Heiner Rank
Schöne Bella
Von See wehte eine leichte Brise. Kein Wölkchen zeigte sich am Himmel. Ich hatte dienstfrei, lag auf der Dachterrasse in der Sonne und dachte an Bella.
Bella war die wunderbarste Frau der Welt. Im Sommer vor zwei Jahren hatte ich sie kennengelernt, in einem Kaufhaus, als ihr ein Beutel Apfelsinen gerissen war. Ich hatte geholfen, die Früchte aufzulesen, und dabei hatten wir uns tief in die Augen geschaut. Ein paar Tage später war sie bei mir eingezogen.
Von Tag zu Tag liebte ich sie mehr. Zu Anfang war es ihre Schönheit, ihre natürliche Sinnlichkeit, die mich bezaubert hatten. Dann entdeckte ich, daß sie Verstand und Geschmack besaß und daß es kaum einen Mann gab, der sich der Wirkung ihrer Persönlichkeit entziehen konnte. Erstaunlicherweise schien sie es gar nicht zu bemerken, jedenfalls machte sie nicht den geringsten Versuch, mich mit der zahlreichen Konkurrenz unter Druck zu setzen. Diese Haltung war mir neu. Sie verwirrte mich. Ich suchte den Trick, der dahintersteckte. Endlich begriff ich, daß es keinen Trick gab. Daß Bella es gar nicht nötig hatte, die üblichen Mittel der weiblichen Selbstbehauptung auszuspielen.
Der Wind begann aufzufrischen, auf der Terrasse wurde es kühl. Ich ging ins Bad, duschte und zog mich an. Ich stellte Sonnenöl und Hautcreme in den Toilettenschrank und hängte das Badetuch zum Trocknen auf.
Ein fremdartiger Geruch geriet mir in die Nase. Er war nicht unangenehm, ein wenig streng vielleicht, animalisch-sinnlich, mit einer kleinen süßlichen Beimischung. Ich versuchte festzustellen, woher er kam, konnte aber den Ursprung nicht entdecken. Es war ein ganz eigentümlicher, mir völlig unbekannter Geruch. Ich nahm mir vor, Bella danach zu fragen, wenn sie nach Hause kam.
Aus der Kühlbar holte ich mir ein Bier, setzte mich vor den Fernseher. Gitarren und hüftenschwingende Hawaiimädchen. Gerade als ich anfing, mich ernstlich zu langweilen, hörte ich Bellas Schritte im Flur.
Ich lief ihr entgegen. Wir fielen uns in die Arme. Wie immer brachte mich die Berührung mit ihr um den Verstand. Ich hatte nur den einen Wunsch, sie auf die Arme zu nehmen und ins Bett zu tragen.
Sie ließ es nicht dazu kommen. »Genug geküßt«, sagte sie, schob mich sanft von sich, warf Hut und Handschuhe auf die Garderobe und wickelte ein in Seidenpapier gehülltes Päckchen aus.
Eine Orchideenrispe. Es waren etwa zwanzig goldbraune Blüten, am Rande und im Kelch weiß gefleckt. Ich konnte Orchideen nicht leiden. Ich haßte sie geradezu, wenn sie von Skiff kamen.
Skiff war Bellas Chef. Alle Welt hielt ihn für eine Zierde der Wissenschaft. Vor einigen Jahren war es ihm gelungen, aus einer lebenden Sumpfschnepfe durch gezielte Manipulationen ihres genetischen Bauplans einen Ochsenfrosch zu machen. Er hatte dafür den Nobelpreis bekommen und schwebte seitdem über den Wolken. Seine Beziehungen reichten bis in die höchsten Kreise. Man hatte sein Institut in eine Festung verwandelt. Geld spielte keine Rolle.
Was mich betraf, so konnte ich Bellas Bewunderung für diese »epochale Leistung« nicht recht teilen. Mir wurde ein wenig unheimlich bei dem Gedanken, wohin seine genetischen Etüden eines Tages führen könnten.
Bella hatte die Orchideen in eine Vase
gestellt.
»Komm«, sagte sie, »machen wir uns was zu trinken.« Ich folgte ihr
widerstrebend. Meine gute Laune hatte sich
verflüchtigt.
Bella mixte zwei Gläser Dupont mit Eis und Mineralwasser.
Wir setzten uns auf die Terrasse.
Ich stellte das Glas neben meinen Sessel und starrte
hinaus
auf den wogenden Atlantik.
Bella wandte sich zu mir und suchte meinen Blick. »Was
ist
denn?«
Ich rümpfte die Nase.
