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Elisheva, 18
Die meisten Israelis kennen jemanden, der direkt mit der Gewalt in Berührung gekommen ist. Wenn sie nicht schon einmal selbst verletzt wurden, kennen sie jemanden, der verwundet oder getötet wurde. Überall sieht man Mahnmale für die, die im Krieg umgekommen sind – von Parkbänken, die nach einem Kind benannt wurden, das früher gern in diesen Park ging, bis hin zu Bäumen, die zur Erinnerung an jemanden gepflanzt wurden.
Elisheva trauert noch über den Verlust ihrer beiden Freunde, die vor kurzem von Palästinensern getötet wurden. Sie hilft anderen Kindern und Jugendlichen, die in der gleichen Situation sind wie sie, durch ihr Engagement bei Kids for Kids. Diese Organisation unterstützt Kinder, die der Gewalt des Krieges ausgesetzt waren.
 
Ich wohne in einer Siedlung nördlich von Jerusalem und habe zwei ältere Brüder und eine ältere Schwester. Einer meiner Brüder ist verheiratet und hat zwei Kinder. Mein Lieblingsbuch ist Anne auf Green Gables. Meine Lieblingssängerin ist Celine Dion und mein Lieblingsfilm Der Pferdeflüsterer.
Mein Vater ist Psychologe. Er ist auf Gewalt spezialisiert, auf Traumata, das sind seelische Erschütterungen, |92|und Familienprobleme. Im heutigen Israel hat er reichlich Gelegenheit, in seinem Spezialgebiet zu praktizieren. Denn wegen all der Bombenattentate gibt es hier viele traumatisierte Menschen.
Ich bin in der zwölften Klasse und mag alle Fächer in der Schule. Ich besuche eine religiöse Schule und lese zusätzlich zu den Pflichtfächern sehr viele Bücher über die Bibel. Das erinnert mich immer an die Zeit, in der ich diese Geschichten als Kind zum ersten Mal gehört habe. Es ist toll, in Israel zu leben, weil ja die meisten dieser Geschichten hier passiert sind.
Wenn ich mit der Schule fertig bin, werde ich zwei Jahre Zivildienst leisten. Das machen viele religiöse Jugendliche, die nicht zur Armee gehen. Ich würde gern mit Kindern arbeiten, die seelische Probleme oder Schulprobleme haben, vielleicht als Betreuerin oder in einem Erholungsheim. Dort, wo ich was mit ihnen unternehmen könnte, das sie aufmuntert.
Ich habe viel von Israel gesehen. Wir machen zwei oder drei Schulausflüge im Jahr, manchmal auch mehr. Wenn wir etwas in Geschichte durchnehmen, fahren wir anschließend an den Ort, wo das Ereignis stattgefunden hat. Im Moment ist es sehr schwierig, in Israel zu leben. Alle haben Angst hier. Zwei gute Freunde von mir und ein Lehrer sind durch palästinensische Bomben ums Leben gekommen. Aber weil ich religiös bin und daran glaube, dass Gott bei uns ist, werde ich stark sein. Ich weiß nicht, wie nichtreligiöse Menschen damit klarkommen.
Ich erzähle euch von einem meiner Freunde, der gestorben |93|ist. Er hieß Avi und war 17. Wir gingen auf dieselbe Schule hier in der Siedlung. Er hat für eine Mathearbeit gelernt, und weil er eine Pause machen wollte, ist er mit ein paar Freunden zum Basketballspielen auf den Schulhof gegangen. Plötzlich tauchte ein Mann mit einem Maschinengewehr auf. Er hat das Feuer eröffnet und einfach wild in der Gegend rumgeschossen. Zwei von den Jungs sind in die eine Richtung weggerannt und Avi in die andere. Der Araber hat Avi verfolgt und hat ihm in den Rücken geschossen. Er war nicht sofort tot, aber es hat nicht lange gedauert, bis er gestorben ist.
