Sam J. Lundwall

Der vierdimensionale Raummultiplikator

Dies hier handelt von Wohnungen, Wohnungen aller Art, großen und kleinen, kurzen und langen, modernen und unmodernen, beinahe überall in der Stadt anzutreffen, aber durchweg nur unterderhand zu bekommen. Und das wurde Harry zum Verhängnis, denn hätte es den Wohnungsmangel nicht gegeben, wäre er nie Wohnungsschwindler geworden, und er hätte niemals jenen unglückseligen vierdimensionalen Spiegel ausfindig gemacht, der an allem schuld war. Künftige Historiker mögen sich die Köpfe darüber zerbrechen und gelehrte Theorien dazu vorlegen, wie so ein Spiegel, der erwiesenermaßen nicht in unserer Kultur zu Hause ist, in Harrys Hände geraten konnte, wir aber können nur feststellen, daß dem so war und daß es sich um einen sehr bemerkenswerten Spiegel handelte, der Harry ins Unglück stürzte. Er tat, was er konnte. Es war nicht seine Schuld, daß es gekommen ist, wie es kam.

Harry war also Wohnungsschwindler. Es war ein guter Job. Er kam bestens damit zurecht. Als anonymes, unauffälliges Teilchen ging er in die große, namenlose Gruppe der Wohnungsschieber ein. Das paßte ihm ausgezeichnet; er war von bescheidener Natur. Er arbeitete auch sehr hart und hielt gewissenhaft seine Quote von mindestens zwei Schwindeleien pro Woche ein. Und das ging ganz gut, denn er sah aus wie die Ehrlichkeit selber. Das ist wichtig. Ohne ehrliches Aussehen wird man nie ein guter Schwindler.
Wenn Sie sämtliche Wohnungsschieber Schwedens auf einem Fleck zusammentrommeln könnten, so würde sich Ihnen ein ganz spaßiger Anblick bieten. Es gibt sie in allen Größen und Formaten, schwarzhaarige und blonde, mit und ohne Bart, einige im guten Anzug, andere x-beliebig gekleidet. Gar nichts Besonderes ist an ihnen, so sieht jede andere Menschenmenge auch aus. Doch beachten Sie nur einmal die geradezu betäubende Ehrlichkeit, die von ihnen allen ausgeht. Schauen Sie sich diese Aura von »Ich will euch und die Welt erlösen« an, die über dem wohlpomadisierten Haar schwebt, die blankgeputzten Schuhe, den untadeligen Schlips. Diese Leute stinken förmlich vor Ehrlichkeit, und könnte Ehrlichkeit riechen, so würde es in allen umliegenden Vierteln nach Chanel 5 duften, und die Intensität des Duftes wäre imstande, kilometerweit erwachsene Männer umzuhauen. Lassen Sie den Blick noch eine Weile auf ihnen ruhen. Man vermag gar nicht zu glauben, daß so viele treuherzige Augen auf der Welt überhaupt existieren. Verweilen Sie dann bei dem treuherzigsten Blick in dieser Versammlung, dem ehrlichsten Aussehen, dem redlichsten Händedruck: Dort zur Linken, das ist er, der im Savile-Row-Anzug mit der weichen Krawatte (im Farbton der Strümpfe). Der dort, der sich gerade schneuzte, als der Polizist vorüberging. Das ist Harry. Er hat die unschuldigsten blauen Augen von allen. Er ist klein und dick, und die rosigen Wangen strahlen vor Wohlbefinden. Wie ein neugebackener Strohwitwer sieht er aus, mit frischem Appetit auf das Leben, das für einige Wochen vor ihm ausgerollt liegt, bereit, augenblicks die Zähne hineinzuhauen. Alte Damen und Kinder lieben ihn. Man hat beobachtet, wie kleine watschelnde Dackel ihm folgen, unfähig, etwas anderes zu sehen als dieses freundliche Menschenkind, dessen Persönlichkeit sie verblendet hatte. Männer mittleren Alters klopfen ihm auf die Schulter und laden ihn zu einem Schnäpschen ein (er sagt niemals nein). Frischvermählte halten ihn für den Weihnachtsmann – jedenfalls so lange, bis sein wirkliches Ich sich entpuppt. Das ist er, Harry, dessen Nachnamen allein die Polizei weiß. Er ist der schlimmste Gauner von allen.