»Sprich über deine Sorgen.«
»Du läßt dir von Skiff Blumen schenken. Schon zum dritten
Mal.«
»Du weißt, er züchtet sie selbst. Ich kann sie nicht
ablehnen,
ohne ihn zu kränken.«
»Er stellt dir nach. Oder willst du mir erzählen, du
hättest
es nicht bemerkt?«
»Er ist nicht der erste, der mir nachstellt. Ich kann es
nicht
ändern, also muß ich mich damit abfinden.«
»Kein Grund, ihn auch noch zu ermutigen.«
Sie lachte. »Ich habe ihn niemals ermutigt.«
»Wie soll man es nennen, wenn du seine blöden Orchideen
annimmst?«
»Soll ich unser Arbeitsklima verderben wegen so einer
Lappalie?«
»Es ist keine Lappalie. Der Mensch liebt dich.«
»Er kann gar nicht lieben. Was er Liebe nennt, ist
allenfalls
der Ehrgeiz, leistungsfähigen Nachwuchs zu züchten.« »Woher weißt
du?«
»Er hat mir einen Heiratsantrag gemacht.«
Ich sprang auf. »Was? Wann war das?«
»Vor ein paar Wochen.«
»Warum hast du mir nichts davon gesagt?«
»Es schien mir nicht der Rede wert. Ich bekomme öfter einen Antrag.
Wir haben uns doch genug über diesen Unfug
unterhalten.«
»Was hast du ihm geantwortet?«
»Ich habe sein Ansinnen abgelehnt.«
»Das war alles?«
»Ich habe ihm gesagt, daß ich dich liebe. Dich und keinen
anderen. Ich habe ihm gesagt, daß er bei mir niemals
Erfolg
haben wird. Niemals.«
»Wie hat er es aufgenommen?«
»Er ist kein Dummkopf. Er hat es mit Fassung getragen.« »Vielleicht
solltest du dir einen anderen Arbeitsplatz suchen.«
Bella kam zu mir, legte die Arme um meine Schultern und küßte mich
auf die Stirn. »Skiff ist ein Neutrum«, sagte sie. »Er ist so
unfähig, ein Gefühl zu entwickeln, wie ein Destillierapparat.
Selbst wenn ich wollte, ich könnte wirklich nichts für ihn
empfinden. Außer Respekt natürlich vor seiner wissen
schaftlichen Leistung. – Weitere Fragen?«
Ich schüttelte den Kopf. Ihre warmen Lippen berührten die
meinen. Ein Schauer von Wohlbehagen durchrieselte meinen
Körper. Ich zog sie fest an mich.
Bella sprang auf die Füße. »Ich habe Hunger«, sagte sie.
»Wollen wir kochen, oder gehen wir ins Restaurant?« Ich entschied
mich für das Restaurant.
Zwei Stunden später waren wir wieder in der Wohnung, und ich war ziemlich benebelt. Wir hatten Hammelfleisch, Auberginen, Reis und Tomaten gegessen, scharf gewürzt, und viel Rotwein dazu getrunken.
Bella ging in die Küche. Sie bestand darauf, mein Frühstück vorzubereiten, obwohl ich ihr erklärte, ich könnte genausogut in der Flughafenkantine frühstücken.
Um vier Uhr früh mußte ich aufstehen. Ich packte rasch meinen kleinen Reisekoffer, dann begab ich mich ebenfalls in die Küche, um Bella davon zu überzeugen, was für ein Unsinn es war, das bißchen Zeit, das uns noch blieb, mit der Herstellung von Kräuterquark zu verschwenden.
Kaum in der Küche, blieb ich ruckartig
stehen.
Der eigentümliche Geruch war wieder da. Nur ein Hauch, doch
unverkennbar. Ich sah mich um. Blitzende Sauberkeit bis in den
letzten Winkel. Bella hatte die berufsbedingte Gewohnheit, ihren
Arbeitsplatz keimfrei zu halten, auf unseren Haushalt übertragen,
soweit es den Bereich der Nahrungsaufnahme betraf. Ich sah mich
genauer um.
Die Orchideen waren vom Fensterbrett verschwunden.
