KAPITEL 14
Das Anwesen der Battles lag auf einem Hügel. Es war ein weitläufiges, dreistöckiges Haus aus Ziegeln, Stein und Schindeln, umgeben von ausgedehnten Wiesen mit smaragdgrünem Gras und vereinzelten alten Bäumen. Hier stank es nach Geld, nach altem Familienvermögen, obwohl der Reichtum, dem das Haus seine Existenz verdankte, erst in den letzten Jahrzehnten angehäuft worden war. King und Michelle hielten vor einem massiven gusseisernen Tor. Auf einem kurzen schwarzen Pfeiler neben der asphaltierten Zufahrt war eine Sprechanlage montiert. King fuhr das Seitenfenster herunter und drückte den weißen Knopf. Eine dienstfertige Stimme antwortete ihm. Wenig später schwang das Tor auf, und King fuhr hindurch.
»Willkommen in Casa Battle«, sagte er.
»Nennt man es so?«
»Nein, war nur ein Scherz.«
»Du hast gesagt, du kennst Remmy Battle?«
»So gut wie die meisten Leute in der Stadt. Außerdem habe ich früher gelegentlich mit Bobby Golf gespielt. Er ist sehr gesellig, kann aber ziemlich unangenehm werden, wenn man ihm in die Quere kommt. Remmy dagegen ist eine Frau, die einem nur flüchtige Einblicke gewährt und zusieht, dass alles nach ihren Bedingungen läuft. Und wenn man ihr in die Quere kommt, braucht man ein kleines Wunder, um zu überleben.«
»Wie ist sie zu diesem ungewöhnlichen Namen gekommen?«
»Die Kurzform von Remington. Angeblich die Lieblingsschrotflinte ihres Vaters. Wer Remmy kennt, der weiß, dass kaum ein anderer Name besser zu ihr passen würde.«
»Wer hätte gedacht, dass so viele interessante Menschen in einer so kleinen Stadt leben?« Michelle betrachtete das Anwesen. »Wirklich beeindruckend.«
»Von außen. Warte mal ab, bis du das Innenleben gesehen hast.«
Kaum hatten sie an die Vordertür geklopft, wurde ihnen von einem großen, muskulösen Mann mittleren Alters geöffnet. Er trug einen gelben Cardigan-Pullover, ein weißes Hemd, eine dezente Krawatte und eine schwarze Freizeithose. Er stellte sich als Mason vor. Mrs Battle sei noch einen Moment beschäftigt und werde sie in Kürze auf der hinteren Terrasse empfangen, teilte er ihnen mit.
Als Mason sie durchs Haus führte, bestaunte Michelle das atemberaubende Interieur. Dass die Dinge, die sie sah, ein Vermögen kosteten, stand außer Zweifel. Trotzdem wirkten sie nicht protzig, sondern verbreiteten eine Atmosphäre eleganter Bescheidenheit.
»Die Einrichtung ist eine Wucht«, flüsterte sie.
»Das hatte ich nicht mit dem Innenleben gemeint«, erwiderte King ebenso leise, »eher das atmende Inventar des Hauses.«
Sie betraten die hintere Terrasse, auf der ein Tisch stand, der mit heißem und kaltem Tee und verschiedenen Knabbereien gedeckt war. Mason schenkte ihnen ein, nachdem sie ihre Wünsche geäußert hatten, und ging, wobei er behutsam die Schiebetüren hinter sich zuzog. Die Sonne war warm; die Temperatur war auf über zwanzig Grad gestiegen, und die Luft war ein wenig schwül nach den Regenfällen der letzten Tage.
Michelle nippte am Eistee. »Ist Mason so etwas wie ein Butler?«
»Ja, er lebt schon seit Ewigkeiten bei den Battles. Eigentlich ist er viel mehr als nur ein Butler.«
»Ein intimer Vertrauter? Jemand, der uns vielleicht weiterhelfen könnte?«
»Dazu ist er zu loyal«, erwiderte King. »Aber letztlich weiß man nie, wie die Loyalitäten gelagert sind, solange man nicht fragt und vielleicht ein Gegengeschäft vorschlägt.«
Als sie ein Plantschen hörten, gingen sie zum Geländer hinüber, das einen Teil der Terrasse begrenzte, und blickten über das geschmackvoll angelegte Grundstück.
Der weitläufige Freizeitbereich, der von hier aus zu sehen war, bestand aus einem steinernen Poolhaus, einem Becken, in dem sich mühelos ein Dutzend Erwachsene tummeln konnten, einem überdachten Speisesaal und einem wuchtigen ovalen Swimmingpool, der von Ziegeln und Fliesen umrahmt wurde.
