Ágnes Hosszú
Hermann, das Hermelin
Gestatten Sie, daß ich mich vorstelle: Ich bin Hermann, das Hermelin. Da für die Menschen – deren Dummheit übrigens grenzenlos ist – jedes Hermelin sächlichen Geschlechts ist, nannten sie mich ursprünglich Hermine. Mit der Zeit, es dauerte allerdings ziemlich lange, klärte sich das Mißverständnis auf. (Nun ja, bei uns ist es ein wenig umständlich, das Geschlecht zu bestimmen, wenngleich diese Frage meiner Ansicht nach die Menschen am allerwenigsten etwas angeht, sie könnte höchstens ein anderes Hermelin interessieren.) Seither trägt den Namen Hermine mein geliebtes Eheweib, die gegenwärtig in unserem bequemen Käfig mit der Erziehung unserer Kleinen beschäftigt ist.
Meine Familie lebt nunmehr bereits seit fünf Generationen auf dem Schiff, das, in menschlicher Zeitrechnung gemessen, seit siebzehn Jahren unterwegs ist zum II. Planeten des Epsilon Eridani, von wo die Forscher des OZMA-Programms vor fünfundzwanzig Jahren Funksignale empfangen haben, die auf intelligentes Leben schließen lassen. Die Menschen in ihrer unendlichen Dummheit glauben, wir stünden in ihren Diensten. Nun, das ist ein gewaltiger Irrtum. Wir dienen dem Reaktor, dem Hirn und letztlich dem Programm ebenso wie die Menschen. Unser aller gemeinsame Aufgabe ist es, das Schiff heil zum Ziel zu befördern und den Eridaniern die Botschaft der Erde zu überbringen.
Jetzt könnten Sie zwei Fragen stellen: Wie kommt ihr Hermeline dorthin, und woher wißt ihr das alles?Nun: Irgendwann gegen Ende der sechziger Jahre kam das Bedienungspersonal eines englischen Atomreaktors überhaupt nicht mit der Reinigung der entlegeneren, versteckteren Teile des Reaktors und des Steuerungshirns zurecht. In jedem Reaktor gibt es lange, enge, winklige Gänge und Rohre von der Stärke eines menschlichen Unterarms mit zahlreichen Windungen. Sie ließen sich weder mit einem Lappen noch mit einem Federwisch säubern, der Staub setzte sich elektrostatisch an den inneren Rohrwandungen fest, es nützte auch nichts, Luftströme hindurchzublasen, er kam nicht heraus. Man fing an, Reinigungsautomaten zu entwerfen, faustgroße Drehbürstenroboter mit Miniaturteilen, winzigen Batterien und Mechanismen für die Vorwärts- und Rückwärtsbewegung und kleinen selbstprogrammierenden Hirnen. Keine Variante taugte etwas, keine konnte sich flexibel genug der Form der Gänge anpassen, das Hirn ließ sich nicht ausreichend miniaturisieren, kurz und gut, das Roboterchen geizte nicht mit Problemen, obzwar es ein kleines Wunder der Technik war. Und vor allem Unsummen kostete.
Als das sündenteure und nutzlose Wunderwerk den Technikern schon die letzten Nerven geraubt hatte, schlug sich einer der jungen Männer gegen die Stirn und rannte davon. Wenig später kehrte er mit einem Karton unterm Arm zurück, und dem Karton entnahm er ein sanft vor sich hin stinkendes Fellknäuel. In der Nähe nämlich befand sich eine Farm, die Frettchen für die Rattenvertilgung sowie Nerze für die Fellverwertung züchtete. Der junge Bursche hatte für harte fünf Shilling ein Frettchen gekauft, das jagte er nun durch die Gänge und Rohre, und damit war das Problem der Entstaubung spottbillig und vor allem tadelfrei gelöst, der sündhaft teure und untaugliche Automat konnte eingespart werden. Dem jungen Mann wurden die fünf Shilling erstattet, und für die Einsparung dankte man ihm mit einem Schulterklopfen. Es dauerte nicht lange, und die Methode fand in allen Atomkraftwerken Englands Anwendung; Frettchen, das Stück zu fünf Shilling, wurden ein regulärer Haushaltsposten.