»Suchst du etwas?«
»Wo sind die Orchideen?«
»In den Müllschlucker habe ich sie geworfen.«
»Warum?«
»Ich dachte, sie würden dich stören.«
»Merkwürdig.«
»Was ist daran merkwürdig?«
»Bemerkst du diesen Geruch?«
»Was für einen Geruch?«
»Ich weiß nicht. Irgend etwas Süßlich-Animalisches.«
»Vielleicht waren es die Orchideen. Tropische Blüten bringen die
seltsamsten Gerüche hervor.«
»Das ist nicht möglich. Ich habe ihn heute schon einmal im Bad
bemerkt, kurz bevor du nach Hause kamst.«
Bella richtete sich auf. In ihren Augen war ein Ausdruck, den ich
nicht deuten konnte. Betroffenheit? Wohl eher ein irritiertes
Erstaunen. Vielleicht lag es daran, daß ihre Pupillen, die ich
immer für schwarz gehalten hatte, einen grünen Schimmer zeigten.
Aber das war Einbildung. Oder war es ein Lichtreflex von den grünen
Sonnenrouleaus?
Sie blickte auf ihre Hände und schien angestrengt nachzudenken.
»Ich habe ein neues Parfüm«, sagte sie endlich.
Sie verschwand im Bad und kam nach einer Minute mit einem
Taschentuch zurück. Sie hielt es mir unter die Nase. Kein Zweifel,
sie hatte recht.
»Wie heißt das Zeug?«
Sie öffnete die Hand und zeigte mir ein kleines Kristallfläschchen.
»Belladonna di Napoli« stand auf dem Etikett.
Meine Beklemmung wich. Und obwohl ich mir lächerlich vorkam, war
ich erleichtert, daß die Sache eine so einfache Erklärung gefunden
hatte. »Schon ziemlich spät«, sagte ich. »Gehen wir schlafen, meine
Schöne.«
»Ich komme nach. Muß noch Blutanalysen machen.«
»Laborarbeit zu Hause? Das gab es ja noch nie.«
»Wir stehen vor einer entscheidenden Mutationsphase. Es ist sehr
wichtig, Liebster.«
Wenn sie Liebster sagte, war das ein Zeichen, daß sie ihren Kopf
durchsetzen wollte. Außerdem, ganz unrecht war es mir nicht, ich
fühlte mich miserabel. Der Rotwein war offenbar zu schwer gewesen.
Ich küßte sie und ging zu Bett.
In Schweiß gebadet, richtete ich mich auf, fühlte mich müde und zerschlagen. Eben noch war ich nach einer Bruchlandung mit hundertfünfzig Leuten durch einen Urwald fleischfressender Orchideen gestolpert. Die Orchideen hatten meine Passagiere mit erotischer Lyrik angelockt und ihren Opfern die Ohren abgebissen.
Der Bildschirm über dem Bett erwachte zum Leben. Die Hostess vom Dienst strahlte in Hellblau und Blond. »Guten Morgen, mein Herr!« jubilierte sie. »Es ist vier Uhr fünfzehn. Sie wollten geweckt werden.«
Ich schaltete den Schirm aus und das Licht an.Das Bett neben mir war leer. Ich wühlte mich
aus den Dekken und tapste ins Wohnzimmer hinüber.
Bella schlief auf der Couch, bis über die Nase in eine Wolldecke
gehüllt. Sie atmete unregelmäßig und schwer. Die Klimaanlage blies
einen kalten Luftstrom durchs Zimmer.
Ich stellte den Regler auf »Normal« und schloß die Tür zur
Terrasse.
Nach dem Duschen fühlte ich mich wohler. Nach drei Tassen Kaffee,
Eiern mit Schinken und Kräuterquark war ich wieder ein
lebenstüchtiger Mensch.
Es wurde Zeit, zum Flughafen zu fahren. Bella ließ sich nicht
sehen. Ich war es gewohnt, mit einem Abschiedskuß zur Arbeit zu
gehen. Ich schaute ins Zimmer.
Bella wandte mir den Rücken zu, das Gesicht in die Kissen gepreßt.
Der Schreibtisch war überhäuft mit Hollerithkassetten,
Hämoglobinpräparaten und Knäueln von Papierstreifen aus dem
Rechner. Sie hatte offenbar lange gearbeitet, ich würde sie nicht
wecken.
Leise trat ich an die Couch und strich ihr über das Haar. Es fühlte
sich hart und spröde an.
Der Geruch von »Belladonna di Napoli« lag in der Luft. Er gefiel
mir nicht. Viel zu intensiv. Sobald ich zurück war, würde ich dafür
sorgen, daß sie ein neues Parfüm bekam.
