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Ein toter Wal
Ende März waren die Wege bergab passierbar. Wir
hatten bis jetzt noch nichts von Milford Lyon gehört, und nach
einigem Hin und Her wurde beschlossen, dass Jamie und ich mit
Brianna, Roger und Marsali nach Wilmington reisen würden, während
Fergus die Vermessungsprotokolle nach New Bern brachte, um sie
offiziell aktenkundig zu machen und sie registrieren zu
lassen.
Die Mädchen und ich würden Vorräte kaufen, die im
Lauf des Winters knapp geworden waren, Dinge wie Salz, Zucker,
Kaffee, Tee und Opium, während Roger und Jamie diskrete
Erkundigungen über Milford Lyon - und Stephen Bonnet - einholten.
Fergus würde zu uns stoßen, sobald er sich um die Protokolle
gekümmert hatte, und seinerseits entlang der Küste Nachforschungen
anstellen, sofern sich die Gelegenheit dazu bot.
Woraufhin Jamie und Roger dem einmal entdeckten
Bonnet einen Besuch abstatten und abwechselnd auf ihn schießen oder
einstechen würden, um nach seinem Tod zurück in die Berge zu reiten
und sich gegenseitig zu ihrer guten Arbeit zu beglückwünschen. So
hatte man mir den Plan zumindest erklärt.
»Die besten Pläne von Mäusen und Menschen gehen oft
daneben«, zitierte ich während einer Diskussion über diese
Angelegenheit. Jamie zog eine Augenbraue hoch und warf mir einen
Blick zu.
»Was für Pläne haben denn Mäuse?«
»Nun, das kann ich dir auch nicht sagen«, gab ich
zu. »Aber das Prinzip stimmt trotzdem; du hast doch keine Ahnung,
was alles passieren kann.«
»Das stimmt«, pflichtete er mir bei. »Aber ganz
gleich, was geschieht, ich bin darauf gefasst.« Er berührte
den Dolch, der auf der Ecke seines Schreibtisches lag, und widmete
sich dann wieder seinen Vorratslisten für die Farm.
Das Wetter erwärmte sich während unseres Abstiegs
aus dem Gebirge merklich, und als wir uns der Küste näherten,
kreisten ganze Schwärme von Möwen und Krähen unter hysterischem
Gekreische im hellen Schein der Frühlingssonne über frisch
gepflügten Feldern.
In den Bergen begannen die Bäume gerade erst zu
grünen, doch in Wilmington leuchteten bereits die Blumen in den
Gärten, und Akelei und Rittersporn steckten ihre gelben und blauen
Spitzen über die Zäune an der Beaufort Street. Wir fanden ein
kleines Stück vom Kai entfernt in einem kleinen, sauberen Gasthaus
Unterkunft. Es war relativ billig und einigermaßen gemütlich, wenn
auch ein bisschen eng und dunkel.
»Warum haben sie denn nicht mehr Fenster?«, knurrte
Brianna und hielt sich den Zeh, den sie sich gestoßen hatte, als
sie im Dunklen auf dem Treppenabsatz über Germain stolperte.
»Irgendjemand wird das Haus noch niederbrennen, wenn er sich eine
Kerze anzündet, um zu sehen, wohin er tritt. Glas kann doch nicht
so teuer sein.«
»Fenstersteuern«, erklärte Roger ihr und hob
Germain hoch, um ihn zu seiner hemmungslosen Begeisterung kopfunter
über das Geländer baumeln zu lassen.
»Was? Die Krone erhebt eine Steuer auf
Fenster?«
»So ist es. Man sollte zwar meinen, dass sich die
Leute darüber mehr ärgern als über Steuern für Briefmarken oder
Tee, aber anscheinend sind sie an die Fenstersteuer gewöhnt.«
»Kein Wunder, dass sie kurz vor einer Revolu - Oh,
guten Morgen, Mrs. Burns! Das Frühstück riecht ja wunderbar!«
Die jungen Frauen, die Kinder und ich verbrachten
mehrere Tage mit preisbewussten Einkäufen, während Roger und Jamie
in einer Vielzahl von Schankräumen und Wirtshäusern das
Geschäftliche mit dem Angenehmen verbanden. Ihre Erledigungen waren
zum Großteil abgeschlossen, und Jamie bezog beim Kartenspiel und
durch Pferdewetten ein kleines, aber nützliches Nebeneinkommen,
doch das Einzige, was er über Stephen Bonnet herausbekam, war, dass
er seit Monaten nicht mehr in Wilmington gesehen worden war.
Insgeheim war ich erleichtert, das zu hören.
Im späteren Lauf der Woche begann es so heftig zu
regnen, dass wir zwei Tage lang nicht vor die Tür traten. Es war
mehr als nur Regen; es war ein ausgewachsener Sturm, dessen
Windstärke ausreichte, um die Fächerpalmen halb umzubiegen und die
schlammigen Straßen mit abgerissenen Blättern und Ästen zu
pflastern. Marsali blieb bis zum späten Abend wach und betete
abwechselnd den Rosenkranz oder spielte zur Ablenkung mit Jamie
Karten.
