|91|
Elisheva, 18
Die meisten Israelis
kennen jemanden, der direkt mit der Gewalt in Berührung gekommen
ist. Wenn sie nicht schon einmal selbst verletzt wurden, kennen sie
jemanden, der verwundet oder getötet wurde. Überall sieht man
Mahnmale für die, die im Krieg umgekommen sind – von Parkbänken,
die nach einem Kind benannt wurden, das früher gern in diesen Park
ging, bis hin zu Bäumen, die zur Erinnerung an jemanden gepflanzt
wurden.
Elisheva trauert noch über den
Verlust ihrer beiden Freunde, die vor kurzem von Palästinensern
getötet wurden. Sie hilft anderen Kindern und Jugendlichen, die in
der gleichen Situation sind wie sie, durch ihr Engagement bei Kids
for Kids. Diese Organisation unterstützt Kinder, die der Gewalt des
Krieges ausgesetzt waren.
Ich wohne in einer Siedlung nördlich von
Jerusalem und habe zwei ältere Brüder und eine ältere Schwester.
Einer meiner Brüder ist verheiratet und hat zwei Kinder. Mein
Lieblingsbuch ist Anne auf Green Gables. Meine
Lieblingssängerin ist Celine Dion und mein Lieblingsfilm Der
Pferdeflüsterer.
Mein Vater ist Psychologe. Er ist auf
Gewalt spezialisiert, auf Traumata, das sind seelische
Erschütterungen, |92|und
Familienprobleme. Im heutigen Israel hat er reichlich Gelegenheit,
in seinem Spezialgebiet zu praktizieren. Denn wegen all der
Bombenattentate gibt es hier viele traumatisierte Menschen.
Ich bin in der zwölften Klasse und mag
alle Fächer in der Schule. Ich besuche eine religiöse Schule und
lese zusätzlich zu den Pflichtfächern sehr viele Bücher über die
Bibel. Das erinnert mich immer an die Zeit, in der ich diese
Geschichten als Kind zum ersten Mal gehört habe. Es ist toll, in
Israel zu leben, weil ja die meisten dieser Geschichten hier
passiert sind.
Wenn ich mit der Schule fertig bin, werde
ich zwei Jahre Zivildienst leisten. Das machen viele religiöse
Jugendliche, die nicht zur Armee gehen. Ich würde gern mit Kindern
arbeiten, die seelische Probleme oder Schulprobleme haben,
vielleicht als Betreuerin oder in einem Erholungsheim. Dort, wo ich
was mit ihnen unternehmen könnte, das sie aufmuntert.
Ich habe viel von Israel gesehen. Wir
machen zwei oder drei Schulausflüge im Jahr, manchmal auch mehr.
Wenn wir etwas in Geschichte durchnehmen, fahren wir anschließend
an den Ort, wo das Ereignis stattgefunden hat. Im Moment ist es
sehr schwierig, in Israel zu leben. Alle haben Angst hier. Zwei
gute Freunde von mir und ein Lehrer sind durch palästinensische
Bomben ums Leben gekommen. Aber weil ich religiös bin und daran
glaube, dass Gott bei uns ist, werde ich stark sein. Ich weiß
nicht, wie nichtreligiöse Menschen damit klarkommen.
Ich erzähle euch von einem meiner
Freunde, der gestorben |93|ist. Er
hieß Avi und war 17. Wir gingen auf dieselbe Schule hier in der
Siedlung. Er hat für eine Mathearbeit gelernt, und weil er eine
Pause machen wollte, ist er mit ein paar Freunden zum
Basketballspielen auf den Schulhof gegangen. Plötzlich tauchte ein
Mann mit einem Maschinengewehr auf. Er hat das Feuer eröffnet und
einfach wild in der Gegend rumgeschossen. Zwei von den Jungs sind
in die eine Richtung weggerannt und Avi in die andere. Der Araber
hat Avi verfolgt und hat ihm in den Rücken geschossen. Er war nicht
sofort tot, aber es hat nicht lange gedauert, bis er gestorben
ist.
