Ágnes Hosszú

Hermann, das Hermelin

Gestatten Sie, daß ich mich vorstelle: Ich bin Hermann, das Hermelin. Da für die Menschen – deren Dummheit übrigens grenzenlos ist – jedes Hermelin sächlichen Geschlechts ist, nannten sie mich ursprünglich Hermine. Mit der Zeit, es dauerte allerdings ziemlich lange, klärte sich das Mißverständnis auf. (Nun ja, bei uns ist es ein wenig umständlich, das Geschlecht zu bestimmen, wenngleich diese Frage meiner Ansicht nach die Menschen am allerwenigsten etwas angeht, sie könnte höchstens ein anderes Hermelin interessieren.) Seither trägt den Namen Hermine mein geliebtes Eheweib, die gegenwärtig in unserem bequemen Käfig mit der Erziehung unserer Kleinen beschäftigt ist.

Meine Familie lebt nunmehr bereits seit fünf Generationen auf dem Schiff, das, in menschlicher Zeitrechnung gemessen, seit siebzehn Jahren unterwegs ist zum II. Planeten des Epsilon Eridani, von wo die Forscher des OZMA-Programms vor fünfundzwanzig Jahren Funksignale empfangen haben, die auf intelligentes Leben schließen lassen. Die Menschen in ihrer unendlichen Dummheit glauben, wir stünden in ihren Diensten. Nun, das ist ein gewaltiger Irrtum. Wir dienen dem Reaktor, dem Hirn und letztlich dem Programm ebenso wie die Menschen. Unser aller gemeinsame Aufgabe ist es, das Schiff heil zum Ziel zu befördern und den Eridaniern die Botschaft der Erde zu überbringen.

Jetzt könnten Sie zwei Fragen stellen: Wie kommt ihr Hermeline dorthin, und woher wißt ihr das alles?

Nun: Irgendwann gegen Ende der sechziger Jahre kam das Bedienungspersonal eines englischen Atomreaktors überhaupt nicht mit der Reinigung der entlegeneren, versteckteren Teile des Reaktors und des Steuerungshirns zurecht. In jedem Reaktor gibt es lange, enge, winklige Gänge und Rohre von der Stärke eines menschlichen Unterarms mit zahlreichen Windungen. Sie ließen sich weder mit einem Lappen noch mit einem Federwisch säubern, der Staub setzte sich elektrostatisch an den inneren Rohrwandungen fest, es nützte auch nichts, Luftströme hindurchzublasen, er kam nicht heraus. Man fing an, Reinigungsautomaten zu entwerfen, faustgroße Drehbürstenroboter mit Miniaturteilen, winzigen Batterien und Mechanismen für die Vorwärts- und Rückwärtsbewegung und kleinen selbstprogrammierenden Hirnen. Keine Variante taugte etwas, keine konnte sich flexibel genug der Form der Gänge anpassen, das Hirn ließ sich nicht ausreichend miniaturisieren, kurz und gut, das Roboterchen geizte nicht mit Problemen, obzwar es ein kleines Wunder der Technik war. Und vor allem Unsummen kostete.

Als das sündenteure und nutzlose Wunderwerk den Technikern schon die letzten Nerven geraubt hatte, schlug sich einer der jungen Männer gegen die Stirn und rannte davon. Wenig später kehrte er mit einem Karton unterm Arm zurück, und dem Karton entnahm er ein sanft vor sich hin stinkendes Fellknäuel. In der Nähe nämlich befand sich eine Farm, die Frettchen für die Rattenvertilgung sowie Nerze für die Fellverwertung züchtete. Der junge Bursche hatte für harte fünf Shilling ein Frettchen gekauft, das jagte er nun durch die Gänge und Rohre, und damit war das Problem der Entstaubung spottbillig und vor allem tadelfrei gelöst, der sündhaft teure und untaugliche Automat konnte eingespart werden. Dem jungen Mann wurden die fünf Shilling erstattet, und für die Einsparung dankte man ihm mit einem Schulterklopfen. Es dauerte nicht lange, und die Methode fand in allen Atomkraftwerken Englands Anwendung; Frettchen, das Stück zu fünf Shilling, wurden ein regulärer Haushaltsposten.

