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Unsichtbare Welten
Der Haushalt war still; es war die perfekte
Gelegenheit für meine Experimente. Mr. Bug war nach Woolam’s Mill
gefahren und hatte die Zwillinge mitgenommen; Lizzie und Mr. Wemyss
halfen Marsali beim Ansetzen der neuen Maische, und Mrs. Bug hatte
mir einen Teller Toast und Porridge in der Küche stehen gelassen
und war ebenfalls unterwegs, um die Wälder nach den halb wilden
Hennen zu durchkämmen, eine nach der anderen zu fangen
und an den Füßen in den prächtigen, neuen Hühnerstall zu
schleifen, den ihr Mann gebaut hatte. Brianna und Roger kamen
manchmal zum Frühstück zu uns herauf, doch meistens aßen sie am
eigenen Herd, so auch heute Morgen.
Ich genoss den Frieden des leeren Hauses und machte
mir ein Tablett mit einer Tasse, der Teekanne, Sahne und Zucker
zurecht und nahm es zusammen mit meinen Materialien mit in das
Sprechzimmer. Das Licht des frühen Morgens war perfekt und strömte
golden leuchtend zum Fenster herein. Ich ließ den Tee ziehen, holte
ein paar kleine Glasflaschen aus dem Schrank und ging nach
draußen.
Der Tag war kühl, aber schön, und der klare, blasse
Himmel verhieß für den späteren Vormittag ein wenig Wärme. Doch
momentan war es so kalt, dass ich froh war, mein warmes
Schultertuch dabei zu haben, und das Wasser in der Pferdetränke war
kalt und hatte einen Rand aus zerbrechlichem Eis. Nicht kalt genug,
um die Mikroben zu töten, dachte ich; ich konnte die langen
Algenstränge sehen, die an den Brettern des Troges wuchsen und sich
sanft wiegten, als ich die dünne Eiskruste durchbrach und das
Wasser aufwirbelte, indem ich mit einer meiner Flaschen an der
schleimigen Wand des Troges entlangfuhr.
Ich entnahm weitere Wasserproben aus dem Brunnen
und aus einer stehenden Pfütze in der Nähe des Abortes; dann eilte
ich zum Haus zurück, um meine Versuche durchzuführen, solange das
Licht noch gut war.
Das Mikroskop stand am Fenster, wo ich es tags
zuvor aufgebaut hatte, ganz und gar aus glänzendem Messing und
leuchtenden Spiegeln. Es dauerte ein paar Sekunden, die
Wassertropfen auf die kleinen Glasscheiben aufzutragen, die ich
bereit gelegt hatte, und dann senkte ich den Kopf, um voll
gebannter Erwartung durch die Linse zu blicken.
Die leuchtende Ellipse wölbte sich, wurde kleiner,
erlosch ganz. Blinzelnd drehte ich die Schraube, so langsam ich
konnte, und... da war es. Der Spiegel kam zum Stillstand, und das
Licht nahm die Form eines perfekten, blassen Kreises an, Fenster in
eine andere Welt.
Ich sah verzaubert zu, wie ein Paramecium mit Hilfe
seiner wie verrückt pulsierenden Wimpern eine wilde Hatz auf
unsichtbare Beute unternahm. Dann eine sanfte Verschiebung, denn
auch mein Blickfeld war in ständiger Bewegung, da der Wassertropfen
auf der Glasscheibe mikroskopischen Gezeiten folgte. Ich wartete
noch ein paar Sekunden, da ich hoffte, vielleicht ein Exemplar der
schnellen, eleganten Euglena zu erspähen oder vielleicht
sogar eine Hydra, doch ich hatte kein Glück; nur mysteriöse,
schwarzgrüne Partikel, zelluläre Müllhäufchen oder zerplatzte
Algenzellen.
Ich schob den Objektträger hin und her, fand jedoch
nichts Interessantes mehr. Das war nicht schlimm; ich hatte ja noch
genug andere Studienobjekte. Ich spülte das Glasrechteck in einem
Becher mit Alkohol ab und ließ es kurz trocknen, dann tauchte ich
ein Glasstäbchen in eines der kleinen Schälchen,
die ich vor meinem Mikroskop aufgereiht hatte, und brachte einen
Tropfen Flüssigkeit auf den sauberen Objektträger auf.
Es hatte einiger Experimente bedurft, bis ich das
Mikroskop richtig zusammengebaut hatte; es hatte nicht viel
Ähnlichkeit mit der modernen Variante, vor allem, solange es in
seine Einzelteile zerlegt in Dr. Rawlings hübscher Kiste ruhte.
Dennoch, die Linsen waren eindeutig erkennbar, und indem ich sie
als Ausgangspunkt benutzte, hatte ich es geschafft, die optischen
Teile ohne große Schwierigkeiten in den Halter einzufügen. Dagegen
war es schon schwieriger gewesen, das richtige Licht einzufangen,
und ich war hoch erfreut, dass es endlich funktionierte.
»Was machst du da, Sassenach?« Jamie blieb im
Türrahmen stehen, ein Stück Toast in der Hand.
»Ich sehe etwas«, sagte ich und stellte die Schärfe
nach.