»Fergus hat gesagt, es ist ein großes Schiff, mit
dem er aus New Bern kommt. Die Octopus? Das klingt doch nach
einer Vertrauen erweckenden Größe, oder, Pa?«
»Oh, aye. Obwohl die Paketboote auch sehr sicher
sind, soweit ich weiß. Nein, leg die nicht ab, Kleine - nimm lieber
die Pik Drei.«
»Woher weißt du denn, dass ich die Pik Drei habe?«,
fragte sie und sah ihn mit argwöhnisch gerunzelter Stirn an. »Und
das mit den Paketbooten ist nicht wahr. Das weißt du genauso gut
wie ich; wir haben doch erst vorgestern das Wrack am Ende der Elm
Street gesehen.«
»Ich weiß, dass du die Pik Drei hast, weil ich sie
nicht habe«, sagte Jamie zu ihr und presste sein Kartendeck fest an
seine Brust, »und alle anderen Pikkarten haben schon auf dem Tisch
gelegen. Außerdem ist es auch möglich, dass Fergus auf dem Landweg
aus New Bern kommt; vielleicht ist er ja gar nicht auf einem
Schiff.«
Ein Windstoß traf das Haus und rappelte an den
Fensterläden.
»Noch ein Argument gegen Fenster«, merkte Roger an
und schaute Marsali über ihre Schulter hinweg in die Karten. »Nein,
er hat Recht, leg die Pik drei ab.«
»Hier, mach du es. Ich muss nach Joanie sehen.« Sie
stand plötzlich auf, drückte Roger die Karten in die Hand und
rauschte in das kleine Nebenzimmer, das sie mit ihren Kindern
teilte. Ich hatte Joanie nicht weinen gehört.
Über uns erklang ein lautes Krachen und Schaben,
als ein abgebrochener Ast über das Dach schlitterte. Alle blickten
nach oben. Unter dem schrillen Heulen des Windes konnten wir das
hohle Donnern der Brandung hören, die über das überflutete Watt
hinwegkochte und auf das Ufer einhämmerte.
»Die mit Schiffen auf dem Meer fuhren«, zitierte
Roger leise, »und trieben ihren Handel auf großen Wassern; die des
Herrn Werke erfahren haben und seine Wunder im Meer, wenn er sprach
und einen Sturmwind erregte, der die Wellen erhob.«
»Oh, du bist wirklich eine große Hilfe«, sagte
Brianna unwirsch. Sie war sowieso schon gereizt, und der
Zwangsaufenthalt in geschlossenen Räumen hatte nicht zur
Verbesserung ihrer Laune beigetragen. Jemmy, dem der Lärm
furchtbare Angst machte, hatte fast zwei Tage lang wie ein warmer
Wickel an ihr geklebt, und sie waren beide heiß, feucht und
außerordentlich übel gelaunt.
Roger schien sich durch ihre Stimmung nicht
beeindrucken zu lassen. Er bückte sich lächelnd, und nach einigen
Schwierigkeiten entwand er ihr Jemmy. Er stellte den Kleinen auf
den Boden und hielt ihn an den Händen fest.
»Dass sie taumelten und wankten«, sagte er
theatralisch und zog an Jemmys Händen, so dass er stolperte und das
Gleichgewicht verlor, »wie ein Trunkener und wussten keinen Rat
mehr.«
Jemmy kicherte, und selbst Brianna fing
widerstrebend an zu lächeln.
»Die zum Herrn schrien in ihrer Not, und er
führte sie aus ihren Ängsten-« Bei führte schwang er
Jemmy plötzlich in die Luft, fing ihn unter den Armen auf und
wirbelte ihn herum, so dass er vor Entzücken kreischte.
»Und stillte das Ungewitter, dass die Wellen sich
legten und sie froh wurden, dass es still geworden war -« Er zog
Jemmy an sich und küsste ihn auf den Kopf. »Und er sie zu Lande
brachte nach ihrem Wunsch.«
Brianna applaudierte seiner Darbietung sarkastisch,
lächelte aber dennoch. Jamie hatte die Karten wieder an sich
genommen und schob das Deck ordentlich zusammen. Er hielt inne und
blickte auf. Verwundert über seine plötzliche Stille, wandte ich
den Kopf und musterte ihn. Er sah mich an und lächelte.
»Der Wind hat nachgelassen«, sagte er. »Hörst du
es? Morgen gehen wir aus.«
Als es Morgen wurde, hatte sich das Wetter
aufgeklart, und die frische Brise, die von der See her wehte,
brachte einen Hauch vom Ufer mit, der nach Strandflieder und
Kiefern roch - und nach in der Sonne verrottendem Meeresgetier. Das
Kai war nach wie vor deprimierend frei von Masten aller Art; es
lagen keine großen Schiffe vor Anker, nicht einmal ein Zweimaster
oder ein Paketboot, obwohl es im Wasser des Wilmingtoner Hafens von
Dingis, Flößen, Kanus und kleinen, vierrudrigen Booten wimmelte,
die wie Libellen über das Wasser tanzten und mit ihren fliegenden
Rudern glitzernde Tropfen versprühten.
Die Besatzung eines dieser Boote sah uns missmutig
auf dem Kai stehen und kam auf uns zugeflitzt. Die Ruderer riefen
uns zu - ob wir ein Transportmittel suchten? Als Roger sich
vorbeugte, um ihnen seine höfliche Verneinung zuzurufen, wehte ihm
die Brise den Hut vom Kopf. Er wirbelte trunken auf das bräunliche
Wasser hinaus und landete kreiselnd wie ein Blatt auf dem
Schaum.