Drei Tage ohne Bella. Ich hatte es eilig, nach Hause zu kommen. Auf der grün leuchtenden Fahrbahn erschienen die gelben Warnstreifen. Ich mußte das Tempo drosseln, andernfalls würde innerhalb einer Minute ein Polizei-Hubschrauber dasein und meinen Motor mit einem Lasersignal stillegen. Jeder, der schon mal zu schnell gefahren ist, kann sich die Prozedur ausmalen, die dann folgen würde.
Zähneknirschen. Wie eine Schnecke dahinkriechen und mit den Fingern auf das Lenkrad trommeln. Endlich hob sich unsere hell erleuchtete Wohnpyramide aus dem Nachthimmel. Vom Grün der Autobahn wechselte ich auf den blauen Belag der Nebenstraße, kurvte in die Einfahrt zur Tiefgarage und stellte den Wagen in die Box. Ich ergriff den Koffer und die Tüte mit den kleinen Aufmerksamkeiten und eilte zum Aufzug.
In der Kosmetischen Etage stöckelte Frau Burk in die Kabine. Sie war meine Nachbarin, ich grüßte sie höflich. Ihre Antwort war ein knappes Nicken. Ihre Falkenaugen musterten mich, als wäre ich ein unappetitliches Kriechtier, und ihre lange, spitze Nase schien mich durchbohren zu wollen.
Als wir ausstiegen, trat sie mir in den Weg. »Hören Sie mal!« Ihre Zungenspitze fuhr heraus und befeuchtete die blutroten Lippen. »Es ist wirklich ein Skandal. Einer muß schließlich mit Ihnen darüber reden.«
Ich setzte meinen Koffer ab.
»Dies ist ein kultiviertes Haus«, fuhr sie fort, »und so sollte es
bleiben, zumal wenn man die Mieten bedenkt. Leider greift auch hier
die allgemeine Verwilderung um sich. Wollen Sie etwa
widersprechen?«
»Durchaus nicht«, sagte ich. »Aber…«
»Früher haben Sie nur sogenannte Damen mitgebracht. Ich sage ›nur‹,
denn was Sie sich jetzt leisten, übertrifft wohl alles
Dagewesene.«
»Wieso…«
»Glauben Sie nicht, daß Sie damit durchkommen. Ich und mein Gatte,
wir werden keinesfalls dulden, daß Sie unser aller Heim in einen
Zirkus verwandeln.«
»Würden Sie mir verraten, Frau Burk, worauf Sie
anspielen?«
»Stellen Sie sich nicht dumm!« Ihre Nasenflügel bebten. »Ich habe
Ohren. Ich habe Augen. Und eine Nase. Jawohl, eine Nase!«
»Ihre Nase ist nicht zu übersehen«, sagte ich. »Trotzdem kann ich
nicht daran ablesen, was Sie eigentlich von mir wollen.«
Es sah aus, als würde sie in Ohnmacht fallen, doch dann änderte sie
ihre Absicht.
»Flegel!« kreischte sie. »Das werden Sie bereuen. Unverzüglich
werde ich die Polizei informieren!«
Sie wandte mir den Rücken und verschwand geräuschvoll in ihrer
Behausung. Ich hatte keine Ahnung, was dieser Auftritt bedeuten
sollte. Wahrscheinlich war sie zu lange unter der Trockenhaube
gewesen.
Ich schloß unsere Wohnungstür auf. Als ich in den Flur trat, schlug
mir ein ätzender Manegegeruch entgegen. In Küche und Bad herrschte
wüste Unordnung. Fenster und Türen waren geöffnet. Ich lief ins
Wohnzimmer. Der gleiche Geruch, das gleiche Chaos.
»Bella!« rief ich. »Bella, wo bist du?«
Aus dem Schlafzimmer hörte ich ein Geräusch. Ich stürzte zur Tür.
Der Mahagonischreibtisch stand davor.
»Komm nicht herein.« Es war Bellas Stimme. Durch die Tür klang sie
dumpf und kehlig. »Ich muß dir etwas erklären. Warte einen
Augenblick.«
»Nicht nötig«, sagte ich. »Frau Burk hat mich bereits informiert.
Du hast ein Tier in der Wohnung.«
Ich wuchtete den Schreibtisch zur Seite und zwängte mich durch den
Türspalt.
Ein prächtiger Tiger lag auf unserem Doppelbett.
Ich wollte zurück durch die Tür.
»Keine Angst«, sagte das Tier. »Ich bin es, deine Bella.«
Ich war unfähig, ein Wort hervorzubringen.
»Na komm schon näher.«
Mit schwankenden Schritten näherte ich mich dem Bett.
»Setz dich doch.«
Ich ließ mich auf die Bettkante nieder. Die Riesenkatze wälzte sich
herum und legte ihre Pranke in meinen Schoß.