»Oh, aye? Was siehst du denn?« Er kam lächelnd ins
Zimmer. »Doch hoffentlich keine Gespenster? Davon habe ich nämlich
genug.«
»Komm und sieh es dir an«, sagte ich und trat von
dem Mikroskop zurück. Leicht verwundert bückte er sich und
blinzelte durch das Sichtfenster, das andere Auge konzentriert
zugekniffen.
Er blinzelte einen Moment hinein, dann rief er
freudig überrascht aus:
»Ich sehe sie! Kleine Dinger mit Schwänzen, die
überall herumschwimmen!« Er richtete sich auf und lächelte mich mit
entzücktem Gesicht an, dann bückte er sich schnell wieder, um es
sich noch einmal zu betrachten.
Ich spürte ein warmes Glühen des Stolzes über mein
neues Spielzeug.
»Ist es nicht fantastisch?«
»Aye, fantastisch«, sagte er hingerissen. »Sieh sie
dir nur an! Was für unermüdliche, kleine Kämpfer sie sind, und wie
sie drängeln - und was für eine Masse!«
Unter leisen Ausrufen beobachtete er die Vorgänge
unter dem Mikroskop noch ein paar Sekunden, dann richtete er sich
auf und schüttelte staunend den Kopf.
»So etwas habe ich noch nie gesehen, Sassenach. Du
hast mir ja schon von den Keimen erzählt, aye, aber so hätte ich
sie mir nie im Leben vorgestellt! Ich dachte, sie hätten vielleicht
Zähnchen, und das stimmt gar nicht - aber ich hätte nie gedacht,
dass sie solche prächtigen, kräftigen, kleinen Schwänze hätten oder
so zahlreich herumschwimmen.«
»Nun, bei manchen Mikroorganismen ist das so«,
sagte ich und trat vor, um selbst noch einen Blick in das Mikroskop
zu werfen. »Diese kleinen Biester hier sind aber keine Keime - es
sind Spermien.«
»Was?«
Seine Miene war völlig verständnislos.
»Spermien«, sagte ich geduldig. »Männliche
Samenzellen. Du weißt schon, woraus die Babys entstehen?«
Ich dachte, er würde einen Erstickungsanfall
bekommen. Sein Mund
öffnete sich, und ein ausgesprochen hübscher Rosaton überflutete
sein Gesicht.
»Du meinst Samen?«, krächzte er. »Glibber?«
»Nun... ja.« Ohne ihn aus den Augen zu lassen, goss
ich ihm ein wenig dampfenden Tee in einen sauberen Becher, den ich
ihm zur Stärkung reichte. Er ignorierte ihn jedoch, den Blick fest
auf das Mikroskop geheftet, als könnte jede Sekunde etwas aus der
Linse gehüpft kommen und sich zu unseren Füßen auf dem Boden
winden.
»Spermien«, brummte er vor sich hin. »Spermien.« Er
schüttelte heftig den Kopf, dann wandte er sich zu mir um, denn ihm
war gerade ein entsetzlicher Gedanke gekommen.
»Von wem sind sie?«, fragte er im Tonfall
finstersten Argwohns.
»Äh... nun, von dir natürlich.« Ich räusperte mich
leicht verlegen. »Von wem sollen sie sonst sein?«
Er fuhr sich reflexartig mit der Hand an den
Schritt und bedeckte sich schützend.
»Wo zum Teufel hast du sie her?«
»Was glaubst du denn?«, sagte ich ausgesprochen
kühl. »Ich habe sie heute Morgen beim Aufwachen in meiner Obhut
gefunden.«
Seine Hand entspannte sich, doch eine tiefe
Verlegenheit färbte seine Wangen dunkelrot. Er ergriff die Teetasse
und leerte sie trotz ihrer Temperatur in einem Zug.
»Ich verstehe«, sagte er und hustete.
Es folgte ein Augenblick tiefen Schweigens.
»Ich... äh... wusste gar nicht, dass sie am Leben
bleiben können«, sagte er schließlich. »Äääh... draußen, meine
ich.«
»Nun, wenn man sie als Klecks auf dem Laken
trocknen lässt, können sie das auch nicht«, sagte ich nüchtern.
»Aber wenn man verhindert, dass sie austrocknen -«, ich wies auf
die kleine, zugedeckte Schale mit der weißlichen Flüssigkeit, »dann
halten sie es ein paar Stunden aus. In ihrer natürlichen Umgebung
können sie nach der... äh... Freilassung bis zu einer Woche
überleben.«
»Natürliche Umgebung«, wiederholte er mit
nachdenklichem Gesicht. Er warf mir einen raschen Blick zu. »Du
meinst...«
»Genau«, sagte ich mit einem Hauch von
Strenge.
»Mmpfm.« In diesem Moment fiel ihm die Toastscheibe
wieder ein, die er nach wie vor in der Hand hielt, und er biss
hinein und kaute meditativ.
»Wissen die Leute davon? Jetzt, meine ich?«
»Wissen sie was? Wie Spermien aussehen? Mit
ziemlicher Sicherheit. Mikroskope gibt es schon seit über hundert
Jahren, und das Erste, was man mit einem funktionierenden Mikroskop
anfängt, ist, sich die Dinge in Reichweite anzusehen. Und da der
Erfinder des Mikroskops ein Mann war, gehe ich fest davon aus... Du
nicht?«
Er sah mich an, biss erneut in seinen Toast und
kaute betont darauf herum.