Das Boot verfolgte sofort den dahintreibenden Hut,
und einer der Ruderer spießte ihn zielsicher mit dem Ruder auf und
ließ ihn triumphierend an dessen Ende abtropfen. Doch als das Boot
längsseits des Kais anlegte, verwandelte sich die jubelnde Miene
des Bootsmanns in Erstaunen.
»MacKenzie!«, rief er. »Da brat mir doch einer ’nen
Storch, wenn er’s nicht ist!«
»Duff! Duff, alter Knabe!« Roger bückte sich und
ergriff seinen Hut, dann streckte er die Hand aus, um seinem alten
Bekannten hinaufzuhelfen. Duff, ein kleiner Schotte mit grau
meliertem Haar, einer sehr langen Nase, hohlen Wangen und einem
zart sprießenden, ergrauenden Backenbart, der ihm das Aussehen
verlieh, als sei er dick mit Puderzucker überzogen, hüpfte
leichtfüßig auf den Kai, um Roger alsdann von Mann zu Mann zu
umarmen, wobei er ihm unter zahlreichen Begeisterungsrufen heftig
auf den Rücken
klopfte. Roger zahlte es ihm von Herzen heim. Wir anderen standen
höflich da und sahen ihrem Wiedersehen zu, während Marsali Germain
davon abhielt, vom Kai ins Wasser zu springen.
»Kennst du den Mann?«, fragte ich Brianna, die den
alten Freund ihres Mannes skeptisch betrachtete.
»Ich nehme an, er ist einmal mit Roger
zusammen auf einem Schiff gefahren«, erwiderte sie und packte ihren
Sohn fester am Kragen. Jemmy fand den Anblick der Möwen
ausgesprochen aufregend und viel unterhaltsamer als Mr. Duff.
»Jetzt sieh’ sich einer den an!«, rief Duff aus,
der jetzt einen Schritt zurückgetreten war und sich fröhlich mit
dem Ärmel unter der Nase entlangwischte. »’n Rock wie’n feiner Herr
und passende Knöpfe dazu. Und der Hut! Hast wohl auf deine alten
Tage das große Los gezogen, was?«
Roger lachte und bückte sich, um seinen nassen Hut
aufzuheben. Er schlug sich damit auf den Oberschenkel, um ein Stück
Blasentang zu entfernen, und reichte ihn geistesabwesend an Brianna
weiter, die Mr. Duff nach wie vor mit tief zerfurchter Stirn
betrachtete.
»Meine Frau«, stellte Roger sie vor und wies mit
einer Handbewegung auf uns. »Und ihre Familie. Mr. James Fraser,
Mrs. Fräser... und die Schwägerin meiner Frau, ebenfalls Mrs.
Fräser.«
»Zu Diensten, Sir - die Damen.« Duff verbeugte sich
vor Jamie und tippte sich zum Ausdruck seines Respekts kurz mit dem
Finger an das zerschlissene Objekt auf seinem Kopf. Er sah Brianna
an, und ein breites Grinsen spannte seine Lippen an.
»Oh, dann haste sie also geheiratet. Hast ihr die
Hosen ausgezogen, wie ich sehe.« Er stieß Roger vertraulich in die
Rippen und senkte seine Stimme zu einem heiseren Flüstern. »Haste
ihrem Vater Geld für sie gegeben, oder hat er dich bezahlt, damit
du sie nimmst?« Er gab ein knarrendes Geräusch von sich, das ich
für Gelächter hielt.
Jamie und Brianna bedachten Mr. Duff mit
identischen, kalten Blicken der Herablassung, doch bevor Roger
etwas erwidern konnte, rief der andere Ruderer etwas
Unverständliches aus dem Boot herauf.
»Oh, aye, aye, mach dir nicht in die Hose, Mann.«
Mr. Duff winkte seinem Partner beschwichtigend zu.
»Hat er etwas von einem Wal gesagt?«, fragte ich
ihn.
»Aber sicher doch! War das nicht der Grund, warum
Ihr heute Morgen ans Ufer gekommen seid?«
Verständnislose Gesichter in der ganzen
Runde.
»Nein«, sagte Marsali, die viel zu sehr auf ihr
ursprüngliches Vorhaben konzentriert war, um noch Aufmerksamkeit
für etwas anderes übrig zu haben - auch nicht für Wale. »Germain,
komm zurück! Nein, Sir, wir sind hier, um uns zu erkundigen, ob es
Nachrichten von der Octopus gibt. Ihr habt nicht vielleicht etwas
gehört?«
Duff schüttelte den Kopf.