Mit der Entwicklung der Technik wurden die Anlagen immer kompakter und die Gänge immer enger. Deshalb ging man von den Frettchen zu den schlankeren, grazileren und viel feinhaarigeren Nerzen und Hermelinen über. Schließlich blieben allein die Hermeline übrig, da sie viel besser als Frettchen und Nerze – von den Menschen ganz zu schweigen – die Strahlung der Reaktoren vertragen. Die Strahlungsdosis, die einen Menschen tödlich erkranken läßt, macht uns Hermelinen nicht das geringste aus.
(Ich muß anmerken, daß die Menschen nicht nur dumm sind – Ehre den wenigen Ausnahmen, wie dem erwähnten jungen Techniker in jenem Atomkraftwerk! –, sie sind auch überaus anfällig und fragwürdig gebaut.)
Und als auf Grund des Berichtes der OZMA-Forscher in achtjähriger Arbeit das Schiff gebaut war und zum Epsilon Eridani II gestartet wurde, war es ganz natürlich, daß mit den Menschen auch eine Hermelinfamilie an Bord ging.
Hier wollen wir bitte eine Minute stillen
Gedenkens an meinen Urururgroßvater einlegen.
Ich danke Ihnen.
Mein Urururgroßvater nahm also seinen Platz auf dem Schiff ein und trat in die Dienste des Reaktors und des Steuerungshirns. Pflichtbewußt spazierte er Tag für Tag durch die Gänge, um sie zu inspizieren; mit seinem lebendigen, seidigen, weichen Fell wischte er die Wände ab, und mit seinem buschigen Schwanz entfernte er selbst die allerletzten Staubkörnchen. Ehrerbietig ordnete er sich dem Hirn unter, gewissenhaft erfüllte er seine Aufgabe, und die Menschen, die in ihrer massiven Dummheit vermeinten, er diene ihnen, zollten ihm höchsten Respekt. Mein Urururgroßvater jedoch würdigte sie keines Blickes, er betrachtete das Hirn als seinen Herrn und Gebieter und diente ihm mit der würdevollen Ergebenheit eines königlichen Kammerdieners. Ein Gleiches taten später mein Ururgroßvater und mein Urgroßvater, die ihn ablösten, als er alt wurde, so daß es ihm seine steifer werdenden Gelenke nicht mehr gestatteten, sich wie ein Lakai dienstfertig zu winden.
Woher ich das alles weiß?
Meine ehrenwerten Ahnen versahen über Generationen ihren Dienst an
Hirn und Reaktor. Bei der Verrichtung ihrer alltäglichen Arbeit
waren sie beträchtlichen Strahlungsmengen ausgesetzt, unter denen
sich ihr Fell wohlig sträubte, und obwohl sie keine
gesundheitlichen Schäden erlitten – dank der diesbezüglichen
Widerstandsfähigkeit unseres Organismus, wie ich erwähnte –, traten
doch gewisse Veränderungen in ihrer genetischen Substanz ein. Da
auf dem Schiff ausschließlich unsere Familie lebte und deshalb
meine weiblichen Urahnen die Nichten meiner männlichen Urahnen
waren, summierten sich dank den engen Verwandtschaftsehen diese
kleinen Veränderungen bereits bei meinem Großvater, und sie
bewirkten vor allem eine kräftige Entwicklung seines
Gehirns.
In der Tat, mein Großvater war eine außerordentliche
Persönlichkeit. Als erster in der Familie diente er dem Hirn nicht
nur, sondern er studierte es auch. Er untersuchte es systematisch,
Teil für Teil, er vertiefte sich in seine Funktionsweise, und
nachts (wenn der Offizier vom Dienst in seinem weichen, bequemen
Sessel eingenickt war) spazierte er auf das Armaturenbrett, um die
Zusammenhänge zwischen dem Stand der Zeiger zu ergründen. Seine
Kenntnisse gab er an meinen Vater weiter, dessen Wissensdurst
gleichfalls unersättlich war und der sich zudem einer
außergewöhnlichen Geschicklichkeit rühmen konnte. Den Menschen fiel
das nicht auf, ebensowenig, daß er von Kindesbeinen an interessiert
ihren Gesprächen lauschte und einwandfrei ihre Sprache verstand.