»>In Reichweite< ist vielleicht nicht die
Bezeichnung, die ich wählen würde, Sassenach«, sagte er, den Mund
voller Krümel, und schluckte. »Aber ich verstehe, was du
meinst.«
Wie von einer unwiderstehlichen Macht angezogen,
näherte er sich dem Mikroskop und beugte sich darüber, um erneut
einen Blick hineinzuwerfen.
»Sie sehen wie rechte Rabauken aus«, sagte er nach
kurzer Betrachtung.
»Nun, das müssen sie ja auch sein«, sagte ich und
unterdrückte ein Lächeln über seinen leicht verlegenen Stolz auf
den Heldenmut seiner Gameten. »Es ist schließlich ein langer Weg,
an dessen Ende ein heftiger Kampf steht. Schließlich wird nur einem
die Ehre zuteil.«
Er blickte mit ausdrucksloser Miene auf. Mir wurde
allmählich klar, dass er tatsächlich keine Ahnung hatte. Er hatte
in Paris Sprachen, Mathematik und die Philosophie der Griechen und
Römer studiert, nicht aber Medizin. Und selbst wenn den
Naturwissenschaftlern dieser Zeit bewusst war, dass Sperma aus
einzelnen Zellen bestand und keine homogene Substanz war, dämmerte
mir jetzt, dass sie wahrscheinlich keine Vorstellung davon hatten,
wie die Spermien tatsächlich funktionierten.
»Was dachtest du denn, wo die Babys herkommen?«,
fragte ich nach einem aufklärenden Vortrag über Eizellen, Spermien,
Zygoten etcetera, an dessen Ende Jamie ausgesprochen benommen
aussah. Er warf mir einen entrüsteten Blick zu.
»Bin ich vielleicht schon mein Leben lang Bauer?
Ich weiß genau, wo sie her kommen«, teilte er mir mit. »Ich wusste
nur nicht, dass... äh... diese ganzen Spielchen dahinter stecken.
Ich dachte-nun ja, ich dachte, ein Mann pflanzt seinen Samen in den
Bauch einer Frau, und dann... äh... wächst er.« Er machte eine vage
Handbewegung in Richtung meines Bauches. »Du weißt schon - wie...
Samen eben. Rüben, Mais, Melonen und so. Ich wusste nicht, dass sie
wie Kaulquappen herumschwimmen.«
»Ich verstehe.« Ich rieb mir mit dem Finger die
Nase und versuchte, nicht zu lachen. »Daher die landwirtschaftliche
Einteilung in fruchtbare und unfruchtbare Frauen.«
»Mmpfm.« Er tat diese Bemerkung mit einer
Handbewegung ab und betrachtete das Gewimmel auf dem Objektträger
mit nachdenklich gerunzelter Stirn. »Eine Woche, sagst du. Also ist
es möglich, dass der Kleine tatsächlich von der Drossel
stammt?«
Da es noch so früh am Tage war, brauchte ich eine
Sekunde, um den Sprung von der Theorie zur praktischen Anwendung zu
vollziehen.
»Oh - du meinst Jemmy? Ja, es ist gut möglich, dass
er Rogers Kind ist.« Roger und Bonnet hatten innerhalb von zwei
Tagen mit Brianna geschlafen. »Das habe ich dir - und Brianna -
doch schon erklärt.«
Er nickte mit geistesabwesendem Gesicht, erinnerte
sich erneut an seinen
Toast und schob sich den Rest in den Mund. Dann beugte er sich
kauend über das Mikroskop, um noch einmal hineinzusehen.
»Sind sie unterschiedlich? Von Mann zu Mann, meine
ich?«
»Äh... dem Aussehen nach nicht, nein.« Ich ergriff
meine Teetasse, trank einen Schluck und genoss den zarten
Geschmack. »Sie sind natürlich unterschiedlich - sie tragen
die Charakteristika, die ein Mann an seine Nachkommen weitergibt -«
Ich hielt es nicht für klug, weiterzugehen; er war durch meine
Beschreibung der Befruchtung schon genug erschüttert; eine
Erörterung über Gene und Chromosomen war vielleicht im Augenblick
etwas übertrieben. »Aber man kann die Unterschiede nicht sehen,
nicht einmal mit einem Mikroskop.«
Er grunzte, schluckte den Mund voll Toast herunter
und richtete sich auf.
»Warum siehst du sie dir denn dann an?«
»Nur aus Neugier.« Ich deutete auf die Ansammlung
von Flaschen und Schälchen auf der Arbeitsfläche. »Ich wollte
sehen, wie weit das Mikroskop vergrößert, was für Dinge ich damit
erkennen kann.«
»Oh, aye. Und was dann? Wozu ist das gut, meine
ich?«
»Nun, um mir bei der Diagnose zu helfen. Wenn ich
zum Beispiel eine Stuhlprobe eines Patienten nehme und sehen kann,
dass er Darmparasiten hat, dann weiß ich besser, welche Arznei ich
ihm verabreichen muss.«
Jamie machte ein Gesicht, als zöge er es vor,
unmittelbar nach dem Frühstück nicht von solchen Dingen zu hören,
doch er nickte. Er leerte seine Tasse und stellte sie auf die
Arbeitsfläche,
»Aye, das ist vernünftig. Dann lasse ich dich jetzt
weitermachen.«
Er bückte sich und küsste mich, dann ging er zur
Tür. Kurz davor drehte er sich jedoch noch einmal um.