»Nein, Missus. Aber das Wetter in den Outer Banks
ist schon seit einem Monat trügerisch...« Er sah, wie Marsali blass
im Gesicht wurde, und fügte hastig hinzu: »Viele Schiffe haben
bestimmt den Kurs gewechselt. Vielleicht haben sie einen anderen
Hafen angelaufen oder liegen ein Stück vor der Küste und hoffen auf
klaren Himmel, um einlaufen zu können. Weißt du noch, MacKenzie -
das haben wir auch gemacht, als wir auf der Gloriana
gekommen sind.«
»Aye, das stimmt.« Roger nickte, obwohl seine Miene
bei der Erwähnung der Gloriana argwöhnisch wurde. Er warf
Brianna einen kurzen Blick zu, dann sah er Duff wieder an und
senkte ein wenig die Stimme. »Wie ich sehe, hast du dich also von
Kapitän Bonnet getrennt.«
Ein kleiner Ruck durchfuhr meine Fußsohlen, als
hätte jemand das Dock unter Strom gesetzt. Auch Jamie und Brianna
reagierten prompt, wenn auch unterschiedlich. Er trat einen Schritt
auf Duff zu, sie trat einen Schritt zurück.
»Stephen Bonnet?«, sagte Jamie und betrachtete Duff
interessiert. »Dann seid Ihr also mit dem Gentleman bekannt?«
»Jetzt nicht mehr, Sir«, sagte Duff und bekreuzigte
sich.
Jamie nickte langsam, als er das sah.
»Aye, ich verstehe. Und wisst Ihr vielleicht etwas
über Mr. Bonnets gegenwärtigen Aufenthaltsort?«
»Och, nun ja, was das angeht...«
Duff blickte spekulierend zu ihm auf. Er
registrierte die Details seiner Kleidung und Erscheinung und fragte
sich dabei ganz offensichtlich, was die Antwort auf diese Frage
wohl wert sein mochte. Sein Partner unten im Boot jedoch wurde
zunehmend unruhig und rief ihm ungeduldig etwas zu.
Marsali war ebenfalls unruhig.
»Wohin könnten sie denn dann fahren? Wenn sie einen
anderen Hafen angelaufen haben? Germain, hör auf damit! Du fällst
noch ins Wasser!« Sie bückte sich, um ihren Sohn zurückzuholen, der
sich über den Rand des Bootssteges gehängt hatte, um dessen
Unterseite zu erkunden, und setzte ihn sich auf die Hüfte.
»Bonnet?« Jamie zog die Augenbrauen hoch und
brachte eine Miene zuwege, die gleichzeitig ermunternd und
bedrohlich war.
»Woll’n die den Wal seh’n oder nich?«, brüllte der
Gentleman im Boot, der darauf brannte, sich profitableren Dingen
zuzuwenden.
Duff schien sich nicht entscheiden zu können, wem
er zuerst antworten sollte. Seine kleinen Augen wanderten blinzelnd
zwischen Jamie, Marsali und seinem zunehmend gereizten, unmutigen
Partner hin und her. Ich trat vor, um ihm aus der Patsche zu
helfen.
»Was hat das ganze Gerede von dem Wal zu
bedeuten?«
Nunmehr gezwungen, sich auf diese direkte Frage zu
konzentrieren, machte Duff ein erleichtertes Gesicht.
»Nun, der tote Wal, Missus. Ein Riesentier, das auf
der Insel auf Grund gelaufen ist. Ich dachte, Ihr wärt bestimmt
hier, um ihn Euch anzusehen.«
Ich spähte auf das Wasser hinaus und stellte erst
jetzt fest, dass der Bootsverkehr nicht ganz ziellos war. Zwar
hielten einige große Kanus und Lastkähne auf die Mündung des Cape
Fear zu, doch die meisten der kleineren Gefährte pendelten hin und
her und verschwanden mit kleinen Gruppen von Passagieren im fernen
Dunst oder tauchten daraus auf. Sonnenschirme aus Leinen erhoben
sich wie Pilze aus den Booten, und auf dem ganzen Dock standen
Leute verstreut, die eindeutig aus der Stadt kamen und genau wie
wir erwartungsvoll über den Hafen blickten.
»Zwo Shilling pro Boot«, schlug Duff
schmeichlerisch vor. »Hin und zurück.«
Roger, Brianna und Marsali machten interessierte
Gesichter, Jamie sah beklommen drein.
»In diesem Ding?«, fragte er mit einem
skeptischen Blick auf das Ruderboot, das unter uns auf dem Wasser
dümpelte. Duffs Partner - ein Herr von undefinierbarer Rasse und
Muttersprache - schien Anstoß an dieser angedeuteten Kritik an
seinem Fahrzeug nehmen zu wollen, doch Duff kam ihm beruhigend
zuvor.
»Oh, heute herrscht doch Totenstille, Sir,
Totenstille. Es wäre, als säße man auf einer Bank im Wirtshaus.
Passt doch, aye? Eignet sich wunderbar für einen Plausch.« Er
blinzelte, die Liebenswürdigkeit und Unschuld in Person.
Jamie atmete tief durch die Nase ein, und ich sah,
wie er erneut das Boot schräg betrachtete. Jamie verabscheute
Schiffe. Andererseits hätte er noch viel verzweifeltere Schritte
getan als ein Boot zu besteigen, wenn es ihm half, Stephen Bonnet
aufzuspüren. Die Frage war nur, ob Mr. Duff tatsächlich über
diesbezügliche Informationen verfügte oder ob er sich nur ein paar
Passagiere erschleichen wollte. Jamie schluckte krampfhaft und
richtete sich dann auf. Er ergab sich in sein Schicksal.
Ohne abzuwarten, suchte sich Duff gekonnt
Schützenhilfe, indem er sich an Marsali wandte.
