4
Diesmal waren das Clubhaus wie das danebenliegende Haus – in dem der Bootsmann wohnte, wie Marc erklärte – völlig verlassen. Nicht einmal die Putzfrau machte sich dort zu schaffen, kein Auto parkte auf dem Parkplatz, kein Fahrrad lehnte am Zaun. In der Stille des winterlichen Vormittags waren nur die Rufe einiger Wasservögel zu hören. Jenseits des Flusses schob sich die Sonne den Horizont hinauf, zerteilte mit ihren Strahlen letzte feine Wolkenschleier am Himmel. Ab und zu strich ein Windhauch über die Wellen, dann bewegten sich die Boote entlang der beiden Stege.
»Unverändert«, sagte Marc. Er war ein Stück oberhalb der Gebäude auf dem sandigen Weg, der zum Ufer hinunterführte, stehen geblieben und betrachtete das Stillleben, das vor ihm lag. »Als wäre kein Tag vergangen. Es riecht sogar noch genauso wie früher.«
Rosanna, die schräg hinter ihm stand, versuchte, die Szene mit seinen Augen zu sehen. Dachte er an unbeschwerte Wochenenden, die er einst mit Frau und Sohn hier verbracht hatte? Sah er sie alle drei vor sich, wie sie das Boot fertig machten? Josh, in Shorts und T-Shirt, fröhlich und glücklich, beide Eltern um sich zu haben. Die schöne Jacqueline, die wahrscheinlich mit einem Sortiment Bleistifte und Zeichenhefte an Bord ging, um Bilder und Stimmungen anzufangen und in Skizzen festzuhalten. Er selbst, Marc, der sich auf ein paar entspannte Stunden freute.
Aber vielleicht war es so gar nicht gewesen. Vielleicht waren auch harmlose gemeinsame Wochenendunternehmungen von Streit und Anschuldigungen überschattet gewesen. Vielleicht hatte Jacqueline auch auf dem Schiff nicht aufgehört, Verdächtigungen auszusprechen und Vorhaltungen zu machen. Vielleicht waren es keineswegs fröhliche Bilder, die Marc vor sich sah.
»Wann warst du zuletzt hier?«, fragte sie.
Er überlegte. »Ich glaube, das war schon eine ganze Weile vor unserer Trennung. Die Wochenenden hier im Club fielen auch nach und nach meiner Arbeitswut zum Opfer, außerdem funktionierte es in unserer Ehe immer schlechter. Jacqueline war schließlich meist nur noch allein mit Josh hier.«
»Hast du es vermisst? Das Boot? Die Freunde?«
»Nach der Trennung habe ich nur noch Josh vermisst. Für etwas anderes war gar kein Raum.«
Sie gingen den Weg weiter hinunter. Der Geruch des Wassers wurde stärker. Marc atmete tief. Er hatte die Macht der Erinnerungen, die ihn an diesem Ort befielen, unterschätzt. Er fand es anstrengend, hier zu sein. Josh hatte das Spielen am Fluss geliebt. Er sah ihn vor sich, wie er Kanäle anlegte, Staudämme baute, ganze Städte aus Erde und Lehm entlang der Böschung entstehen ließ – schnaufend vor Eifer, die Zunge zwischen die Zähne geschoben.
Manchmal hatte sein Vater ihm geholfen, in jenen seltenen Sternstunden, die Beruf und Karriere zuließen.
Er fragte sich, ob Josh an jene Stunden dachte, und ob er es mit einem guten Gefühl tat. Oder waren sie untergegangen und verschwunden in der Erinnerung an einen Vater, der von Termin zu Termin eilte und sich kaum ansprechen ließ – einen Vater, der diese Bezeichnung nicht verdient hatte?
Er wandte sich zu Rosanna um und bemerkte, dass sie ein Stück zurückgeblieben war, ihr Handy am Ohr hatte und mit jemandem sprach. Er hatte das Klingeln nicht gehört, aber er war auch ganz versunken gewesen in eigene Gedanken. Er betrachtete sie. Die Nacht hatte ihr gutgetan, es ging ihr besser als am Vorabend. Sie hatte am Morgen kein Fieber mehr gehabt. Ihm wäre es lieber gewesen, sie hätte den Plan, noch einmal nach Wiltonfield zu kommen, fallen gelassen. Er wünschte, sie würde sich von der ganzen Elaine-Geschichte endlich verabschieden. Wenn es eine gemeinsame Zukunft für sie beide geben sollte, mussten sie Ruhe finden, ohnehin gab es genug Probleme, die auf sie zukommen würden.
Aber vielleicht, dachte er plötzlich, spielt auch gerade das eine Rolle. Das Bewusstsein, welche Hindernisse vor uns liegen. Sie ist verheiratet, und der Gedanke an die Klärung dieser ganzen Situation liegt wahrscheinlich als Zentnergewicht auf ihrer Brust. Solange sie sich mit Elaine beschäftigt, kann sie der Notwendigkeit, sich dieser Last zu stellen, eher ausweichen.
Sie hatte das Gespräch beendet und kam auf ihn zu. Sie sah bedrückt aus.
»Das war Marina. Die Exfreundin meines Mannes. Robs Mutter. Es gibt Probleme mit Rob, er muss völlig durcheinander sein und will unbedingt zu mir. Nicht zu seinem Vater, nicht zu ihr. Nur zu mir.«
»Dann solltest du vielleicht …«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe gesagt, dass ich heute Nachmittag zu ihr komme. Bis dahin muss er warten.«
Sie liefen zum Clubgelände hinunter. Marc besaß noch seine alten Schlüssel, hatte aber vorsorglich gewarnt, dass in der Zwischenzeit natürlich die Schlösser hätten ausgewechselt werden können. Tatsächlich aber hatten sie Glück: Das Tor, das die Anlage unzugänglich machte, öffnete sich. Sie durchquerten das Gebäude, das Rosanna nun schon kannte, und betraten den Anlegesteg. Er lag im hellen Sonnenschein. Die sauberen kleinen Boote glänzten. Auf einigen thronten Möwen, die, vom Meer kommend, dem Fluss bis tief ins Landesinnere gefolgt waren.
»Sogar das Schiff ist noch an seinem alten Platz«, stellte Marc fest, als sie das Ende des Stegs erreicht hatten und vor der Heaven's Gate standen. »Hier hat sich wirklich überhaupt nichts verändert.«
»Können wir mal raufgehen?«, fragte Rosanna.
Er zögerte. »Es gehört mir nicht. Offenbar ja nicht einmal mehr Jacqueline.«
»Aber hier ist kein Mensch. Und was sollte der neue Eigentümer auch dagegen haben? Du könntest sagen, du wolltest dir aus sentimentalen Gründen das Schiff noch einmal ansehen.«
»Aber wir müssen die ganze Plane abnehmen.«
»Es kommt doch keiner«, drängte sie.
Er gab nach. Sie beobachtete, wie er mit geschickten, schnellen Bewegungen die Abdeckplane losknotete und hinten in der offenen Kajüte verstaute. Das Schiff war ihm vertraut, das war deutlich zu sehen. Aber sie erkannte auch, dass ihm nicht wohl dabei war. Er hätte die ganze Aktion – in der er keinen Sinn sah – am liebsten abgebrochen. Sie selbst hätte ihm nicht erklären können, weshalb sie auf das Schiff wollte. Sie folgte einem Gefühl. Dem Gefühl, dass sie hier, in Wiltonfield und auf diesem Schiff, der Antwort auf die Frage nach Elaines Verbleib würde näherkommen können. Wobei sie keine Ahnung hatte, ob das, was sie als Gefühl bezeichnete, nicht in Wahrheit nur eine Wunschvorstellung war, die sie am Ende um nicht einen Schritt weiterbrachte.
Sie folgte Marc auf das Schiff. Jetzt, da die Plane entfernt war, schlug modriger Geruch von den Planken hinauf.
»Glaubst du, hier war jemand den Winter über?«, fragte sie.