Der Mann mit der Waffe ist dann brüllend
und ballernd durch die Schule gelaufen, bis israelische Soldaten
ihn getötet haben. Ich weiß nicht, was er gebrüllt hat. Schmuel,
ein Freund von Avi, hat sich mit ein paar anderen Jungen auf der
Toilette versteckt, und ihm ist nichts passiert. Aber als er von
Avis Tod erfuhr, war er unheimlich deprimiert. Er dachte, er hätte
Avi irgendwie retten müssen, und hatte ein schlechtes Gewissen,
weil er noch lebte und Avi tot war. Zwei Wochen nach Avis Tod hatte
Schmuel seinen siebzehnten Geburtstag. Und zwei Tage später wurde
er von einer palästinensischen Bombe getötet, als er auf den Bus
wartete. Ich habe ein paar besondere Erinnerungen an Avi. Er
spielte gern Gitarre. Die hatte er ständig dabei. Und er ließ immer
das Radio an, wenn er schlafen ging, weil er so gern Musik hörte.
Er grinste meistens, und er war echt ein großes Kind. Die Leute
mochten ihn, weil er so eine Lebensfreude ausstrahlte. Er wollte
immer, dass alle glücklich sind. Schmuel wusste immer eine Lösung,
wenn jemand |94|Probleme hatte. Er
hat ständig alles und jeden organisiert. Und er war ein guter
Zuhörer.
Nur einen halben Kilometer von unserer
Siedlung entfernt leben Palästinenser. Wir können ihr Dorf von
unserem Haus aus sehen. Obwohl wir so nah beieinander wohnen, leben
wir wie Feinde. Wir könnten auch wie Nachbarn leben und haben das
auch eine Zeit lang getan. Wir sind zu ihren Hochzeiten und Festen
gegangen, und sie kamen zu unseren. Ich weiß noch, wie wir auf
ihren Feiern waren, als ich klein war; sie waren immer nett und
gastfreundlich. All das hat sich verändert. Jetzt wissen wir nicht
mehr, wem wir trauen können. In Gaza haben Palästinenser ihre Chefs
umgebracht, für die sie jahrelang gearbeitet hatten. Palästinenser,
die früher freundlich waren, bewerfen unsere Häuser jetzt mit
Steinen und erschießen uns, wenn sie nahe genug an uns
herankommen.
In die palästinensischen Dörfer können
wir gar nicht mehr fahren. Das ist viel zu gefährlich. Selbst wenn
wir nur spazieren gehen, riskieren wir schon, erschossen zu werden.
Die Palästinenser trauen uns nicht. Sie dürfen auch nicht in unsere
Siedlung kommen. Unsere Soldaten würden sie nicht hereinlassen, und
ihre Leute würden sie für Verräter halten und sie umbringen.
Wir verlassen die Siedlung nur in Bussen
mit Panzerglas, sonst könnte man uns erschießen. Damit die
Situation sich verbessert, brauchen wir einen richtig großen Krieg.
Danach wird jeder wissen, was das Richtige ist, und dann gibt es
keinen Grund mehr zu töten. Dann wäre Frieden. Wir, die Israelis,
haben uns ja bemüht, aber was sollen wir denn |95|noch alles tun? Das ist schließlich unser
Land. Wenn doch nur alle Juden aus der ganzen Welt nach Israel
kämen und alle Palästinenser gehen und in irgendeinem arabischen
Land leben würden.
Der Tod meiner Freunde hat mich sehr
verändert. Er hat meinen Glauben gestärkt. Es gibt Leute, die die
Existenz Gottes anzweifeln. Zu denen gehöre ich nicht. Ich
wünschte, alle würden erkennen, dass Gott der Einzige ist, dass er
uns leitet und sein Licht in jedes Herz schickt. Der Tod meiner
Freunde hat außerdem dazu geführt, dass ich mehr Zeit mit meiner
Familie und meinen Freunden verbringen möchte, weil man nie weiß,
was noch passieren wird und wann.
Was den Krieg mit den Palästinensern
angeht, bin ich mehr denn je der Überzeugung, dass wir im Recht
sind. Wenn die Palästinenser recht hätten, bräuchten sie nicht so
heimtückisch und hinterlistig zu sein. Ich bin sehr wütend auf die
Palästinenser. Ich kann sie nicht richtig hassen, weil es mir
schwerfällt, Böses in den Menschen zu sehen, aber ich bin trotzdem
wütend. Wenn ich durch die Altstadt von Jerusalem gehe und dort die
Araber sehe, wäre es mir lieber, sie wären weg. Ich möchte nicht,
dass sie da sind. Sie machen mich wütend.