ ich die Terrasse und schlenderte lässig über den
Rasen. Ich hielt nach wie vor nach Jamie oder Duncan Ausschau,
nutzte jedoch auch die Gelegenheit, mir erstmals
Jocastas neueste Errungenschaften anzusehen, die die
Hochzeitsgäste zu immer neuen Kommentaren anregten. Es waren zwei
weiße Marmorstatuen, die jeweils in der Mitte eines Rasenquadrates
standen.
Unmittelbar in meiner Nähe befand sich die
lebensgroße Replik eines griechischen Kriegers - ich vermutete,
dass es ein Spartaner war, da man auf jedes frivole Kleidungsstück
verzichtet hatte und der Herr nichts als einen stabil aussehenden
Helm mit einem Federbusch trug und in jeder Hand ein Schwert hatte.
Zu seinen Füßen stand strategisch platziert ein großer Schild, der
die auffälligen Mängel seiner Garderobe überdeckte.
Auf der rechten Rasenfläche stand das Gegenstück,
das Diana, die Jägerin, darstellte. Die Dame war zwar spärlich
bekleidet, und ihre wohlgeformten, weißen Brüste zogen anerkennende
Seitenblicke der anwesenden Herrenwelt auf sich, doch was das
Ausmaß der öffentlichen Faszination betraf, so konnte sie ihrem
Begleiter nicht das Wasser reichen. Ich lächelte hinter meinem
Fächer, als ich sah, wie Mr. und Mrs. Sherston an der Statue
vorbeischwebten, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Ihre erhobenen
Nasen und gelangweilten Mienen besagten, dass solche Kunstwerke in
Europa gang und gäbe seien. Nur Kolonialisten, denen es sowohl an
Kultur als auch an guter Herkunft mangelte, würden ein
Spektakel darin sehen, meine Liebe.
Als ich die Statue meinerseits genauer betrachtete,
stellte ich fest, dass sie doch keinen anonymen Griechen
darstellte, sondern vielmehr Perseus. Jetzt konnte ich auch
erkennen, dass der Gegenstand am Fuß des Schildes, den ich für
einen Felsbrocken gehalten hatte, tatsächlich ein abgetrennter
Gorgonenkopf war, dessen Schlangen zum Teil in schockierter
Bestürzung abstanden.
Die unübersehbar kunstfertige Machart dieser
Reptilien lieferte einer Anzahl von Damen eine Entschuldigung zur
näheren Betrachtung, und sie wagten sich dicht heran, spitzten
kennerhaft die Lippen und äußerten sich mit Bewunderungslauten über
das Geschick des Bildhauers bei der Andeutung jeder einzelnen
Schuppe. Dann und wann ließ die eine oder andere ihren Blick für
den Bruchteil einer Sekunde in die Höhe schnellen, bevor sie ihn
mit einem Ruck wieder auf das Gorgonengesicht heftete und rot
anlief - zweifellos von dem Glühwein, der von den Dienstboten
herumgereicht wurde.
Ein dampfender Becher dieses Getränkes, der mir
unter die Nase gehalten wurde, lenkte mich von Perseus ab.
»Trinkt etwas davon, Mrs. Fraser.« Es war Lloyd
Stanhope, die Liebenswürdigkeit in Person. »Ihr wollt Euch doch
nicht erkälten, werte Dame.«
Das war zwar kaum wahrscheinlich, da sich der Tag
zunehmend erwärmte, doch ich nahm den Becher entgegen und genoss
den Duft von Zimt und Honig, der mir von seiner dampfenden
Oberfläche entgegen wehte.
Ich drehte mich zur Seite und sah mich nach Jamie
um, doch er blieb unsichtbar. Eine Gruppe von Herren, die darüber
diskutierten, ob Virginiatabak oder Indigo lukrativer war, drängte
sich um Perseus’ Vorderseite, während
die Rückseite der Statue jetzt drei junge Mädchen verbarg, die sie
im Schutz ihrer Fächer mit roten Gesichtern kichernd von hinten
betrachteten.
»...einzigartig«, sagte Philip Wylie gerade zu
irgendjemandem. Die Randgewässer der Konversation hatten ihn wieder
an meine Seite geschwemmt. »Absolut einzigartig! Man nennt sie
Schwarze Perlen. Ich wette, so etwas habt Ihr noch nicht gesehen.«
Er sah sich um, und als er mich entdeckte, streckte er die Hand
aus, um sacht meinen Ellbogen zu berühren. »Ich habe gehört, Ihr
habt einige Zeit in Frankreich verbracht, Mrs. Fraser. Habt Ihr sie
dort vielleicht gesehen?«
»Schwarze Perlen?«, sagte ich und bemühte mich, den
Gesprächsfaden aufzunehmen. »Nun, ja, ein paar. Ich erinnere mich,
dass der Erzbischof von Rouen einen kleinen Mohrenpagen hatte, der
eine große, schwarze Perle in der Nase trug.«
Stanhope fiel der Kinnladen herunter, ein Bild der
Lächerlichkeit. Wylie starrte mich für den Bruchteil einer Sekunde
an, dann lachte er so laut auf, dass sowohl die Tabaklobby als auch
die kichernden Mädchen verstummten und uns anstarrten.
»Ihr bringt mich noch um, meine Liebe«, keuchte
Wylie, während Stanhope in unterdrücktes Prusten verfiel. Wylie zog
ein Spitzentaschentuch hervor und betupfte sich vorsichtig die
Augenwinkel, damit keine Lachträne seinen Puder befleckte.