Unsere tonbildenden Organe sind nicht imstande, menschliche
Sprechgeräusche zu erzeugen, deshalb versuchen wir nicht erst,
sprechen zu lernen; mein Vater allerdings zeigte auch nie die
geringste Neigung, den Menschen sein Wissen zur Kenntnis zu bringen
– er hielt sie dessen einfach nicht für würdig. Dagegen öffnete er
mir die volle Schatzkammer seiner reichen Erfahrungen und
Kenntnisse, und meine Ambition war es, mich meiner ehrenwerten
Ahnen nicht unwürdig zu erweisen.
Von früher Kindheit an erfüllte mich ein tiefes Interesse für die
Mathematik. Ich war bestrebt, das vorzugsweise praktische Wissen
meines Vaters und meines Großvaters durch mathematische Studien zu
ergänzen. Das Schiff führte – hauptsächlich aus Gründen der Platz-
und Gewichtseinsparung – nicht Bücher, sondern Quarzkristalle mit
sich, die ich mit Leichtigkeit in die Leseapparatur einlegen
konnte, und so nutzte ich die Nachtstunden, die die
Schiffsmannschaft in den Kabinen verbrachte, für meine
Studien.
Wir konnten von Glück reden, daß die Tür unseres gemütlichen Käfigs
nie geschlossen wurde, so daß wir uns vor und nach unserem Dienst
ganz frei an Bord des Schiffes bewegen konnten. Die Menschen sahen
unsere schlanken, graziösen Gestalten gern durch die Flure, die
Kabinen oder den Steuerraum huschen (wir sie viel weniger gern),
und der Diensthabende war glücklich, wenn sich während der langen
und zumeist langweiligen Stunden seines Dienstes eine meiner
Schwestern in seinen Schoß kuschelte und duldete, daß er mit seinen
dicken Menschenfingern ihr seidenweiches Fell
streichelte.
Ich war nicht gewillt, mich zu solchen Verbrüderungen
herabzulassen, lieber durchstöberte ich im Zuge meiner
systematischen Entdeckungstouren alle Ecken und Winkel des
Schiffes, um mich mit ihm in allen Einzelheiten vertraut zu machen.
Verschlossene Türen störten mich nicht, denn durch die
Lüftungsöffnungen konnte ich in jeden Raum eindringen, selbst in
den allerheiligsten, den zentralen Steuerraum. Diese Möglichkeit
nutzte ich redlich aus, und ich wage zu behaupten, daß die
Bordingenieure den Kasten nicht annähernd so gründlich kennen wie
ich. Ich suchte die technischen Daten aus dem Speicher heraus und
befaßte mich eingehend mit den statischen Berechnungen. Ferner sah
ich mir die Kalkulationen für den Reaktor an, wobei ich in den
Ableitungen mehrere zwar nicht schwerwiegende, aber doch
bemerkenswerte Fehler entdeckte. Mich empörte die
Verantwortungslosigkeit der Menschen, einen so unvollkommenen,
wackligen Kahn auf Reisen zu schicken und damit das Leben meiner
Angehörigen aufs Spiel zu setzen.
Als ich diese Entdeckung machte, wäre es für eine Umkehr leider
schon zu spät gewesen, und so blieb uns die einzige Hoffnung, daß
wir, am Ziel angekommen, auch die Landung überleben würden. Danach
würden die nach meinen Berechnungen notwendigen Änderungen am
Reaktor vorgenommen werden können, damit er sicher funktionierte.
Nun ja, überstürztes Arbeiten bringt nichts ein, für die
Projektierung und Realisierung dieses Klapperkastens waren nicht
mehr als acht Jahre vorgesehen, man merkt es dem Kahn an. Wenn man
die jämmerlichen geistigen Fähigkeiten des Menschen kennt, weiß
man, daß in so kurzer Zeit keine solide Arbeit geleistet werden
kann. Sogar ich benötigte nahezu ein ganzes Jahr, bis ich mit Hilfe
des leistungsschwachen Bordrechners die erforderlichen Korrekturen
berechnet hatte. Diese Berechnungen nehmen im Speicher des Hirns
fast einen ganzen Sektor ein, und die zugehörigen Zeichnungen
füllen selbst in kleinster Verkleinerung das ganze Notizbuch des
Navigators, das ich eines Abends auf dem Flur zu den Kabinen
fand.
