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Danielle und Gili, 8
Schon kleine Kinder
bekommen die Auswirkungen des Krieges zu spüren, auf beiden Seiten.
Nach einer Studie des Instituts für Sozialarbeit der Universität
Tel Aviv zeigen alle palästinensischen und israelischen Kinder
Symptome für seelischen oder emotionalen Stress. Viele von ihnen
leiden unter einer voll ausgeprägten posttraumatischen
Belastungsstörung, die sich zum Beispiel in Depressionen,
Konzentrationsschwäche, Schlafstörungen oder Angstzuständen äußert.
Die seelischen Belastungen dieser Kinder sind so groß, dass sie
ihren Alltag nicht mehr normal bewältigen können.
Je näher das Kind dem
eigentlichen Kampfgebiet ist, desto größer auch die seelischen
Nöte. Doch auch die Kinder, denen es finanziell besser geht oder
die aufgrund ihrer Herkunft nicht unmittelbar mit dem
Kriegsgeschehen in Berührung kommen, sind betroffen. Die meisten
israelischen Kinder kennen jemanden, der bei einem Bombenattentat
oder in einem Krieg getötet oder verletzt wurde. Alle erleben
täglich Durchsuchungen durch bewaffnete Wachmänner, selbst dann,
wenn sie mit ihren Eltern nur Lebensmittel für das Abendessen
einkaufen gehen.
Die Freundinnen Danielle und Gili
sitzen bei McDonald’s, mitten in der hübschen Innenstadt von
West-Jerusalem. Sie essen |45|zusammen mit ihren Müttern und einem sehr
lauten zweijährigen Bruder. Der McDonald’s sieht genauso aus wie
jeder McDonald’s auf der ganzen Welt, wenn man davon absieht, dass
Wachmänner an der Tür stehen, die die Taschen jedes Eintretenden
durchsuchen.
Danielle
Ich hatte gerade Geburtstag. Erst
habe ich mit meiner Familie und danach noch mit meinen Freundinnen
gefeiert. Auf der Party mit meinen Freundinnen gab es Pizza, das
ist mein Lieblingsessen. Wir haben viele Spiele gemacht, zum
Beispiel haben wir Stopptanz gespielt. Dabei bewegt man sich zur
Musik durch das Zimmer, und wenn die Musik aufhört, muss man sofort
ganz steif werden und so stehen bleiben, ohne sich zu bewegen. Es
ist schwer, dabei nicht zu lachen. Und es macht Spaß.
Ich gehe in die dritte Klasse. Ich habe
einen Bruder, der bald vier wird, und zwei Stiefschwestern, die
größer sind als ich. Meine Mutter ist mit mir heute zu McDonald’s
gegangen, um mir eine Freude zu machen.
In Jerusalem zu wohnen ist prima. Hier
gibt es viele schöne Orte, wie Parks und Museen, wo man hingehen
kann. Wir machen Ausflüge mit der Schule, und manchmal fahre ich
auch mit meiner Familie irgendwohin. Am liebsten gehe ich in den
Zoo. Er heißt Bibelzoo, weil es da eine Arche Noah gibt – keine
echte, nur nachgemacht. Ich glaube, ich mag die Giraffen am
liebsten, aber das ändert sich bei mir ständig.
|46|Wo ich
auch gern hinfahre, ist Südafrika. Da wohnt ein Onkel von mir, und
er hat Kinder, das sind meine Cousinen. Da fahren wir fast jedes
Jahr hin; normalerweise zum Chanukkafest, aber dieses Jahr fahren
wir stattdessen über das Pessachfest hin. Meine Cousinen und ich
bauen dann ein Zelt im Garten auf und schlafen draußen, ohne die
Erwachsenen. Dann gibt es auch ein Mitternachtsfestessen mit ganz
vielen süßen Sachen, allerdings schaffen wir es nicht immer, bis
Mitternacht wach zu bleiben.
Ich weiß, dass es einen Krieg gibt, aber
warum weiß ich nicht. Mir wäre es lieber, wir hätten Frieden. Im
Fernsehen höre ich von Bomben, die in Geschäften oder Bussen
explodieren, und das macht mir Angst. Meine Eltern machen immer ein
besorgtes Gesicht, wenn sie Zeitung lesen oder Radio hören.
Ich weiß nicht, warum die Palästinenser
so böse auf uns sind. Wir sind doch nett. Ich kenne keine
Palästinenser. Wenn ich ein palästinensisches Mädchen in meinem
Alter treffen würde, könnten wir zusammen spielen. Dann merkt sie,
dass ich nett und freundlich bin und will mich nicht in die Luft
sprengen.
Bomben machen mir mehr Angst als alles
andere. Ich weiß ja nicht, wann sie explodieren. Sie könnten
explodieren, wenn ich gerade Schuhe kaufen bin oder Bus fahre. Ich
müsste gar nichts Böses tun, um von einer Bombe erwischt zu werden.