Mit der Entwicklung der Technik wurden die Anlagen immer kompakter und die Gänge immer enger. Deshalb ging man von den Frettchen zu den schlankeren, grazileren und viel feinhaarigeren Nerzen und Hermelinen über. Schließlich blieben allein die Hermeline übrig, da sie viel besser als Frettchen und Nerze – von den Menschen ganz zu schweigen – die Strahlung der Reaktoren vertragen. Die Strahlungsdosis, die einen Menschen tödlich erkranken läßt, macht uns Hermelinen nicht das geringste aus.

(Ich muß anmerken, daß die Menschen nicht nur dumm sind – Ehre den wenigen Ausnahmen, wie dem erwähnten jungen Techniker in jenem Atomkraftwerk! –, sie sind auch überaus anfällig und fragwürdig gebaut.)

Und als auf Grund des Berichtes der OZMA-Forscher in achtjähriger Arbeit das Schiff gebaut war und zum Epsilon Eridani II gestartet wurde, war es ganz natürlich, daß mit den Menschen auch eine Hermelinfamilie an Bord ging.

Hier wollen wir bitte eine Minute stillen Gedenkens an meinen Urururgroßvater einlegen.
Ich danke Ihnen.

Mein Urururgroßvater nahm also seinen Platz auf dem Schiff ein und trat in die Dienste des Reaktors und des Steuerungshirns. Pflichtbewußt spazierte er Tag für Tag durch die Gänge, um sie zu inspizieren; mit seinem lebendigen, seidigen, weichen Fell wischte er die Wände ab, und mit seinem buschigen Schwanz entfernte er selbst die allerletzten Staubkörnchen. Ehrerbietig ordnete er sich dem Hirn unter, gewissenhaft erfüllte er seine Aufgabe, und die Menschen, die in ihrer massiven Dummheit vermeinten, er diene ihnen, zollten ihm höchsten Respekt. Mein Urururgroßvater jedoch würdigte sie keines Blickes, er betrachtete das Hirn als seinen Herrn und Gebieter und diente ihm mit der würdevollen Ergebenheit eines königlichen Kammerdieners. Ein Gleiches taten später mein Ururgroßvater und mein Urgroßvater, die ihn ablösten, als er alt wurde, so daß es ihm seine steifer werdenden Gelenke nicht mehr gestatteten, sich wie ein Lakai dienstfertig zu winden.