Der Navigator übrigens muß sich seither necken lassen, sein
Notizbuch hätten unsichtbare Taschendiebe aus dem interstellaren
Raum gemopst, denn des Büchleins wegen stellte er das halbe Schiff
auf den Kopf, knurrig wie sonst nur Guido, der Zwergpudel des
Schiffes, was für eine Schweinerei es sei, so etwas zu klauen, er
habe das Notizbuch extra für die Reise von seiner Mama geschenkt
bekommen.
Ich kann verstehen, daß ihn der Verlust schmerzt, aber ich wollte
ihm das Notizbuch schon deshalb nicht zurückgeben, weil darin ein
kleiner Druckbleistift steckte, vielleicht vier Millimeter dick und
nicht länger als drei oder vier Zentimeter. (Da der Navigator in
seinem Ärger die Ersatzminen in den Papierkorb geworfen hat, woraus
ich sie mir geholt habe, bevor der Korb geleert wurde und die Minen
mitsamt dem anderen Abfall im Annihilator landen konnten, ist auch
das Nachfüllproblem gelöst.) Ich war sehr froh, denn alles andere
Schreibgerät an Bord ist für die groben, großen Hände der Menschen
bemessen und zu schwer und dick für meine zarten kleinen
Finger.
Im Navigationsraum fand ich stets Papier zum Beschreiben, und in
meinem Arbeitswinkel hinter der Armaturenwand der Reaktorkammer
häufen sich die dichtbeschriebenen Viertelblätter (ich holte mir
aus dem biologischen Labor ein kleines Insektenskalpell zum
Zerschneiden des Papiers). Ich muß mich beeilen, all mein Wissen
niederschreiben, denn mein innig geliebtes Eheweib, Hermine, hört
demnächst auf, unsere Kleinen zu stillen, und dann muß ich meine
Kenntnisse meinem Sohn Harry übergeben. Es ist an der Zeit, mit der
systematischen Unterrichtung der Kinder zu beginnen, denn sie
verraten bereits außergewöhnliche Fähigkeiten; zwischen zwei
Stillmahlzeiten stellen sie so viele Fragen, daß meine Hermine ihre
Mühe hat, sie alle zu beantworten. Harry kann schon im Kopf
Kubikwurzeln ziehen, und gestern erkundigte er sich nach Problem
aus dem Bereich der Differential- und Integralrechnung, in dem sich
mein Weib wegen ihrer mütterlichen Obliegenheiten nicht recht
auskennt. Was die Mädchen betrifft, so legt Bianca reges Interesse
für Geschichtsfragen an den Tag, vor allem für die Geschichte
unserer Familie und insbesondere dafür, wie aus uns Hermelinen, den
dummen kleinen Fellknäueln, Wesen geworden sind, deren Intelligenz
die der Menschen weit übertrifft. Ich werde genötigt sein, einen
Teil meiner Zeit für biologische und hauptsächlich für genetische
Studien zu verwenden, um ihre Fragen hinlänglich beantworten zu
können.
Ich möchte nun meine Aufzeichnungen weiterführen, die ich vor
einigen Wochen unterbrochen habe, da ich gezwungen war, die Führung
des Schiffes zu übernehmen.
In den Stunden der Nachtinspektion war es auch früher schon
vorgekommen, daß statt des schlafenden Diensthabenden ich die vom
Hirn vorgeschriebenen Bahnkorrekturen vornahm, woran ja nun
wirklich nichts Besonderes war, das hätte noch der dümmste Mensch
tun können. In der Nacht aber, als ich diese Aufzeichnungen an der
Stelle unterbrach, wo ich mich zur Erziehung meiner Kinder äußerte,
geschah das Unglück, das ich schon lange befürchtet
hatte.
In meinem Arbeitsraum hinter der Armaturenwand hatte ich noch nie
zuvor dieses wohltuende, haarsträubende Kitzeln verspürt, das sonst
nur der höhere Strahlungspegel in den Gängen des Reaktors auslöste.
Ich flitzte – flink wie immer – auf die Schalttafel, wo mein Bruder
Herbert, der die ungewöhnliche Geschicklichkeit und den
ausgeprägten praktischen Sinn unseres Vaters geerbt hat, bereits am
Werk war, um den Fehler zu beseitigen.