»Ich wollte immer schon wissen, wie die Superreichen leben«, sagte Michelle.
»Genauso wie du und ich, nur sehr viel besser.«
Aus dem klaren blauen, offensichtlich beheizten Wasser des Pools tauchte eine junge Frau auf, die einen sehr knappen Stringbikini trug. Sie hatte langes blondes Haar, war etwa einen Meter siebzig groß, und ihre Kurven waren so ausgeprägt, dass sie sofort ins Auge sprangen. Sie hatte kräftige Muskeln an Beinen, Armen und Schultern und trug einen Ring im gepiercten Nabel ihres flachen Bauchs. Als sie sich bückte, um ein Handtuch aufzuheben, konnten sie sehen, dass sich ein großes Tattoo auf einer teilweise entblößten Pobacke befand.
»Sind das Buchstaben auf ihrem Hintern?«, fragte Michelle.
»Ja, ihr Name«, antwortete King. »Savannah.« Er beobachtete, wie die junge Frau sich abtrocknete. »Es ist erstaunlich, was man alles auf Haut schreiben kann, und sogar in Kursivschrift.«
»Das kannst du von hier aus erkennen?«, fragte Michelle, die Stirn gerunzelt.
»Nein, ich habe es mal aus der Nähe gesehen.« Hastig fügte er hinzu: »Bei einer Poolparty.«
»Aha. Warum trägt eine Frau ihren Namen auf dem Hintern? Damit die Kerle sie nicht vergessen?«
»Ich gebe mir alle Mühe, nicht genauer über die Gründe nachzudenken.«
Savannah blickte auf und winkte ihnen zu. Sie hüllte sich in einen kurzen, durchscheinenden Bademantel, stieg in ein Paar Sandalen und kam über die gemauerte Treppe zu ihnen herauf. Sie begrüßte King mit einer Umarmung und schien es darauf abgesehen zu haben, ihn mit ihrem enormen Busen zu erdrücken. Aus der Nähe betrachtet waren ihre Gesichtszüge nicht so makellos wie ihr Körper. Die Nase, das Kinn und die Kiefer waren etwas zu scharf und unregelmäßig geschnitten. Doch Michelle wusste, dass sie mit ihrer Kritik übermäßig pingelig war. Savannah Battle war eine sehr hübsche Frau.
Savannah musterte King bewundernd von oben bis unten. »Sean King, ich schwöre, dass du jedes Mal, wenn ich dir begegne, besser aussiehst. Das ist unfair! Wir Frauen werden immer älter, sosehr wir uns dagegen wehren.« Sie sprach mit einem schleppenden Südstaatenakzent, den Michelle ein wenig affektiert fand.
»Darüber müssen Sie sich nun wirklich keine Sorgen machen«, sagte Michelle und reichte ihr die Hand. »Ich bin Michelle Maxwell.«
»Oh, das ist sehr charmant von Ihnen«, sagte Savannah in einem Tonfall, der alles andere als charmant war.
»Meinen Glückwunsch zum bestandenen College«, sagte King. »William and Mary, nicht wahr?«
»Daddy wollte unbedingt, dass ich aufs College gehe, aber ich kann nicht behaupten, dass es mir Spaß gemacht hat.« Sie setzte sich und trocknete ihre wohlgeformten Beine mit langsamen Bewegungen ab, die aufreizend wirkten und eindeutig an Kings Adresse gerichtet waren, wie Michelle fand. Dann nahm sie sich ein kleines Sandwich und biss hinein.
»In welchem Hauptfach haben Sie Ihren Abschluss gemacht?«, fragte Michelle, die sich nur vorstellen konnte, dass diese junge Frau Cheerleader-oder Partyveranstalter-Kurse belegt hatte.
»Chemieingenieurwesen«, lautete ihre kaum verständliche, aber überraschende Antwort. Offenbar hatte niemand diesem Mädchen beigebracht, dass man nicht mit vollem Mund sprach. »Daddy hat als Ingenieur ein Vermögen gemacht, und ich scheine nach ihm zu kommen.«
»Es hat uns tief getroffen, als wir hörten, was mit Bobby geschehen ist«, sagte King.
»Er ist ein zäher Bursche, er wird es überstehen«, erklärte sie zuversichtlich.
»Ich habe gehört, dass du demnächst allein in die weite Welt ziehen willst«, sagte King.
»Es scheint den Leuten großen Spaß zu machen, sich zu überlegen, was das Battle-Baby mit seinem Treuhandvermögen anstellen wird«, erwiderte sie verbittert.
»So habe ich das nicht gemeint, Savannah«, sagte King behutsam.