Er zuckte die Schultern. »Kann man nicht sagen. Es scheint mir eher nicht so. Aber bei Kälte und Nebel zu segeln, ist auch nicht wirklich ansprechend.«
»Können wir ein kleines Stück auf den Fluss hinaus?«
»Was denn noch alles?« Er fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. »Warum, Rosanna? Was glaubst du zu entdecken? Was glaubst du herauszufinden?«
Ebendas konnte sie nicht erklären. »Ich möchte etwas fühlen. Falls Jacqueline an jenem Morgen hinausgefahren ist, dann möchte ich wissen, wie sich das angefühlt hat.«
»Was soll das bringen?«
»Ich weil? es nicht. Vielleicht gar nichts. Ich habe das Gefühl, dass das Schiff wichtig ist. Mehr kann ich nicht erklären. «
»Auf dem Wasser ist es sehr kalt. Viel kälter als hier an Land. Und du bist schon krank. Ich fürchte, alles, was bei diesem Unternehmen herauskommt, wird eine Lungenentzündung bei dir sein. Mehr nicht.«
Sie betrachtete die braune Holzverschalung, aus deren rückwärtiger Wand das Ruder ragte. Auf dem Boden in der Plicht befand sich eine Klappe, die mit einem Vorhängeschloss versehen war.
»Da ist der Motor drinnen, oder?«
»Ja.«
»Hast du den Schlüssel für das Vorhängeschloss?«
»Ich habe den Schlüssel für das Schloss, das wir damals benutzt haben. Der neue Eigentümer hat es sicher längst ausgetauscht.«
»Probier es. Wenn es nicht klappt, können wir nichts machen. Ich verspreche dir, wir verlassen dann das Boot, fahren nach London zurück, und ich fange nie wieder von dieser ganzen Sache an.«
Er fluchte leise, zog seinen Schlüsselbund erneut aus seiner Jackentasche. Autoschlüssel, Wohnungsschlüssel, Büroschlüssel. Es gab noch einen kleinen, viereckigen Schlüssel. Er steckte ihn in das Schloss. Es sprang auf.
»Bingo!«, rief Rosanna.
Er betrachtete das offene Schloss mit einem Gesichtsausdruck, der zwischen Ärger und Resignation schwankte. »Und du möchtest jetzt den Fluss entlangtuckern? Mit einem Schiff, das uns nicht gehört? Weißt du, dass wir in Teufels Küche kommen können?«
»Wir müssen doch gar nicht wissen, dass es Jacqueline nicht mehr gehört. Du zumindest musst es nicht wissen.«
»Das ist doch Blödsinn. Was versuchst du da? Eine Situation zu rekonstruieren? Jacqueline und Elaine an einem Januarmorgen vor fünf Jahren auf diesem Schiff? Was, glaubst du, wird passieren? Denkst du, es kommt plötzlich eine Erleuchtung über dich?«
Sie stand ihm gegenüber auf dem leise schwankenden Schiff, ließ plötzlich die Schultern sinken.
»Vielleicht hast du recht. Vielleicht … habe ich mich verrannt. «
Sie sah frustriert und elend aus. Was sicherlich ebenso sehr an ihrer heftigen Erkältung lag wie an der Enttäuschung, und dennoch tat sie ihm plötzlich leid. Und noch etwas ging ihm auf: Sie musste hier, an diesem Ort, mit etwas abschließen. Für sich selbst etwas klären, was sie anderen gegenüber, und vielleicht sogar vor sich selbst, nicht in Worte fassen konnte. Letztlich ging es womöglich nur darum, Abschied von Elaine zu nehmen und von der Hoffnung, ihr Schicksal aufklären zu können.
»Ich versuche, ob der Motor anspringt«, sagte er, »und wenn ja, dann fahren wir ein Stück raus. Wenn nein – dann werde ich nicht auch noch losgehen und von den anderen Schiffen hier Sprit klauen. Okay? Wenn wir kein Benzin haben, fahren wir nach Hause und vergessen das alles.«
Sie nickte.
Beim dritten Versuch sprang der Motor rumpelnd und stolpernd an.
»Hilf mir, die Festmacher loszubinden«, sagte Marc. »Wir stechen in See.«
Marc hatte recht gehabt, über dem Fluss wehte ein sehr kalter Wind. Rosanna kuschelte sich tiefer in ihre Jacke, schlang beide Arme um sich. Sie zog ihre Wollmütze in die Stirn und wünschte, sie hätte auf Marc gehört: Nach diesem Abenteuer würde sie vermutlich erst richtig krank sein.
Das Schiff machte eine langsame Fahrt. Sie nahmen die gleiche Strecke, die Jacqueline – oder wer auch immer – an jenem Morgen genommen haben musste. Sanfthügelige Wiesen entlang des Ufers, große, alte Weidenbäume, hier und da dichte Schilfgürtel, dann wieder Kieselsteine, über die sanft das Wasser schwappte. Immer wieder ein Dorf, dann ein um diese Jahreszeit noch im Winterschlaf liegendes Städtchen. Sie sahen einen einsamen Radfahrer, der sich den offenbar sehr holprigen Treidelpfad oben auf der Böschung entlangkämpfte. Zwischendurch aber war nur Einsamkeit. Kein Hinweis darauf, dass sie sich noch immer nicht allzu weit von der riesigen Metropole London entfernt befanden. Sie waren mitten auf dem Land, mitten im Nirgendwo. Völlig allein.
Kurz bevor sie Purley erreichten, fragte Marc: »Willst du auch noch durch die Schleuse? Das kann nämlich dauern. «
Sie schüttelte den Kopf, müde plötzlich und resigniert. »Nein. Das muss nicht sein.«
Sie kauerte auf der Sitzbank und überlegte, wie sich Jacqueline Reeve fünf Jahre zuvor gefühlt haben mochte. Eine vielleicht schon tote Elaine an Bord, ungeduldig und nervös überlegend, ob es ihr wohl gelingen würde, die Mapledurham-Schleuse rasch zu passieren. Die Last loszuwerden, Beweise zu vernichten. Zitternd vor Hass auf ihren Mann, verzweifelt, weil dieser Hass sie zu einer schrecklichen Tat getrieben hatte.
Es musste noch winterliche Dämmerung geherrscht haben, der Tag war wohl gerade erst grau, neblig und schwerfällig am östlichen Horizont heraufgekrochen. Eine Vergnügungsfahrt schien Rosanna ausgeschlossen. Es war für sie fast nicht vorstellbar, dass die Fahrt der Heaven's Gate in den frühen Morgenstunden des 11. Januar 2003 einen harmlosen Hintergrund gehabt haben konnte.
Als könne er ihre Gedanken lesen, sagte Marc, der am Steuer saß: »Es wäre unbedingt wichtig, den genauen Zeitpunkt des Schiffsverkaufs herauszufinden. Angenommen, er hat ganz kurz vor dem entscheidenden Datum stattgefunden, dann hielte ich es für denkbar, dass der neue Eigentümer, beglückt über den Erwerb, mit dem Schiff sogar einen Ausflug zu einer äußerst ungewöhnlichen Zeit unternimmt. Oder der Verkauf stand kurz bevor, dann könnte es sich auch um eine Probefahrt gehandelt haben.«
»Um diese Uhrzeit? Im Winter?«
Er zuckte die Schultern. »Wenn sich kein anderer Termin für Jacqueline und den Käufer finden ließ? Sie war damals ständig, gerade an den Wochenenden, bei ihrer Mutter in Cambridge. Es war ein Samstag. Der Tag war voll verplant, sie konnte nur diese unmöglich frühe Uhrzeit anbieten. Hältst du das für so abwegig?«
Sie wusste, dass es nicht abwegig war. Für viele seltsame Verhaltensweisen von Menschen gab es überraschend harmlose Erklärungen, schaute man erst einmal hinter die Fassade. Vielleicht war die Einzige, die eine völlig absurde Theorie anbot, sie selbst.
»Ist es in Ordnung, wenn wir wieder umkehren?«, fragte Marc. »Es wäre mir ganz lieb, wenn wir das Schiff wieder im Club und dort festgemacht hätten, ehe irgendjemand auftaucht. Ich glaube wirklich nicht, dass wir uns allzu leicht aus dieser Geschichte würden herausreden können.«
Sie wusste, dass er recht hatte. Es hatte keinen Sinn, noch länger auf dem Fluss zu verweilen. Die Erleuchtung kam nicht. Das Unbehagen blieb, aber ob es berechtigt war oder nicht, hätte sie auch jetzt nicht zu sagen vermocht.