Infolge der Unaufmerksamkeit des diensthabenden Technikers sowie
der von mir bereits früher entdeckten Konstruktionsfehler war am
Reaktor ein Defekt entstanden, und im Schiff wurde eine
Strahlungsmenge frei, die uns zwar nicht das geringste ausmachte,
für die Menschen jedoch katastrophal hoch war. Glücklicherweise
gelang es Herbert, die Explosion zu verhindern, die unseren Frauen
und Kindern den sicheren Tod bedeutet hätte, den mit uns reisenden
Menschen jedoch half das nicht mehr. Zwei Wochen nach dem
Reaktordefekt starb der letzte von ihnen, und als einzige Lebewesen
waren nun nur noch wir Hermeline und die Roboter an Bord des
Schiffes.
Es kostete mich ziemlich viel Mühe, die Roboter von menschlichen
Sprechgeräuschen auf Gedankenstrahlsteuerung umzuprogrammieren; da
das Schiff aber zum Zweck der Kontaktaufnahme mit fremden
intelligenten Wesen zum Epsilon Eridani flog, war es ausreichend
mit Enzephalowellenkommunikatoren ausgestattet. Einen Teil von
ihnen bauten wir mit Hilfe des ausgeprägten technischen Sinnes
meines Bruders Herbert für die Roboter um, so daß sie unsere
Anweisungen verstehen konnten. Wir waren auf sie angewiesen, da die
Anlagen und Armaturen des Schiffes für die Größe und die
Muskelkraft der Menschen bemessen waren; um sie zu bedienen, mußten
wir die Roboter in Anspruch nehmen. Drei Tage nach dem Tode des
letzten Menschen – es war Gallo, der Astronom – parierten die
Roboter und führten unsere Befehle fehlerfrei aus.
Vor allem ließen wir sie die in den Kabinen liegenden Leichname in
den Annihilator tragen, deren Verwesungsgestank die Luft verpestete
und unsere Kleinen gefährdete. Insbesondere meine Tochter Edelweiß
litt unter dem intensiven Geruch, und obwohl wir ihr erklärten, nun
befinde sich kein einziger Toter mehr an Bord, quälte er sie noch
lange. Bald entdeckten wir dank ihrem ungeheuer feinen Geruchssinn
in einem Winkel der Steuerkabine den Kadaver Guidos, und traurigen
Herzens beauftragten wir den Roboter Ludewig, die Überreste unseres
liebsten Freundes in den Annihilator zu befördern. Der
Luftaustauscher funktionierte gut, und vierundzwanzig Stunden
später verriet kein Geruchsmolekül mehr, daß sich irgendwann andere
Wesen an Bord befunden hatten als wir Hermeline.
Dem Hirn und uns stellte sich nun die Aufgabe, das Schiff ans Ziel
zu bringen. Die Arbeitsteilung ergab sich von selbst: Mein Bruder
Herbert übernahm, unterstützt von den Robotern, den mechanischen,
Geschicklichkeit erfordernden Teil der Arbeit, während ich mich mit
Hilfe des Rechners um die Steuerung und darüber hinaus um die
Unterrichtung der Jugend kümmerte, damit sie sich möglichst bald in
die Arbeit einschalten könne.
Mein Sohn Harry enttäuschte mich nicht, er entwickelte sich zu
einem ausgezeichneten Mathematiker, und die Berechnungen für die
Ruhebahn um den II. Planeten konnte ich bereits ruhigen Gewissens
ihm übertragen. Bianca konnte sich nur schwer entscheiden, sie
interessierte sich gleichermaßen für die Geschichte und die
Biologe. Schließlich entsagte sie der Biologie, da Blanchette,
Herberts jüngste Tochter, nur für diese Talent bezeugte, während
sich Bianca auf die Erforschung der Aufzeichnungen im Bordtagebuch
spezialisierte, die sich auf uns bezogen. Edelweiß wiederum wählte,
sensibel wie sie ist, die musikalische Laufbahn, Herbert baute ihr
großartige elektronische Tonerzeuger, auf denen sie zu unser aller
Ergötzen spielte. Sie durchforschte die Musikabteilung des Archivs,
und mit der Zeit eignete sie sich eine große Fingerfertigkeit in
der Bachschen Fugenkunst an.