Harry hat sein Büro in einer baufälligen Holzbude in der Södermannagata, und wenn man bedenkt, wie er vor seinen Kunden zu prahlen pflegt, könnte man sich natürlich fragen, weshalb ein Wohnungsagent nicht imstande sein sollte, sich ein ordentliches Büro zuzulegen. Er selbst behauptet, daß das Haus gut und gerne seine dreihundert Jahre alt sei (was ja wahr ist) und daß er mit seinem starken Sinn für Tradition niemals daraus ausziehen würde (was eine herzzerreißende Lüge ist). Harry kann gar keine Wohnungen besorgen, nicht einmal eine für sich selbst. Das ist es. Betrachten Sie Harry nur ein wenig genauer. Schauen Sie, wie er jedesmal erbleicht, wenn ein Polizist vorbeikommt. Sehen Sie, wie der kecke Schnurrbart traurig herabhängt, und das, obwohl man seine gespickte Brieftasche schon von weitem erkennen kann. Harry ist ein gehetzter Mann. Trübselig schaut er drein. Die Welt um ihn herum zeigt sich grau in grau. Er leidet. Sie sollen gleich erfahren, weshalb.

Es begann eines Abends, als er den Tip von einem leerstehenden Haus in der Svartensgata bekam. Der Tip kostete ihn zwanzig Kronen und ein Pilsner. Das war er wert. Als sich die Dämmerung über Söder senkte, kam Harry die Svartensgata heraufgaloppiert und blieb völlig ausgepumpt vor einem zweistöckigen Holzhaus am höchsten Punkt der Straße stehen. Er lehnte sich gegen die Haustür. Er wischte den Schweiß von der Stirn. Er ächzte. Dann kramte er die Schlüssel hervor und ging hinein. Im Parterre befanden sich zwei Wohnungen. Er betrat die erste, stolperte über eine magere Katze, stieß gegen einen Türpfosten und fand, er könne zufrieden sein.

»Dreitausend«, sagte er zu der Katze, die ihn mißtrauisch betrachtete. Die Katze miaute.
»… in Zeiten wie diesen«, sagte Harry. Er lief in ein Spinnennetz und befreite nachdenklich sein Gesicht von den hauchdünnen Fäden. »Mit dieser Alterspatina«, murmelte er, »Tradition, Alter…« Er betrat die nächste Wohnung. Sie war dunkel und kalt und unbeschreiblich schmutzig, offenbar pflegten sich unsichere Elemente hier aufzuhalten. »Hell und luftig«, bemerkte er. »Nur ein paar Gardinen, dann…« Er stieß gegen eine leere Flasche, die klirrend in eine Ecke rollte. »Tradition!« wiederholte er zufrieden. »Viertausend.« Er stieg die knarrende Treppe zum ersten Stock hinauf und repetierte für sich selbst den Preis, an dem er seinen Kunden gegenüber festhalten wollte.
»Ein altes Haus«, sagte er. »Sehr alt sogar. Tradition, verstehen Sie, im Überfluß. Vier Wohnungen im Haus, gerade richtig, kein Gedränge, genau die richtige Gemeinschaft. Im Stadtzentrum, und nur viertausend… meine Unkosten, verstehen Sie… teure Zeiten… viele wollen so etwas haben – Sie verstehen!«
Er summte vergnügt vor sich hin. Sie pflegten zu verstehen.

Im ersten Stock war es heller, aber noch schmutziger. Vorsichtig stieg er über ein paar alte, zerschlissene Matratzen und einen verdreckten Mantel hinweg und schaute aus dem Fenster. Drunten lag finster und kalt die Svartensgata.

»Fünftausend«, sagte er. Er ging im Zimmer umher und sah sich um. Er spürte, wie ihm ein Wassertropfen auf den Kopf fiel. Er sah auf und gewahrte, daß es draußen regnete. »Viertausendfünfhundert«, korrigierte er sich. Nachdem er die vierte Wohnung auf sechstausend Kronen geschätzt hatte, stieg er die knarrende Treppe hinab, warf die magere Katze hinaus und ging heim in die Södermannagata. Vergnügt summte er vor sich hin. Harry hatte eine Bruchbude gefunden. Harry war zufrieden.

