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Hassan, 18
Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) ist die für palästinensische Flüchtlinge zuständige Einrichtung der Vereinten Nationen. Nach der Definition dieses Hilfswerks gelten die Menschen als palästinensische Flüchtlinge, die zwischen Juni 1946 und Mai 1948 in Palästina lebten und im ersten Arabisch-Israelischen Krieg ihre Heimat und ihre Erwerbsquellen verloren. Die Nachkommen dieser Menschen werden ebenfalls als Flüchtlinge betrachtet.
Heute gibt es ungefähr vier Millionen palästinensische Flüchtlinge. Eine Million von ihnen lebt in Flüchtlingslagern. Einige dieser Lager befinden sich im Libanon, in Syrien und in Jordanien, andere im Westjordanland und im Gazastreifen.
Ein palästinensisches Flüchtlingslager ist ein Stück Land, das dem Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge zur Verfügung gestellt wurde, um dort Palästinenser zu beherbergen. Die Lager sehen aus wie überfüllte Städte. Betongebäude ersetzen heute die ursprünglichen Zelte. Wegen der Überbevölkerung, schlechter Straßen und mangelhafter Kanalisation herrschen dort ärmliche Lebensverhältnisse.
Ganze Generationen haben ihr Leben in diesen Lagern verbracht. Es gibt dort Schulen, Krankenhäuser und andere Einrichtungen, |99|die mit vom UNRWA unterstützt werden. Häufig werden Lager von der israelischen Armee besetzt oder sind Schauplatz von Straßenkämpfen zwischen bewaffneten Palästinensergruppen und der israelischen Armee. Diese Kämpfe und die andauernden Spannungen haben tief greifende Wirkungen auf die dort lebenden Kinder.
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Durch den Krieg schwer traumatisierte Kinder bringen ihren Schmerz auf verschiedene Art und Weise zum Ausdruck. Manche werden zu Bettnässern. Andere haben Schlafprobleme oder Albträume. Sie können sich in der Schule nicht konzentrieren oder werden wütend und aggressiv und sind unfähig, mit anderen Menschen auszukommen, selbst wenn alles ruhig ist. Es gibt auch Kinder, die aufhören zu sprechen – ein Zeichen von Stress, das man auch »selektiven Mutismus« nennt – oder die sich nicht mehr richtig bewegen können.
Das palästinensische Rehabilitationszentrum im Flüchtlingscamp in Ramallah besteht aus einer Reihe von kleinen Steinhäusern in einem Hinterhof, den man über eine kleine Gasse erreicht. Es wurde von den Müttern betroffener Kinder gegründet, um ihnen und anderen in der Gemeinde wenigstens einen Teil der benötigten Pflege zu ermöglichen. Wenn nicht gerade Ausgangssperre ist, machen die Leiterinnen dieses Zentrums auch Hausbesuche bei den Behinderten und versuchen sie zu ermuntern, rauszugehen und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.
Hassan sitzt seit einigen Jahren im Rollstuhl. »Körperlich fehlt ihm eigentlich nichts«, sagt sein Pfleger. »Aber vor ein paar Jahren war er so verängstigt wegen der Soldaten, dass er plötzlich seine Arme und Beine nicht mehr bewegen konnte. Seitdem |100|kann er nicht mehr gehen. In anderen Ländern gibt es Behandlungsmöglichkeiten dafür, aber die sind zu teuer, und wir dürfen dieses Lager ohnehin nicht verlassen.«
 
Ich bin in diesem Lager geboren. Hier ist mein Zuhause. Ich habe nie woanders gelebt. Ich habe Fotos von anderen Städten gesehen, die ziemlich schön aussehen. Die würde ich eines Tages gern mal mit eigenen Augen sehen, vor allem Gegenden, wo es viele Bäume und Flüsse und Seen gibt. Die Menschen in diesem Lager sind in Ordnung, aber das Lager selbst ist nicht schön. Hier gibt es nur Beton und enge Gässchen und häufig sind Panzer und Soldaten auf der Straße. Wir hören oft Kanonendonner und Schüsse. Ich mag diese Geräusche nicht. Ich höre lieber Musik.