»Ich denke, wir fahren zurück«, sagte sie. »Es war wahrscheinlich eine dumme Idee von mir, diesen … Ausflug zu inszenieren. Es hat mich nicht weitergebracht.«
Es war gegen zehn Uhr, als der Yachtclub wieder in ihre Sichtweite geriet. Noch immer schien sich niemand dort aufzuhalten. Fenster und Türen wirkten fest verschlossen, und soweit Rosanna das erkennen konnte, parkte kein Auto auf dem höher gelegenen Parkplatz. Sie hatten Glück, niemand würde etwas von ihrer Spritztour erfahren.
»Ich weiß, was ich tun werde«, sagte sie. »Ich werde mich endgültig von dieser ganzen Geschichte verabschieden. Ich kann dieses quälende Herumrätseln und Grübeln nicht länger aushalten. Ich habe mich emotional zu tief verstrickt. Ich möchte davon wieder frei werden.«
Sie saßen einander dicht gegenüber. Marc betrachtete sie forschend. »Es wird schwierig«, sagte er, »denn du bist schon sehr weit gegangen.«
»Ich weiß. Aber ich werde das schon schaffen.«
»Aber …«
»Ich werde Inspector Fielder anrufen. Ich werde ihm sagen, was ich herausgefunden habe – dass das Schiff deiner Exfrau an jenem Morgen diese mysteriöse Fahrt unternommen hat. Dass der Pass hier in Wiltonfield gefunden wurde, weiß er vielleicht bereits, jedenfalls wenn Cedric Pam so weit gebracht hat, dass sie sich der Polizei anvertraut. Den Rest muss er sich selbst zusammenreimen. Vielleicht zieht er ja ganz andere Schlüsse als ich.«
»Falls Jacqueline abstreitet, mit dem Schiff unterwegs gewesen zu sein, wird man ihr Alibi überprüfen«, sagte Marc, »und man wird die Heaven's Gate kriminaltechnisch untersuchen. Nach Spuren, die belegen könnten, dass Elaine Dawson an Bord gewesen ist.«
»Fünf Jahre danach?«
»Du ahnst nicht, was heute möglich ist. Wenn sie auf dem Schiff war, wird man das herausfinden.«
Er sah elend aus. Sie ahnte, dass es ihm schwerfiel, seine Exfrau, die die Mutter und einzige Bezugsperson seines Sohnes war, als Verdächtige in einem Mordfall an die Polizei auszuliefern. Was dann kam, würde in erster Linie furchtbar für Josh sein. Sollte sich die Schuld Jacquelines herausstellen, wäre es für ihn eine Katastrophe.
Sie streckte den Arm aus, berührte Marc in einem Anflug von Scheu jedoch nicht. »Marc, ich verstehe, wie schwer das ist. Aber ich kann nicht mit meinem Wissen hinter dem Berg halten. Damit … könnte ich nicht umgehen. Ich weiß, das alles kann bedeuten, dass Jacqueline vor Gericht gestellt wird und …«
Er schüttelte den Kopf. Er war noch grauer im Gesicht geworden.
»Jacqueline wird nicht vor einem Gericht landen«, unterbrach er sie. »Sie hat für den gesamten Zeitabschnitt, um den es geht, ein Alibi.«
Sie starrte ihn an. »Was?«
»Am 10. Januar 2003 starb Jacquelines Mutter«, sagte Marc. »An jenem Tag also, an dem ich in Heathrow mit Elaine zusammentraf. Da man im Heim merkte, dass es zu Ende ging, wurde Jacqueline bereits am 9. Januar telefonisch informiert und fuhr sofort nach Cambridge. Am 11. und 12. Januar kümmerte sie sich dort um alle organisatorischen Notwendigkeiten. Josh war so lange bei einer Freundin untergebracht. Jacqueline unterrichtete mich gleich nach ihrer Rückkehr. In der Heimleitung sowie unter dem dortigen Personal hat sie jede Menge Zeugen, die den Sachverhalt bestätigen können.«
Sie begriff immer noch nicht. »Aber … wieso …?«
»Tut mir leid, Rosanna«, sagte Marc, »aber Jacqueline scheidet als Täterin aus.«
5
Das Schiff dümpelte in Ufernähe, abseits der Fahrrinne, immer noch in Sichtweite des Clubs. Wäre dort jemand aufgetaucht, er hätte sofort gesehen, dass die Heaven's Gate nicht an ihrem Platz lag, sondern ein kleines Stück flussaufwärts im Wasser zu treiben schien. Sicher hätte das Verwunderung ausgelöst, aber das schien Marc, der es so eilig gehabt hatte, nicht mehr zu interessieren.
Im Übrigen ließ sich auch niemand blicken. Clubhaus, Anlegesteg und Parkplatz waren noch immer menschenleer.
Rosanna saß auf der Bank, auf der sie während der ganzen Fahrt gekauert hatte. Tausend Gedanken schössen ihr gleichzeitig durch den Kopf, ohne dass sie hätte sagen können, worüber genau sie nachdachte. Es war, als bedrängten sie eine Vielzahl von Bildern, Möglichkeiten und Vorstellungen, die sie am liebsten gar nicht an sich herangelassen hätte.
Marc saß noch immer am Steuer. Der Motor des Schiffs tuckerte im Leerlauf. Unter dem grellen Licht dieser ganz zeitigen Frühlingssonne sah Marc fast krank aus.
»Als du mich vor fast zwei Wochen angerufen hast«, sagte er, »wegen der Reportage für Cover, da wusste ich, dass es Probleme geben würde. Du ahnst nicht, wie entsetzt ich war, weil nun alles wieder aufgerührt werden sollte. Ich konnte kaum schlafen in der darauffolgenden Nacht. Und ich beschloss, mich mit dir zu treffen. Um wenigstens auf irgendeine Weise die Kontrolle zu behalten.«
Sie fühlte sich wie betäubt. »Das … sagtest du damals schon«, erwiderte sie mühsam. »Du hattest … Angst, dass dir wieder etwas angehängt wird. Deshalb machtest du mit.«
»Ja«, bestätigte er, »deshalb machte ich mit.«
Sie starrte an ihm vorbei zum gegenüberliegenden Ufer. Trotz der noch kahlen Bäume sah die Landschaft lieblich aus. Friedlich. Unberührt von den dunklen Seiten der Welt, von den bösen Geheimnissen, die Menschen in sich trugen.
»Was hast du mir verschwiegen?«, fragte sie. »Was in der ganzen Geschichte weiß ich noch nicht?«
Er suchte nach einer Formulierung. »Ich habe dir nicht alles von jener Nacht erzählt«, sagte er dann. »Von der Nacht, in der Elaine bei mir war.«
»Weil es unbedeutend war?«
Er bedachte sie mit einem fast herablassenden Blick. »Du weißt genau, dass es bedeutend war. Sonst hätte ich es erzählen können.«
Es war, als senkte sich ein großer, schwerer Stein auf ihre Brust. Als ziehe sich gleichzeitig ihr Hals zusammen, so dass sie nicht mehr atmen konnte. Das Unfassbare, das als Gedanke in ihrem Kopf heranwuchs, war so schockierend, dass sich alles in ihr dagegen zu sträuben schien, es an sich heranzulassen. Sie verstand plötzlich, weshalb sich die Damen der viktorianischen Epoche in eine Ohnmacht zu flüchten pflegten, wenn die Situation, in der sie sich befanden, zu anstrengend wurde. Zum erstenmal in ihrem Leben hätte sie sich das auch gewünscht: einfach die Besinnung zu verlieren und zu hoffen, dass sich alles gelöst hätte, bis sie wieder aufwachte. Was nicht der Fall wäre, beides nicht. Sie würde nicht ohnmächtig, auch wenn ihr das Atmen schwerfiel, und schon gar nicht würde sich irgendetwas verändert haben, bis sie wieder aufwachte.
»Stimmt es, dass Elaine hier auf diesem Boot war?«, fragte sie. Sie fand, dass ihre Stimme seltsam klang. Anders als sonst.
Er nickte. »Ja. Vermutlich würde das auch die Spurensicherung feststellen.«
»Du hast noch immer den Schlüssel. Du bist an jenem Morgen mit dem Schiff hinausgefahren.«
Er nickte wiederum.