Tags darauf erschienen drei Södertypen und räumten im Haus auf. Harry kam im Laufe des Tages herauf, bezahlte sie und konstatierte betrübt, daß sie mit dem Plunder zusammen sämtliche Kachelofentüren und ein paar schöne Kupferstiche auch gleich mit aufgeräumt hatten. Er war Fatalist. Sie waren ihrer drei, und er reichte dem kleinsten von ihnen kaum bis zur Schulter. Er sagte also nichts. Statt dessen schickte er sie weg, ging selber in die Stadt und kehrte am Nachmittag mit ein paar billigen Möbelstücken zurück. Sie hatten ihn fünfzig Kronen gekostet, aber das waren sie wert. Er investierte immer in Möbel. Für eine möblierte Wohnung kann man guten Gewissens viel mehr nehmen als für eine unmöblierte, und er betrachtete einen Tisch oder einen Stuhl schon als vollwertige Möblierung. Übertreibungen mochte Harry nicht. Im Einklang mit dieser sehr gesunden Richtlinie hatte bald jeder Raum seinen Stuhl, sein Sofa oder Bett. Als letztes von allem trug er selber seinen Fund in die Sechstausendkronenwohnung hinauf, einen gewaltigen Spiegel unbestimmbarer Stilart. Er besaß einen gewissen Sinn für Berufsehre und meinte, dieser Preis erfordere etwas ganz Extravagantes. Gut oben angelangt, wuchtete er den Spiegel gegen eine Wand und sank stöhnend auf das Möbelstück dieses Zimmers, einen Stuhl. Sein einziger Zuschauer, die magere Katze, betrachtete ihn mit schlecht verhohlener Bosheit.

»Du«, sagte Harry, »hast es verdammt gut, du brauchst dich nicht so abzurackern.« Er zündete sich eine dunkle Zigarre an und betrachtete den Spiegel. Er machte sich ganz gut auf seinem Platz. Der Rahmen war tief gelb, beinahe wie Gold, und in grotesken Mustern ziseliert. Das Glas war kristallklar. Niemand hatte je einen ähnlichen Spiegel gesehen, jedenfalls nicht in einem solchen Milieu. Eigentlich war er viel zu fein für Harrys Spekulationsbude. Keuchend erhob er sich, trat an den Spiegel heran, klopfte mit dem Nagel des Mittelfingers leicht gegen das Glas und strich über die Ziselierungen. Saubere Arbeit, daran gab es gar keinen Zweifel. Ein Ornament oder etwas, das einem Ornament glich, bog sich willig zur Seite, als er daran rührte. Er fluchte, wandte sich halb um – und blieb wie angewurzelt stehen und ließ das Kinn auf die Brust klappen, dieweil sein Spiegelbild langsam verschwamm.

Eine ganze Weile verstrich lautlos, dann hob Harry seine Zigarre vom Fußboden auf, biß fest darauf und glotzte in den Spiegel. Aber wie er auch glotzte, es half nichts, sein Spiegelbild war offenbar nicht mehr da. Wenn es nach dem Spiegel ging, so existierte Harry auf dieser Welt überhaupt nicht. Er kniff sich in den Arm. Es half nichts. Er sah auf seine Füße hinab und stellte fest, daß es sie noch gab und daß daneben die Katze saß und beharrlich in den Spiegel schaute. Auch das Spiegelbild der Katze war nicht zu sehen, und diese Entdekkung war für Harry ein gewisser Trost.

Er entschloß sich, die Situation nüchtern und sachlich zu betrachten. Der Spiegel zeigte das Zimmer minus Harry und Katze, davon abgesehen aber wirkte der Spiegelraum ungefähr so wie sonst. Wirkte. Als er genauer hinsah, fand er eine ganze Reihe Ungleichheiten heraus. Erstens war er sauberer. Die Tür saß nicht genau dort, wo sie hätte sein müssen. Und der Kachelofen hatte seine Luken wieder. Er schaute noch einmal hin. Nun war er sich nicht mehr sicher, ob das überhaupt ein Kachelofen war. Er drehte sich um und betrachtete mißtrauisch das Zimmer. Dieses aber war genau wie immer.

Er schaute wieder in den Spiegel, und nun war der Raum, wie er eben gewesen war, das heißt ungewöhnlich. Er dachte darüber nach und kam zu dem Schluß, daß etwas Zwielichtiges im Gange sei. Um diese Schlußfolgerung zu bekräftigen, versetzte er der Katze einen zerstreuten Fußtritt, wobei diese mit einem geschmeidigen Satz in den Spiegelraum hineinsprang. Während Harry dem Tier verblüfft hinterherstarrte, machte es einen Bogen um den eigenartigen Kachelofen, miaute böse und verschwand durch eine Tür. Harry sank entgeistert zu Boden. »Das«, sagte er, »ist Teufelswerk!«

Wenn wir nun zu dem Schwindlerhaufen zurückkehren und uns Harry anschauen, wie er gerade jetzt aussieht, dann werden wir nach einem Blick auf die übermäßige Brieftaschenausbuchtung an seinem Jackett sofort sagen: Aha! Dieses Miststück hat er natürlich von einem Hehler gekauft, nun hat er’s weiterverschachert und ist bei dem Coup reich geworden; inzwischen aber ist wohl der Besitzer wutschnaubend bei ihm aufgetaucht und hat den Spiegel wiederhaben wollen?