Woher ich das alles weiß?
Meine ehrenwerten Ahnen versahen über Generationen ihren Dienst an Hirn und Reaktor. Bei der Verrichtung ihrer alltäglichen Arbeit waren sie beträchtlichen Strahlungsmengen ausgesetzt, unter denen sich ihr Fell wohlig sträubte, und obwohl sie keine gesundheitlichen Schäden erlitten – dank der diesbezüglichen Widerstandsfähigkeit unseres Organismus, wie ich erwähnte –, traten doch gewisse Veränderungen in ihrer genetischen Substanz ein. Da auf dem Schiff ausschließlich unsere Familie lebte und deshalb meine weiblichen Urahnen die Nichten meiner männlichen Urahnen waren, summierten sich dank den engen Verwandtschaftsehen diese kleinen Veränderungen bereits bei meinem Großvater, und sie bewirkten vor allem eine kräftige Entwicklung seines Gehirns.
In der Tat, mein Großvater war eine außerordentliche Persönlichkeit. Als erster in der Familie diente er dem Hirn nicht nur, sondern er studierte es auch. Er untersuchte es systematisch, Teil für Teil, er vertiefte sich in seine Funktionsweise, und nachts (wenn der Offizier vom Dienst in seinem weichen, bequemen Sessel eingenickt war) spazierte er auf das Armaturenbrett, um die Zusammenhänge zwischen dem Stand der Zeiger zu ergründen. Seine Kenntnisse gab er an meinen Vater weiter, dessen Wissensdurst gleichfalls unersättlich war und der sich zudem einer außergewöhnlichen Geschicklichkeit rühmen konnte. Den Menschen fiel das nicht auf, ebensowenig, daß er von Kindesbeinen an interessiert ihren Gesprächen lauschte und einwandfrei ihre Sprache verstand. Unsere tonbildenden Organe sind nicht imstande, menschliche Sprechgeräusche zu erzeugen, deshalb versuchen wir nicht erst, sprechen zu lernen; mein Vater allerdings zeigte auch nie die geringste Neigung, den Menschen sein Wissen zur Kenntnis zu bringen – er hielt sie dessen einfach nicht für würdig. Dagegen öffnete er mir die volle Schatzkammer seiner reichen Erfahrungen und Kenntnisse, und meine Ambition war es, mich meiner ehrenwerten Ahnen nicht unwürdig zu erweisen.
Von früher Kindheit an erfüllte mich ein tiefes Interesse für die Mathematik. Ich war bestrebt, das vorzugsweise praktische Wissen meines Vaters und meines Großvaters durch mathematische Studien zu ergänzen. Das Schiff führte – hauptsächlich aus Gründen der Platz- und Gewichtseinsparung – nicht Bücher, sondern Quarzkristalle mit sich, die ich mit Leichtigkeit in die Leseapparatur einlegen konnte, und so nutzte ich die Nachtstunden, die die Schiffsmannschaft in den Kabinen verbrachte, für meine Studien.
Wir konnten von Glück reden, daß die Tür unseres gemütlichen Käfigs nie geschlossen wurde, so daß wir uns vor und nach unserem Dienst ganz frei an Bord des Schiffes bewegen konnten. Die Menschen sahen unsere schlanken, graziösen Gestalten gern durch die Flure, die Kabinen oder den Steuerraum huschen (wir sie viel weniger gern), und der Diensthabende war glücklich, wenn sich während der langen und zumeist langweiligen Stunden seines Dienstes eine meiner Schwestern in seinen Schoß kuschelte und duldete, daß er mit seinen dicken Menschenfingern ihr seidenweiches Fell streichelte.
Ich war nicht gewillt, mich zu solchen Verbrüderungen herabzulassen, lieber durchstöberte ich im Zuge meiner systematischen Entdeckungstouren alle Ecken und Winkel des Schiffes, um mich mit ihm in allen Einzelheiten vertraut zu machen. Verschlossene Türen störten mich nicht, denn durch die Lüftungsöffnungen konnte ich in jeden Raum eindringen, selbst in den allerheiligsten, den zentralen Steuerraum. Diese Möglichkeit nutzte ich redlich aus, und ich wage zu behaupten, daß die Bordingenieure den Kasten nicht annähernd so gründlich kennen wie ich. Ich suchte die technischen Daten aus dem Speicher heraus und befaßte mich eingehend mit den statischen Berechnungen. Ferner sah ich mir die Kalkulationen für den Reaktor an, wobei ich in den Ableitungen mehrere zwar nicht schwerwiegende, aber doch bemerkenswerte Fehler entdeckte. Mich empörte die Verantwortungslosigkeit der Menschen, einen so unvollkommenen, wackligen Kahn auf Reisen zu schicken und damit das Leben meiner Angehörigen aufs Spiel zu setzen.