»Auf der Insel steht ein Leuchtturm, Ma’am. Von
seiner Spitze aus kann man weit auf die See hinausblicken. Man
könnte sehen, ob Schiffe vor der Küste liegen.«
Marsalis Hand fuhr umgehend an ihre Tasche und
kämpfte mit der Schleife. Ich beobachtete, wie Germain über ihre
Schulter hinweg eifrig eine tote Muschel in Jemmys gierig
geöffneten Mund schob wie eine Vogelmutter, die ihren Nachwuchs mit
einem schönen, saftigen Wurm füttert, und kam ihm taktvoll zuvor,
indem ich Jemmy rasch an mich nahm.
»Nein, Schätzchen«, sagte ich und warf die Muschel
vom Dock. »Du willst doch dieses fiese Ding nicht haben. Möchtest
du dir stattdessen nicht lieber einen schönen, toten Wal
ansehen?«
Jamie seufzte resigniert und griff nach seinem
Sporran. »Dann ruft am besten noch ein anderes Boot, damit wir
nicht alle zusammen ertrinken.«
Draußen auf dem Wasser war es herrlich. Die Sonne
war von einem Dunstschleier verdeckt, und der kühle Lufthauch
verlockte mich, meinen Hut abzunehmen, um den Wind in meinem Haar
zu spüren. Es war zwar nicht völlig still und flach, doch das Auf
und Ab der Wellen war friedlich und beruhigend - wenn man nicht an
der Seekrankheit litt.
Ich warf einen Blick auf Jamies Rücken, doch er
hatte den Kopf gesenkt, und seine Schultern bewegten sich locker
und kraftvoll im Rhythmus seiner Ruderbewegungen.
Als er sich einmal in das Unvermeidliche ergeben
hatte, hatte er kurzen Prozess gemacht, ein zweites Boot
herbeigerufen und Brianna, Marsali und die Jungen hineingescheucht.
Daraufhin hatte er seine Brosche abgelegt und verkündet, dass er
und Roger das verbleibende Boot rudern würden. So konnte Duff sich
ausruhen, und möglicherweise stiegen ja die Chancen, dass er sich
an etwas Interessantes in Bezug auf Stephen Bonnet erinnerte.
»Wenn ich etwas zu tun habe, kotze ich nicht so
schnell«, murmelte er mir zu, während er sich seines Rockes und
Plaids entledigte.
Roger prustete leicht belustigt auf, nickte aber
gutmütig und zog sich ebenfalls den Rock und das Hemd aus. Nachdem
wir Duff und Peter am einen Ende des Fahrzeugs untergebracht
hatten, wo sie sich lauthals darüber amüsierten, dass man sie dafür
bezahlte, sich in ihrem eigenen Boot durch die Gegend rudern zu
lassen, wurde ich angewiesen, ihnen gegenüber am anderen Ende Platz
zu nehmen.
»Nur, um ein Auge auf die Dinge zu haben,
Sassenach.« Im Schutz seiner zusammengerollten Kleider legte Jamie
meine Hand um den Lauf seiner Pistole und drückte sie leicht. Er
reichte mich ins Boot weiter, dann kletterte er selbst vorsichtig
hinunter, wurde aber ein wenig blass, als sich das Boot unter
seinem Gewicht schwankend drehte.
Zum Glück war es ein ruhiger Tag. Über dem Wasser
hing ein schwacher Dunst, der die verschwommenen Umrisse von Smith
Island verhüllte. Zwergmöwen und Seeschwalben zogen hoch über uns
ihre Kreise, und eine fette Möwe schien dicht in unserer Nähe
reglos in der Luft zu stehen und sich vom Wind tragen zu lassen,
während wir langsam auf die Hafenausfahrt zuglitten.
Roger, der unmittelbar vor mir saß, ruderte
fließend und mit rhythmischen Bewegungen seiner breiten Schultern,
die diese Arbeit offensichtlich nicht zum ersten Mal taten. Jamie,
der vor Roger saß, bediente die Ruder sehr elegant, aber etwas
weniger selbstsicher. Er war kein Seemann und würde nie einer sein.
Doch immerhin schien ihn das Rudern von seinem Magen abzulenken.
Für den Moment.
»Oh, daran könnt’ ich mich gewöhnen, was sagst du
dazu, Peter?« Duff
hob seine lange Nase in den Wind und genoss mit halb geschlossenen
Augen die völlig neue Erfahrung, sich rudern zu lassen.
Peter, der eine exotische Mischung aus Indianer und
Schwarzafrikaner zu sein schien, knurrte als Erwiderung, entspannte
sich jedoch nicht minder erfreut neben Duff auf der Bank. Sein
einziges Kleidungsstück war eine fleckige Leinenkniehose, die er an
der Taille mit einem geteerten Seil zugebunden hatte, und die Sonne
hatte ihn so dunkel gebräunt, dass er ein Neger hätte sein können,
hätte er nicht dichtes, langes, schwarzes Haar gehabt, das ihm bis
über die Schulter fiel und mit Muschelstückchen und kleinen,
getrockneten Seesternen verziert war.
»Stephen Bonnet?«, erkundigte sich Jamie
freundlich, während er heftig an den Rudern zog.