Weit gefehlt. Der Besitzer hat sich noch nicht blicken lassen, und es gibt viele – unter ihnen Harry –, die sich nichts Besseres wünschten, als ihm zu begegnen. Wutschnaubend oder auch nicht. Denn Harry war ja Schwindler, nicht wahr? Ein guter Schwindler überdies. Er hat seine Chance nicht verpaßt. Nein, er folgte der Katze in den Spiegel, direkt hinein, wenn es auch zunächst nicht den Anschein hatte, ganz wie Alice im Spiegelland. Anfangs mit einer gewissen Unschlüssigkeit, dann mutig mit durchgedrückter Brust und Entschlossenheit im Blick. Er stellte fest, daß der Raum mit einem Fenster versehen war, guckte hinaus und entdeckte, daß sich draußen die Svartensgata befand. Sorglos schlenderte ein Polizist vorbei, irgendwie verschwommen. Harry heftete die Augen fest auf den Polizisten. Er blieb verschwommen. Harry drehte sich voller Abscheu um und ging auf den Kachelofen zu, der selbst bei näherem Hinsehen noch ein Kachelofen blieb, wenn auch hier und da seltsam verdreht.

Er drang weiter in die Spiegelwohnung ein. Er gelangte in einen Korridor, ähnlich dem, der sich im Haus befand, aber bedeutend länger und mit bedeutend mehr Türen. Er betrat die Räume hinter diesen Türen, schaute aus den Fenstern und stellte fest, daß sie sämtlich auf ein und dieselbe Stelle der Svartensgata hinausgingen.

Es wunderte ihn nicht. Gar nichts mehr wunderte ihn. Er stolperte zurück in die Welt, die er als die normale zu betrachten gewohnt war, dicht hinter ihm eine leicht verwirrte Katze. Draußen vor dem Spiegel, der nun nicht mehr so sehr einem Spiegel glich, sondern vielmehr einer ungewöhnlich reichverzierten Türöffnung mit hoher Schwelle, blieb er stehen und überdachte die Situation. Er hatte einen Spiegel gekauft und ihn aufgestellt. Er hatte ein Ornament beiseite gebogen, und das Spiegelbild war zu einer leibhaftigen dreidimensionalen Wirklichkeit geworden. Ein wenig verzerrt, gewiß, aber jeder Spiegel hat seine kleinen Defekte. Er starrte in den Spiegel, und plötzlich stürzte die Idee auf ihn nieder wie eine Tonne Ziegelsteine. Sein Blick wurde glasig. Seine Brust hob und senkte sich. Er atmete schwer.

»Herrdumeinbarmherzigerschöpfer!« sagte er. »Götterrosenrotermillionenmillionenhoherhimmel!« Einen Augenblick darauf polterte er die Treppe hinab und machte sich auf den Weg zur Södermannagata. Sein Kopf war angefüllt mit wunderschönen Zahlen, die mit jeder Sekunde größer wurden.

»Himmel!« sagte er. »Himmel!« Er galoppierte unmittelbar vor einem Autofahrer über die Högberggata, doch er schien ihn nicht zu bemerken. Er sah Geld vor sich, mehr Geld, als er jemals in der Welt für existent gehalten hatte. Harry hatte seine Idee gefunden.

Nun können wir uns ja denken, wie es weiterging: Er vermietete die Wohnungen im Spiegel. Binnen zweier Tage hatte er die Sechstausendkronenwohnung in eine Diele verwandelt, sich selbst im Parterre als Portier niedergelassen, und nun war er vollauf damit beschäftigt, in die Schlange der Wohnungssuchenden Ordnung zu bringen. Alle fanden Platz, alle waren zufrieden, und alle hatten genau dieselbe leicht verschwommene Aussicht auf die Svartensgata, ein Faktum, das anfangs ein gewisses Befremden erregte, bald aber in Vergessenheit geriet. Alte Häuser sind nun einmal so merkwürdig gebaut. Harry allein wußte, wie die Dinge eigentlich lagen, und er schwieg stille.

Einige Mieter beklagten sich und wollten die Türöffnung verbreitert haben, Harry aber wies auf die Tradition, seinen unverwüstlichen Waffenbruder, hin und beließ den Spiegel in unveränderter Gestalt. Er nahm traumhaft hohe Mieten ein, kaufte das Haus und fühlte sich wie ein hartgesottener Gangster, der sich endlich zur Ruhe setzen darf. Das konnte er sich freilich leisten. Er hatte reichlich fünfzig Familien in den Spiegelwohnungen untergebracht, und immer noch war Platz.