Als ich diese Entdeckung machte, wäre es für eine Umkehr leider schon zu spät gewesen, und so blieb uns die einzige Hoffnung, daß wir, am Ziel angekommen, auch die Landung überleben würden. Danach würden die nach meinen Berechnungen notwendigen Änderungen am Reaktor vorgenommen werden können, damit er sicher funktionierte. Nun ja, überstürztes Arbeiten bringt nichts ein, für die Projektierung und Realisierung dieses Klapperkastens waren nicht mehr als acht Jahre vorgesehen, man merkt es dem Kahn an. Wenn man die jämmerlichen geistigen Fähigkeiten des Menschen kennt, weiß man, daß in so kurzer Zeit keine solide Arbeit geleistet werden kann. Sogar ich benötigte nahezu ein ganzes Jahr, bis ich mit Hilfe des leistungsschwachen Bordrechners die erforderlichen Korrekturen berechnet hatte. Diese Berechnungen nehmen im Speicher des Hirns fast einen ganzen Sektor ein, und die zugehörigen Zeichnungen füllen selbst in kleinster Verkleinerung das ganze Notizbuch des Navigators, das ich eines Abends auf dem Flur zu den Kabinen fand.
Der Navigator übrigens muß sich seither necken lassen, sein Notizbuch hätten unsichtbare Taschendiebe aus dem interstellaren Raum gemopst, denn des Büchleins wegen stellte er das halbe Schiff auf den Kopf, knurrig wie sonst nur Guido, der Zwergpudel des Schiffes, was für eine Schweinerei es sei, so etwas zu klauen, er habe das Notizbuch extra für die Reise von seiner Mama geschenkt bekommen.
Ich kann verstehen, daß ihn der Verlust schmerzt, aber ich wollte ihm das Notizbuch schon deshalb nicht zurückgeben, weil darin ein kleiner Druckbleistift steckte, vielleicht vier Millimeter dick und nicht länger als drei oder vier Zentimeter. (Da der Navigator in seinem Ärger die Ersatzminen in den Papierkorb geworfen hat, woraus ich sie mir geholt habe, bevor der Korb geleert wurde und die Minen mitsamt dem anderen Abfall im Annihilator landen konnten, ist auch das Nachfüllproblem gelöst.) Ich war sehr froh, denn alles andere Schreibgerät an Bord ist für die groben, großen Hände der Menschen bemessen und zu schwer und dick für meine zarten kleinen Finger.
Im Navigationsraum fand ich stets Papier zum Beschreiben, und in meinem Arbeitswinkel hinter der Armaturenwand der Reaktorkammer häufen sich die dichtbeschriebenen Viertelblätter (ich holte mir aus dem biologischen Labor ein kleines Insektenskalpell zum Zerschneiden des Papiers). Ich muß mich beeilen, all mein Wissen niederschreiben, denn mein innig geliebtes Eheweib, Hermine, hört demnächst auf, unsere Kleinen zu stillen, und dann muß ich meine Kenntnisse meinem Sohn Harry übergeben. Es ist an der Zeit, mit der systematischen Unterrichtung der Kinder zu beginnen, denn sie verraten bereits außergewöhnliche Fähigkeiten; zwischen zwei Stillmahlzeiten stellen sie so viele Fragen, daß meine Hermine ihre Mühe hat, sie alle zu beantworten. Harry kann schon im Kopf Kubikwurzeln ziehen, und gestern erkundigte er sich nach Problem aus dem Bereich der Differential- und Integralrechnung, in dem sich mein Weib wegen ihrer mütterlichen Obliegenheiten nicht recht auskennt. Was die Mädchen betrifft, so legt Bianca reges Interesse für Geschichtsfragen an den Tag, vor allem für die Geschichte unserer Familie und insbesondere dafür, wie aus uns Hermelinen, den dummen kleinen Fellknäueln, Wesen geworden sind, deren Intelligenz die der Menschen weit übertrifft. Ich werde genötigt sein, einen Teil meiner Zeit für biologische und hauptsächlich für genetische Studien zu verwenden, um ihre Fragen hinlänglich beantworten zu können.
Ich möchte nun meine Aufzeichnungen weiterführen, die ich vor einigen Wochen unterbrochen habe, da ich gezwungen war, die Führung des Schiffes zu übernehmen.