Paranoide Halluzination. Ich fühlte, wie mir der kalte Schweiß
ausbrach. Meine Hände begannen zu zittern.
Die Pranke legte sich um meinen Hals und zog mich sanft, doch mit
unwiderstehlicher Kraft herunter.
Tief aus der Kehle der Tigerin kam ein zärtliches Knurren. »Ganz
ruhig, mein Geliebter, ganz ruhig. Ich bin es, deine Bella. Du
darfst keine Angst haben.«
»Wie – wie ist das passiert?« stammelte ich.
»Du weißt doch, seit einigen Monaten arbeiten wir an der Mutation
von Panthera tigris. Dabei muß etwas schiefgegangen
sein.«
Das Institut für Angewandte Vivimutationsgenetik. Skiff! Warum war
ich nicht gleich daraufgekommen? Skiff war der Schuldige! Die Wut
ließ mich aufspringen. Sie versetzte mich in die Lage, wieder
normal zu reagieren.
»Dieser Scharlatan!« schrie ich. »Dieser Schuft! Ich habe ihm schon
immer mißtraut! Du hast ja nie auf mich hören wollen. Man sollte
ihn in einen Vulkan schmeißen mitsamt seiner verfluchten
Mutationsgenetik!«
»Du darfst ihm nicht allein die Schuld geben, das wäre ungerecht.
Es kann wirklich nur ein Fehler von mir gewesen sein.«
»Was soll der idiotische Edelmut? Ist dir überhaupt klar, in
welcher Lage wir sind?«
»Man kann die Mutation rückgängig machen.«
»Wer sagt das?«
»Skiff.«
»Der kann gut reden.«
»Er geht seit Tagen nicht mehr aus dem Labor, gönnt sich kaum noch
Schlaf.«
»Gib mir seine Nummer.«
Sie nannte eine achtstellige Ziffer.
Ich zog den Bildschirm heran und drückte die Ziffern in die Tasten.
Eine halbe Minute pulste das grüne Rufsignal. Dann erschien sein
Bild. Er sah aus wie immer. Weißes Hemd, blaue Fliege weiß
punktiert, hellgrauer Leinenanzug, darüber ein schneeweißer Kittel.
In seinem asketischen Gesicht war kein Zeichen von Ermüdung. Von
Schuldbewußtsein schon gar nicht.
»Gut, daß Sie da sind, mein Freund«, sagte er in seiner
herablassenden Art. »Ich habe Ihren Ruf erwartet. Sie sind zur Zeit
der einzige, dem ich Bella anvertrauen kann.«
»Quatschen Sie nicht so aufgeblasen«, fuhr ich ihn an. »Erklären
Sie mir, wie das passieren konnte.«
»Ich versuche, eine Lösung für die Reversion zu finden.«
»Beeilen Sie sich. Wenn die Welt erfährt, was in Ihrem Laden
vorgeht, ist es aus mit der Karriere.«
»Keiner meiner Mitarbeiter wäre so verantwortungslos, einen
Betriebsunfall an die große Glocke zu hängen.«
»Betriebsunfall? Damit kommen Sie bei mir nicht durch. Ich werde
einen Skandal machen, der Ihren teuflischen Pfuschereien ein Ende
bereitet.«
»Tja – das können Sie natürlich tun. Aber dann gäbe es für Bella
kaum noch eine Chance.«
»Wollen Sie mich erpressen, Sie Schwein?«
Er zuckte mit keinem Muskel. »Ich halte Sie für klug genug, zu
begreifen«, sagte er, »daß ein Zeitfaktor im Spiel ist. Ich brauche
Ruhe. Jetzt, bevor es zu spät ist. Wenn wir dann Bella remutiert
haben, können Sie mich öffentlich anklagen, soviel Sie
wollen.«
»Wie lange brauchen Sie?«
»Vier Wochen. Vielleicht sechs.«
»Unmöglich! So lange kann sie nicht hier in der Wohnung bleiben.