»Also wirklich, Mrs. Fraser, habt Ihr denn meine
Schätze noch nicht gesehen?« Er ergriff meinen Ellbogen und schob
mich überraschend geschickt aus der Menge hinaus. »Kommt, ich will
sie Euch zeigen.«
Er manövrierte mich reibungslos durch das Gewimmel
und dann seitlich am Haus vorbei auf einen gepflasterten Weg, der
zu den Stallungen führte. Eine weitere Menschenansammlung - zum
Großteil Männer - drängte sich um das Paddock, wo Jocastas
Stallknecht gerade mehreren Pferden Heu hinstreute.
Es waren fünf, zwei Stuten, zwei Zweijährige und
ein Hengst. Alle fünf waren kohlrabenschwarz, und ihr Fell glänzte
in der blassen Frühlingssonne, obwohl es noch das struppige
Winterfell war. Ich war keine Expertin, was das Exterieur von
Pferden betraf, wusste aber inzwischen genug, um den breiten Bug,
den tonnenförmigen Rumpf und die reliefartigen Hinterteile zur
Kenntnis zu nehmen, die ihnen das seltsame, aber höchst
ansprechende Aussehen stämmiger Eleganz verliehen. Über die
Schönheit ihres Körperbaus und ihres Fells hinaus war das
Auffälligste an diesen Pferden ihr Langhaar.
Während die meisten Pferdemähnen ihr Dasein
irgendwo zwischen kurzen Stoppeln und unordentlichem Gewirr
fristeten, hatten diese schwarzen Pferde massenweise fließendes,
seidiges Haar - fast wie Frauenhaar -, das sich im Rhythmus ihrer
Bewegungen hob und wogte, genau wie auch die Wasserfälle ihrer
langen, dichten Schweife. Dazu waren die Hufe und Fesseln eines
jeden Pferdes mit einem feinen Federbusch aus schwarzen Haaren
verziert, die sich bei jedem Schritt bewegten wie Gänsedistelsamen
auf dem Wasser.
Im Vergleich zu den normalen, grobknochigen
Reitpferden und kräftigen Zugpferden schienen diese Pferde beinahe
etwas Magisches an sich zu haben - und den ehrfürchtigen
Kommentaren der Zuschauer nach zu schließen, hätten sie genauso gut
aus dem Märchenland wie von Philip Wylies Plantage in Edenton
kommen können.
»Sie gehören Euch?«, fragte ich Wylie, ohne ihn
anzusehen, denn ich wollte meine Augen nicht von dem bezaubernden
Anblick abwenden. »Wo habt Ihr sie nur her?«
»Ja«, sagte er, und schlichter Stolz siegte über
seine übliche, affektierte Art. »Sie gehören mir. Es sind Friesen.
Eine der ältesten Warmblutrassen - ihre Abstammung lässt sich über
Jahrhunderte zurückverfolgen. Und wo ich sie her habe -« Er lehnte
sich über den Zaun, streckte eine Hand aus, die Handfläche nach
oben gekehrt, und winkte den Pferden einladend mit den Fingern.
»Ich züchte sie schon seit einigen Jahren. Ich habe sie auf Mrs.
Camerons Einladung hin mitgebracht; sie denkt darüber nach,
eventuell eine meiner Stuten zu kaufen, und meinte, es seien
vielleicht auch ein oder zwei ihrer Nachbarn interessiert. Doch was
Lucas hier angeht -« der Hengst war zu uns herübergekommen, als er
seinen Besitzer erkannte, und ließ sich gnädig die Stirn kraulen,
»er ist unverkäuflich.«
Die beiden Stuten waren hochtragend; Lucas war der
Zuchthengst, und daher, sagte Wylie, hatte er ihn mitgebracht, um
die Qualität der Linie zu beweisen. Deshalb, dachte ich insgeheim
belustigt, und um mit ihm anzugeben. Wylies »Schwarze Perlen«
erregten beträchtliches Interesse, und eine Reihe von
Pferdezüchtern aus der näheren Umgebung waren bei Lucas’ Anblick
sichtlich grün vor Neid geworden. Philip Wylie plusterte sich auf
wie ein Zwerghahn.
»Oh, da bist du ja, Sassenach«, erklang Jamies
Stimme plötzlich in meinem Ohr. »Ich habe schon nach dir
gesucht.«
»Ach wirklich?«, sagte ich und wandte mich vom
Paddock ab. Bei seinem Anblick verspürte ich eine plötzliche Wärme
unter dem Brustbein und lächelte trotz meiner Ungeduld. »Und wo
genau bist du gewesen?«
»Oh, hier und dort«, sagte Jamie, ohne sich von
meinem anklagenden Tonfall stören zu lassen. »Wirklich ein schönes
Pferd, Mr. Wylie.« Ein höfliches Nicken, und er hatte mich am Arm
gepackt und hielt auf die Rasenfläche zu, noch bevor Philip Wylie
sein gemurmeltes »Stets zu Diensten, Sir« ganz ausgesprochen
hatte.
»Was machst du denn hier draußen mit Philip
Wylie?«, fragte Jamie, während er sich seinen Weg durch eine Schar
von Haussklaven bahnte, die aus dem Küchenhaus geströmt kamen und
Tabletts mit Essen vor sich hertrugen, das unter weißen Servietten
einladend dampfte.
