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Vorwort
Das vorliegende Buch versammelt
Interviews von Kindern, die, räumlich gesehen, nicht weit
voneinander entfernt leben, und doch durch Welten aus Hass und
Misstrauen getrennt sind, israelische Kinder und palästinensische
Kinder. Kinder, die in einem Gebiet leben, auf das zwei Völker
Anspruch erheben, Juden und Palästinenser. Ein Vorwort ist sicher
nicht der Ort, um auf historisch mehr oder weniger begründete
Ansprüche, auf politische Bedingungen, auf Ursache und Wirkung,
Aktion und Gegenaktion hinzuweisen, auf Schuld und Gegenschuld.
Außerdem glaube ich auch nicht, dass es in einer solch verfahrenen
Situation so etwas wie eine unparteiische Position gibt. Man sollte
aufhören, nach Schuld zu suchen, sondern den Blick darauf richten,
welche Auswege es aus dieser Situation geben könnte.
Auch dieses Buch kann keine abschließende
Antwort auf die vielen offenen Fragen geben, vor allem kann und
will es auch nicht erklären, wie Hass entsteht. Aber eines muss man
sich klar machen: Kinder hassen nicht von Natur aus. Wenn Kinder
darüber sprechen, andere Kinder zu hassen, dann sprechen aus ihrem
Mund Erwachsene, die Eltern und die Erzieher. Sie selbst kennen die
»anderen« nämlich |8|gar nicht.
Darin sehe ich das Erschreckende an diesen Interviews: Alle
palästinensischen Kinder geben an, kein israelisches Kind zu
kennen, und die israelischen kennen keine palästinensischen. Da ist
es kein Wunder, dass sie dem Teufelskreis der Hilflosigkeit kaum
entkommen können und die Entwicklung, die sie im Lauf ihres
Erwachsenwerdens nehmen werden, so gut wie vorprogrammiert
ist.
Auf beiden Seiten leben Kinder, die nur
das wollen, was alle Kinder auf der Welt wollen: in Sicherheit
leben und ihren Spaß haben.
Aber im Nahen Osten gibt es keine
Sicherheit. Ein palästinensisches Mädchen drückt aus, was für die
Kinder beider Seiten gilt. »Ich weiß, dass anderswo das Leben für
Kinder leichter ist«, sagt sie, »und ich wünschte, es wäre auch für
uns leichter, wenigstens eine Zeit lang.«
Alle Kinder werden zwar nicht gleich
geboren, aber ein Säugling des einen Landes unterscheidet sich
nicht so sehr von dem eines anderen. Jedes Kleinkind wird, wenn es
ein anderes Kind sieht, ihm entgegenlaufen. Kinder streben
natürlicherweise zueinander.
Was passiert in der Zeit dazwischen,
zwischen Geburt und Erwachsensein, wie wird aus einem spielenden
Kind ein hassender Mann oder eine hassende Frau?
Man wünscht sich, wenn man die Interviews
liest, viele Projekte, die das gegenseitige Kennenlernen fördern,
wie zum Beispiel das von Daniel Barenboim gegründete West-Eastern
Divan Orchestra, dem junge Musiker aus Israel und den arabischen
Ländern des Nahen Ostens angehören. Es gibt also Ansätze zu
gemeinsamen Aktionen, aber nicht |9|genug, lange nicht genug. Vielleicht sollten
die vielen Gutwilligen außerhalb des Nahen Ostens ihren Blick
stärker auf die Kinder richten. Sie brauchen eine Chance, sich
gegenseitig kennenzulernen, um vielleicht eines Tages ein eigenes
Bild des Fremden, des Anderen entwickeln zu können. Einander zu
kennen ist die Voraussetzung dafür, dass vorhandene und tradierte
Vorurteile und übernommene Bilder revidiert werden. Erst dann
können persönliche Beziehungen entstehen, die zu einem Ausgleich
und zur Versöhnung im Nahen Osten führen. Sicher wird das anfangs
nur zähneknirschend geschehen, aber es bleibt nichts anderes übrig.
Mit der zunehmenden Globalisierung wird es sowieso darauf
hinauslaufen, dass Menschen unterschiedlicher Herkunft und
unterschiedlicher ethnischer Zugehörigkeit zusammen leben und
arbeiten werden.
Übrigens, während ich dies schreibe,
kommt im Radio eine Meldung: Ein palästinensisches Mitglied des
West-Eastern Divan Orchestra hat in Nazareth eine Musikschule
gegründet. Zwei seiner Schüler haben ein Stipendium in Tel Aviv
gewonnen. Das bestärkt mich in der Meinung, dass Frieden weder
durch Besatzung noch durch Intifada erreicht werden kann.
Mirjam Pressler