Die Nachbarn haben schon Verdacht geschöpft. Wir werden ins
Institut kommen.«
»Bella kann ich unterbringen, das ist kein Problem. Fremden ist der
Zutritt streng verboten.«
»Ich lasse Bella nicht allein in Ihren Händen. Das könnte Ihnen so
passen.«
»Tut mir leid. Auf die Sicherheitsbestimmungen habe ich keinen
Einfluß.«
»Dann kommt es nicht in Frage.«
»Bringen Sie Bella in eine natürliche Umgebung. Es würde ihr das
Warten sehr erleichtern. Sie hätten auch keine Schwierigkeiten mit
der Ernährung und mit neugierigen Nachbarn.«
»Haben Sie einen Vorschlag?«
»Tsavo-Nationalpark. Mein Institut besitzt dort eine
Versuchsstation.«
»Warum nicht gleich auf den Mond? Wie komme ich von hier mit einem
ausgewachsenen Tiger nach Afrika?«
»Sie sind Pilot, soviel ich weiß. Ich gebe Ihnen eine
Transportmaschine meines Instituts.«
»Und was soll ich dem Zoll erzählen?«
Er hob ungeduldig die Brauen. »Mit den Methoden auf dem Flughafen
müssen Sie doch vertraut sein. Also lassen Sie sich etwas
einfallen.«
Ich dachte nach. Er hatte so unrecht nicht. In der Stadt konnten
wir nicht leben ohne das Risiko, entdeckt zu werden. Wenn ich mir
einen Transporter meiner Fluggesellschaft beschaffte, müßte es mit
etwas Glück möglich sein, Bella durch die Kontrollen zu bringen.
»Wie geht es weiter, wenn wir dort sind?« fragte ich.
»Sie landen auf der Piste bei der Station. Ein Geländewagen steht
für Sie bereit. Schaffen Sie Bella unbemerkt hinein, und fahren Sie
mit ihr in den Busch. Im Wagen finden Sie alles, was Sie brauchen,
auch einen Sender. Jeden Dienstag zwischen vier und fünf Uhr
morgens nehmen wir Verbindung auf und sprechen über den Stand der
Dinge. Also viel Glück.«
»Moment noch«, sagte ich. »Hoffentlich haben Sie sich das alles gut
überlegt. Sollte die Idee dahinterstecken, Bella abzuschieben und
im Busch ihrem Schicksal zu überlassen, breche ich Ihnen den Hals.
Und wenn Sie sich im Tresor der Staatsbank verkriechen, ich
erwische Sie. Ist das klar?«
Er rückte mit zwei Fingern an seiner goldgefaßten Brille. Es war
das erste Mal, daß ich etwas wie Nervosität an ihm
bemerkte.
»Ich bitte Sie«, sagte er beschwörend, »haben Sie Vertrauen! Unter
keinen wie auch immer gearteten Umständen werde ich Bella im Stich
lassen.«
Er räusperte sich. »Es dürfte Ihnen doch nicht entgangen sein, daß
auch ich schon seit längerem zu Bella eine tiefgreifende Zuneigung
hege. Bis Dienstag dann.«
Sein Bild verschwand.
Tiefgreifende Zuneigung, dachte ich. Dieser Affe! Unter keinen wie
auch immer gearteten Umständen hatte der eine Chance bei Bella.
Wir saßen die fünfte Woche im Busch. In den ersten vierzehn Tagen hatte ich Gazellen und Antilopen geschossen. Dann waren sie so scheu geworden, daß ich nicht mehr an sie herankam. Große Ausflüge konnten wir uns nicht leisten. Wir durften die Wildhüter nicht aufmerksam machen.
Seitdem ging Bella allein auf die Jagd. Zu Anfang gab es ein paar Fehlschläge, aber sie lernte schnell, und wir hatten mit dem Fleisch keine Sorge mehr.
Um so mehr Sorgen hatte ich mit dem Sender. Ich hockte seit Stunden am Gerät. Der Kasten gab keinen vernünftigen Laut von sich. Knattern und Pfeifen, mehr war nicht herauszuholen.
Dreimal war es bisher gelungen, Skiff zu erreichen. Er hatte versichert, die Arbeit mache Fortschritte, wir sollten den Mut nicht sinken lassen.
Am vergangenen Dienstag war auch schon keine Verbindung zustande gekommen. Wir hatten atmosphärische Störungen für die Ursache gehalten. Allerdings gab es noch eine andere Möglichkeit. Als wir vor neun oder zehn Tagen von einem Ausflug in unser Zelt zurückgekehrt waren, hatte der Sender am Boden gelegen. Auf den Felsen der Umgebung trieben Paviane ihr Wesen, und die Konservenkiste, auf der das Gerät stand, war etwas wacklig. Vermutlich hatten die Tiere in ihrer Neugier das Zelt heimgesucht.
Wenn es aber nicht die Paviane gewesen waren? Dann mußte der Sender mit Absicht von der Kiste gestoßen worden sein. Aber von wem und warum? Ich konnte beim besten Willen keine Antwort darauf finden.