»Mir seine Friesenpferde anschauen, natürlich«,
sagte ich und legte mir
eine Hand auf den Magen, um das resonante Knurren zu unterdrücken,
das der Anblick des Essens auslöste. »Und was hast du die ganze
Zeit gemacht?«
»Duncan gesucht«, sagte er und führte mich um eine
Pfütze herum. »Ich kann ihn nirgendwo finden. Er war nicht auf dem
Abort und auch nicht in der Schmiede, im Stall, in der Küche oder
dem Küchenhaus... Ich habe mir ein Pferd genommen und bin zu den
Tabakschuppen hinausgeritten, aber keine Spur von dem Mann. Ich
weiß ja, dass er nicht davongelaufen ist, aber-«
»Vielleicht hat Leutnant Wolff ihn ja ermordet«,
meinte ich. »Enttäuschter Rivale und so.«
»Wolff?« Er blieb stehen und sah mich mit
konsterniert gerunzelter Stirn an. »Ist der Mistkerl etwa
hier?«
»Höchstpersönlich«, erwiderte ich und wedelte mit
meinem Fächer in Richtung des Rasens. Wolff hatte in unmittelbarer
Nähe des Buffets Position bezogen; seine kurze, untersetzte Gestalt
in der blauweißen Marineuniform war nicht zu verkennen. »Meinst du,
deine Tante hat ihn eingeladen?«
»Aye, ich denke schon«, sagte er und klang grimmig,
aber resigniert. »Schätze, sie konnte der Versuchung nicht
widerstehen, ihn mit der Nase darauf zu stoßen.«
»Das habe ich mir auch schon gedacht. Aber er ist
erst seit einer halben Stunde hier - und wenn er weiter so
schluckt«, fügte ich mit einem missbilligenden Blick auf die
Flasche hinzu, die der Leutnant umklammert hielt, »ist er
bewusstlos, noch bevor die Trauung statt findet.«
Jamie tat den Leutnant mit einer verächtlichen
Geste ab.
»Soll er sich doch selbst in Alkohol einlegen,
solange er den Mund nur auftut, um sich etwas Trinkbares hinein zu
schütten. Aber wo hat sich Duncan nur versteckt?«
»Vielleicht hat er sich in den Fluss gestürzt?« Das
sollte ein Scherz sein, doch ich blickte trotzdem zum Fluss hinüber
und sah ein Boot auf die Anlegestelle zusteuern. Der Ruderer stand
am Bug, um einem wartenden Sklaven sein Anbindeseil zuzuwerfen.
»Sieh nur - ist das endlich der Priester?«
Er war es; eine kurze, rundliche Gestalt, die
schwarze Soutane bis über die behaarten Knie hochgezogen, kletterte
gerade ungeschickt auf das Dock, und die Bootsleute schubsten ihn
von unten helfend an. Ulysses war bereits zur Landestelle
unterwegs, um ihn zu begrüßen.
»Gut«, sagte Jamie in zufriedenem Tonfall. »Dann
haben wir also einen Priester und eine Braut. Zwei von dreien - das
ist doch schon ein Fortschritt. Halt, Sassenach, warte - dein Haar
löst sich.« Er zeichnete langsam die Linie einer herab gefallenen
Haarsträhne auf meinem Rücken nach, und ich ließ gehorsam das
Schultertuch von den Schultern sinken. Mein Kleid war ziemlich tief
ausgeschnitten, bis hin zur Mitte meines Rückens; am französischen
Hof hätte es sicher noch prüde gewirkt, doch für Cross Creek war es
sehr gewagt.
Es schien die gewünschte Wirkung zu haben; Jamie
steckte mir gekonnt
die Locke wieder hoch, dann küsste er sanft meinen Nacken, und ich
erschauerte. Offensichtlich war auch er gegen die Frühlingsluft
nicht immun.
»Dann muss ich wohl weiter nach Duncan suchen«,
sagte er mit einer Spur von Bedauern. Seine Finger verharrten auf
meinem Rücken, und sein Daumen fuhr mir deliziös über die Furche
meiner Wirbelsäule. »Aber wenn ich ihn erst gefunden habe... muss
es doch hier irgendwo ein Plätzchen geben, an dem man unter sich
sein kann.«
Bei den Worten »unter sich« lehnte ich mich an
Jamie und blickte zum Flussufer, wo eine Gruppe von Trauerweiden
eine Steinbank überschattete - eine sehr zurückgezogene,
romantische Stelle, vor allem bei Nacht. Die Weiden waren dicht
begrünt, doch zwischen den herabhängenden Zweigen sah ich etwas
Scharlachrotes aufblitzen.
»Hab’ ihn!«, rief ich aus und richtete mich so
abrupt auf, dass ich Jamie auf den Zeh trat. »Oh - tut mir
Leid!«
»Nichts passiert«, beruhigte er mich. Er war meiner
Blickrichtung gefolgt und richtete sich jetzt zielstrebig auf. »Ich
gehe und hole ihn. Geh zum Haus hinauf, Sassenach, und behalte
meine Tante und den Priester im Auge. Lass sie nicht entwischen,
solange diese Ehe nicht geschlossen ist.«
Während Jamie über den Rasen auf die Weiden
zuging, erwiderte er geistesabwesend die Begrüßungen von Freunden
und Bekannten. In Wirklichkeit waren seine Gedanken weniger bei
Duncans bevorstehender Vermählung als vielmehr bei seiner eigenen
Frau.
Er war sich stets bewusst, welch ein Segen ihre
Schönheit war; selbst wenn sie in ihrem alltäglichen, groben
Leinenkleid knietief im Gartenschlamm steckte oder bei der Ausübung
ihrer Berufung blutbefleckt glühte, ging ihm der Anblick ihres
Körpers durch Mark und Bein, und ihre Whiskyaugen konnten ihn mit
einem Blick betrunken machen. Außerdem brachte ihn das verrückte
Gewirr ihrer Haare zum Lachen.
Schon bei dem bloßen Gedanken daran lächelte er vor
sich hin und begriff, dass er tatsächlich leicht angetrunken war.
Der Alkohol floss bei diesem Empfang wie Wasser, und einige Männer
lehnten bereits mit glasigen Augen und schlaffen Kiefern am
Mausoleum des alten Hector; er erspähte auch jemanden, der hinter
dem Gebäude ins Gebüsch pinkelte. Er schüttelte den Kopf. Wenn es
erst Abend wurde, würde unter jedem Busch jemand liegen.
