KAPITEL 55

Kyle Montgomery war außer sich vor Wut. Er hatte pünktlich vor dem Motelzimmer gestanden und angeklopft, doch ihm war nicht geöffnet worden. Dreißig Minuten lang hatte er gewartet, dass die Unbekannte erschien, doch sie kam nicht. Dann hatte er noch einmal geklopft. Vielleicht war sie ja eingeschlafen. Möglicherweise hatten die Pillen sie betäubt. Er rüttelte am Türgriff. Das Zimmer war abgesperrt.

Er schaute sich auf dem Parkplatz um. Außer seinem Jeep standen dort nur zwei Fahrzeuge, jedoch weitab von diesem Flügel des Motels. Als er sich in den Jeep schwang, bog ein Wagen auf den Parkplatz ein und hielt. Montgomery sah einen großen fetten Mann und eine zierliche Frau aussteigen. Die Frau trug einen winzigen Minirock und hochhackige Schuhe, auf denen sie mühevoll daherstelzte. Ohne dass sie ihn beachteten, gingen beide ins Motel. Wenigstens ein Stecher bekam heute, was er brauchte. Montgomery fuhr los.

Während der gesamten Heimfahrt sann er über verschiedene Möglichkeiten nach, das Weibsstück aufzuspüren und für diese neuerliche Unverschämtheit grausam zu bestrafen. Am meisten aber machte ihm der Fortfall der Fünftausend-Dollar-Zahlung zu schaffen.

Montgomery lenkte den Wagen auf den Parkplatz, knallte den Wagenschlag des Jeeps zu und eilte die Treppe hinauf. Inzwischen war es ein Uhr morgens durch, und außer versäumtem Schlaf hatte der Abend ihm nichts gebracht. Aber er wollte es diesem Miststück zeigen. Er hatte, wonach sie lechzte: Pillen. Damit konnte er das Blatt wenden. Er nahm sich vor, erneut das Aphrodisia aufzusuchen. Falls sie dort arbeitete, musste herauszufinden sein, wer sie war; falls nicht, wollte er in dem gewohnten Zimmer Rechtfertigung von ihr fordern, danach Rückzug vorspiegeln und warten, bis sie den Club verließ. Anschließend konnte er ihr nach Hause folgen und Namen und Anschrift herausfinden. Mit diesen Informationen konnte er sie dann unter Druck setzen. Wenn sie tausend Mäuse für Pillen verschleuderte, die fünfzig wert waren, sollte es ihr nicht schwer fallen, ein bisschen Schweigegeld herauszurücken.

Als Montgomery die Wohnungstür aufschloss, hatte er den Plan im Wesentlichen ausgeheckt. Morgen wollte er sich an die Verwirklichung machen.

Er ging ins Schlafzimmer und betätigte den Lichtschalter, doch die verdammte Glühbirne musste wieder mal kaputt sein. Da bemerkte er am Bett Bewegung. Sie war es! Sie erwartete ihn hier, in seiner eigenen Wohnung. Sie lag auf dem Bett und hatte nur eine Decke über sich gebreitet. Selbst im Dunkeln konnte er erkennen, dass sie sogar jetzt nicht auf Kopftuch und Sonnenbrille verzichtete.

»Verdammt, was tun Sie hier? Ich habe im Motel fast eine Stunde lang auf Sie gewartet!« Die Frage, woher sie seine Wohnung kannte, kam ihm gar nicht in den Sinn.

Zur Antwort setzte sie sich auf und ließ die Decke ein wenig von den Schultern rutschen, die sich als nackt erwiesen. Der Anblick brachte Montgomerys Blut in Wallung; sein Zorn verflog. Dann zog die Frau die Decke verführerisch bis weit auf die ebenfalls nackten Oberschenkel herunter. Mit einem Wink gab sie ihm zu verstehen, dass er zum Bett kommen sollte. Er spürte seine Erregung wachsen.

»Aber diesmal ohne Knarre, ja?«, gelang es ihm zu stammeln.

Sie nickte und deutete auf den Sekretär an der Wand. Montgomery ging hinüber und sah dort das Geld liegen.

Als er sich nach der Frau umblickte, stand sie plötzlich hinter ihm. Die Decke verhüllte kaum ihre Gestalt. Mit einer Handbewegung zeigte sie aufs Bett.

Die Decke fiel.

Sie hob die Hand, und Montgomery erstarrte. Was sie in der Faust hielt, ähnelte sehr einem Schießeisen. Als sie feuerte, riss Montgomery die Unterarme hoch, als könnte er so die Kugel fern halten.

Zwei Druckluft-Pfeile, an viereinhalb Meter langen Drähten befestigt, jagten aus dem Taser und durchbohrten Montgomerys dünnes Hemd. Ein Fünfzigtausend-Volt-Schock fuhr in seinen Oberkörper, der auch einen 150 Kilo schweren Footballstürmer gefällt hätte und deshalb allemal ausreichte, um einen hühnerbrüstigen Leichenschauhaus-Angestellten niederzustrecken. Augenblicklich lähmte der Stromschlag das Zentralnervensystem. Montgomery kippte rücklings aufs Bett, wo Muskelkrämpfe ihn zur Fötalhaltung zusammenkrümmten.

Obwohl er damit für eine ganze Weile handlungsunfähig geworden war, sprang die Frau sofort zum Bett und entfernte die Pfeile. Sie schob den Taser in ihre Tasche, die auf dem Fußboden lag, zog ein Paar Handschuhe an und holte eine Spritze heraus.

Hilflos und voller Furcht musste Montgomery zuschauen, wie sie seinen verkrampften Arm zurechtbog, ein Gummiband straff um den Unterarm schlang, sodass die Venen deutlich hervortraten, eine gute Vene ertastete und den Inhalt der Spritze injizierte. Rasch nahm sie das Gummiband ab und legte es zusammen mit der Spritze auf das Nachttischchen.

Während Montgomery auf dem Bett von Zuckungen geschüttelt wurde, betrachtete ihn die Frau. Was sie ihm gespritzt hatte, tat rasch seine Wirkung. Die Konvulsionen wurden noch stärker, aber damit gab die Frau sich nicht zufrieden. Sie packte das Kopfkissen, breitete es über Montgomerys Gesicht und drückte es nieder. Zwei Minuten später war alles vorbei. Sie warf das Kissen beiseite und musterte Montgomery ein letztes Mal, fühlte nach dem Puls und spürte nichts. Kyle Montgomery war tot.

Obgleich die Frau den Eindruck erweckt hatte, splitternackt zu sein, trug sie in Wahrheit Slip und BH. Nun zog sie ein Kleid aus der Tasche, streifte es rasch über und steckte das Geld in die Tasche zurück; dann durchsuchte sie Montgomerys Kleidung und fand den Brief, den sie ihm geschrieben hatte. Auch das Schreiben und die Decke, in die sie sich gewickelt hatte, stopfte sie in die Tasche. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass sie außer der Spritze und dem Gummiband nichts zurückließ, verschwand sie aus dem Haus.

Sie jagte in ihrem Auto davon und tröstete sich unterwegs mit dem Gedanken, dass sie jetzt ein Problem weniger hatte.

Mit jedem Schlag der Stunde
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