In den Stunden der Nachtinspektion war es auch früher schon vorgekommen, daß statt des schlafenden Diensthabenden ich die vom Hirn vorgeschriebenen Bahnkorrekturen vornahm, woran ja nun wirklich nichts Besonderes war, das hätte noch der dümmste Mensch tun können. In der Nacht aber, als ich diese Aufzeichnungen an der Stelle unterbrach, wo ich mich zur Erziehung meiner Kinder äußerte, geschah das Unglück, das ich schon lange befürchtet hatte.
In meinem Arbeitsraum hinter der Armaturenwand hatte ich noch nie zuvor dieses wohltuende, haarsträubende Kitzeln verspürt, das sonst nur der höhere Strahlungspegel in den Gängen des Reaktors auslöste. Ich flitzte – flink wie immer – auf die Schalttafel, wo mein Bruder Herbert, der die ungewöhnliche Geschicklichkeit und den ausgeprägten praktischen Sinn unseres Vaters geerbt hat, bereits am Werk war, um den Fehler zu beseitigen.
Infolge der Unaufmerksamkeit des diensthabenden Technikers sowie der von mir bereits früher entdeckten Konstruktionsfehler war am Reaktor ein Defekt entstanden, und im Schiff wurde eine Strahlungsmenge frei, die uns zwar nicht das geringste ausmachte, für die Menschen jedoch katastrophal hoch war. Glücklicherweise gelang es Herbert, die Explosion zu verhindern, die unseren Frauen und Kindern den sicheren Tod bedeutet hätte, den mit uns reisenden Menschen jedoch half das nicht mehr. Zwei Wochen nach dem Reaktordefekt starb der letzte von ihnen, und als einzige Lebewesen waren nun nur noch wir Hermeline und die Roboter an Bord des Schiffes.
Es kostete mich ziemlich viel Mühe, die Roboter von menschlichen Sprechgeräuschen auf Gedankenstrahlsteuerung umzuprogrammieren; da das Schiff aber zum Zweck der Kontaktaufnahme mit fremden intelligenten Wesen zum Epsilon Eridani flog, war es ausreichend mit Enzephalowellenkommunikatoren ausgestattet. Einen Teil von ihnen bauten wir mit Hilfe des ausgeprägten technischen Sinnes meines Bruders Herbert für die Roboter um, so daß sie unsere Anweisungen verstehen konnten. Wir waren auf sie angewiesen, da die Anlagen und Armaturen des Schiffes für die Größe und die Muskelkraft der Menschen bemessen waren; um sie zu bedienen, mußten wir die Roboter in Anspruch nehmen. Drei Tage nach dem Tode des letzten Menschen – es war Gallo, der Astronom – parierten die Roboter und führten unsere Befehle fehlerfrei aus.
Vor allem ließen wir sie die in den Kabinen liegenden Leichname in den Annihilator tragen, deren Verwesungsgestank die Luft verpestete und unsere Kleinen gefährdete. Insbesondere meine Tochter Edelweiß litt unter dem intensiven Geruch, und obwohl wir ihr erklärten, nun befinde sich kein einziger Toter mehr an Bord, quälte er sie noch lange. Bald entdeckten wir dank ihrem ungeheuer feinen Geruchssinn in einem Winkel der Steuerkabine den Kadaver Guidos, und traurigen Herzens beauftragten wir den Roboter Ludewig, die Überreste unseres liebsten Freundes in den Annihilator zu befördern. Der Luftaustauscher funktionierte gut, und vierundzwanzig Stunden später verriet kein Geruchsmolekül mehr, daß sich irgendwann andere Wesen an Bord befunden hatten als wir Hermeline.
Dem Hirn und uns stellte sich nun die Aufgabe, das Schiff ans Ziel zu bringen. Die Arbeitsteilung ergab sich von selbst: Mein Bruder Herbert übernahm, unterstützt von den Robotern, den mechanischen, Geschicklichkeit erfordernden Teil der Arbeit, während ich mich mit Hilfe des Rechners um die Steuerung und darüber hinaus um die Unterrichtung der Jugend kümmerte, damit sie sich möglichst bald in die Arbeit einschalten könne.
Mein Sohn Harry enttäuschte mich nicht, er entwickelte sich zu einem ausgezeichneten Mathematiker, und die Berechnungen für die Ruhebahn um den II. Planeten konnte ich bereits ruhigen Gewissens ihm übertragen. Bianca konnte sich nur schwer entscheiden, sie interessierte sich gleichermaßen für die Geschichte und die Biologe. Schließlich entsagte sie der Biologie, da Blanchette, Herberts jüngste Tochter, nur für diese Talent bezeugte, während sich Bianca auf die Erforschung der Aufzeichnungen im Bordtagebuch spezialisierte, die sich auf uns bezogen. Edelweiß wiederum wählte, sensibel wie sie ist, die musikalische Laufbahn, Herbert baute ihr großartige elektronische Tonerzeuger, auf denen sie zu unser aller Ergötzen spielte. Sie durchforschte die Musikabteilung des Archivs, und mit der Zeit eignete sie sich eine große Fingerfertigkeit in der Bachschen Fugenkunst an.