Himmel. Ein einziger Gedanke an Gestalten unter
Büschen, und schon beehrte ihn sein Gehirn mit einer äußerst
unanständigen Vision von Claire, die mit gespreizten Gliedern
lachend unter einem solchen lag. Ihre Brüste fielen aus ihrem
Kleid, und das tote Laub und das trockene Gras hatten dieselbe
Farbe wie ihr zerknitterter Rock und das lockige Haar zwischen...
Er würgte den Gedanken abrupt ab und verbeugte sich höflich vor
Mrs. Alderdyce, der Mutter des Richters.
»Stets zu Diensten, Ma’am.«
»Guten Tag, junger Mann, guten Tag.« Die alte Dame
nickte in Oberlehrermanier und ging weiter, auf den Arm ihrer
Begleiterin gestützt, einer geduldigen, jungen Frau, die Jamies
Gruß mit einem schwachen Lächeln beantwortete.
»Master Jamie?« Eine der Mägde stand neben ihm und
hielt ihm ein Tablett mit Bechern entgegen. Er griff zu, bedankte
sich und trank ihn in einem Zug halb leer.
Er konnte nicht anders. Er musste sich einfach
umdrehen und Claire hinterhersehen. Er erhaschte nicht mehr als
einen Blick auf ihren Scheitel inmitten der Menge auf der Terrasse
- das sture, kleine Weibsbild weigerte sich natürlich, eine
anständige Haube zu tragen, und hatte sich stattdessen irgendeine
Narrheit angesteckt, einen Hauch von Spitze mit einem Gewirr aus
Bändern und Hagebutten. Auch dies weckte in ihm das Bedürfnis zu
lachen, und er wandte sich wieder den Trauerweiden zu und lächelte
vor sich hin.
Schuld daran war nur der Anblick, den sie in ihrem
neuen Kleid bot. Schon seit Monaten hatte er sie nicht mehr wie
eine Dame gekleidet gesehen, mit schmaler Taille ganz in Seide
gehüllt, die weißen Brüste rund und süß wie Winterbirnen im tiefen
Ausschnitt ihres Kleides. Es war, als sei sie plötzlich eine andere
Frau; eine, die ihm intim vertraut und doch aufregend fremd
war.
Seine Finger zuckten, als er an jene eine,
rebellische Locke dachte, die sich frei über ihren Hals kringelte,
und an ihren schmalen Nacken und ihren warmen Rücken, den sie so
ruchlos für ihn entblößt hatte - und daran, wie sich ihr runder,
warmer Hintern durch ihre Röcke hindurch angefühlt hatte, als sie
ihn an sein Bein presste. Seit einer Woche hatte er sie nicht mehr
gehabt, da sie ständig von Menschenmassen umgeben waren, und er
spürte deutlich, wie ihm das fehlte.
Seit sie ihm die Spermien gezeigt hatte, war er
sich der Überfüllung, die dann und wann in seinen Hoden herrschen
musste, unangenehm bewusst, ein Eindruck, der in Situationen wie
dieser zwangsweise noch stärker wurde. Er wusste sehr wohl, dass
keine Gefahr eines Risses oder einer Explosion bestand - und doch
musste er ständig an das Gedränge denken, das dort vor sich
ging.
Ohne Hoffnung auf Entrinnen in einer wimmelnden
Masse gefangen zu sein, war eine seiner persönlichen Visionen von
der Hölle, und er blieb dicht vor dem Vorhang aus Weidenbäumen
stehen, um seine Hoden beruhigend zu drücken und so den Aufruhr
hoffentlich ein wenig zu besänftigen.
Er würde warten, bis Duncan mit Brief und Siegel
verheiratet war, beschloss er, und dann musste der Mann selbst
zurechtkommen. Wenn er bis zum Anbruch der Nacht nichts besseres
als einen Busch gefunden hatte, musste es eben ein Busch sein. Er
schob einen Schwung Weidenzweige beiseite und duckte sich, um
darunter hindurchzutreten.
»Duncan«, begann er und hielt dann inne. Der Wirbel
anzüglicher Gedanken verschwand wie Wasser, das in einen Abfluss
lief. Der rote Rock gehörte nicht Duncan Innes, sondern einem
Fremden, der sich jetzt zu ihm umdrehte und genauso überrascht
aussah, wie Jamie sich fühlte. Ein Mann in der Uniform der Armee
Seiner Majestät.
Der Ausdruck plötzlicher Verblüffung verschwand
beinahe ebenso schnell aus dem Gesicht des Mannes, wie sich Jamies
Überraschung legte. Dies musste MacDonald sein, der Soldat auf
halbem Sold, den Farquard Campbell ihm gegenüber erwähnt hatte.
Offensichtlich hatte Farquard ihn dem Major ebenfalls beschrieben;
er konnte sehen, dass der Mann wusste, wer vor ihm stand.
Auch MacDonald hatte einen Becher Punsch in der
Hand; die Sklaven waren nicht müßig gewesen. Er leerte den Becher
gemächlich, dann stellte er ihn auf die Steinbank und wischte sich
mit dem Handrücken über die Lippen.
»Oberst Fraser, nehme ich an?«
»Major MacDonald«, erwiderte er mit einem halb
höflichen, halb argwöhnischen Kopfnicken. »Stets zu Diensten,
Sir.«
MacDonald verbeugte sich übertrieben
förmlich.
»Oberst. Wenn ich Eure Zeit kurz in Anspruch nehmen
dürfte?« Er blickte über Jamies Schulter hinweg; hinter ihnen am
Ufer ertönten das Gekicher und die aufgeregten, kurzen Aufschreie
einiger sehr junger Frauen, die von sehr jungen Männern verfolgt
wurden. »Unter vier Augen?«
Jamie nahm mit säuerlicher Belustigung zur
Kenntnis, dass der Mann seinen Miliztitel benutzte, nickte jedoch
knapp und stellte seinen eigenen, noch halb vollen Becher neben dem
des Majors ab.
