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Einleitung
Die Kinder und Jugendlichen, die
in diesem Buch zu Wort kommen, wohnen alle in einem kleinen
Landstrich am Rande des Mittelmeers. Dieses Land, das früher
Palästina hieß, ist den Juden, den Muslimen und den Christen
heilig. Aber die Region befindet sich seit mehr als 50 Jahren im
Krieg.
Der Völkermord während des Zweiten
Weltkriegs führte dazu, dass viele Juden nicht länger auf den
Schutz durch ihre Regierungen vertrauten. Sie wollten sich selbst
schützen und in ihrem eigenen Land Israel ohne Angst vor Verfolgung
und Vernichtung leben können. Allerdings stellte sich da ein großes
Problem: Dort wohnten bereits die Palästinenser. Palästinenser ist
die Bezeichnung für die arabische Bevölkerung in diesem Land. Ihre
Familien waren schon seit Generationen dort angesiedelt, betrieben
Ackerbau und Viehzucht und gründeten Firmen und Städte.
Sowohl die Juden als auch die Araber sind
tief in dieser Gegend verwurzelt – ihre Wurzeln reichen Tausende
von Jahren zurück. Und in der Vergangenheit haben sie häufig
friedlich nebeneinander gelebt. Doch in den letzten 100 Jahren
entstanden Probleme, da die Araber der Meinung |11|sind, dasselbe Land, das den Juden für ihren
neuen Staat zuerkannt worden war, gehöre eigentlich ihnen.
1947 entwarfen die Vereinten Nationen
einen Plan, der Palästina in zwei Staaten unterteilte – einen
jüdischen und einen arabischen. Die Palästinenser und die
benachbarten arabischen Staaten lehnten diesen Plan ab, doch Israel
erklärte im Mai 1948 seine Unabhängigkeit. Daraufhin marschierten
aus Jordanien, Ägypten, Syrien, dem Libanon und dem Irak Truppen
ein, was zum ersten Arabisch-Israelischen Krieg führte. Am Ende
dieses Krieges kontrollierte Israel den größten Teil Palästinas;
viele Palästinenser waren in benachbarte Länder geflohen oder
lebten nun in ihrem eigenen Land in Flüchtlingslagern.
Es folgten weitere Kriege, und die
Spannungen zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn wuchsen,
bis sie 1967 im Sechs-Tage-Krieg ihren Höhepunkt erreichten. Nach
dem Ende dieses Krieges hielt Israel die Sinaihalbinsel und den
Gazastreifen besetzt und hatte von Jordanien das Westjordanland und
von Syrien die Golanhöhen erobert. Das Ergebnis war, dass Palästina
heute in Israel und die beiden als Palästinensergebiete bekannten
Zonen Westjordanland und Gazastreifen geteilt ist. Die Vereinten
Nationen haben Israel seither immer wieder aufgefordert, seine
Truppen abzuziehen, doch konnten sich beide Seiten nicht darüber
einigen, wie genau das vor sich gehen könnte.
Der anhaltende Streit um dieses Land
führt dazu, dass die Kinder dort an einem Ort aufwachsen, wo
ständig Krieg geführt wird. Manchmal müssen sie mit Explosionen
|12|, Kanonendonner und dem Lärm von
Kampfhubschraubern über ihren Köpfen leben. Manchmal werden Freunde
von ihnen in die Luft gesprengt, wenn sie in einen Bus
einsteigen.
Dem Krieg zu entfliehen ist unmöglich. Er
hat Familien getrennt, Nachbarn zu Feinden gemacht und dafür
gesorgt, dass unschuldige Menschen Angst voreinander haben.
Ich habe mich im November und Dezember
2002 einige Wochen in Israel und den Palästinensergebieten
aufgehalten. In den Monaten vor meinem Besuch hatte es eine Reihe
von palästinensischen Selbstmordattentaten gegeben, und die
Israelis hatten daraufhin ihre Truppen in palästinensische Dörfer
und Flüchtlingslager geschickt und praktisch über alle
Palästinenser Hausarrest oder eine Ausgangssperre verhängt.
Diese Ausgangssperre dauerte noch an, als
ich mich in der Region aufhielt, wurde mal aufgehoben, dann wieder
erneuert und schränkte auch meine Bewegungsfreiheit ein. Viele der
Interviews, die ich vor meiner Abreise aus Kanada verabredet hatte,
konnte ich deshalb nicht führen. Das war für mich ein
eindringliches Beispiel für die Enttäuschungen, die die dort
lebenden Menschen täglich erleben, wenn ihre Pläne von einem Moment
auf den nächsten von außen zunichte gemacht werden.
Ich bat die Kinder, die ich traf, mir von
ihrem Leben zu erzählen, davon, was sie glücklich macht, ängstlich
oder wütend, und inwiefern der Krieg sie beeinträchtigte. Sie
erzählten mir ihre Wünsche für die Zukunft. Einige der Geschichten
sind voller Hoffnung, andere bestürzend, ja sogar |13|schockierend. Aber sie spiegeln die Welt
wider, in der diese Kinder leben.
Mit einigen Kindern kam ich rein zufällig
ins Gespräch, während ich zum Beispiel bei McDonald’s einen Kaffee
trank oder ein Krankenhaus besuchte. Andere Kinder wurden mir von
Organisationen vorgestellt, die sich gegen die Zerstörung von
Wohnhäusern engagieren oder traumatisierten israelischen Kindern
helfen. Alle diese Kinder hatten die Erlaubnis ihrer Eltern oder
Betreuer, mit mir zu reden. Gelegentlich wurde diese Erlaubnis
zurückgezogen, wenn die Erwachsenen herausfanden, dass ich sowohl
Israelis als auch Palästinenser interviewte. Diese Kinder
erscheinen deshalb nicht in diesem Buch.
Der Krieg im Nahen Osten dauert nun schon
so lange und hat so viele Formen angenommen, dass es häufig den
Anschein hat, er werde ewig weitergehen. Aber Krieg zu führen ist,
wie alles andere, was Menschen tun, eine Entscheidung. Waffen
herzustellen ist eine Entscheidung. Zuzulassen, dass ein Kind
hungert oder verseuchtes Wasser trinkt, ist eine Entscheidung. Am
Rand des Geschehens zu stehen und etwas Falsches nicht durch
eigenes Zutun zu beenden ist auch eine Entscheidung.
Die Kinder in diesem Buch sprechen
darüber, wie die Entscheidungen anderer Menschen ihr Leben
beeinträchtigen. Auf ihren Schultern liegt eine Last, die alles
andere als leicht ist: die Geschichte dieser Region und ihrer
Menschen.
Ich möchte allen Israelis und
Palästinensern meinen Dank aussprechen, die sich die Zeit genommen
haben, mit |14|mir zu reden und mich
an ihrem Leben und ihrer Arbeit teilnehmen zu lassen. Darüber
hinaus möchte ich Oded Haklai, Paul Kingston, Richard Swift und
meiner Lektorin Shelley Tanaka danken.
Deborah Ellis