»Die, äh, Spermien«, sagte er etwas
umständlich.
»Ja?«
»Kannst du sie nicht nach draußen bringen und sie
vielleicht anständig beerdigen?«
Ich lächelte insgeheim in meine Teetasse.
»Ich werde mich gut um sie kümmern«, versprach ich
ihm. »Das tue ich doch schließlich immer, oder nicht?«
Da waren sie ja. Dunkle Stängel mit keulenförmigen
Sporen an der Spitze, solide vor dem hell erleuchteten Hintergrund
des Sichtfeldes in meinem Mikroskop. Vergewisserung.
»Hab’ ich euch.« Ich richtete mich auf und rieb mir
das Kreuz, während ich den Blick über meine Vorbereitungen wandern
ließ.
Eine Reihe von Objektträgern lag in einem
ordentlichen Fächer neben dem Mikroskop ausgebreitet. Jeder von
ihnen war in der Mitte mit einer dunklen Substanz beschmiert und an
der Kante mit einem Code beschriftet, den ich mit einem
Wachsstückchen von einem Kerzenstummel aufgebracht
hatte. Schimmelproben, die von feuchtem Maisbrot stammten, von
einem verdorbenen Brötchen und einem weggeworfenen Stück Kruste von
der Wildpastete, die es zu Hogmanay gegeben hatte. Die Kruste hatte
bei weitem den besten Wuchs produziert, woran zweifellos das
Gänseschmalz die Schuld trug.
Von allen Testsubstraten, die ich ausprobiert
hatte, waren es diese drei Schimmelkulturen, die den höchsten
Anteil an Penicillium enthalten hatten - zumindest war ich
mir ziemlich sicher, dass es Penicillium war. Über die
Dutzende verschiedener Penicilliumstämme hinaus, gab es eine
bedrückend große Anzahl von Schimmelpilzen, die auf feuchtem Brot
wuchsen, doch die Sporophyten in den Proben, die ich ausgewählt
hatte, sahen den Lehrbuchillustrationen des Penicillium, die
ich mir vor Jahren in einem anderen Leben eingeprägt hatte, am
ähnlichsten.
Ich konnte nur hoffen, dass ich mich richtig
erinnerte - und dass die mir vorliegenden Schimmelstämme
tatsächlich zu jenen Arten zählten, die eine große Menge Penizillin
produzierten, dass ich der Fleischbrühemixtur nicht unbeabsichtigt
irgendwelche virulenten Bakterien beigefügt hatte, und dass... nun,
ich konnte auf vieles hoffen, aber es gab einen Punkt, an dem aus
Hoffnung Gottvertrauen wurde und man auf die Gunst des Schicksals
baute.
Eine Reihe mit Brühe gefüllter Schalen stand an der
Rückseite meiner Arbeitsfläche, jede mit einem Stück Musselin
bedeckt, um zu verhindern, dass etwas hineinfiel - Insekten,
Staubpartikel und Mäusekot, von Mäusen ganz zu schweigen. Ich hatte
die Brühe gefiltert und abgekocht und dann jede einzelne Schale mit
kochendem Wasser ausgespült, bevor ich sie mit der dampfenden,
braunen Flüssigkeit füllte. Das war das sterilste Medium, das ich
zuwege brachte.
Dann hatte ich von jeder meiner besten
Schimmelproben etwas abgeschabt und das Messer sanft durch die
abgekühlte Brühe gezogen, um die weichen, blauen Klümpchen so gut
wie möglich zu verteilen, bevor ich die Schale wieder mit ihrem
Tuch zudeckte und sie einige Tage zur Inkubation stehen ließ.
Einige der Kulturen waren gut gediehen, andere
waren eingegangen. Ein paar der Schalen wiesen haarige Klumpen auf,
die wie abgetauchte Meerestiere dunkel und unheimlich unter der
Oberfläche dahintrieben. Irgendein Eindringling - eine Schimmelart,
ein Bakterium oder vielleicht eine Algensorte, aber nicht das
kostbare Penicillium.
Ein anonymes Kind hatte eine der Schalen
verschüttet; Adso hatte eine weitere zu Boden gestoßen, vom Geruch
der Gänsebrühe zum Wahnsinn getrieben, und hatte ihren Inhalt
inklusive Schimmel mit allen Anzeichen des Hochgenusses
aufgeschleckt. In dieser Schale hatte sich offensichtlich
keine toxische Substanz befunden; ich blickte zu der kleinen Katze
hinunter, die sich an einem sonnigen Fleck auf dem Boden zusammen
gerollt hatte, ein Bild schlaftrunkenen Wohlbefindens.