Sie tat seine Entschuldigung mit einem abfälligen Karateschlag durch die Luft ab. »Damit habe ich mich mein Leben lang auseinander setzen müssen. Warum sollte es jetzt anders werden? Ich muss meinen eigenen Weg gehen, und das ist nicht ganz einfach, wenn man solche Eltern hat wie ich. Aber ich werde etwas aus mir machen. Ich werde nicht durchs Leben gehen und meine Kreditkarte dazu benutzen, mir Glück zu kaufen.«
Michelle stellte fest, dass ihre Meinung über die junge Frau ein wenig positiver geworden war.
Savannah wischte sich den Mund mit der Hand ab. »Ich weiß, warum du hier bist. Es geht um Junior Deaver, nicht wahr? Ich kann mir nicht vorstellen, warum er etwas so Dämliches getan hat. Als würde meine Mutter beide Augen zudrücken, wenn er einfach mit ihrem Ehering davonspaziert!«
»Vielleicht hat er das gar nicht getan«, sagte King.
»Natürlich hat er es getan«, sagte Savannah, wobei sie sich das Haar abtrocknete. »Wie ich hörte, hat er so viele Beweise hinterlassen, dass er genauso gut hätte dableiben können, um zu warten, bis die Polizei kommt und ihn festnimmt.« Sie steckte sich ein weiteres Stück Sandwich in den Mund und schob gleich darauf eine Hand voll Kartoffelchips hinterher.
»Hör sofort auf, wie ein Schwein zu essen!«, rief eine strenge Stimme. »Und wenn wir schon dabei sind – könntest du versuchen, halbwegs wie eine Dame zu sitzen, falls du dir ungefähr vorstellen kannst, was damit gemeint ist?«
Savannah hatte sich in den Stuhl geflegelt und die Beine weit gespreizt, als wäre sie eine Hure auf Kundenfang, doch nun setzte sie sich gerade, drückte die Knie fest zusammen und zog sich den Bademantel über die Schenkel.
Remington Battle betrat die Terrasse mit der Präsenz einer Broadway-Legende, die ganz und gar von ihrer Fähigkeit überzeugt ist, ein Publikum zu fesseln.
Remmy war tadellos gekleidet. Sie trug einen blendend weißen Faltenrock, der mehrere Zentimeter unter dem Knie endete, und modische, wenn auch recht konservative Pumps mit niedrigen Absätzen. Über einer gemusterten Bluse in kühlem Blau hatte sie sich einen weißen Pullover um die Schultern gelegt. Sie war ein gutes Stück größer als ihre Tochter, ungefähr so groß wie Michelle, und ihr rotbraunes Haar war kunstvoll hochgesteckt. Michelle vermutete, dass Remmy in ihrer Jugend wahrscheinlich noch hübscher als ihre Tochter gewesen war. Aber selbst mit über sechzig war sie immer noch eine gut aussehende Frau. Doch in erster Linie waren es die Augen, die einen gefesselt hielten – wie die Augen eines Raubvogels, die durch einen bloßen Blick Respekt einflößten.
Remmy schüttelte King die Hand, der sie daraufhin Michelle vorstellte, die genau spürte, wie die Frau sie von oben bis unten musterte. Sie vermutete, dass Remmy Battle eine Menge fand, an dem es etwas auszusetzen gab – an ihrer lässigen Kleidung, dem nicht vorhandenen Make-up, den windzerzausten Haaren. Doch Michelle blieb nicht viel Zeit, darüber nachzugrübeln, da Remmy sich sofort wieder an ihre Tochter wandte.
»Zu meiner Zeit hat man Gäste nicht unbekleidet empfangen«, sagte sie mit eisiger Stimme.
»Ich war schwimmen, Mama. Normalerweise springe ich nicht mit meinem Debütantinnenkleid in den Pool«, gab Savannah zurück, doch sofort riss sie eine Hand hoch und kaute nervös an einem Fingernagel.
Remmy bedachte die junge Frau mit einem so durchdringenden Blick, dass Savannah sich schließlich ein weiteres Stück Sandwich und eine Hand voll Chips schnappte, aufsprang, Michelle leise etwas zumurmelte, das verdächtig nach »alte Hexe« klang, und davonhuschte, wobei ihre feuchten Sandalen eine Reihe von Ausrufezeichen auf die Steinfliesen klatschten.
Jetzt nahm Remmy Battle Platz und wandte King und Michelle ihre ganze Aufmerksamkeit zu.
Beide holten tief Luft, als Remmys Blick sie geradezu durchbohrte. Für Michelle war es eine spektakuläre Einführung ins Casa Battle. Jetzt verstand sie, was King mit dem »Innenleben« des Hauses gemeint hatte.