»Oh, der.« Duff sah ganz so aus, als wäre es ihm
lieber gewesen, dieses Thema auf unbestimmte Zeit zu verschieben,
doch nach einem Blick in Jamies Gesicht fügte er sich in sein
Schicksal.
»Was wollt Ihr denn wissen?« Der kleine Mann zog
argwöhnisch den Kopf ein.
»Erst einmal, wo er ist«, sagte Jamie und zog leise
ächzend an den Rudern.
»Keine Ahnung«, sagte Duff prompt, und seine Miene
hellte sich auf.
»Nun, wo habt Ihr den Kerl zuletzt gesehen?«,
fragte Jamie geduldig.
Duff und Peter wechselten einen Blick.
»Nun ja«, begann Duff vorsichtig, »meint Ihr damit,
wo ich den Kapitän zuletzt vor der Nase hatte?«
»Was soll er denn sonst meinen, Dummkopf?«, sagte
Roger und legte sich ächzend in die Ruder.
Peter nickte nachdenklich - offensichtlich ging
dieser Punkt an uns -, dann stieß er Duff mit dem Ellbogen in die
Rippen.
»Er war in einem Wirtshaus an der Roanoke Street
und hat Fischpastete gegessen«, sagte Duff kapitulierend. »Mit
Austern und einem Belag aus Brotkrumen, dazu Ale zum
Herunterspülen. Und Melassepudding.«
»Ihr habt ja eine gute Beobachtungsgabe, Mr. Duff«,
sagte Jamie. »Wie steht es denn mit Eurem Zeitgefühl?«
»Häh? Oh, aye, ich kapier’ schon, Mann. Wann war
das... ungefähr vor zwei Monaten.«
»Und wenn Ihr dicht genug dran wart, um zu sehen,
was der Mann auf dem Teller hatte«, merkte Jamie geduldig an, »dann
habt Ihr ja wohl mit ihm an einem Tisch gesessen, oder? Was hat er
gesagt?«
Duff wirkte ein wenig verlegen. Er sah erst mich
an, dann eine der über uns kreisenden Möwen.
»Aye, nun ja. Eigentlich war nur von der Form des
Hinterns der Kellnerin die Rede.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass das ein
Gesprächsthema für eine
ganze Mahlzeit ist, selbst wenn das Mädchen besonders wohlgeformt
gewesen ist«, meldete sich Roger zu Wort.
»Ah, du wärst überrascht, wie viel es über den
Arsch einer Frau zu erzählen gibt, Junge«, versicherte ihm Duff.
»Bei dieser war er rund wie ein Apfel und so schwer wie ’n
anständiger Pudding. Es war furchtbar kalt in dem Haus, und der
Gedanke, so’n dickes, heißes, kleines Luder zwischen den Fingern zu
haben - nichts für ungut, Ma’am, wirklich«, fügte er hastig hinzu
und tippte sich an den Hut.
»Das macht gar nichts«, versicherte ich ihm in
aller Herzlichkeit.
»Könnt Ihr schwimmen, Mr. Duff?«, fragte Jamie,
immer noch im Tonfall schwacher Neugier.
»Was?« Duff blinzelte verblüfft. »Ich... äh... nun
ja...«
»Nein, er kann nicht schwimmen«, sagte Roger
fröhlich. »Er hat es mir erzählt.«
Duff warf ihm über Jamies Kopf hinweg einen Blick
der Entrüstung zu.
»Wo bleibt denn deine Loyalität?«, fragte er
entsetzt. »Du bist mir vielleicht ein schöner
Schiffskamerad! Mich einfach so zu verraten - solltest dich
schämen, wirklich!«
Jamie hob seine triefenden Ruder aus dem Wasser,
und Roger tat es ihm nach. Wir befanden uns etwa eine Viertelmeile
vom Ufer entfernt, und das Wasser jenseits der Bootswand war
tiefgrün, was von einer Wassertiefe von mehreren Metern kündete.
Das Boot wiegte sich sanft auf dem Kamm einer langen, langsamen
Welle.
»Bonnet«, sagte Jamie immer noch höflich, doch mit
einem deutlich gereizten Unterton. Peter verschränkte die Arme und
schloss die Augen, um zu verdeutlichen, dass ihn dieses
Thema nichts anging. Duff seufzte und beobachtete Jamie
genau.
»Aye, nun. Es stimmt, ich habe keine Ahnung, wo der
Mann ist. Als ich ihn gesehen habe, traf er gerade Vorkehrungen, um
einige... Waren... an Land bringen zu lassen. Was auch immer Euch
das sagen mag«, fügte er ausgesprochen unfreundlich hinzu.
»Was für Waren? Wo an Land zu bringen? Um sie dann
wohin zu transportieren?« Jamie stützte sich scheinbar lässig auf
seine eingeholten Ruder. Doch ich konnte eine gewisse Anspannung
seines Körpers sehen, und mir wurde klar, dass er seine
Aufmerksamkeit zwar auf Duffs Gesicht gerichtet hatte, zwangsweise
jedoch auch den Horizont hinter Duff beobachtete - der sich
hypnotisch hob und senkte, während die Dünung das Boot hob und
wieder sinken ließ. Wieder und wieder und...