Aber bei McDonald’s erwischt mich keine Bombe. An der Tür stehen
Wachmänner und kontrollieren alle, die reinkommen. Sie haben auch
mich und meinen Rucksack durchsucht.
|47|In
fast allen Gebäuden stehen Wachmänner, die alles durchsuchen. Man
muss sie machen lassen, sonst denken sie, man will irgendwas in die
Luft sprengen, und werden sauer auf einen.
Manchmal habe ich Süßigkeiten oder
irgendwas anderes in meiner Tasche, das ich eigentlich nicht haben
darf, und ich möchte nicht, dass der Wachmann es sieht, aber sowas
interessiert die eigentlich gar nicht. Die wollen bloß nachsehen,
ob eine Bombe in meiner Tasche ist.
Ich will ganz viele Sachen machen, wenn
ich groß bin. Ich möchte Künstlerin werden. Ich möchte tanzen. Und
ich möchte sehr, sehr alt werden, sogar noch älter als meine
Eltern. Ich habe ganz viele Wünsche, aber am liebsten wäre ich
Königin, dann könnte ich einfach alles bekommen, was ich haben
will. Und ich würde gerne ein paar Stars aus dem Fernsehen in echt
treffen.
Gili
Ich bin in der dritten Klasse.
Mein Lieblingsfach ist Kunst. Ich zeichne sehr gern, vor allem
Pferde. Und ich male gern Bilder. Geschwister habe ich keine.
Ich bin in der Ukraine geboren, aber als
ich zwei Monate alt war, wurde ich adoptiert und nach Israel
gebracht. Ich weiß nichts über die Ukraine, außer dass es da sehr
kalt wird. Es gibt auch so richtiges ukrainisches Essen, aber das
kenne ich auch gar nicht. Ich bin Israeli, und so fühle ich mich
auch.
Am tollsten finde ich Pferde. Ich reite
auf einem Hof in |48|der Nähe von
Jerusalem. Da wäre ich am liebsten jeden Tag, weil ich nichts
lieber tue, als zu reiten und bei den Pferden zu sein. Wenn ich
erwachsen bin, möchte ich ein eigenes Pferd haben und Tierärztin
oder Profi-Reiterin werden, damit ich so viel mit Pferden zusammen
sein kann, wie ich will. Und mein ganz, ganz großer Traum ist es,
eines Tages alle Reiterhöfe auf der ganzen Welt zu besuchen.
Ich höre sehr viel über den Krieg. Ich
bin acht, also alt genug, um über Krieg und Bomben Bescheid zu
wissen. Wir haben Wachmänner an unserer Schule, die die
Palästinenser daran hindern sollen, uns in die Luft zu sprengen.
Einer dieser Wachmänner ist von einer Bombe getötet worden. Nicht
in unserer Schule, sondern irgendwo anders. Ich war sehr traurig,
als ich davon erfuhr. Und ich habe Angst bekommen. Wachmänner sind
dazu da, uns zu beschützen, aber sich selbst konnte er nicht
beschützen. Wenn eine Bombe einen Wachmann umbringen kann, dann
kann sie auch mich und meine Familie umbringen.
Es wird immer viel über Krieg geredet.
Ich habe eine eigene Gasmaske. Alle Kinder in meiner Schule haben
eine. Damit können wir weiteratmen, wenn jemand Gas auf uns wirft.
Es müsste auch Gasmasken für Pferde geben.
Ich denke nicht gern an den Krieg. Ich
denke gern an Pferde. Ich möchte niemandem wehtun, und ich möchte
auch nicht, dass mir irgendjemand wehtut. Ich möchte einfach nur
reiten.
Manchmal kann ich den Krieg ganz lange
vergessen. Ich habe ein schönes Leben und kann lachen und mit
meinen |49|Freundinnen zusammen
sein, und dann ist es so, als gäbe es keinen Krieg. Aber dann
passiert irgendetwas, ein Bus wird in die Luft gesprengt oder so,
und ich muss wieder daran denken.
Ich habe kein eigenes Pferd. Ich frage
meine Mutter dauernd, ob ich eins in meinem Zimmer halten darf, und
sie sagt immer nein! Aber ich habe einen kleinen Hund, er heißt
Blackie. Was ich am allerliebsten mag, außer Pferden, ist mit
Blackie zu spielen. Am meisten Angst habe ich davor, vom Pferd zu
fallen.
Ich weiß nicht, ob es palästinensische
Mädchen gibt, die Pferde genauso toll finden wie ich. Ich kenne
keine palästinensischen Mädchen.
Manchmal denke ich an Gott. Ich weiß,
dass es Gott gibt. Das fühle ich, und ich weiß, dass alles gut
werden wird.