»Aber warum?«, fragte sie leise. »Warum hast du Elaine mit auf das Schiff genommen?«
»Ja, warum?«, wiederholte er. »Eine gute Frage. Warum habe ich Elaine überhaupt mit in meine Wohnung genommen? Warum habe ich mich in diese ganze verdammte Geschichte verstrickt?«
»Warum … ?«
Er unterbrach sie. »Hast du dich einmal nach deinen Warums gefragt? Warum wolltest du über Elaine schreiben? Warum in der Vergangenheit graben? Warum nicht irgendwann Ruhe geben? Warum nicht einfach irgendwann Ruhe geben?«
»Am Anfang«, sagte sie, »war es einfach ein Auftrag. Der mich aus der Eintönigkeit meines Lebens herausholte.« »Und dann? Was war es dann? Wieso hast du irgendwann an gar nichts anderes mehr denken können? Wieso hast du wie eine Besessene agiert? Hast Jacqueline aufgesucht. Im Yachtclub herumgehorcht. Den Schleusenwärter befragt. Warum? Ist das dein Job? Wirst du dafür bezahlt? Warum hast du dich nicht aus einer Sache herausgehalten, für die du überhaupt nicht zuständig bist? Was, verdammt noch mal, hat dich so daran gereizt, den Detektiv zu spielen?«
Sie schob den Rand der Wollmütze zurück, die sie sich tief in die Stirn gezogen hatte. Ihr wurde auf einmal so heiß. Vielleicht stieg das Fieber wieder. Sie empfand Marcs Worte als Angriff und verstand nicht, weshalb er ihr diese Fragen stellen konnte. Sie hatte ihm alles über sich und Elaine erzählt. Er musste wissen, weshalb sie nicht hatte aufhören können, Elaines Schicksal nachzugehen.
Als hätte sie laut gesprochen, sagte er: »Fünf Jahre lang haben dich weder deine Bekanntschaft mit Elaine noch dein Schuldgefühl ihr gegenüber dazu bewogen, diese verrückte Jagd zu beginnen. Und dann plötzlich meinst du, nicht mehr aufhören zu können. Und es ist dir ganz gleich, wen du dabei zerstörst und was alles du kaputt machst!«
Sie versuchte tief zu atmen. »Das Wort Gerechtigkeit kommt bei dir überhaupt nicht vor«, sagte sie.
Er lachte bitter. »Gerechtigkeit! Sag mir mal, ob irgendetwas auf dieser Welt überhaupt gerecht ist! War es gerecht, wie Jacqueline Josh gegen mich aufgehetzt hat? War es gerecht, dass mein Sohn jedes Gespräch, jeden Versuch einer Klärung abgelehnt hat? War es gerecht, dass sie ihn mit ihrer Obsession, was mein angebliches ständiges Fremdgehen betraf, so verrückt gemacht hat, dass er mich bis heute hasst? Ist daran irgendetwas gerecht?«
Ihr fiel der Brief ein, den sie erst vor zwei Tagen in seinem Bücherregal gefunden hatte. Fathers in Defense. Als sie den Brief las, hatte sie das Gefühl gehabt, in Marcs Seele zu blicken. Inmitten seiner unpersönlichen, nichtssagenden Wohnung hatte sie in diesem Moment den Kern seiner Seele berührt. Jenen glühenden, schmerzenden Dorn, der ihn quälte und in ihm eiterte, seit Jahren.
Sein Sohn. Der Verlust, den er nicht verwinden konnte. Sie erinnerte sich, dass ihr der Gedanke durch den Kopf geschossen war: Hier liegt der Schlüssel.
Aber sie hatte in jenem Augenblick nicht erkennen können, welche Tür er aufschloss.
»Josh«, sagte sie, »alles hat irgendwie mit Josh zu tun.«
»Ja«, wiederholte er leise, »alles hat irgendwie mit Josh zu tun.«
Ein Wasservogel schoss plötzlich aus dem Schilf empor und schrie dabei laut. Beide, Rosanna und Marc, schraken zusammen.
»Elaine ist tot«, sagte Rosanna, »und sie liegt auf dem Grund des Flusses. Irgendwo jenseits der Schleuse.« Er nickte.
Sie empfand nicht einmal Wut. Nur Trauer. »Weshalb ist ihr … Körper nie aufgetaucht?«
»Sie ist mit der Ankerkette umwickelt. Sie konnte nicht auftauchen.«
»Ihre Kleider …«
»Sie war voll bekleidet. Ich habe sogar daran gedacht, ihre Handtasche und ihren Koffer mit zu versenken. Aber als ich ins Auto zurückkehrte, sah ich, dass ihr Mantel dort zurückgeblieben war. Ich warf ihn in den Altkleidercontainer an diesem Ausflugsparkplatz. Was ich nicht ahnte, war, dass sich ihr Pass in der Manteltasche befinden könnte. Ich setzte einfach voraus, dass er in der Handtasche steckte. Aber es war wahrscheinlich so, wie du vermutet hast: Sie hatte ihn griffbereit, um ihn am Flughafen vorzuzeigen.« Er schüttelte den Kopf. »Man sagt ja, die meisten Verbrechen werden genau deshalb aufgeklärt. Wegen einer winzigen Ungenauigkeit, einer kleinen Unaufmerksamkeit. Bei mir war es der Pass. Dieser verdammte Pass. Die Tatsache, dass ich die Manteltaschen nicht durchsucht habe. Das bricht mir jetzt das Genick.«
»Normalerweise wäre alles viel früher aufgeflogen«, sagte Rosanna. »Wäre der Pass nicht aus der Tasche gerutscht und neben den Container gefallen, hätte man ihn beim Roten Kreuz wahrscheinlich recht rasch entdeckt und bei der Polizei abgeliefert. Oder wenn ihn jemand anderer gefunden hätte als ausgerechnet Pamela Luke. Eine Frau, die verzweifelt eine neue Identität brauchte. Jeder andere Finder hätte den Ausweis sicher ebenfalls abgeliefert. Die Fundstelle in direkter Nähe zu deinem Yachtclub hätte dich noch viel stärker in den Fokus der Ermittlungen gerückt, und sicher hätte man das Schiff untersucht. In gewisser Weise… hattest du eine Menge Glück.«
»Glück!« Er stützte den Kopf in beide Hände. »Es war ein Albtraum, den ich in jener Nacht erlebte. Einfach nur ein Albtraum. Ich bin kein Mörder, Rosanna. Ich bin in eine Katastrophe geschlittert, die eine Eigendynamik gewann, und ich konnte nur noch reagieren. Ich konnte plötzlich nur noch wie ein Krimineller versuchen, die Katastrophe abzuwenden. Indem ich Spuren verwischte und … eine Leiche beseitigte.«
Er hob den Kopf, sah Rosanna an. Seine Augen glänzten unnatürlich. »Es war ein Unfall, Rosanna. Du musst mir das glauben. Es war ein entsetzlicher Unfall, der in jener Nacht geschah, und alles, was ich danach unternahm, sollte mich irgendwie retten, aber es konnte nur ins Verderben führen. Eigentlich konnte es gar nicht anders kommen, als es nun gekommen ist.«
»Und hat sie gesagt, was sie da macht – in Wiltonfield oder wie das Kaff heißt?«, fragte Robert. Er hatte diese Frage schon mindestens zehnmal während der letzten Stunden gestellt.
»Die Verbindung war nicht allzu gut, das sagte ich doch schon«, wiederholte Marina dennoch geduldig. »Ich meine, dass sie irgendetwas von einem Bootsausflug auf der Themse erzählte, aber ich bin nicht ganz sicher, weil ich nur Bruchstücke verstehen konnte.«
»Wieso sollte sie an einem Februartag auf der Themse herumkreuzen ?«
»Es ist immerhin schön sonnig. Und die Gegend dort draußen ist zauberhaft. Vielleicht kennt sie jemanden, der ein Schiff hat.«
»Wen denn?«
Marina hob die Schultern. »Woher soll ich das wissen? Ich kenne Rosanna doch überhaupt nicht!«
Sie saßen in Marinas Küche. Rob hatte lange geduscht und sich frische Kleidung angezogen, während Marina den Frühstückstisch deckte und eine große Kanne heißen Tee mit Zitrone kochte. Robs Ausbruch, die kalte Nacht in einem Gartenhäuschen, die Tatsache, dass er in recht kläglichem Zustand von seiner Mutter aufgegriffen worden war, hatte sein Verhalten verändert: Seine Aggressionen waren in sich zusammengefallen, der aufsässige, widerspenstige Typ, den er herausgekehrt hatte, hatte sich in einen unsicheren Jungen verwandelt, der nicht zu wissen schien, wie es weitergehen sollte, und der nur noch eine Anlaufstelle sah: Rosanna. Die Frau, die er als Mutter empfand.