»Ich hab’ Teekisten für ihn an Land gebracht«,
antwortete Duff argwöhnisch. »Über den Rest kann ich nichts
sagen.«
»Den Rest?«
»Himmel, Mann, jedes Schiff in diesen Gewässern
bringt irgendwelchen Hokuspokus mit - das wisst Ihr doch auch,
oder?«
Peters Augen hatten sich einen Spalt breit
geöffnet; ich sah, wie sie sich mit einem gewissen Ausdruck des
Interesses auf Jamies Gesicht hefteten. Der Wind hatte sich leicht
gedreht, und es roch jetzt entschieden stärker nach totem Wal.
Jamie holte langsam und tief Luft, um dann sehr viel schneller
wieder auszuatmen.
»Ihr habt also Tee an Land gebracht. Von wo. Von
einem Schiff?«
»Aye.« Auch Duff beobachtete Jamie mit wachsender
Faszination. Ich rutschte beklommen auf dem schmalen Sitz hin und
her. Seinem Nacken war zwar nichts anzusehen, doch ich hielt es für
mehr als wahrscheinlich, dass er allmählich grün im Gesicht
wurde.
»Die Sparrow«, fuhr Duff fort, den Blick
fest auf Jamie gerichtet. »Sie lag vor den Banks vor Anker, und die
Boote sind zu ihr hinaus gefahren. Wir haben sie beladen und sind
durch Toad’s Inlet an Land gekommen. Sind an Wylies Landeplatz an
Land gegangen und haben es da einem Mann übergeben.«
»Was... für einem Mann?« Der Wind war kühl, doch
ich konnte sehen, wie Jamie der Schweiß über den Nacken rann, ihm
den Kragen durchfeuchtete und das Leinenhemd zwischen den Schultern
festklebte.
Duff antwortete nicht sofort. In seinen kleinen,
tief liegenden Augen flackerte ein berechnender Ausdruck auf.
»Denk gar nicht erst daran, Duff«, sagte Roger
leise, aber sehr selbstsicher. »Ich kann dich von hier aus mit dem
Ruder erreichen.«
»Aye?« Duff blickte nachdenklich von Jamie zu Roger
und dann zu mir. »Aye, kann schon sein. Aber gehen wir einmal davon
aus, dass du schwimmen kannst, MacKenzie, und sich vielleicht sogar
Mr. Fräser an der Oberfläche halten kann - aber ich glaube nicht,
dass das auch auf die Dame zutrifft, oder? Röcke und Unterröcke...«
Er schüttelte den Kopf und sah mich mit gespitzten Lippen
berechnend an. »Sie würde wie ein Stein zu Boden sinken.«
Peter verrutschte kaum merklich und zog seine Füße
unter sich.
»Claire?«, sagte Jamie. Ich sah, wie sich seine
Finger fest an die Ruder klammerten und hörte seinen angestrengten
Unterton. Ich seufzte und zog die Pistole unter dem Rock auf meinem
Schoß hervor.
»Schön«, sagte ich. »Welchen von beiden soll ich
erschießen?«
Peter riss die Augen so weit auf, dass um seine
ganzen, schwarzen Pupillen herum das Weiße zu sehen war. Er sah
erst die Pistole an, dann Duff, dann Jamie.
»Wir ha’m den Tee an ’nen gewissen Butler
geliefert«, sagte er. »Arbeitet für Mist’ Lyon.« Er wies erst auf
mich, dann auf Duff. »Schießt auf ihn«, schlug er vor.
Nachdem das Eis nunmehr gebrochen war, brauchten
unsere beiden Passagiere nicht mehr lange, um uns auch ihr
restliches Wissen anzuvertrauen. Dabei hielten sie nur dann und
wann inne, damit Jamie sich zwischen den einzelnen Fragen über den
Bootsrand hinweg übergeben konnte.
Wie Duff schon angedeutet hatte, war die
Schmuggelei in der Gegend so verbreitet, dass sie als normales
Geschäftsgebaren galt; die meisten Kaufleute - und sämtliche
Besitzer kleiner Boote - in Wilmington wie auch an der ganzen Küste
von Carolina, beteiligten sich daran, um die mörderischen Zölle zu
umgehen, mit denen die offiziellen Importwaren belegt waren.
Stephen Bonnet war allerdings nicht nur einer der erfolgreicheren
Schmuggler, sondern auch ein echter Spezialist.
»Besorgt Waren auf Bestellung«, sagte Duff und
verdrehte den Hals, um sich besser zwischen den Schulterblättern
kratzen zu können. »Und zwar in großen Mengen.«
»Wie groß?« Jamie hatte die Ellbogen auf die Knie
gestützt und den Kopf in die Hände sinken lassen. Das schien zu
helfen; seine Stimme war fest.
Duff spitzte die Lippen und blinzelte, während er
nachrechnete.
»Wir waren zu sechst in dem Wirtshaus an der
Roanoke Street. Sechs mit kleinen Booten, meine ich, klein genug
für die schmalen Buchten. Wenn alle aufgeladen haben, was sie
konnten... dann waren es alles in allem fünfzig Kisten Tee.«
»Und er bringt eine solche Ladung wie oft mit -
alle zwei Monate?« Roger hatte sich ein wenig entspannt und stützte
sich auf seine Ruder. Meine Wachsamkeit hatte jedoch nicht
nachgelassen, und ich sah Duff über die Pistole hinweg finster an,
um ihm das anzudeuten.