Ich sah auf die Uhr. Es war schon sechs, und Bella war noch nicht zurück. In der letzten Zeit hatten sich ihre Jagdausflüge immer mehr in die Länge gezogen. Sie mußte die Herden weit draußen in der offenen Steppe stellen.
Ich trat mit dem Fernglas vor das Zelt und hielt Ausschau. Über dem Grasland flimmerte die Hitze. Jenseits einer Hügelkette kreiste eine Schar Kuttengeier am blauen Himmel. Ich wurde unruhig. Meine Befürchtung, daß etwas Ungewöhnliches vorging, verstärkte sich. Vielleicht war ihr ein Unglück zugestoßen?
Ich ging in das Zelt, um das Gewehr zu holen. Gerade war ich dabei, das Magazin aufzufüllen, da kam sie herein. Wortlos lief sie an mir vorbei und warf sich auf das Lager. Ihr Atem ging heftig, ihre Flanken bebten.
»Pech gehabt bei der Jagd«, knurrte sie.Das war nicht die Wahrheit. Zumindest nicht die ganze Wahrheit. Etwas hatte sie verstört. Ich konnte die Unsicherheit deutlich in ihren Augen lesen.
»Du verschweigst mir etwas, Bella.«
»Ich bin erschöpft. Laß mich in Ruhe.«
Sie wich meinem Blick aus. Von jeher war sie eine schlechte
Lügnerin.
Ich packte sie mit beiden Händen am Fell und hob ihren
Kopf.
»Ich will wissen, was vorgeht.«
»Laß los, du tust mir weh.«
Ich ließ sie los und setzte mich in den Feldstuhl.
Sie wandte den Kopf ab und sagte: »Ich bitte dich, geh
zurück.«
»Zurück wohin?«
»Nach Hause In dein gewohntes Leben. Du kannst mir
nicht mehr helfen.«
»Wir warten hier auf Skiff. Es kann nicht mehr lange
dauern.«
»Skiff hat uns belogen.«
»Woher willst du das plötzlich wissen?«
»Bitte frag nicht. Ich weiß es.«
»Du hast die Nerven verloren. Das geht vorüber.« »Nein, Liebster,
mach dir keine Illusionen. Ich werde nie
wieder menschliche Gestalt bekommen. Es ist für uns beide
das beste, wenn wir uns trennen.«
»Unsinn«, sagte ich heftig. »Ich lasse dich doch jetzt
nicht
allein.«
»Ich bin ja nicht mehr allein.«
»Ach was!« Ich begriff noch nicht, was sie meinte. »Hör zu«, sagte
sie, »es ist ein Tiger aufgetaucht, vor einigen Tagen schon. Erst
zeigte er sich nur von fern. Heute trieb
er mir eine Antilope zu, und wir jagten gemeinsam. Ich
werde
in Zukunft mit ihm leben, verstehst du?«
»Mit einem Tiger? Bist du wahnsinnig? Was denn für ein
Tiger?«
»Still!« Bella spitzte die Ohren. »Es kommt jemand. Ein
Mensch.«
»Reden wir nicht von einem Tiger?«
»Er ist schon ganz nah.«
Hinter mir wurde der Zeltvorhang aufgerissen. Ich wandte
mich um. Im Eingang stand ein Kerl mit einem Gewehr im
Anschlag. Es war der Mann aus der Versuchsstation, der
mir
im Auftrag von Skiff den Geländewagen übergeben hatte. »Hände hoch,
Zaubermann!« sagte er.
»Nimm das Gewehr weg.«
»Ich schieße die Raubkatze tot. Du hast sie verhext.« »Mach dich
nicht lächerlich. Das ist ein wissenschaftlicher
Versuch, weiter gar nichts. Frag deinen Chef, er wird dir
alles
erklären.«
»Egal, was es ist.«
Der Sicherungshebel klickte, die Gewehrmündung
schwenkte auf Bella. Ich machte einen Satz und griff nach
dem
Lauf der Waffe. Ich griff daneben. Der Mann hob den Kolben. In
meinem Schädel explodierte ein Feuerwerk.
Aus der Tiefe des Urmeeres stieg ich nach oben. Mein Kopf war ein Ballon, gefüllt mit brodelnder Lava. Die Lava dehnte sich aus, der Druck wurde schier unerträglich. Ich wollte die Augenlider öffnen. Es war eine Anstrengung, als müßte ich meinen Sargdeckel heben.