Der Mann mit der Waffe ist dann brüllend und ballernd durch die Schule gelaufen, bis israelische Soldaten ihn getötet haben. Ich weiß nicht, was er gebrüllt hat. Schmuel, ein Freund von Avi, hat sich mit ein paar anderen Jungen auf der Toilette versteckt, und ihm ist nichts passiert. Aber als er von Avis Tod erfuhr, war er unheimlich deprimiert. Er dachte, er hätte Avi irgendwie retten müssen, und hatte ein schlechtes Gewissen, weil er noch lebte und Avi tot war. Zwei Wochen nach Avis Tod hatte Schmuel seinen siebzehnten Geburtstag. Und zwei Tage später wurde er von einer palästinensischen Bombe getötet, als er auf den Bus wartete. Ich habe ein paar besondere Erinnerungen an Avi. Er spielte gern Gitarre. Die hatte er ständig dabei. Und er ließ immer das Radio an, wenn er schlafen ging, weil er so gern Musik hörte. Er grinste meistens, und er war echt ein großes Kind. Die Leute mochten ihn, weil er so eine Lebensfreude ausstrahlte. Er wollte immer, dass alle glücklich sind. Schmuel wusste immer eine Lösung, wenn jemand |94|Probleme hatte. Er hat ständig alles und jeden organisiert. Und er war ein guter Zuhörer.
Nur einen halben Kilometer von unserer Siedlung entfernt leben Palästinenser. Wir können ihr Dorf von unserem Haus aus sehen. Obwohl wir so nah beieinander wohnen, leben wir wie Feinde. Wir könnten auch wie Nachbarn leben und haben das auch eine Zeit lang getan. Wir sind zu ihren Hochzeiten und Festen gegangen, und sie kamen zu unseren. Ich weiß noch, wie wir auf ihren Feiern waren, als ich klein war; sie waren immer nett und gastfreundlich. All das hat sich verändert. Jetzt wissen wir nicht mehr, wem wir trauen können. In Gaza haben Palästinenser ihre Chefs umgebracht, für die sie jahrelang gearbeitet hatten. Palästinenser, die früher freundlich waren, bewerfen unsere Häuser jetzt mit Steinen und erschießen uns, wenn sie nahe genug an uns herankommen.
In die palästinensischen Dörfer können wir gar nicht mehr fahren. Das ist viel zu gefährlich. Selbst wenn wir nur spazieren gehen, riskieren wir schon, erschossen zu werden. Die Palästinenser trauen uns nicht. Sie dürfen auch nicht in unsere Siedlung kommen. Unsere Soldaten würden sie nicht hereinlassen, und ihre Leute würden sie für Verräter halten und sie umbringen.
Wir verlassen die Siedlung nur in Bussen mit Panzerglas, sonst könnte man uns erschießen. Damit die Situation sich verbessert, brauchen wir einen richtig großen Krieg. Danach wird jeder wissen, was das Richtige ist, und dann gibt es keinen Grund mehr zu töten. Dann wäre Frieden. Wir, die Israelis, haben uns ja bemüht, aber was sollen wir denn |95|noch alles tun? Das ist schließlich unser Land. Wenn doch nur alle Juden aus der ganzen Welt nach Israel kämen und alle Palästinenser gehen und in irgendeinem arabischen Land leben würden.
Der Tod meiner Freunde hat mich sehr verändert. Er hat meinen Glauben gestärkt. Es gibt Leute, die die Existenz Gottes anzweifeln. Zu denen gehöre ich nicht. Ich wünschte, alle würden erkennen, dass Gott der Einzige ist, dass er uns leitet und sein Licht in jedes Herz schickt. Der Tod meiner Freunde hat außerdem dazu geführt, dass ich mehr Zeit mit meiner Familie und meinen Freunden verbringen möchte, weil man nie weiß, was noch passieren wird und wann.
Was den Krieg mit den Palästinensern angeht, bin ich mehr denn je der Überzeugung, dass wir im Recht sind. Wenn die Palästinenser recht hätten, bräuchten sie nicht so heimtückisch und hinterlistig zu sein. Ich bin sehr wütend auf die Palästinenser. Ich kann sie nicht richtig hassen, weil es mir schwerfällt, Böses in den Menschen zu sehen, aber ich bin trotzdem wütend. Wenn ich durch die Altstadt von Jerusalem gehe und dort die Araber sehe, wäre es mir lieber, sie wären weg. Ich möchte nicht, dass sie da sind. Sie machen mich wütend.