»Oh, öfter«, antwortete Duff, der mich misstrauisch
beobachtete. »Ich weiß es nicht genau, aber man hört ja Gerüchte,
nicht wahr? Nach dem, was die Besatzungen der anderen Boote sagen,
bekommt er während der Saison alle zwei Wochen irgendwo zwischen
Virginia und Charleston eine Ladung herein.« Roger grunzte bei
diesen Worten überrascht auf, und Jamie blickte kurz von seinen
verschränkten Händen auf.
»Was ist mit der Marine?«, fragte er. »Wen bezahlt
er?« Das war eine gute Frage. Möglich zwar, dass kleinere Boote den
Blicken der Marine entgingen, doch Bonnets Machenschaften umfassten
offenbar große Mengen an Schmuggelware, die auf großen Schiffen
hereinkamen. Ein Unternehmen in dieser Größenordnung musste schwer
geheim zu halten sein - und die nahe liegende Lösung war, dass er
gar nicht erst versuchte, es geheim zu halten.
Duff schüttelte den Kopf und zuckte mit den
Achseln.
»Kann ich nicht sagen, Mann.«
»Aber Ihr habt seit Februar nicht mehr für Bonnet
gearbeitet?«, fragte ich. »Warum nicht?«
Duff und Peter wechselten einen Blick.
»Skorpionfische isst man, wenn man Hunger hat«,
sagte Peter zu mir. »Wenn man was Besseres hat, lässt man es
sein.«
»Was?«
»Der Mann ist gefährlich, Sassenach«, übersetzte
Jamie trocken. »Sie haben nur ungern mit ihm zu tun, es sei denn,
aus Not.«
»Nun, wisst Ihr, Bonnet«, sagte Duff, der sich
allmählich für das Thema erwärmte. »Man kann ganz gut mit ihm
auskommen - solange man dieselben Interessen verfolgt wie er. Falls
man ihm aber plötzlich in die Quere kommt...«
Peter fuhr sich ernst mit dem Finger quer über den
sehnigen Hals und nickte bestätigend.
»Und es ist nicht so, als ob er einen warnen
würde«, fügte Duff hinzu und nickte ebenfalls. »In einer Minute
teilt man Whisky und Zigarren, in der nächsten liegt man auf dem
Rücken und atmet Blut und freut sich, dass man überhaupt noch
atmet.«
»Ist er so aufbrausend?« Jamie fuhr sich mit der
Hand über das Gesicht und wischte sich dann die verschwitzte
Handfläche an seinem Hemd ab. Das feuchte Leinen klebte ihm an den
Schultern, doch ich wusste, dass er es nicht ausziehen würde.
Duff, Peter und Roger schüttelten bei dieser Frage
gleichzeitig die Köpfe.
»Eiskalt«, sagte Roger, und ich hörte den leisen
Unterton der Anspannung in seiner Stimme.
»Bringt einen um, ohne mit der Wimper zu zucken«,
versicherte Duff Jamie.
»Macht einen kalt wie den Wal«, fügte Peter mit
einer Handbewegung in Richtung der Insel hilfreich hinzu. Die
Strömung hatte uns jetzt ein ganzes Stück dichter an die Insel
herangetragen, und ich konnte den Wal nicht nur riechen, sondern
auch sehen. Eine große Wolke von Seevögeln wirbelte kreischend über
dem Kadaver herum, und dann und wann stieß einer hinab, um sich ein
Stück Fleisch abzureißen. Daneben hatte sich eine kleine
Menschenmenge angesammelt, die sich die Hände vor die Nase hielt
und deutlich sichtbar ihre Taschentücher und Duftsäckchen
umklammerte.
Genau in diesem Moment schlug der Wind um, und ein
fauliger Hauch der Verwesung spülte über uns hinweg wie eine
brechende Welle. Ich schlug mir Rogers Hemd vor das Gesicht, und
selbst Peter schien blass zu werden.
»Mutter Gottes, hab Erbarmen mit mir«, sagte Jamie
leise. »Ich - oh, Himmel!« Er beugte sich zur Seite und übergab
sich mehrmals.
Ich stieß Roger meinen Zeh in den Hintern.
»Rudere«, schlug ich vor.
Roger leistete mir hastig Folge und legte sich so
kräftig in die Riemen, dass der Kiel des Bootes schon nach wenigen
Minuten auf Sand lief. Duff und Peter sprangen hinaus, um das Boot
aufs Trockene zu ziehen, dann halfen sie mir galant an Land,
offenbar ohne mir die Sache mit der Pistole nachzutragen.
Jamie bezahlte sie, dann stolperte er ein Stück
weit den Strand hinauf und setzte sich abrupt unter einer krummen
Kiefer in den Sand. Sein Gesicht hatte in etwa denselben Farbton
wie der tote Wal, schmutziggrau mit weißen Flecken.
»Sollen wir auf Euch warten, Sir, und Euch
zurückrudern?« Duff, dessen Geldbeutel sich jetzt gesund wölbte,
beugte sich hilfsbereit über Jamie.
»Nein«, sagte Jamie. »Nehmt sie mit.« Er wies mit
einer kraftlosen Geste auf mich und Roger, dann schloss er die
Augen und schluckte krampfhaft. »Was mich angeht, so glaube ich...
ich werde einfach... zurückschwimmen.«