Er neigte den Kopf fragend in Richtung des Hauses;
MacDonald nickte und folgte ihm unter der Weide hervor, und lautes
Rascheln und Kreischen verriet ihnen, dass Bank und Bäume jetzt dem
jüngeren Element anheim gefallen waren. Er wünschte ihnen viel
Glück damit und merkte sich die Stelle für seinen möglichen
Eigenbedarf nach Anbruch der Dunkelheit vor.
Der Tag war kalt, aber windstill und sonnig, und
eine Reihe von Gästen - zum Großteil Männer, die die zivilisierte
Atmosphäre im Inneren des Hauses zu erdrückend fanden - standen
diskutierend in Gruppen an den Ecken der Terrasse zusammen oder
schlenderten über die Pfade des aufblühenden Gartens, wo ihre
Tabakpfeifen ungestört vor sich hinqualmen konnten. Da er Letztere
für den besten Weg hielt, einer Unterbrechung vorzubeugen,
schwenkte Jamie mit dem Major auf den gepflasterten Pfad ein, der
auf die Ställe zuführte.
»Habt Ihr Wylies Friesen schon gesehen?«, fragte
der Major, als sie in beiläufiger Unterhaltung das Haus so weit
umrundeten, bis sie außer Hörweite waren.
»Aye, das habe ich. Der Hengst ist ein prächtiges
Tier, nicht wahr?« Sein
Blick wanderte automatisch zu dem Paddock neben der Scheune. Der
Hengst knabberte an den vertrockneten Unkräutern neben dem Trog,
während die beiden Stuten einträchtig Kopf an Schweif in der Nähe
des Stalles standen. Ihre breiten Rücken glänzten in der bleichen
Sonne.
»Aye? Nun ja, vielleicht.« Der Major blickte
blinzelnd zum Paddock hinüber und kniff in skeptischem
Einverständnis ein Auge zu. »Kräftig gebaut, das muss ich sagen.
Schöne Brust. Aber diese ganzen Haare - taugen nicht für ein
Kavalleriepferd, obwohl, ganz weg, wenn man ihn anständig rasiert
und bandagiert...«
Jamie unterdrückte das Bedürfnis zu fragen, ob der
Major seine Frauen auch rasiert bevorzugte. Er hatte das Bild der
gelösten Haarsträhne, die sich über diesen weißen Rücken ringelte,
immer noch im Kopf. Vielleicht waren die Ställe ja besser
geeignet... Er schob diesen Gedanken beiseite, um später darauf
zurückzukommen.
»Es gab da etwas, das Euch beschäftigt, Major?«,
fragte er ein wenig abrupter als beabsichtigt.
»Mich persönlich weniger«, erwiderte MacDonald
gleichmütig. »Man hat mir gesagt, dass Ihr Euch für den
Aufenthaltsort eines Gentleman namens Stephen Bonnet interessiert.
Bin ich da richtig informiert, Sir?«
Der Name traf Jamie wie ein Schlag vor die Brust;
er raubte ihm für eine Sekunde den Atem. Ohne, dass er bewusst
darüber nachdachte, legte sich seine linke Hand um den Griff seines
Dolches.
»Ich - ja. Ihr wisst, wo er sich aufhält?«
»Leider nein.« Angesichts seiner Reaktion zog
MacDonald die Augenbrauen hoch. »Aber ich weiß, wo er sich
aufgehalten hat. Ein durchtriebener Junge, unser Stephen, wie ich
höre?«, erkundigte er sich mit scherzhaftem Unterton.
»Das kann man wohl sagen. Er ist ein Mörder, er hat
mich beraubt - und meine Tochter vergewaltigt«, sagte Jamie
unverblümt.
Der Major holte Luft, und sein Gesicht verdunkelte
sich, als er begriff.
»Verstehe«, sagte er leise. Er hob kurz die Hand,
als wolle er Jamies Arm berühren, doch dann ließ er sie an seine
Seite sinken. Er ging noch ein paar Schritte, die Stirn
konzentriert gerunzelt.
»Verstehe«, sagte er erneut, und jede Spur von
Belustigung war aus seiner Stimme gewichen. »Ich wusste nicht...
ja. Ich verstehe.« Er verfiel erneut in Schweigen und verlangsamte
seine Schritte, als sie sich dem Paddock näherten.
»Ich nehme an, Ihr beabsichtigt, mir zu erzählen,
was Ihr von dem Mann wisst?«, sagte Jamie höflich. MacDonald
blickte zu ihm auf und schien zu begreifen, dass Jamie zu erfahren
plante, was er wusste, ob im Gespräch oder durch direktere Methoden
- und ganz gleich, was seine eigenen Absichten waren.
»Ich selbst bin dem Mann nie begegnet«, sagte
MacDonald freundlich.
»Alles, was ich weiß, habe ich letzten Monat bei einer
Abendgesellschaft in New Bern erfahren.«
Es war ein Whistabend, dessen Gastgeber Davis
Howell war, ein wohlhabender Schiffseigner und Mitglied im
Königlichen Rat des Gouverneurs. Die kleine, aber feine
Gesellschaft hatte mit einem exzellenten Abendessen begonnen und
war dann zu Konversation und Kartenspiel übergegangen, gut geölt
mit Rumpunsch und Brandy.
