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Hakim, 12
Seit Beginn der zweiten
Intifada oder des zweiten Palästinenseraufstands wurden Tausende
palästinensische Zivilisten durch die israelische Armee oder
Siedler verwundet beziehungsweise bei Hubschrauber-, Panzer- und
Kampfflugzeugangriffen auf ihre Wohnviertel verletzt. Darunter
viele Kinder. Kinder, die das israelische Militär durch Steinwürfe
oder Geschrei belästigen, werden im Gegenzug häufig beschossen,
oder man setzt Tränengas gegen sie ein.
Eine Studie der Behörde der
Vereinigten Staaten für internationale Entwicklung (USAID) stellte fest, dass 22
Prozent der palästinensischen Kinder unterernährt sind und ein
Fünftel von ihnen an mehr oder weniger schwerer Blutarmut leidet.
Straßenblockaden und -sperrungen, Kontrollpunkte und
Ausgangssperren behindern den Transport von Nahrungsmitteln in die
Palästinensergebiete. Und wenn die Menschen nicht ungehindert zu
ihrer Arbeit oder auf ihre Felder gelangen, können sie auch nicht
genug Geld verdienen, um gute Lebensmittel einzukaufen, wenn es sie
denn gibt.
Die Studie der amerikanischen
Behörde fand zudem heraus, dass mehr als 40 Prozent der
palästinensischen Familien bereits ihr Hab und Gut verkauft haben,
um Essen kaufen zu können. Keine ordentlichen Nahrungsmittel zu
haben bedeutet, |104|dass die Kinder
nicht richtig wachsen und sich nicht normal entwickeln
können.
Hakim ist von der Armee schwer
verletzt worden. Weil er an Unterernährung leidet, ist er sehr
klein für sein Alter. Bei unserem Treffen liegt er im Bett eines
palästinensischen Krankenhauses und hat große Schmerzen. Sein Vater
ist bei ihm und jedes Mal, wenn sich Hakims Gesicht vor Schmerz
verzerrt, spiegelt sich das im Gesicht des Vaters wider.
Ich bin aus der Stadt Tulkarem im
Westjordanland. Vor einer Woche kam die Armee mit Panzern und
Gewehren und suchte nach einem, den sie nicht leiden konnte. Ich
kannte den Mann, den sie suchten. Sein Name war Tareq al Zaghal.
Sie haben ihn aufgespürt und umgebracht. Einen Jungen, den ich
kannte, haben sie auch umgebracht. Er hieß Ihab el Zuqla. Er war
13. Sie haben auf ihn geschossen, und er ist gestorben.
Ich bin zwölf Jahre alt. Ich gehe in die
sechste Klasse, aber weil die Soldaten uns zwingen, zu Hause zu
bleiben, verpassen wir häufig den Unterricht.
Die israelischen Soldaten haben mir in
beide Beine geschossen. Ich war mit meinen Freunden auf der Straße.
Wir haben uns vor den Soldaten versteckt, und wenn wir konnten,
haben wir sie mit Steinen beworfen. Die Soldaten waren sauer und
suchten nach uns. Ich kann schnell laufen. Ich wollte abhauen und
dachte, ich wäre schnell genug, um vor den Soldaten wegrennen zu
können. Ich habe geglaubt, ich wäre schneller als ihre Kugeln, und
bin deshalb quer über die Straße gerannt. Ich raste los wie der
Blitz. Als ich |105|mitten auf der
Straße war, fielen Schüsse, ganz viele. Ich hatte kein Gefühl mehr
in meinem rechten Bein, aber ich glaube, ich bin trotzdem
weitergerannt. Ja, ich erinnere mich, dass ich weitergerannt bin.
Da wusste ich noch nicht, dass ich angeschossen worden war.
Ich hörte noch mehr Schüsse. Mir
rutschten die Beine weg, und ich fiel hin. Ein paar von meinen
Freunden kamen und trugen mich von der Straße, aber sie wurden von
den Soldaten weggeschubst. Ich erinnere mich, dass die Soldaten um
mich herumstanden. Ich lag auf dem Boden und starrte zu ihnen hoch,
und sie standen da und zielten mit ihren Waffen auf mich. Sie
ließen meine Freunde nicht zu mir durch. Alle schrien
durcheinander.