Die Leute würden gern alles schön herrichten, wenn sie könnten, aber da hier niemand Geld hat, müssen wir damit leben, dass alles hässlich ist. Wenn wir etwas Schönes bauen würden, würden die Soldaten es ohnehin in die Luft sprengen oder mit einem Panzer drüberfahren und es in Müll verwandeln. Warum sollten wir uns also die Mühe machen?
In diesem Lager sterben viele Menschen. Die Israelis feuern Raketen auf uns ab. Vor nicht allzu langer Zeit schlug eine Rakete in ein Auto ein und tötete eine Frau und drei Kinder. Zwei andere Kinder kamen durch eine Landmine um. Hier sterben viele Menschen.
Gelegentlich hören wir nachts Hubschrauber und Flugzeuge und manchmal stehen morgens ausgebrannte Autos auf der Straße, die abends noch nicht da waren. Die Leute |101|hier sind sehr nervös. Wir wissen nie, wann die Soldaten kommen und uns drangsalieren.
Vor einiger Zeit kamen die Soldaten auch in dieses Reha-Zentrum. Sie haben einige Sachen kaputt gemacht und alles auf den Kopf gestellt. Inzwischen sieht es hier wieder gut aus. Es waren Leute da, die Ordnung gemacht haben. Ich habe auch ein bisschen mitgeholfen, aber ich konnte nicht viel tun, weil ich nicht aus meinem Rollstuhl kann.
Die Poster an den Wänden zeigen Märtyrer, die bei dem Versuch, Palästina zu befreien, gestorben sind. Das sind nicht gerade fröhliche Bilder, aber sie sind stark. Ich bin bis zur sechsten Klasse in die Schule gegangen. Mein Lieblingsfach war Englisch. Ab und zu probiere ich mal wieder, Englisch zu reden. Vielleicht komme ich irgendwann mal nach Kanada. Nach der sechsten Klasse bin ich von der Schule abgegangen, weil ich mich nicht mehr genug konzentrieren kann, um weiterzulernen.
Ich komme jeden Tag in dieses Zentrum, es sei denn, es ist Ausgangssperre. Jemand schiebt meinen Rollstuhl und bringt mich hierher. Ich male, höre anderen beim Musizieren zu, spiele Karten oder unterhalte mich einfach. Das ist wenigstens ein Ort, wo ich hingehen kann.
Bald feiern wir das Ramadanfest. Einige Leute hier bereiten ein Festessen vor, das sie mit Palästinensern aus dem Lager teilen, die sich keine eigene Feier leisten können. Das riecht sehr gut, wenn die kochen. Ich hoffe, es gibt keine Ausgangssperre, damit wir das Ramadanfest auch wirklich feiern können. Ich kriege dann was Neues zum Anziehen, gehe in die Moschee und besuche meine Verwandten, die |102|in diesem Lager wohnen. Den Teil der Familie, der nicht hier wohnt, werden wir nicht sehen können, weil wir das Lager nicht verlassen und sie auch nicht hierher kommen dürfen.
Am liebsten bin ich mit meinen Freunden zusammen. Wir spielen Karten und andere Spiele, für die man nur die Hände braucht. Was mir am meisten Angst macht, sind die Soldaten, wegen der Waffen. Sie mögen uns nicht. Sie wollen nur auf uns schießen und uns umbringen. Ich wünschte, sie würden verschwinden.
Ich würde gern Polizist werden, wenn ich älter bin. Ich wäre ein guter Polizist. Die Leute würden mir vertrauen, und ich würde für ihre Sicherheit sorgen. Wenn ich mir was wünschen dürfte, dann, dass ich wieder laufen und Fußball spielen und an schöne Orte reisen kann.