»Ich vermute, sie hat einen Mann kennen gelernt«, sagte Rob düster. Er hatte einen langen Schal um den Hals gewickelt, eine Maßnahme, für die es wahrscheinlich zu spät war, denn seine Stimme krächzte bereits bedenklich. Seine Haare waren noch nass vom Duschen.
»Wieso sollte sie denn einen Mann kennen gelernt haben?«, fragte Marina erstaunt.
»Als ich sie zum ersten Mal in England anrief, war sie gerade mit einem Mann verabredet«, erklärte Rob. »Ich hörte, wie man sie von der Rezeption aus anrief und ihr ausrichtete, dass er da sei. Die beiden wollten offenbar den Abend zusammen verbringen.«
»Daran ist doch nichts Ungewöhnliches! Vielleicht ein alter Bekannter. Vielleicht jemand, der etwas mit ihrem Beruf zu tun hatte. Ein Mann und eine Frau können doch einen Abend zusammen verbringen, ohne deshalb gleich eine Affäre zu haben.«
»Aber ich habe ein dummes Gefühl«, beharrte Rob. »Sie hatte Streit mit Dad. Nicht erst kurz vor ihrer Abreise, sondern schon mindestens das ganze letzte Jahr. Immer wieder. Und jetzt kann sie sich nicht durchringen, nach Hause zu kommen. Dauernd schiebt sie neue Gründe vor. Und dann diese Schifffahrt auf der Themse. Jede Wette, dass sie nicht allein ist!«
»Selbst wenn! Ehrlich, Rob, du siehst Gespenster. Sie hat lange in London gelebt, wie Dennis mir erzählt hat. Natürlich hat sie hier Bekannte. Was ist dabei, wenn sie sich mit ihnen trifft?«
Er starrte auf seinen Teller, auf dem ein unberührtes Toastbrot lag. »Und wenn sie sich nicht meldet?«
»Sie hat aber versprochen, sich zu melden. Heute noch.«
»Und dann wird sie mir irgendein Märchen auftischen. Dass sie nichts hat mit einem anderen. Als Nächstes wird sie mit einer neuen Ausrede kommen, weshalb sie nicht nach Gibraltar zurückkann. Wieso ist sie denn überhaupt noch in London? Sie wollte doch schon am Donnerstag zu ihrem Bruder nach Taunton fahren. Es muss ja irgendetwas ganz Großartiges sein, weshalb sie sich hier nicht losreißen kann!«
»Rob!« Marina lehnte sich vor, sah ihren Sohn ernst an. »Rosanna ist eine erwachsene Frau, und sie kann tun und lassen, was sie möchte. Es steht dir nicht zu, ihr hinterherzuspionieren oder Rechenschaft von ihr zu verlangen. Das bringt euch beide am Ende nur auseinander.«
Er schob seinen Teller zurück. »Fährst du mich nach Wiltonfield?«, fragte er.
Sie runzelte die Stirn. »Was? Jetzt?«
»Wenn du es nicht tust, werde ich trampen. Irgendeine Möglichkeit finde ich.«
»Aber das können wir nicht machen.«
»Ich will wissen, mit wem sie dort ist. Und ich will mit ihr reden.«
»Dazu hast du kein Recht. Rob, sei vernünftig, du…«
Seine Augen waren sehr groß, seine Lippen zitterten. »Ich habe Angst. Deshalb habe ich das Recht. Ich habe Angst, dass meine Familie kaputtgeht. Ich kann nicht hier sitzen und warten, was passiert. Ich will es wissen.«
Er war aufgestanden, während er sprach. Auch Marina erhob sich.
»Rob …«
»Fährst du mich nun oder nicht?«
Sie nickte resigniert. Er würde sonst wieder ausreißen und sich als Anhalter durchschlagen, und wer wusste, was dann noch passierte.
»Ich fahre dich«, sagte sie.
»Ich glaube, die Tragödie begann damit, dass mir Elaine in jener Nacht zu viel von sich erzählte. Als wir in diesem italienischen Restaurant saßen, Pasta aßen und vielleicht etwas zu viel Wein tranken, hatte ich den Eindruck, dass nach und nach ein Staudamm bei ihr brach. Sie war so verzweifelt. Dieser Totalausfall auf dem Flughafen, für mich und Tausende von Passagieren einfach zutiefst ärgerlich, war für sie die komplette Katastrophe – aus ihrer Sicht typisch für eine ewige Verliererin. Sie konnte das überhaupt nicht als das einordnen, was es war: Pech, das aber keineswegs nur sie betraf. Sie war fix und fertig, und dann ergoss sich ihre gesamte Lebensgeschichte über mich, und alles war ein einziges Drama vom ersten Tag an. Sie hatte keine richtigen Freunde, sie war nicht beliebt gewesen in der Schule, sie wurde zu einem unansehnlichen Teenager, sie blieb in der Tanzstunde sitzen, kein Junge interessierte sich für sie, sie verlor vergleichsweise früh beide Eltern, und so weiter. Höhepunkt war dann der Unfall, der ihren Bruder zum Rollstuhlfahrer machte. Dadurch, dass sie seine Betreuung übernahm, sah sie sich endgültig ins Abseits gedrängt, zumal er sie mit allen Mitteln an sich kettete. Sie träumte davon, zu heiraten, Kinder zu haben, aber sie sah überhaupt keine Chance, diesen Wunsch je verwirklichen zu können. Wegen der Rolle, die sie im Leben ihres Bruders eingenommen hatte, aber auch, weil kein Mann sie je ansah. Sie sagte, sie werde im Leben ständig übersehen. Von den Menschen, aber auch von jedem günstigen oder glücklichen Schicksal. Sie jammerte über ihre Unscheinbarkeit. Sie wirkte wirklich verzweifelt auf mich.
Ich hörte ihr zu, aber eher höflich und ergeben als interessiert. Ich hatte eigene Probleme. Einmal der Terminausfall, der sich für mich aus dem gestrichenen Flug ergab, aber dann natürlich auch Josh. Die Scheidung von Jacqueline stand bevor. Ich wusste, es gab keine Chance mehr, dass wir als Familie noch einmal zusammenkommen. Josh wollte mich nicht sehen, aber ich hoffte, doch noch einen Weg zu ihm zu finden, ihn dazu zu bringen, die Situation anders zu sehen und zu beurteilen. Ich überlegte, ob ich ein geteiltes Sorgerecht vor Gericht würde herausschlagen können, was natürlich angesichts von Joshs ablehnender, um nicht zu sagen: hasserfüllter Haltung schwierig werden würde. Kurz: Mein eigenes Leben sah auch gerade nicht allzu rosig aus, aber ich hatte keine Lust, dieser fremden Frau davon zu erzählen. Ich bereute bereits, sie mitgenommen zu haben. Sie redete einfach zuviel, und das in einer so düsteren Art, dass sich meine eigene Stimmung noch verschlechterte.
Als wir wieder in meinem Haus waren, zeigte ich ihr das Gästezimmer. Direkt daneben lag Joshs Zimmer. Jacqueline hatte bei ihrem Auszug vieles daraus mitgenommen, aber was zurückgeblieben war – hauptsächlich Spielsachen, für die Josh zu alt war –, hatte ich ein Dreivierteljahr lang nicht angerührt. Der Raum war jedenfalls unschwer als Kinderzimmer zu erkennen. Die Tür stand offen.