Ich weiß, dass die Soldaten mich gehasst
haben. Ich bin sicher, dass sie mich umbringen wollten. Keine
Ahnung, warum sie mich dann doch nicht erschossen haben. Sie hatten
alle Waffen und hätten es leicht tun können. Ich konnte ja ich
nicht mehr laufen und also auch nicht vor ihnen wegrennen.
Jetzt habe ich Schrauben in den Beinen,
und meine Beine sind ziemlich kaputt. Die Ärzte haben mir gesagt,
dass 15 Mal auf mich geschossen wurde.
Um Tareq zu töten, mussten sie noch viel
öfter schießen. Das war unser Nachbar, hinter dem die Israelis her
waren. Sie mussten ganz oft auf ihn schießen, bis er tot war. Die
Soldaten haben noch fünf andere Palästinenser an diesem Tag
erschossen. Sie bringen gern Palästinenser um.
Ich kann nicht aus dem Bett aufstehen.
Meine Beine stecken in dicken Gipsverbänden, und ich muss die ganze
Zeit |106|auf dem Rücken liegen. Ich
darf mich weder bewegen noch irgendwo hingehen. Wenn die Soldaten
hier nach mir suchen, kann ich nicht vor ihnen weglaufen. Mein
Vater ist hier, aber er wird mich nicht beschützen können.
Ich bin der jüngste von drei Brüdern in
meiner Familie. Schwestern habe ich keine. Ich hätte gern eine
Schwester. Ein paar von meinen Freunden, die Schwestern haben,
mögen sie nicht besonders, aber ich wüsste gern, wie es ist, wenn
man eine Schwester hat. Ich bin froh, dass mein Vater bei mir im
Krankenhaus bleibt, damit ich nicht so allein bin. Die
Krankenschwestern und Ärzte sind auch nett zu mir.
Es gab schon immer Soldaten in meiner
Stadt. Ich fürchte mich nicht vor ihnen. Ich habe mein eigenes
M16-Sturmgewehr. Das habe ich mir aus einem Stück Holz geschnitzt.
Damit schieße ich genauso auf die Soldaten, wie ich es tun würde,
wenn es eine echte Waffe wäre. Sie machen mir keine Angst. Die
anderen Jungs und ich, wir passen aufeinander auf. Wenn einer
verwundet wird, helfen wir alle, ihn von der Straße zu tragen, so
wie es bei mir war.
Ich kämpfe oft gegen die Soldaten. Es tut
gut, sie mit Steinen zu bewerfen. Sie haben in meiner Stadt nichts
zu suchen, also werfe ich Steine, um sie zu vertreiben. Sie machen
schlimme Sachen. Sie verhaften Palästinenser, sogar Kinder, und
zwingen sie, mit verbundenen Augen und auf dem Rücken gefesselten
Händen dazusitzen. Sie sprengen die Häuser von Leuten in die Luft.
Sie sind schuld, dass wir hungern müssen. Ich kann sie nicht
leiden.
Ich bin schon oft von Gummigeschossen
getroffen worden |107|. Auf Brust
und Beine haben sie mir damit geschossen. Das tut sehr weh. Und man
bekommt dicke Blutergüsse davon. Zuerst waren sie grün, dann gelb.
Auch mit Gas haben sie mich schon beschossen. Wenn das in die Augen
kommt, brennen sie und tränen.
Meine Beine tun sehr weh. Heute tut mir
alles weh. Meine Beine stecken in dicken Gipsverbänden, und ich
muss die ganze Zeit hier rumliegen. Ich darf sie nicht bewegen. Ich
darf mich weder aufsetzen noch gehen noch irgendetwas anderes
machen.
Ich kenne keine Israelis. Ich will auch
keine kennen. Sie sind nicht wie ich. Sie denken nur ans Töten. Die
Erwachsenen lieben zwar ihre eigenen Kinder, aber die Kinder von
anderen halten sie für wertlos.
Ich habe nur einen Wunsch. Bald gesund zu
werden, damit ich wieder gegen die Israelis kämpfen kann.