Doch in drei der verbleibenden Schalen war die
Oberfläche von schwammigen Matten aus blau geflecktem Samt
überzogen, und meine Untersuchung einer Probe daraus hatte mir
gerade bestätigt, dass ich tatsächlich hatte, wonach ich suchte. Es
war nicht der Schimmelpilz selbst, der antibiotisch wirkte - es war
ein klares Sekret, das von ihm abgesondert wurde, als Mittel
zum Schutz vor Bakterienattacken. Diese Substanz war das
Penizillin, und das war es, was ich wollte.
Ich hatte Jamie das alles erklärt, während er auf
einem Hocker saß und mir zusah, wie ich die Brühe mit den lebenden
Kulturen erneut durch ein Stück Gaze goss, um sie zu filtern.
»Dann hast du jetzt also Brühe, in die der
Schimmelpilz gepisst hat, aye? Das ist sehr vernünftig.«
»Ach ja?«
»Nun, man benutzt ja auch andere Pissearten als
Arznei, warum also nicht auch diese?«
Er hob zur Illustration das große, schwarze
Notizbuch. Ich hatte es aufgeschlagen auf der Arbeitsfläche liegen
gelassen, nachdem ich die jüngste Serie meiner Experimente
protokolliert hatte, und er hatte sich mit der Lektüre einiger
Seiten amüsiert, die der Vorbesitzer des Buches, ein gewisser Dr.
Daniel Rawlings, beschriftet hatte.
»Daniel Rawlings vielleicht - ich nicht.« Da ich
beide Hände voll zu tun hatte, wies ich mit dem Kinn auf den
Eintrag auf der geöffneten Seite. »Wozu hat er sie denn
benutzt?«
»Latwerge zur Behandlung von Skorbut«, las er, und
sein Finger folgte den kleinen Zeilen in Rawlings’ ordentlicher
Schrift. »Zwei Knoblauchknollen, mit sechs Radieschen zerstampft,
dazu Perubalsam und zehn Tropfen Myrrhe, zu mischen mit dem Wasser
eines männlichen Kindes, bis es gut trinkbar ist.«
»Von der letzten Zutat abgesehen, hört es sich wie
eine ziemlich exotische Würzmischung an«, sagte ich belustigt. »Was
meinst du, wozu sie wohl am besten passt? Hasenschmorbraten?
Kalbsragout?«
»Nein, Kalb schmeckt zu mild für die Radieschen.
Hammeleintopf vielleicht«, erwiderte er. »Hammel kann alles
vertragen.« Er fuhr sich geistesabwesend mit der Zunge über die
Oberlippe.
»Warum ein männliches Kind, was meinst du,
Sassenach? Diese Vorschrift habe ich schon öfter in solchen
Rezepten gefunden - Aristoteles spricht davon, und einige andere
der antiken Philosophen auch.«
Ich warf ihm einen kurzen Blick zu und begann,
meine Objektträger wegzuräumen.
»Nun, es ist in jedem Fall einfacher, den Urin
eines Jungen aufzufangen als den eines kleinen Mädchens; probier es
ruhig einmal aus. Und seltsamerweise ist der Urin männlicher Babys
sehr sauber, wenn auch nicht ganz steril; vielleicht ist den
antiken Philosophen ja aufgefallen, dass ihre Formeln
bessere Ergebnisse zeitigten, wenn sie Kinderurin an Stelle des
üblichen Trinkwassers benutzten, falls sie dies aus öffentlichen
Aquädukten und Brunnen holten.«
»Steril bedeutet Freiheit von Keimen, nicht
Unfruchtbarkeit?« Er warf meinem Mikroskop einen argwöhnischen
Blick zu.
»Ja. Oder besser - es vermehren sich keine Keime
darin, weil keine da sind.«
Da ich jetzt die Arbeitsfläche bis auf das
Mikroskop und die Gefäße mit der penizillinhaltigen Brühe -
zumindest hoffte ich, dass sie penizillinhaltig war - leer geräumt
hatte, begann ich mit den Vorbereitungen für die Operation. Ich
holte die kleine Kiste mit meinen chirurgischen Instrumenten
herunter und nahm eine große Flasche mit Rohalkohol aus dem
Schrank.
Ich reichte sie Jamie zusammen mit dem kleinen
Alkoholbrenner, den ich konstruiert hatte - eine leere
Tintenflasche mit einem gedrehten Docht aus gewachstem Flachs, der
durch einen Korken im Hals der Flasche lief.
»Mach mir das bitte voll, ja? Wo sind die
Jungen?«
»Betrinken sich in der Küche.« Er runzelte
konzentriert die Stirn, während er den Alkohol eingoss. »Ist der
Urin kleiner Mädchen denn nicht sauber? Oder ist er nur schwieriger
zu bekommen?«
»Nein, er ist tatsächlich nicht so sauber wie der
eines Jungen.« Ich breitete ein sauberes Tuch auf der Arbeitsfläche
aus und legte zwei Skalpelle, eine langschenklige Zange und eine
Handvoll kleinerer Kautereisen darauf zurecht. Ich kramte im
Schrank herum und brachte ein paar Baumwollbäusche zum Vorschein.
Baumwollstoff war fürchterlich teuer, aber ich hatte das Glück
gehabt, Farquard Campbells Frau im Austausch für ein Glas Honig
einen Sack Rohbaumwolle abzuluchsen.