Elaine erkundigte sich sofort, ob ich Kinder hätte, ich sagte, ja, einen Sohn, der bei meiner Noch-Ehefrau lebe. Und nun drehte sie den Spieß um, und das ist es, weshalb ich am Anfang sagte, die Tragödie begann damit, dass Elaine zu viel von sich erzählte. Vielleicht hatte der kurze Rückweg vom Restaurant durch die kalte Winterluft die Wirkung des Alkohols gemindert, oder sie war aus sonst irgendeinem Grund ins Nachdenken gekommen. Auf jeden Fall glaube ich, dass sie zu bereuen begann, sich derart geöffnet zu haben, zumal auf eine Weise, die sie als unattraktive, altjüngferliche Pechmarie darstellte. Ihr war klar, dass ich nun gar nicht anders konnte, als sie mit ihren eigenen Augen zu sehen, und das war kein anziehendes Bild. Zugleich war ihr Schwips doch noch stark genug, dass sie sowohl einen Teil ihrer Schüchternheit als auch ihres Realitätssinns verlor. Ich kann es nicht beschwören, aber ich meinte, Anzeichen zu erkennen, dass sie anfing, sich Hoffnungen zu machen, aus diesem Abend könnte sich eine weitergehende Geschichte für uns beide entwickeln. Es ist nicht so, dass sie etwas Derartiges direkt gesagt hätte. Aber sie deutete an, dass unsere Begegnung ja doch etwas Schicksalhaftes habe. Ich dachte nur, o Gott, bloß nicht! Ich hoffte, sie werde nun schnell zu Bett gehen, sofort einschlafen und am nächsten Tag in aller Frühe mein Haus verlassen. Danach würde ich in meinem ganzen Leben nichts mehr von ihr hören.
Stattdessen biss sie sich an dem Thema Josh fest. Da sie nicht ungesagt machen konnte, was sie nun einmal von sich gegeben hatte, versuchte sie, mich auf ihre Ebene hinunterzuziehen und damit einen Gleichstand zwischen uns herzustellen. Ich glaube nicht einmal, dass das ein bewusstes Handeln war. Sie tat das instinktiv. Vielleicht hätte jeder andere das Gleiche getan.
Elaine war nicht dumm. Dass Josh meine Achillesferse war, hatte sie sofort gewittert. Meine gescheiterte Ehe, der Verlust meines Sohnes – damit war ich ja schon fast ein ebenso trauriger Verlierer wie sie. Ich hatte vielleicht mehr aus meinem Leben gemacht als sie, aber ich hatte ja dann alles wieder in den Sand gesetzt, und am Ende stand ich so einsam da wie sie. Ich sehe sie noch vor mir, sie saß in Joshs Zimmer auf dem Fußboden, streichelte irgendein zerrupftes Kuscheltier und lamentierte über das, was in meinem Leben schiefgelaufen war. Dabei war sie nicht zimperlich. Alles, was sie je über das Schicksal von Scheidungskindern gelesen oder gehört hatte, brachte sie nun aufs Tablett: die Zerrüttung ihrer Seelen, ihre Verstörtheit, ihre Zerrissenheit. Aber auch die lebenslange Traurigkeit eines Vaters, der sein einziges Kind verliert, wurde natürlich thematisiert. Wie würde ich damit leben, damit umgehen? Würde das einen seelischen Krüppel aus mir machen, mich zu einem verbitterten Einsiedler werden lassen?
In diesem Stil ging es weiter. Am Anfang war ich nur genervt, versuchte sie zu bremsen, indem ich auf ihre Fragen nur knappe, nichtssagende Antworten gab und ansonsten schwieg. Aber sie ließ nicht locker. Sie bohrte immer weiter, wollte wissen, woran unsere Ehe denn gescheitert sei. Wie oft ich Josh sehen würde. Wie unser Verhältnis sei. Ob ich glaubte, trotz allem eine enge, vertrauensvolle Beziehung zu meinem Sohn aufbauen und aufrechterhalten zu können.
Heute verstehe ich nicht mehr, wieso die indiskreten Bemerkungen und Fragen einer wildfremden Person, die ich kaum kannte und die nicht die geringste Bedeutung für mich hatte, mich immer mehr in die Enge treiben konnten. Ich bin Anwalt. Ich bin ein erwachsener Mann. Ich war es gewohnt, insistierende Fragen kühl abzuschmettern, das war und ist Teil meines Jobs. Ich kann im Nachhinein nur sagen, dass meine seelische Konstitution, was die Trennung von Josh betraf, damals wohl noch labiler war, als mir selbst klar war. Ich stand in der Tür seines einstigen Zimmers, sah ihn vor mir, wie er abends in seinem Hochbett saß und in Büchern blätterte, oder wie er Stunde um Stunde mit seiner Eisenbahn spielte, und ich begriff in aller Schärfe, dass diese Bilder für immer der Vergangenheit angehörten, dass es neue in dieser Art nicht geben würde. Die ganze Härte des Verlusts traf mich plötzlich mit neuer Kraft, und ich sah diese Fremde dort sitzen, diese mir so unsympathische Person, die ich schon längst nicht mehr in meinem Haus haben wollte, mit der ich nichts zu schaffen hatte, und sie streichelte ein Kuscheltier meines verlorenen Sohnes und laberte, was das Zeug hielt.
Ich erinnere mich, dass das Bild plötzlich vor meinen Augen verschwamm und dass ich einen schrecklichen Moment lang von dem Wunsch nach Gewalt erfasst wurde, ich hätte hingehen und sie packen, grob in die Höhe reißen, ihr meine Faust ins Gesicht schmettern und sie dann auf die Straße werfen mögen. Einfach nur, damit sie still ist. Damit sie aufhört, wieder und wieder ein Messer in meine Wunde zu stoßen. Ich hätte ihr Schmerzen zufügen mögen, damit ich meine eigenen Schmerzen weniger heftig fühle.
Ich tat es nicht. Ich bin kein Mörder, wie ich schon sagte, und ich bin auch kein gewalttätiger Mensch. Im Gegenteil, schon die Tatsache, dass ich überhaupt eine solche Situation vor mir sehen und den Wunsch in mir spüren konnte, sie in die Tat umzusetzen, erschütterte mich. Und ängstigte mich.
Was dann geschah, ist verschwommen in meiner Erinnerung. Ich habe wieder und wieder durchzuspielen versucht, was genau vorgefallen ist. Was ich sicher weiß, ist, dass ich sie nicht angefasst habe. Ich habe ihr kein Haar gekrümmt. Ich glaube, dass ich sogar noch versucht habe, im Guten aus der Situation herauszukommen, und dass ich gesagt habe, ich würde dieses Gespräch ungern fortsetzen, ich würde nun schlafen gehen. In meiner Erinnerung stand sie daraufhin auf, kam auf mich zu und meinte, es sei keine Lösung für mich, dem Problem davonzulaufen, der Auseinandersetzung mit mir selbst auszuweichen. Irgend so etwas. Hausfrauenpsychologie. Bücher mit derlei Phrasen überschwemmen leider den Markt, und jeder hat dadurch für jede Situation ein paar schlaue Bemerkungen parat.
Wie auch immer, sie ließ nicht locker. Sie kapierte nicht, wie wütend ich schon war. Hätte sie nur die Spur von Instinkt gehabt, hätte sie erkannt, dass es höchste Zeit war, von mir abzulassen, dann wäre alles ganz anders ausgegangen. Aber sie hatte sich, glaube ich, in die Rolle meiner psychologischen Beraterin geradezu verliebt. Nichts lenkt so schön von den eigenen Problemen ab wie die intensive Beschäftigung mit den Problemen anderer. Und dann sagte sie, ich müsse lernen, auch meinen eigenen Fehlern ins Auge zu sehen, und da explodierte etwas in mir. Wenn ich etwas getan hatte, seit Jacqueline und Josh gegangen waren, dann war es das Nachdenken über meine Fehler. Ich hatte mich zerfleischt und zerquält. Ich war gnadenlos mit mir ins Gericht gegangen, ich tat es auch nach jener Nacht, und ich tue es bis heute. Ich hatte es nicht nötig, mir von dieser dreiundzwanzigjährigen Landpomeranze so etwas sagen zu lassen. Ich wollte nicht, dass ich Beklemmungen bekam, weil eine Elaine Dawson sich in den Kopf gesetzt hatte, mich zu analysieren. Ich weiß aber heute auch – genau genommen, wusste ich es schon am nächsten Tag –, dass ich mich wie ein Idiot benahm. Es war verrückt, dass ich mich von ihr in die Enge treiben ließ. Sie kannte mich nicht. Jacqueline und Josh auch nicht. Sie hatte keine Ahnung von unserer Situation. Sie redete etwas daher, ohne Bescheid zu wissen. Ich hätte kühl und souverän damit umgehen sollen. Ich hätte mich nicht hinreißen lassen sollen … ja, wozu?