Ich lag mit dem Gesicht nach unten im Staub. In meinen Ohren schrillten Stahldrähte. Auf meinem Rücken brannte ein Feuer. Mit großer Behutsamkeit setzte ich mich auf. Würgender Brechreiz überfiel mich. Ich spuckte den Sand aus, den ich im Mund hatte – und was ich im Magen hatte auch.
Die Umgebung nahm Gestalt an. Ich saß auf dem Platz vor unserem Zelt. Die Sonne stand glühend im Zenit. Das Schrillen der Stahldrähte in meinen Ohren flaute ab. Was blieb, war das Zirpen der Baumzikaden.
Aus dem Zelt hörte ich Stimmen. Ich kroch näher, leise, wie ich meinte.»Ich werde ihn nicht hilflos liegenlassen. Du
kannst machen, was du willst.«
Das war Bellas Stimme.
»Er ist nicht hilflos«, sagte eine andere Stimme. »Er kriecht schon
wieder.« Und dann laut: »Kommen Sie rein.«
Neben Bella saß ein gelber Tiger. Er war etwa einen halben Meter länger als sie und wog gut zweihundert Kilo.
Rechts vom Eingang lag der Mann, der mir den Schlag mit dem Gewehrkolben versetzt hatte. Er war tot. Ein Prankenhieb hatte ihm das Genick gebrochen.
»Nehmen Sie Platz, mein Freund«, sagte der
Gelbe. Skiff!
Neuer Brechreiz überfiel mich. Ich taumelte zum Tisch und
»Sie haben diesen Mann umgebracht«, keuchte ich. Es war albern, aber ich mußte etwas sagen, um Zeit zu gewinnen. Ich hoffte, daß sich dann die Nebelschleier hoben, die in meinem Gehirn wogten.
»Sollte ich warten, bis er Bella umbringt?« fragte Skiff.»Sie hätten ihn nicht schicken dürfen, den
Sender zu zerstören.«
»Tja, das war ein Fehler. Mister Yomo war Leiter der Station, ein
intelligenter Mann. Ich konnte nicht ahnen, daß noch der
Geisterglaube seiner Vorväter in ihm spukte.«
»Niemand wird ihn finden. Sie, mein Freund,
bringen ihn unter die Erde.«
»Ich denke nicht daran.«
»Dann werden Sie sorgfältig alle Spuren beseitigen, den
Geländewagen nehmen und nach Kampala fahren: Im TranskoBüro liegt
ein Flugticket auf Ihren Namen.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Bella braucht noch ein paar Wochen Schonung. Schweigen Sie
solange. Es ist der letzte Dienst, den Sie ihr erweisen.«
»Nein.« Ich sah mich suchend um. Der Sender und die beiden Gewehre
waren nur noch Schrott.
»Wir gehen, Bella. Und Sie sollten keine Zeit verlieren.«
Ich sprang auf. »Bella bleibt. Sie gehört zu mir!«
Der Gelbe stieß ein zufriedenes Knurren aus. Es klang fast wie ein
Lachen. Früher hatte ich Skiff niemals lachen hören.
»Ab heute ist Bella meine Frau«, sagte er. »Unwiderruflich.«
Ich warf meine Arme um Bellas schöngestreiften Hals. »Du darfst nicht mit ihm gehen. Begreifst du nicht, daß er wahnsinnig ist?«
Bella schwieg.»Komm mit mir zurück. Im Institut gibt es noch
andere, die ihr Fach verstehen. Sie werden uns helfen.«
»Leb wohl, Liebster«, sagte Bella. »Es gibt keinen Weg
zurück.«
Der Gelbe erhob sich. »Seien Sie nicht kindisch. Gehen Sie aus dem
Weg.«
Ich rührte mich nicht. Er schob mich zur Seite wie ein welkes
Blatt.
In federnden Sprüngen liefen sie über die Steppe. Ich sah ihnen
nach. Am Rand der offenen Savanne blieb Bella stehen und schaute
zurück.
Der Gelbe setzte sich und wartete geduldig. Endlich stieß er seinen
Kopf zärtlich in ihre Flanke, und sie verschwanden im hohen
Elefantengras.
Ich raffte ein paar Konserven zusammen und holte den Wagen. Eine
wütende Entschlossenheit trieb mich vorwärts, nur ein Gedanke
beherrschte mich: Wenn es für Bella keinen Weg zurück gab, dann gab
es für mich einen Weg nach vorn.
Bald würde ich wieder dasein. Und dann würde es keine Schonung
geben für den Schwächeren, wie es sonst unter Tigern üblich
ist.