»Man könnte es so ausdrücken, dass der... äh... Weg
nach draußen weniger direkt ist. Also nimmt der Urin Bakterien und
Ablagerungen aus den Hautfalten mit.« Ich sah mich nach ihm um und
lächelte. »Nicht, dass du deshalb Grund hättest, dir überlegen
vorzukommen.«
»Das würde mir im Traum nicht einfallen«,
versicherte er mir. »Bist du fertig, Sassenach?«
»Ja, geh sie holen. Oh, und bring die große
Schüssel mit!«
Er ging aus dem Zimmer, und ich drehte mich zum
Fenster um, das nach Osten zeigte. Tags zuvor hatte es heftig
geschneit, doch heute war ein schöner, heller Tag, klar und kalt,
und die Sonne spiegelte sich mit dem Funkeln einer Million
Diamanten in den schneebedeckten Bäumen. Ich hätte mir keinen
besseren Tag wünschen können; ich würde jedes Fünkchen Licht
brauchen, das ich bekommen konnte.
Ich legte die Kautereisen zum Erhitzen in das
kleine Kohlebecken. Dann holte ich mein Amulett aus dem Schrank,
legte es mir um den Hals, so dass es unter dem Mieder meines
Kleides hing, und nahm die schwere Leinenschürze von ihrem Haken
hinter der Tür. Ich zog auch diese an, dann trat
ich zum Fenster und blickte auf die gefrorene Zuckergusslandschaft
hinaus, um meinen Verstand zu leeren und meinen Geist auf mein
Vorhaben vorzubereiten. Es war keine schwierige Operation, und ich
hatte sie schon oft durchgeführt - allerdings noch nie an einem
Patienten, der aufrecht und bei Bewusstsein vor mir saß, und das
war immer etwas anderes.
Außerdem war das letzte Mal mehrere Jahre her, und
ich schloss die Augen, um mich daran zu erinnern, mir die einzelnen
Schritte bildlich vorzustellen, und ich spürte, wie die Muskeln
meiner Hand als Reaktion auf meine Gedanken zuckten und die
Bewegungen vorweg nahmen, die ich machen würde.
»Gott steh mir bei«, flüsterte ich und bekreuzigte
mich.
Stolpernde Schritte, kichernde Stimmen und Jamies
brummende Stimme kamen aus dem Flur, und ich drehte mich lächelnd
um, um meine Patienten zu begrüßen.
Ein Monat mit gutem Essen, sauberen Kleidern und
warmen Betten hatte den Beardsleys immens gut getan, sowohl, was
ihre Gesundheit, als auch ihre Erscheinung anging. Sie waren beide
immer noch klein, hager und leicht o-beinig, doch ihre
eingefallenen Gesichter hatten sich ein wenig ausgefüllt, ihr
dunkles Haar umrahmte weich ihre Köpfe, und der Ausdruck gehetzten
Argwohns war zumindest zum Teil aus ihren Augen gewichen.
Im Moment war der Blick besagter Augen leicht
glasig, und Lizzie sah sich gezwungen, Keziah am Arm zu packen,
damit er nicht über einen Hocker stolperte. Jamie hatte Josiah fest
an der Schulter ergriffen; er schob den Jungen zu mir herüber, dann
stellte er die Puddingschüssel ab, die er unter dem anderen Arm
trug.
»Alles in Ordnung?« Ich lächelte Josiah an und
drückte ihm beruhigend den Arm. Er schluckte krampfhaft und grinste
mich Schauder erregend an; er war nicht betrunken genug, um keine
Angst zu haben.
Ich ließ ihn Platz nehmen, plauderte beruhigend auf
ihn ein, schlang ihm ein Handtuch um den Hals und stellte ihm die
Schüssel auf den Schoß. Ich hoffte, er würde sie nicht fallen
lassen; sie war aus Porzellan und war die einzige, große Schüssel,
die wir hatten. Zu meiner Überraschung stellte sich Lizzie hinter
ihn und legte ihm ihre kleinen Hände auf die Schultern.
»Willst du wirklich hier bleiben, Lizzie?«, fragte
ich skeptisch. »Ich glaube, wir kommen gut zurecht.« Jamie war an
Blut und allgemeines Gemetzel mehr als gewöhnt; dagegen konnte ich
mir nicht vorstellen, dass Lizzie jemals mehr als die üblichen
Krankheiten und vielleicht die eine oder andere Geburt mit
angesehen hatte.
»Oh, nein, Ma’am; ich bleibe.« Sie schluckte
ebenfalls, machte aber ein tapferes Gesicht. »Ich habe Jo und
Kezzie versprochen, dass ich die ganze Zeit bei ihnen
bleibe.«
Ich sah Jamie an, und er zog eine Schulter zu einem
angedeuteten Achselzucken hoch.
»Nun gut.« Ich ergriff eins der Steingutgefäße mit
der Penizillinbrühe, verteilte sie auf zwei Tassen und gab jedem
der Zwillinge eine zu trinken.