Als der Abend spät wurde und der Rauch der
Zigarillos die Luft schwer werden ließ, wurden die Gespräche
achtloser, und man nahm scherzhaft Bezug auf die jüngsten
Verbesserungen der Besitzverhältnisse eines gewissen Mr. Butler und
spekulierte recht unverhüllt über die Quelle seiner neuen
Reichtümer. Einer der Herren legte großen Neid an den Tag und ließ
die Worte vernehmen: »Ach, hätte man doch einen Stephen Bonnet in
der Tasche...« Dann brachte einer seiner Freunde, dessen Diskretion
sich noch nicht vollends in Rum aufgelöst hatte, ihn mit dem
Ellbogen zum Schweigen.
»War Mr. Butler unter den Anwesenden dieser
soiree?«, fragte Jamie scharf. Der Name war ihm nicht
vertraut, doch wenn Butler mit Mitgliedern des Königlichen Rates
bekannt war... nun, die Kreise der Macht in der Kolonie waren
klein; irgendjemand würde bestimmt mit seiner Tante bekannt sein,
oder mit Farquard Campbell.
»Nein.« Sie hatten das Paddock erreicht; MacDonald
lehnte sich mit verschränkten Armen auf den Zaun, die Augen auf den
Hengst gerichtet. »Ich glaube, er lebt in Edenton.«
Dort lebte auch Philip Wylie. Der Hengst - Lucas,
so hieß er - kam auf sie zu, die weichen, schwarzen Nüstern
neugierig gebläht. Jamie hielt ihm automatisch die Fäuste hin, und
da sich das Pferd als gutmütig erwies, rieb er ihm den schmalen
Kiefer. So schön der Friese auch war, er bemerkte es kaum, denn
seine Gedanken drehten sich wie ein Kreisel.
Edenton lag am Albemarle Sound und war per Schiff
leicht zu erreichen. Also war es ausgesprochen wahrscheinlich, dass
Bonnet sich wieder dem Seemannshandwerk zugewandt hatte - und damit
auch der Piraterie und Schmuggelei.
»Ihr habt Bonnet einen durchtriebenen Jungen
genannt«, sagte er und wandte sich MacDonald zu. »Warum?«
»Könnt Ihr gut Whist spielen, Oberst Fraser?«
MacDonald sah ihn fragend an. »Ich kann es nur wärmstens empfehlen.
Es hat einige Vorteile mit dem Schachspiel gemeinsam, denn man muss
die Gedanken seines Gegenspielers erraten, und es hat den noch
größeren Vorteil, dass man es zu mehreren spielen kann.«
Die harten Linien seines Gesichtes entspannten sich
vorübergehend zu einem schwachen Lächeln. »Und den noch
größeren Vorteil, dass man damit seinen Lebensunterhalt verdienen
kann, was beim Schach selten der Fall ist.«
»Das Spiel ist mir vertraut«, sagte Jamie extrem
trocken.
Major MacDonald war ein Offizier auf halbem Sold,
der weder offizielle Pflichten noch ein aktives Regiment besaß. Es
war alles andere als ungewöhnlich, dass solche Männer ihr mageres
Einkommen dadurch aufbesserten, dass sie Informationen sammelten,
die sie dann verkauften oder eintauschten. Es war zwar nicht von
einer Bezahlung die Rede - noch nicht -, doch das bedeutete nicht,
dass die Schuld nicht später noch abgerufen werden konnte. Jamie
zeigte durch ein Kopfnicken an, dass er die Situation verstand, und
MacDonald nickte seinerseits zufrieden. Wenn es an der Zeit war,
würde er seine Wünsche äußern.
»Nun, Sir. Wie Ihr Euch vorstellen könnt, brannte
ich darauf zu erfahren, wer dieser Bonnet sein könnte - und welche
Gans ihn gelegt hatte, wenn er tatsächlich so ein goldenes Ei
war.«
Doch nun waren MacDonalds Gesprächspartner wieder
auf der Hut gewesen, und er konnte nichts weiter über den
mysteriösen Bonnet in Erfahrung bringen - abgesehen davon, was für
eine Wirkung er auf die Menschen hatte, die ihm begegneten.
»Ihr wisst doch, dass man oft genauso viel durch
das erfährt, was die Leute nicht sagen, wie durch das, was sie
sagen. Oder dadurch, wie sie es sagen?« Er fuhr fort, ohne Jamies
Kopfnicken abzuwarten.
»Wir waren acht Spieler. Drei haben ihren
Spekulationen freien Lauf gelassen, aber ich konnte sehen, dass sie
auch nicht mehr über Bonnet wussten als ich selbst. Zwei weitere
schienen weder etwas zu wissen noch schien es sie zu interessieren,
aber die beiden letzten -« Er schüttelte den Kopf. »Sie sind sehr
still geworden, Sir. Wie Menschen, die nicht vom Teufel sprechen
möchten, weil sie fürchten, dass er dann kommt.«
MacDonalds Augen leuchteten spekulativ.
»Ihr kennt Bonnet persönlich?«
»Ja. Die beiden Herren, die ihn kannten?«
»Walter Priestly und Hosea Wright«, erwiderte
MacDonald prompt. »Beide gute Freunde des Gouverneurs.«
»Kaufleute?«
»Unter anderem. Beide besitzen Lagerhäuser; Wright
in Edenton und Plymouth, Priestly in Charleston, Savannah,
Wilmington und Edenton. Priestly hat außerdem geschäftliche
Interessen in Boston«, fügte MacDonald nachträglich hinzu. »Obwohl
ich nicht viel darüber weiß, welcher Natur sie sind. Oh - und
Wright ist Bankier.«
Jamie nickte. Er hatte beim Gehen die Hände unter
den Rockschößen gefaltet; niemand konnte sehen, wie fest er seine
Finger geballt hatte.
