KAPITEL 82
Als Todd Williams mit Michelle telefonierte und ihr die Nachricht von Jean Robinsons Ermordung durchgab, war King bereits in einem Mietwagen abgefahren. Rings um das Horrorhaus standen etliche Polizei-und Ambulanzfahrzeuge, als Michelle dort eintraf. Entsetzte Nachbarn starrten aus Fenstern und von Terrassen herüber. Weit und breit war kein Kind zu sehen. Die drei Robinson-Sprösslinge und ihren Vater hatte man inzwischen ins Haus eines in der Nähe wohnenden Verwandten gebracht.
Michelle traf Todd Williams, Sylvia Diaz und Agent Bailey im Elternschlafzimmer an; alle drei hatten den Blick auf die tote Hausherrin gerichtet.
Michelle prallte zurück, als sie sah, was man der Frau angetan hatte.
Sylvia schaute sie an und nickte. »Stigmata.«
Jean Robinsons Handflächen und Füße waren auf eine Art und Weise verletzt worden, dass die Wunden den Kreuzigungsmalen Jesu glichen. Auch lag ihr Leichnam so, wie der Gottessohn am Kreuz gehangen haben musste.
»Bobby Joe Lucas«, sagte Bailey matt. »Anfang der Siebziger hat er in Kansas und Missouri das Gleiche mit vierzehn Frauen gemacht, nachdem er sie vergewaltigt hatte.«
»Ich bin sicher«, meinte Sylvia, »dass hier keine Vergewaltigung vorliegt.«
»Ich habe nichts dergleichen behauptet. Lucas ist 1987 im Gefängnis an Herzstillstand gestorben. Und nach Aussagen des Ehemanns fehlt das Nachthemd. Das passt zum Profil unseres Mörders.«
»Wo ist Sean?«, erkundigte sich Williams.
»Unterwegs, um ein paar Fragen zu klären.«
Misstrauisch blickte Bailey sie an. »Wo?«
»Ich weiß es nicht genau.«
»Ich hätte nicht gedacht, dass Batman sich ohne Robin in ein Abenteuer stürzt«, sagte der FBI-Agent spöttisch.
»Willst du ihn nicht anrufen?«, fragte Williams, bevor Michelle eine unfreundliche Erwiderung von sich geben konnte. »Er möchte bestimmt Bescheid wissen.«
»Als Roger Canney auf uns Jagd gemacht hat, ist Seans Handy kaputtgegangen.«
»Er erfährt sowieso bald davon«, sagte Sylvia. »Schlechte Nachrichten verbreiten sich jedes Mal schneller als gute.«
»Wo steckt der Ehemann?«
»Bei den Kindern«, antwortete Williams. »Zur Tatzeit war er auf der Autobahn unterwegs. Er ist Vertreter einer Hightechfirma. Er sagt, er hat kurz nach ein Uhr morgens über das Handy seiner Frau einen Anruf erhalten. Die Stimme teilte ihm mit, seine Frau wäre tot. Er hat das Handy zurückgerufen, doch ohne Erfolg. Als er über den Festnetzanschluss anrief, war die Leitung tot. Das Kabel ist zerschnitten worden, haben wir inzwischen entdeckt. Robinson hat daraufhin die Polizei verständigt.«
»Wann ist er hier angekommen?«
»Ungefähr eine Stunde nach meinen Leuten. Er war auf dem Weg zu einer Vertreterkonferenz in Washington.«
»Er fährt wohl gern spätnachts durch die Gegend?«
»Seiner Aussage zufolge wollte er vor der Abfahrt die Kinder zu Bett bringen und noch ein wenig mit seiner Frau zusammen sein«, erklärte Bailey.
»Gibt es irgendeinen Grund, ihn zu verdächtigen?«, fragte Michelle.
»Abgesehen davon, dass sich keine Hinweise auf ein gewaltsames Eindringen finden lassen, eigentlich nicht«, antwortete Williams.
»Und niemand hat etwas beobachtet?«, lautete Michelles nächste Frage.
»Nur die drei Kinder waren im Haus. Der Jüngste kann uns natürlich keine Hilfe sein. Der Älteste…«
Ein weiblicher Deputy kam ins Zimmer. »Chef, ich habe gerade die Befragung Tommys abgeschlossen, des zweitältesten Jungen. Er sagt, er sei in der Nacht aufgewacht und habe seinen Vater im Haus gesehen. Um welche Uhrzeit, weiß er nicht. Sein Vater soll ihm gesagt haben, er hätte etwas vergessen und Tommy sollte wieder ins Bett gehen.«
Kaum hatte sie ausgesprochen, kam ein anderer Deputy ins Zimmer geeilt. »Das hier haben wir im Keller gefunden, in einem Abflussrohr.«
Sie legten den Plastik-Einkaufsbeutel auf den Esstisch und betrachteten durch das Klarsichtmaterial den Inhalt.
»Eine Christophorus-Medaille, ein Nabelring, ein goldenes Fußkettchen und ein Amethystring«, zählte Williams die Gegenstände auf.
»Sämtliche Gegenstände, die den ersten fünf Opfern weggenommen wurden«, sagte Bailey.
Unverzüglich wandte Williams sich an einen der Deputys. »Harold Robinson ist sofort festzunehmen.«