Ich schwöre, ich weiß nicht genau, was ich sagte oder tat. Ich glaube, ich brüllte sie plötzlich an. Was sie sich anmaße, was sie sich einbilde. Wie sie dazu komme, sich in mein Leben zu mischen. Wie sie sich einbilden könne, mich interessiere irgendetwas aus ihrem jämmerlichen Leben. Sie solle zusehen, dass sie verschwinde. Dass es mir gleich sei, wo sie die Nacht verbringe, in meinem Haus jedenfalls nicht. Sie solle einfach machen, dass sie fortkäme, und sich nicht mehr blicken lassen.
Ich weiß, dass ich zitterte. Ich weiß auch noch, dass sie schneeweiß im Gesicht wurde. Sie schien zu Tode erschrocken. Sie hatte wirklich nicht bemerkt, dass die Situation schon die ganze Zeit über auf diese Eskalation hingesteuert war. Mein Ausbruch schien sie komplett unvorbereitet zu treffen. Was mich bis heute beschäftigt, ist die Tatsache, dass sie offenkundig echte Angst vor mir bekam. Ich muss ungeheuer bedrohlich auf sie gewirkt haben, viel bedrohlicher, als ich das fühlte. Genau genommen, war meine Wahrnehmung, was mich selbst betraf, eine ganz andere: Ich fühlte mich als Opfer. Als derjenige, der attackiert worden war, der verletzt worden war, dem keine Wahl blieb, als sich schreiend zu wehren. Ich wollte ihr nichts antun. Ich wollte nur, dass sie verschwand. Dass sie den Mund hielt. Dass sie mich einfach in Ruhe ließ.
Sie aber muss geglaubt haben, dass ich jeden Moment auf sie losgehe. Vielleicht habe ich lauter gebrüllt, als mir bewusst war. Vielleicht war mein Gesicht zur Fratze verzerrt. Ich weiß es nicht. Sie ging aus dem Zimmer, bewegte sich rückwärts zur Treppe, behielt mich starr im Auge, als fürchte sie, ich könnte ihr von hinten einen Hammer auf den Kopf schlagen oder etwas Ähnliches. Kann auch sein, dass ich mitging, dass ich ihr dabei zu nahe kam, dass ich eine bedrohliche Haltung angenommen hatte. Wie gesagt, meine Erinnerung an diese Nacht ist lückenhaft und verschwommen.
Die Treppe in meinem früheren Haus ist hoch und steil. Kann sein, Elaine verfehlte schon die oberste Stufe, kann sein, sie kam noch ein paar Stufen hinunter. Ich weiß es nicht. Ich sah sie plötzlich fallen. Ich war erschrocken, aber unfähig zu reagieren. Vielleicht hätte ich sie noch halten können. Vielleicht war aber auch der Abstand zwischen uns zu groß. Auf jeden Fall stand ich wie gelähmt. Sie fiel rückwärts. Ihr Kopf schlug mehrfach hart auf die steinernen Stufen. Es war ein furchtbares Geräusch. So laut. Ein Krachen. Als zerberste ihr Kopf in tausend Stücke. Was er nicht tat. Als sie unten liegen blieb, sah sie völlig unverletzt aus. Aber als ich endlich hinterherkam – und ich fürchte, das dauerte eine ganze Weile, aber wie viel Zeit genau verstrich, kann ich nicht sagen –, also, als ich endlich hinterherkam und mich über sie beugte, merkte ich, dass sie tot war.
Ich vermute, sie hat sich das Genick gebrochen. Groß, dick, aufgeschwemmt und tot lag sie in der Diele meines Hauses. Eben hatte sie noch in Joshs Zimmer gesessen und mich mit ihren Reden genervt. Es war so schnell gegangen. So schrecklich schnell.
Aber so passieren die meisten Katastrophen, oder? Sie passieren innerhalb von Sekunden. Aus kleinen Irrtümern, winzigen Fehlern heraus. Aus Banalitäten oder Unachtsamkeiten. Meist passiert gar nicht viel, oder nichts, was wirklich dramatisch wäre. Die Situation zwischen mir und Elaine war, von meiner Seite aus, emotionsgeladen gewesen, aggressiv, aber nicht gefährlich für Elaine. Aus ihrer Sicht hatte sich wohl blitzschnell ein vertrauliches, freundschaftliches Gespräch in eine Attacke aus Wut und Zorn verwandelt. Aber bei all dem hätte nichts passieren müssen. Sie hätte nur einfach gehen müssen. Ich glaube sogar, ich hätte sie von der Straße wieder hereingerufen. Ich hätte sie nicht in diese kalte, neblige Nacht hinausgejagt. Wenn sie nur aufgehört hätte, mich wegen Josh anzugehen, wäre ich ein paar Minuten später schon wieder gefasst gewesen. Ich wollte nur, dass sie kapiert, sie muss mich mit diesem Thema in Frieden lassen.
Aber so war es nun zur Tragödie gekommen. Es war nichts mehr zu ändern, nichts mehr gutzumachen.
Ich musste sehen, wie ich mich rettete.«
»Und du dachtest, indem du die tote Elaine irgendwie beiseiteschaffst und alles vertuschst, rettest du dich?«, fragte Rosanna.
Sie saß noch immer an derselben Stelle in dem leise schaukelnden Schiff. Marc saß ihr nun gegenüber. Noch immer strich der kalte Wind über das Wasser, aber die Sonne war höher gestiegen, die Kraft ihrer Strahlen nahm zu. Es wurde wärmer. Ansonsten hatte sich nichts verändert, noch immer war kein Mensch am Ufer zu sehen, und bis auf ein einziges kleines Frachtschiff hatte sich auch auf dem Fluss nichts mehr gerührt. Nur die Schreie der Vögel unterbrachen hin und wieder die Stille.
Nichts hatte sich verändert, und doch alles.
Rosanna fühlte eine seltsame Betäubung, die gleichzeitig zwei gegensätzliche Empfindungen in ihr auslöste: Ein Teil von ihr befand sich weit weg von den Geschehnissen, sah das Schiff, den Fluss, den Mann wie durch einen Schleier, nahm alle Geräusche nur gedämpft wahr. Während ein anderer Teil überwach war, in greller und schmerzhafter Klarheit registrierte, was er sah und hörte.
Und was er hörte, hätte er um keinen Preis hören wollen.
Marc hob in einer hilflosen Geste beide Hände. »Was hätte ich sonst tun sollen? Ich hatte eine fremde Frau am Flughafen aufgegabelt und mit nach Hause genommen, und nun lag sie tot vor mir. Wie hätte ich das erklären sollen?«
»So, wie du es mir erklärt hast. Sagen, was passiert ist.« »Hätte man mir geglaubt?«
»Die Forensik ist sehr weit heutzutage. Ich denke, man wäre in der Lage gewesen, den Unfallhergang zu rekonstruieren und dabei festzustellen, dass du die Wahrheit sagst.«
»Kann sein. Aber das hätte mir auch nicht viel genutzt.« Er strich sich über die Augen. Sie waren gerötet vor Erschöpfung. »Meiner Karriere hätte diese ganze Geschichte in jedem Fall erheblichen Schaden zugefügt. Unwahrscheinlich, dass sie mich in der Kanzlei, für die ich vorgesehen war, noch hätten haben wollen. Aber was viel mehr wog: Was glaubst du, wie sich dieses… Unglück in der bevorstehenden Scheidung und in einem möglichen Sorgerechtsprozess ausgenommen hätte? Es ging ja immer um mein angeblich so wildes, außereheliches Beziehungsleben. Nun gab ich das Bild eines Mannes ab, der wildfremde Frauen auf Flughäfen anspricht und gleich mitnimmt. Wenn die dann kurz darauf mit gebrochenem Genick am Fuß meiner Treppe liegen, lässt mich das nicht unbedingt seriöser erscheinen. Oder findest du, dass mich das als einen Mann ausweist, in dessen Obhut man gern und mit gutem Gefühl einen minderjährigen Jungen gibt, der ohnehin schon erhebliche Probleme mit seinem Vater hat?«
Josh. Es ging wieder um Josh. Für alles, was in dieser ganzen Geschichte, in dieser Tragödie geschehen war, war er der Dreh- und Angelpunkt.