Herberts Söhne traten in die Fußstapfen ihres Vaters; sie wurden
geschickte Mechaniker und Techniker, legten allerdings keinerlei
theoretisches Interesse an den Tag. Ich wußte, daß ich ihnen nach
der Landung ruhig die nötigen Umbauarbeiten anvertrauen dürfte, sie
kamen mit den Robotern besser zurecht als jeder menschliche
Ingenieur. Die Sprachbegabung meiner Schwester Albina erwies sich
als unentbehrlich, als wir nach dem Einflug in die Umlaufbahn
während der vierten Umrundung Funksignale von den intelligenten
Bewohnern des Planeten empfingen. Unter Albinas Anleitung
arbeiteten alle freien Kapazitäten des Hirns, alle Einheiten des
Rechners und sämtliche Enzephalokommunikatoren Tag und Nacht an der
Dekodierung der Signale. Doch die maschinelle Intelligenz hätte
nichts bewirkt, wäre ihr nicht Albinas Talent zu Hilfe gekommen. Es
gelang!
Bei der neunten Umrundung konnten wir den Lebewesen auf dem
Planeten bereits antworten, und nachdem wir unsere
Steuerungsapparaturen aufeinander abgestimmt hatten, landeten wir
unser Schiff entlang dem Leitradius genau an der angegebenen
Stelle, wo unter Einhaltung der entsprechenden Sicherheitsmaßregeln
eine nach Millionen zählende Menge mit einer hohen
Empfangskommission an der Spitze die Abgesandten der Erde
erwartete.
Ich sollte als Rangältester zuerst den Planeten betreten.
Blanchette zufolge zeigte eine Analyse der Luftproben, daß die
atmosphärische Zusammensetzung fast gänzlich mit der der Erde
übereinstimmte, so daß keine Schutzvorrichtung nötig war. Der
Strahlungspegel lag kaum über dem der Erde, ihn hätten sogar die
Menschen ausgehalten, von uns ganz zu schweigen. Es gab also kein
Hindernis, die Roboter herbeizurufen, Ludewig und Balthasar, damit
sie die schwere Verschlußkonstruktion der Ausstiegsschleuse
öffneten.
Ich trat durch die Schleusentür, und Tränen der Rührung umflorten
meine Augen. Die begeisternden Chöre der Menge verstärkten sich in
meinen Ohren zu donnerndem Gebraus und unterdrückten nahezu die
zirpende, doch klar verständliche Stimme im Kopfhörer des
Kommunikators (Herbert hatte ihn für die Abmessungen meines Kopfes
umgebaut), die mir die Ansprache des Redners der Empfangskommission
übersetzte.
»… kennt unsere Begeisterung, unsere Freude angesichts dieser
ersten kosmischen Begegnung, dieses ersten Zusammentreffens mit
Vertretern intelligenten Lebens aus Bereichen außerhalb unseres
Planeten keine Grenzen. Wir sind höchlichst erfreut, daß unsere
Besucher, die Repräsentanten der Erde, nicht Ammoniak atmende und
Methan schluckende Siliziumriesen, nicht kristalline Kügelchen,
nicht sechsköpfige und zwölfbeinige Elektropolypen oder ähnliche
Ungeheuer sind, wie sie sich unsere Verfasser
wissenschaftlichphantastischer Romane als Bewohner fremder
Himmelskörper vorstellen, sondern ebensolche Eiweißwesen wie wir.
Diese grundlegende Ähnlichkeit betrachten wir als ermutigendes
Unterpfand dafür, daß auch unser Intellekt ähnlich ist, daß die
Lebewesen der Erde über die gleiche erhabene Denkweise, die gleiche
hochentwickelte Kultur, Wissenschaft und Kunst verfügen wie wir,
daß sie so zivilisiert sind wie wir und daß ihnen alle
Aggressivität und alle böse Absicht fernliegt. Diese Begegnung läßt
uns hoffen, daß sich eine fruchtbringende Zusammenarbeit
herausbilden wird zwischen unserem Planeten und den intelligenten
Bewohnern der Erde, und eine solche Zusammenarbeit könnte später
das Fundament eines umfassenderen, die gesamte Galaxis
umschließenden interstellaren Bündnisses sein. Seid begrüßt,
Brüder!«
Dem Redner versagte die Stimme, doch auch ich war gerührt – und mit
genau den gleichen Bewegungen griffen wir nach unseren buschigen
Schwänzen, um uns die Tränen der Ergriffenheit aus unseren kleinen,
schwarzen Perlenaugen zu wischen.