»Von Mr. Wright habe ich, glaube ich, schon
gehört«, sagte er. »Philip Wylie hat erwähnt, dass ein Herr dieses
Namens eine Plantage in der Nähe seiner eigenen besitzt.«
MacDonald nickte zustimmend. Seine Nasenspitze war
rot geworden,
und auf seinen Wangen zeichneten sich kleine, geplatzte Blutgefäße
ab, Überbleibsel jahrelanger Feldzüge.
»Aye, das dürfte Four Chimneys sein.« Er warf Jamie
einen Seitenblick zu und betastete beim Nachdenken einen Backenzahn
mit seiner Zunge.
»Dann habt Ihr also vor, ihn umzubringen?«
»Natürlich nicht«, erwiderte Jamie gleichmütig.
»Einen Mann, der so gute Beziehungen auf höchster Ebene hat?«
MacDonald sah ihn scharf an und wandte sich dann
mit einem kurzen Schnauben ab.
»Aye. Nun denn.«
Sie schritten eine Zeit lang Seite an Seite einher,
ohne etwas zu sagen, ein jeder mit seinen eigenen Überlegungen
beschäftigt - ein jeder in dem vollen Bewusstsein, was für
Überlegungen der andere hegte.
Die Neuigkeit von den Verbindungen Bonnets hatte
Vor- und Nachteile; einerseits würden sie wahrscheinlich die Suche
nach dem Mann erleichtern. Andererseits würden diese Verbindungen
die Lage beträchtlich verkomplizieren, wenn es daran ging, den Mann
umzubringen. Das würde Jamie nicht aufhalten - und das war
MacDonald eindeutig klar -, doch es musste zumindest bedacht
werden.
MacDonald selbst stellte ebenfalls eine
beträchtliche Komplikation dar. Bonnets Geschäftspartner würden mit
großem Interesse zur Kenntnis nehmen, dass jemand sie von der
Quelle ihres Profits abschneiden wollte - und sie würden mehr als
nur wahrscheinlich Schritte in die Wege leiten, um das zu
verhindern. Außerdem würden sie gut für die Information bezahlen,
dass ihre goldene Gans bedroht war; eine Aussicht, die MacDonald
natürlich zu schätzen wusste.
Doch es gab keine unmittelbare Möglichkeit,
MacDonald zum Schweigen zu bringen; Jamie fehlten die Mittel, um
ihm Schmiergeld zu zahlen, und das war sowieso ein unkluger Kurs,
denn wer sich einmal kaufen ließ, hatte immer einen Preis.
Er sah MacDonald an, der seinen Blick erwiderte,
schwach lächelte und dann den Kopf abwandte. Nein, Einschüchterung
brachte hier nichts, selbst wenn er bereit gewesen wäre, einen Mann
zu bedrohen, der ihm einen Dienst erwiesen hatte. Aber was dann? Er
konnte MacDonald kaum eins über den Schädel brummen, um zu
verhindern, dass er Wright, Priestly oder Butler gegenüber
plauderte.
Nun, und wenn Bestechung oder Gewalt nicht in Frage
kamen, konnte nur Erpressung dem Mann das Maul stopfen. Was
wiederum ebenfalls mit Komplikationen verbunden war, insofern als
er - im Moment - nichts wusste, womit er MacDonald hätte
diskreditieren können. Ein Mann mit dem Lebensstil des Majors hatte
mit Sicherheit seine Schwachstellen, doch sie zu finden... wie viel
Zeit mochte ihm bleiben?
Dieser Gedanke brachte ihn auf eine Idee.
»Wie habt Ihr denn erfahren, dass ich an
Neuigkeiten über Bonnet interessiert bin?«, fragte er abrupt und
unterbrach MacDonalds Gedankengänge.
MacDonald zuckte mit den Achseln und setzte sich
Hut und Perücke fester auf.
»Ich habe es aus einem halben Dutzend
unterschiedlicher Quellen gehört, Sir, vom Wirtshaus bis hin zum
Magistratengericht. Ich fürchte, Euer Interesse ist weithin
bekannt. Nicht aber«, fügte er mit einem kalkulierenden Seitenblick
hinzu, »der Grund dafür.«
Jamie grunzte heftig auf. Was für ein
zweischneidiges Schwert. Dadurch, dass er sein Netz weit
ausgeworfen hatte, hatte er seinen Fisch bekommen - doch er hatte
zweifellos auch Wellen aufgeworfen, die den Wal womöglich
verscheuchten. Wenn die ganze Küste wusste, dass er Bonnet suchte -
so wusste Bonnet es auch.
Das konnte schlecht für ihn sein, vielleicht aber
auch nicht. Wenn Brianna davon hörte - sie hatte ausdrücklich
gewünscht, dass er Bonnet seinem Schicksal überließ. Das war
natürlich Unsinn, doch er hatte nicht mit ihr darüber diskutiert,
sondern ihr nur zugehört und dabei den Anschein erweckt, darüber
nachzudenken. Sie brauchte schließlich nichts davon zu wissen,
solange der Mann nicht unschädlich gemacht war. Doch wenn ihr
verfrüht ein unachtsames Wort zu Ohren kam... Er hatte gerade
begonnen, die Möglichkeiten abzuwägen, als MacDonald erneut das
Wort ergriff.
»Eure Tochter... das ist wohl Mrs. MacKenzie, nicht
wahr?«
»Spielt das eine Rolle?« Seine Worte waren kalt,
und MacDonald presste kurz die Lippen zusammen.
»Nein. Natürlich nicht. Es ist nur - ich habe mich
ein wenig mit Mrs. MacKenzie unterhalten und fand sie sehr...
charmant. Der Gedanke, dass...« Er brach ab und räusperte sich.
»Ich habe selbst eine Tochter«, sagte er abrupt. Er blieb stehen
und drehte Jamie das Gesicht zu.