Herberts Söhne traten in die Fußstapfen ihres Vaters; sie wurden geschickte Mechaniker und Techniker, legten allerdings keinerlei theoretisches Interesse an den Tag. Ich wußte, daß ich ihnen nach der Landung ruhig die nötigen Umbauarbeiten anvertrauen dürfte, sie kamen mit den Robotern besser zurecht als jeder menschliche Ingenieur. Die Sprachbegabung meiner Schwester Albina erwies sich als unentbehrlich, als wir nach dem Einflug in die Umlaufbahn während der vierten Umrundung Funksignale von den intelligenten Bewohnern des Planeten empfingen. Unter Albinas Anleitung arbeiteten alle freien Kapazitäten des Hirns, alle Einheiten des Rechners und sämtliche Enzephalokommunikatoren Tag und Nacht an der Dekodierung der Signale. Doch die maschinelle Intelligenz hätte nichts bewirkt, wäre ihr nicht Albinas Talent zu Hilfe gekommen. Es gelang!
Bei der neunten Umrundung konnten wir den Lebewesen auf dem Planeten bereits antworten, und nachdem wir unsere Steuerungsapparaturen aufeinander abgestimmt hatten, landeten wir unser Schiff entlang dem Leitradius genau an der angegebenen Stelle, wo unter Einhaltung der entsprechenden Sicherheitsmaßregeln eine nach Millionen zählende Menge mit einer hohen Empfangskommission an der Spitze die Abgesandten der Erde erwartete.
Ich sollte als Rangältester zuerst den Planeten betreten. Blanchette zufolge zeigte eine Analyse der Luftproben, daß die atmosphärische Zusammensetzung fast gänzlich mit der der Erde übereinstimmte, so daß keine Schutzvorrichtung nötig war. Der Strahlungspegel lag kaum über dem der Erde, ihn hätten sogar die Menschen ausgehalten, von uns ganz zu schweigen. Es gab also kein Hindernis, die Roboter herbeizurufen, Ludewig und Balthasar, damit sie die schwere Verschlußkonstruktion der Ausstiegsschleuse öffneten.
Ich trat durch die Schleusentür, und Tränen der Rührung umflorten meine Augen. Die begeisternden Chöre der Menge verstärkten sich in meinen Ohren zu donnerndem Gebraus und unterdrückten nahezu die zirpende, doch klar verständliche Stimme im Kopfhörer des Kommunikators (Herbert hatte ihn für die Abmessungen meines Kopfes umgebaut), die mir die Ansprache des Redners der Empfangskommission übersetzte.
»… kennt unsere Begeisterung, unsere Freude angesichts dieser ersten kosmischen Begegnung, dieses ersten Zusammentreffens mit Vertretern intelligenten Lebens aus Bereichen außerhalb unseres Planeten keine Grenzen. Wir sind höchlichst erfreut, daß unsere Besucher, die Repräsentanten der Erde, nicht Ammoniak atmende und Methan schluckende Siliziumriesen, nicht kristalline Kügelchen, nicht sechsköpfige und zwölfbeinige Elektropolypen oder ähnliche Ungeheuer sind, wie sie sich unsere Verfasser wissenschaftlichphantastischer Romane als Bewohner fremder Himmelskörper vorstellen, sondern ebensolche Eiweißwesen wie wir. Diese grundlegende Ähnlichkeit betrachten wir als ermutigendes Unterpfand dafür, daß auch unser Intellekt ähnlich ist, daß die Lebewesen der Erde über die gleiche erhabene Denkweise, die gleiche hochentwickelte Kultur, Wissenschaft und Kunst verfügen wie wir, daß sie so zivilisiert sind wie wir und daß ihnen alle Aggressivität und alle böse Absicht fernliegt. Diese Begegnung läßt uns hoffen, daß sich eine fruchtbringende Zusammenarbeit herausbilden wird zwischen unserem Planeten und den intelligenten Bewohnern der Erde, und eine solche Zusammenarbeit könnte später das Fundament eines umfassenderen, die gesamte Galaxis umschließenden interstellaren Bündnisses sein. Seid begrüßt, Brüder!«
Dem Redner versagte die Stimme, doch auch ich war gerührt – und mit genau den gleichen Bewegungen griffen wir nach unseren buschigen Schwänzen, um uns die Tränen der Ergriffenheit aus unseren kleinen, schwarzen Perlenaugen zu wischen.