Der Spiegel hatte wahrhaftig seine Defekte, doch sie wirkten sich alle zu Harrys Vorteil aus. Und der Gedanke daran war schwindelerregend. Sicherlich gab es bisweilen unerklärliche Vorkommnisse, zum Beispiel schlug ein unvorsichtiger Mieter eine Fensterscheibe entzwei, und augenblicks zeigte sich ein gleiches Loch in allen anderen Fenstern; aber so etwas nahm man mit Ruhe hin. Wohnungen sind ja so schwer zu bekommen. Auch die Kachelöfen zeigten eine unbehagliche Fähigkeit, dann und wann mit heftig brennendem Holz vollgestopft zu sein, ohne daß jemand Feuer gemacht hätte. Und einmal mußte Harry ein völlig schemenhaftes Katzenvieh verschwinden lassen, das den langen Korridor entlanggeschlichen kam; aber im großen und ganzen herrschte Frieden und Freude. Er vernagelte die Außentür des Spiegelhauses und wies die Mieter an, sie nicht zu öffnen. Dort draußen lag die Svartensgata der vierten Dimension, und damit wollte er lieber nichts zu tun haben.
Aber, so fragen Sie, weshalb dann dieser kopfhängerische Blick? Dieser fette Gauner hat es doch nie so gut gehabt wie jetzt. Worüber zerbricht er sich den Kopf? Hat er einen Kater? Ist er nie zufrieden? Geduld, ich will es gleich erklären.

Es war die Schuld dieser unglückseligen Katze. Sie strich im Hause herum, als wenn es ihr gehörte, und Harry, der das Tier eigentlich ganz gern mochte, fütterte es mit Hering von bester Qualität. Es war ja gewissermaßen sein Mittäter, es hatte die Goldgrube entdeckt, und Harry läßt seine Kumpane nie im Stich. Es verhielt sich ganz einfach so, daß Harry eines Nachts in der Kneipe gewesen war, seine letzte Miete verjubelt hatte und dann am frühen Morgen heimwärts trällerte, vergnügt und munter, wie er es bei solchen Gelegenheiten zu tun pflegte. Er liebte die ganze Welt. Er wollte die Menschheit in die Arme schließen. Er fand auch sofort und richtig das Schlüsselloch, als er die Außentür aufschloß, und das erfüllte ihn mit unbeschreiblicher Freude. Er torkelte in die Diele, er tanzte über den spakigen Fußboden. Er sang. Und er trat auf die Katze.

Das hätte er nicht tun sollen. Das Tier war gerade in süßesten Schlummer versunken und träumte von Hekatomben fetter Heringe in der ewigen vierten Dimension; es gab ein herzzerreißendes Jaulen von sich, sprang hoch und krallte sich in Harrys Gesicht fest. Und da gab es eine ganze Menge, woran es sich festkrallen konnte. Er war in seiner vermögenden Zeit ja nicht magerer geworden. Hierauf stimmte Harry mit der Katze in ein zweistimmiges Geheul von selten vernommener Lautstärke ein, torkelte unter verzweifelten Versuchen, sich aus der Katzenumarmung zu befreien, vorwärts, stolperte – und riß den Spiegel um, der nach bescheidener Schätzung in eine Million kleiner Scherben zersplitterte.

Die Katze sprang aus dem offenen Fenster, der Spiegelrahmen begann zu schwelen, und vor Harrys idiotisch starrenden Augen verwandelte er sich in wenigen Sekunden zu einem schwarzgebrannten Viereck, bar jeglicher Ziselierung und beweglicher Ornamente. Langsam erhob er sich, gab ein langgezogenes Stöhnen von sich und fiel in Ohnmacht.

Darum also ist Harry so am Boden. Schauen Sie nur, wie der vordem so gerade Rücken sich krümmt, schauen Sie die glanzlosen Augen an, den gehetzten Blick. Sehen Sie, wie der Schnurrbart auf Halbmast hängt. Harry ist verbittert. Denn als der Spiegel zu Scherben ging, verschwand gleichzeitig auch die Tür zur vierten Dimension oder was immer das gewesen sein mochte, und sämtliche Mieter verschwanden mit ihr. Die Spiegelwelt existiert vielleicht gar nicht mehr. In seiner Portierloge aber häuft sich die Post, Besucher sind gekommen und unverrichteterdinge wieder gegangen. Ein Mieter, der in jener unglückseligen Nacht nicht daheim war, trachtet ihm nach dem Leben. Der Polizist hat schon angefangen, ihn schief anzusehen. Bald werden sie ihn aufgespürt haben und ihn fragen, wohin all die Mieter gekommen sind, und was soll Harry dann antworten?