»Aye?« Jamie war nichts davon bekannt, dass der
Major verheiratet war. Wahrscheinlich stimmte es ja auch gar nicht.
»In Schottland?«
»In England. Ihre Mutter ist Engländerin.« Die
Kälte hatte die verwitterte Haut des Soldaten mit farbigen Streifen
überzogen, die sich jetzt noch dunkler färbten. Doch MacDonalds
blassblaue Augen hielten Jamies unverwandt fixiert. Sie hatten
dieselbe Farbe wie der Himmel hinter ihm.
Jamie spürte, wie sich die Spannung in seiner
Wirbelsäule löste. Er zog achselzuckend die Schultern hoch und ließ
sie wieder sinken. MacDonald nickte kaum merklich. Ohne es
abzusprechen, machten beide Männer kehrt und hielten wieder auf das
Haus zu, wobei sie sich beiläufig über die Indigopreise, die
jüngsten Neuigkeiten aus Massachusetts und das für die Jahreszeit
überraschend milde Wetter unterhielten.
»Ich habe mich vorhin mit eurer Frau unterhalten«,
merkte MacDonald an. »Eine charmante Dame, und äußerst
liebenswürdig - Ihr seid ein glücklicher Mann, Sir.«
»Dem kann ich nicht widersprechen«, erwiderte Jamie
und warf MacDonald einen raschen Blick zu.
Der Soldat hüstelte geziert. »Mrs. Fraser war so
freundlich anzudeuten, dass Ihr es möglicherweise in Betracht
ziehen würdet, mich mit einem Empfehlungsschreiben an seine
Exzellenz, den Gouverneur auszustatten. Sie meinte, ein Mann von
meiner Erfahrung könnte angesichts der drohenden Konflikte der
jüngsten Zeit möglicherweise in der Lage sein, etwas beizusteuern,
was... Ihr versteht?«
Jamie verstand bestens. Und er bezweifelte zwar,
dass Claire etwas Derartiges angedeutet hatte, doch er war
erleichtert, so billig davonzukommen.
»Wird sofort erledigt«, versicherte er MacDonald.
»Sucht mich heute Nachmittag nach der Trauung auf, und ich werde
das Schreiben für Euch bereithalten.«
MacDonald neigte den Kopf und machte ein
zufriedenes Gesicht.
Als sie den Pfad erreichten, der zu den Aborten
führte, verabschiedete sich MacDonald mit einem Kopfnicken und
einem Wink seiner Hand. Dabei kam er an Duncan Innes vorbei, der
aus jener Richtung kam und verkrampft und eingefallen aussah, ganz
wie ein Mann, dessen Eingeweide sich hemmungslos verknotet
hatten.
»Geht es dir nicht gut, Duncan?«, fragte Jamie und
betrachtete seinen Freund besorgt. Der Tag war nicht heiß, doch auf
Innes’ Stirn glänzte ein dünner Schweißfilm, und seine Wangen waren
bleich. Wenn es eine Krankheit war, so hoffte Jamie, dass sie nicht
ansteckend war.
»Nein«, sagte Innes als Antwort auf seine Frage.
»Nein, ich bin... Mac Dubh, ich muss mit dir reden.«
»Natürlich, a charaid.« Alarmiert über das
Aussehen des Mannes, ergriff er Duncans Arm, um ihn zu stützen.
»Soll ich meine Frau holen? Brauchst du einen kleinen Schluck?«
Seinem Geruch nach wäre es nicht sein erster Schluck gewesen, doch
das war für einen Bräutigam nicht ungewöhnlich. Er schien nicht
betrunken zu sein, doch irgendetwas plagte ihn eindeutig.
Vielleicht eine schlechte Muschel gestern beim Abendessen...
Innes schüttelte den Kopf. Er schluckte und verzog
das Gesicht, als sei ihm etwas im Hals stecken geblieben. Dann
atmete er durch die Nase ein und richtete sich auf, als müsse er
sich für irgendetwas stählen.
»Nein, Mac Dubh, du bist es, den ich
brauche. Einen kleinen Rat, wenn du so freundlich wärst...«
»Aye, Duncan, natürlich.« Jetzt war er eher
neugierig als alarmiert, und er ließ Duncans Arm los. »Was ist denn
los, Mann?«
»Wegen - wegen der Hochzeitsnacht«, platzte Duncan
heraus. »Ich - das heißt, ich habe -« Er brach abrupt ab, als er
sah, dass vor ihnen jemand in den Pfad einbog und auf den Abort
zuhielt.
»Hier entlang.« Jamie wandte sich dem Gemüsegarten
zu, der von schützenden Ziegelmauern umgeben war. Hochzeitsnacht?,
dachte er beruhigt
und neugierig zugleich. Er wusste, dass Duncan noch nie
verheiratet gewesen war, und während ihrer gemeinsamen Zeit in
Ardsmuir hatte er nie anzüglich von Frauen gesprochen, wie es
manche Männer taten. Er hatte es damals nur für angeborene
Bescheidenheit gehalten, doch vielleicht... aber nein, Duncan war
weit über fünfzig; er musste doch dann und wann die Gelegenheit
gehabt haben. Blieben Männer oder der Tripper, dachte er, und er
hätte geschworen, dass Duncan nichts für Männer übrig hatte. Etwas
peinlich natürlich, doch er vertraute fest darauf, dass Claire
damit fertig werden würde, sie und ihre Schimmelpilze. Allerdings
hoffte er, dass es nur ein Ausfluss war und nicht die
Franzosenkrankheit; das war eine scheußliche Seuche.
»Hier, a charaid«, sagte er und zog Duncan
hinter sich her in den duftenden Schutz der Zwiebelbeete. »Hier
sind wir ganz ungestört. Also, was hast du für Kummer?«