Die Magensäure würde wahrscheinlich den Großteil
des Penizillins außer Gefecht setzen, doch es würde - so hoffte ich
- die Bakterien in ihren Hälsen abtöten. Eine weitere Dosis, mit
der ich die wunden Stellen nach der Operation spülen würde, beugte
vielleicht einer Entzündung vor.
Es war unmöglich, exakt zu wissen, wie viel
Penizillin sich in der Brühe befand; möglich, dass ich ihnen
massive Dosen verabreichte - oder zu wenig, um etwas zu bewirken.
Immerhin war ich mir einigermaßen sicher, dass das Penizillin in
der Brühe - wie viel es auch sein mochte - im Augenblick aktiv war.
Ich hatte keine Möglichkeit, das Antibiotikum zu stabilisieren, und
keine Ahnung, wie lange es wirksam bleiben mochte - doch so frisch,
wie die Lösung war, musste sie einfach medizinisch aktiv sein, und
die Chancen, dass der Rest der Brühe wenigstens die nächsten paar
Tage brauchbar blieb, standen nicht schlecht.
Ich würde neue Kulturen ansetzen, sobald die
Operation vorüber war; mit etwas Glück konnte ich den Zwillingen
das Mittel drei oder vier Tage lang regelmäßig verabreichen und so
- mit noch mehr Glück - eine Infektion verhindern.
»Oh, man kann es also auch trinken, aye?« Jamie
betrachtete mich zynisch über Josiahs Kopf hinweg. Ich hatte ihm
vor einigen Jahren nach einer Schussverletzung Penizillin
gespritzt, und offensichtlich war er jetzt der Meinung, dass ich
dies aus reinem Sadismus getan hatte.
Ich erwiderte seinen Blick.
»Man kann. Injizierbares Penizillin ist viel
effektiver, vor allem im Fall akuter Infektionen. Allerdings habe
ich nicht die Mittel, es zu injizieren, und dies soll nur
verhindern, dass sie sich eine Infektion zuziehen, es soll keine
heilen. Wenn wir dann jetzt fertig sind...«
Ich hatte gedacht, dass Jamie den Patienten fest
halten würde, doch Lizzie und Josiah beharrten darauf, dass dies
nicht nötig sei; Josiah würde ganz still sitzen, ganz gleich, was
geschah. Lizzie umfasste dennoch seine Schultern, ihr Gesicht
blasser als das seine, und ihre kleinen Fingerknöchel traten scharf
und weiß hervor.
Ich hatte die beiden Jungen tags zuvor ausführlich
untersucht, betrachtete sie jedoch auch jetzt noch einmal rasch,
bevor ich anfing. Ich behalf mir mit einem Zungenstäbchen aus
Eschenholz. Ich zeigte Jamie, wie er es benutzen musste, um die
Zunge beiseite gepresst zu halten, dann griff ich zu Zange und
Skalpell und holte tief Luft.
Ich blickte Josiah tief in die dunklen Augen und
lächelte; ich konnte zwei winzige Spiegelbilder meines Gesichtes
darin sehen, und beide trugen einen angenehm kompetenten
Ausdruck.
»Kann es losgehen?«, fragte ich.
Er konnte nicht sprechen, da seine Zunge
niedergepresst war, doch er
gab ein gutmütiges Grunzen von sich, das ich als Zustimmung
interpretierte.
Ich musste schnell sein, und das war ich auch. Die
Vorbereitungen hatten Stunden in Anspruch genommen; die Operation
selbst dauerte nicht mehr als ein paar Sekunden. Ich ergriff die
erste der schwammigen, roten Mandeln mit der Zange, zog sie zu mir
hin und machte mehrere kleine, schnelle Schnitte, so dass die
Gewebeschichten ordentlich durchtrennt wurden. Ein Blutrinnsal lief
dem Jungen aus dem Mund und über das Kinn, doch es war nichts
Ernstes.
Ich löste das Gewebeklümpchen, ließ es in die
Schüssel fallen und nahm die andere Mandel in die Zange, um den
Vorgang dort zu wiederholen, diesmal etwas langsamer, da ich mit
der falschen Hand arbeiten musste.
Das Ganze konnte nicht länger als dreißig Sekunden
pro Seite gedauert haben. Ich zog die Instrumente aus Josiahs Mund,
und er starrte mich erstaunt an. Dann hustete er, würgte, beugte
sich vor, und ein weiteres Fleischstückchen landete mit einem
leisen Pitsch in der Schüssel, zusammen mit ein wenig
hellrotem Blut.
Ich packte ihn bei der Nase und schob seinen Kopf
zurück, stopfte ihm Wattebäusche in den Mund, um so viel Blut zu
absorbieren, dass ich sehen konnte, was ich tat, dann ergriff ich
ein kleines Kautereisen und versorgte die größeren Blutgefäße; die
kleineren konnten von selbst verkrusten und heilen.
Seine Augen tränten heftig, und seine Hände hielten
die Schüssel in einem Würgegriff umklammert, doch er hatte sich
weder bewegt noch ein Geräusch gemacht. Nach allem, was ich gesehen
hatte, als Jamie die Brandmarke von seinem Daumen entfernte, hatte
ich auch nicht damit gerechnet. Lizzie hatte ihn immer noch an den
Schultern gepackt, ihre Augen fest geschlossen. Jamie streckte eine
Hand aus und klopfte ihr auf den Ellbogen, und sie riss die Augen
auf.
»So, a muirninn, er ist fertig. Nimm ihn mit
und bring ihn zu Bett, aye?«
Doch Josiah weigerte sich zu gehen. Stumm wie sein
Bruder schüttelte er heftig den Kopf und setzte sich auf einen
Hocker, auf dem er schwankend und bleich sitzen blieb. Er grinste
seinen Bruder mit blutumrahmten Zähnen Schauder erregend an.
Lizzie stand zögernd zwischen den beiden Brüdern
und blickte vom einen zum anderen. Jo fing ihren Blick auf und wies
entschlossen auf Keziah, der jetzt mit gespielter Tapferkeit und
erhobenem Kinn auf dem Patientenhocker Platz genommen hatte. Sie
tätschelte Josiah sanft den Kopf und trat dann unverzüglich zu
Keziah, um ihm die Hände auf die Schultern zu legen. Er spähte
hinter sich und lächelte sie erstaunlich liebenswert an, dann
neigte er den Kopf und küsste ihr die Hand. Schließlich wandte er
sich mir zu, schloss die Augen und öffnete den Mund; er sah aus wie
ein Jungvogel, der um Würmer bettelt.
Diese Operation war etwas komplizierter; seine
Mandeln und Polypen
waren fürchterlich angeschwollen und durch chronische Infektionen
schlimm vernarbt. Es war eine blutige Angelegenheit; sein Handtuch
und meine Schürze waren voller Spritzer, als ich schließlich zum
Ende kam. Ich kauterisierte die Wunden und warf einen genauen Blick
auf meinen Patienten, der so weiß war wie der Schnee draußen und
dessen Blick vollkommen glasig geworden war.
»Alles in Ordnung?«, fragte ich. Er konnte mich
nicht hören, aber meine besorgte Miene war deutlich genug. Sein
Mund zuckte in einem tapferen Versuch zu lächeln. Er begann zu
nicken; dann verdrehten sich seine Augen, und er rutschte vom
Hocker und landete mit einem Krach zu meinen Füßen. Jamie fing
zielsicher die Schüssel auf.
Ich fürchtete, dass auch Lizzie womöglich in
Ohnmacht fallen würde; alles war voller Blut. Sie torkelte ein
wenig, setzte sich aber auf meine Anweisung hin gehorsam neben
Josiah. Josiah saß da, schaute zu und drückte Lizzie fest die Hand,
während Jamie und ich Ordnung schafften.
Jamie nahm Keziah in die Arme; der Junge hing
schlaff und blutbefleckt da und sah aus wie ein ermordetes Kind.
Josiah stand auf, den Blick ängstlich auf den bewusstlosen Körper
seines Bruders gerichtet.
»Keine Sorge«, sagte Jamie im Tonfall absoluter
Zuversicht zu ihm. »Ich habe dir doch gesagt, dass meine Frau eine
große Heilerin ist.« Daraufhin drehten sie sich alle um und sahen
mich lächelnd an: Jamie, Lizzie und Josiah. Ich hatte das Gefühl,
mich verbeugen zu müssen, begnügte mich aber damit, ebenfalls zu
lächeln.
»Keine Sorge«, wiederholte ich Jamies Worte. »Geht
jetzt und ruht euch aus.«
Die kleine Prozession verließ das Zimmer sehr viel
stiller, als sie gekommen war, und ich blieb zurück, um meine
Instrumente zu verstauen und aufzuräumen.
Ich war sehr glücklich und glühte vor stiller
Genugtuung, wie sie einer erfolgreich ausgeführten Arbeit folgt. So
etwas hatte ich schon lange nicht mehr gemacht; die Nöte und
Einschränkungen des achtzehnten Jahrhunderts ließen nicht viele
Operationen zu, es sei denn, sie wurden im Notfall durchgeführt.
Ohne Anästhesie und Antibiotika waren nicht lebensnotwendige
Operationen einfach zu schwierig und zu gefährlich.
Doch jetzt hatte ich wenigstens Penizillin. Und es
gab keinen Grund zur Sorge, dachte ich und summte beim
Löschen der Alkohollampe vor mich hin. Ich hatte es den Jungen
angefühlt, als ich sie während der Arbeit berührte. Kein Keim würde
sie bedrohen, keine Infektion die Sauberkeit meiner Arbeit
beflecken. Die medizinische Praxis war immer auch Glückssache -
doch heute war mir das Glück hold gewesen.
»Und siehe da, es war sehr gut«, zitierte ich an
Adso gewandt, der geräuschlos auf der Arbeitsplatte erschienen war,
wo er eifrig eine der leeren Schalen ausleckte.
Das große, schwarze Notizbuch lag aufgeschlagen auf
der Arbeitsfläche, wo Jamie es liegen gelassen hatte. Ich blätterte
die hinteren Seiten auf, wo ich den Verlauf meiner Experimente
protokolliert hatte, und griff nach meinem Federkiel. Später, nach
dem Abendessen würde ich die Details der Operation niederschreiben.
Für den Augenblick... ich hielt inne und schrieb dann »Heureka!« an
den Fuß der Seite.