»Aber dachtest du, du kannst sie verschwinden lassen und niemand wird sie vermissen?«
»Natürlich nicht. Nach allem, was sie mir erzählt hat, war mir klar, dass zumindest ihr behinderter Bruder einen Riesenzirkus veranstalten würde. Aber ich hoffte, dass die Polizei keine allzu großen Anstrengungen in dieser Sache unternehmen würde. Eine erwachsene Frau, die plötzlich verschwindet, ohne dass der geringste Anhaltspunkt für ein Verbrechen vorliegt, löst selten einen besonderen Wirbel aus.«
»Du musstest aber davon ausgehen, dass man euch zusammen gesehen hat.«
»Natürlich. Wir hatten lange genug bei dem Italiener gesessen, bei dem ich gut bekannt war. Wir konnten auch von Nachbarn gesehen worden sein. Aber ich setzte darauf, dass Elaines Foto nirgends erscheinen würde. Sie bringen ja weiß Gott nicht jede verschwundene Frau oder jeden verschwundenen Mann in die Zeitung. Solange das nicht geschah, konnte ich mich einigermaßen sicher fühlen. Dass ich bei all dem über verdammt dünnes Eis lief, war mir klar. Aber es gab die Chance, dass ich davonkommen würde, und ich wollte sie nutzen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Du klingst so … kühl. So … kaltblütig!«
»Das mag dir jetzt so vorkommen, fünf Jahre danach. Aber so war es in jener Nacht nicht. Ich glaube, dass ich zunächst unter Schock stand, und das bedeutet immer, dass man erst einmal Schutz findet vor dem eigenen Entsetzen. Ich agierte überlegt, aber das funktionierte nur, weil ich wie abgetrennt von mir selbst war. Ich lief hinaus, holte meinen Wagen und parkte ihn direkt vor der Haustür. Es war mittlerweile halb zwölf, und ringsum in den Häusern war alles dunkel. Sicherheitshalber wartete ich dann noch eine halbe Stunde, aber da sich nirgends etwas regte, wagte ich es, nahm Elaine auf den Arm und trug sie in mein Auto. Das Stück über den Gartenweg war gefährlich. Hätte irgendjemand aus einem der umliegenden Fenster gesehen … aber ich hatte wohl Glück. Ich brachte dann noch ihre Handtasche, ihren Koffer und ihren Mantel ins Auto. Elaine lag auf dem Rücksitz. Ich breitete eine Decke über sie. Dann ging ich ins Haus zurück und brach zusammen.«
Er sah so elend aus, dass sie dachte, wie gern sie, nur für einen Moment, seine Hand genommen hätte. Um ihm zu zeigen, dass sie, trotz allem, noch immer bei ihm war. Aber aus irgendeinem Grund brachte sie es nicht fertig, diesen Schritt zu tun.
»Ich hatte weiche Knie, und meine Hände zitterten. Ich hätte in diesem Zustand nicht Auto fahren können. Ich glaube, ich setzte mich auf die unterste Treppenstufe, und da saß ich dann einige Stunden lang. Es war schrecklich, als mir nach und nach zu Bewusstsein kam, in welch einer Lage ich mich befand. Dass da draußen eine tote Frau in meinem Auto lag, die unbedingt verschwinden musste. Dass sie in meinem Haus ums Leben gekommen war. Dass ich mir allein dadurch, sie mitsamt all ihren Sachen in den Wagen gebracht zu haben, im Grunde schon den Rückweg abgeschnitten hatte. Ich musste weitermachen, und ich wusste nicht, wie. Alles, was ich wusste, war, dass ich von einem Moment zum anderen in einem Albtraum gelandet war. Und irgendwie begriff ich auch, dass mein Leben, das trotz aller Scherben, die es darin gab, immer noch ein völlig normales Leben gewesen war, nie wieder normal sein würde.«
Sie versuchte, sachlich zu sein. »Wann kam dir die Idee, mit Elaine auf die Themse hinauszufahren?«
»Irgendwann. Das Verrückte an der Situation war, dass ich einerseits verzweifelt war und glaubte, jeden Moment durchzudrehen, und dass gleichzeitig mein Gehirn auf Hochtouren lief, um einen Ausweg zu finden. Ich sagte mir, dass niemand je ihre Leiche finden durfte, denn dann wären richtige Ermittlungen angelaufen, und ich wäre nur allzu bald mitten hineingeraten. Und schließlich fiel mir das Schiff ein. Ich wusste übrigens nicht, dass Jacqueline vorhatte, es zu verkaufen. Es war Zufall, dass sie das kurz darauf offenbar tat.«
»Wann bist du losgefahren?«
»Ich glaube, so gegen sechs Uhr am Morgen. Ich fühlte mich völlig ausgebrannt und leer. Aber auf irgendeine Weise funktionierte ich. Am Yachtclub war natürlich kein Mensch. Zum Glück besaß ich noch alle notwendigen Schlüssel – ich habe sie bis heute, wie du weißt. Das Schiff startklar zu machen, war kein Problem, ich hatte noch immer die nötige Routine. Du kannst mir glauben, es war nicht leicht, Elaine vom Parkplatz den Pfad hinunter zum Schiff zu tragen, ich war schweißgebadet hinterher. Dann holte ich noch den Koffer und die Handtasche. Wie gesagt, den Mantel übersah ich. Er war vom Rücksitz in den Fußraum gerutscht.«
»Weshalb hast du die Schleuse passiert? Das war doch ein völlig überflüssiges Risiko!«
»Das war auch nicht geplant. Aber auf dem Fluss hatte ich ein Frachtschiff vor mir und in einiger Entfernung eines hinter mir. Ich konnte es nicht wagen, einen… größeren Gegenstand über Bord zu werfen, die Gefahr, dabei gesehen zu werden, war zu groß. Ich tuckerte immer weiter, verzweifelt hoffend, dass ich irgendwann der Umklammerung dieser beiden Schiffe würde entkommen können. Das war leider erst nach der Mapledurham-Schleuse der Fall. Ich konnte die Frachter abhängen und… zu Ende bringen, was ich mir vorgenommen hatte.«
»Als du zurückkehrtest …«
»… fand ich den Mantel und wusste, dass er ein Problem darstellte. Aber die Kraft, noch einmal auf den Fluss hinauszufahren, hätte ich nicht mehr gehabt. Außerdem wurde es immer heller, die Gefahr wuchs, dass irgendjemand im Club auftauchte. Also fuhr ich einfach los, und als ich an dem Parkplatz mit den Kleidercontainern vorbeikam, beschloss ich kurzerhand, den Mantel dort verschwinden zu lassen. Es war ein Risiko, aber andererseits sagte ich mir, wer sollte schon dieses Kleidungsstück mit Elaine in Verbindung bringen? Es war der durchschnittlichste, gewöhnlichste Mantel, den man sich denken kann. Er würde mit jeder Menge Pullovern und Hosen in diesem Container liegen und schließlich bei irgendeiner bedürftigen Familie landen. Tatsächlich hat es deswegen ja auch nie ein Problem gegeben. Wäre der Pass nicht in der Tasche gewesen …«
Sie dachte, dass der schlimmste Schmerz in der augenblicklichen Situation darin bestand, sich klarmachen zu müssen, wie geschickt sich Marc ihr gegenüber immer wieder verstellt hatte. »Als wir nach Northumberland fuhren«, sagte sie, Bitterkeit in der Stimme, »und ich voller Hoffnung war, Elaine zu finden, glücklich über diese Möglichkeit auch deinetwegen, weil es dich endgültig von jedem Hauch eines Verdachts befreit hätte – da saßest du neben mir im Auto und wusstest die ganze Zeit, dass wir sie nicht antreffen würden. Es konnte ja gar nicht sein. Aber du hast so getan, als ob du …«
»Wie hätte ich mich denn verhalten sollen? Hätte ich dir sagen sollen, Rosanna, die Fahrt können wir uns sparen, Elaine liegt auf dem Grund der Themse, und das weiß ich deshalb so genau, weil ich selbst sie dorthin gebracht habe? Ich konnte doch nur irgendwie mitspielen. Ich war ziemlich irritiert, auch angespannt, aber ich dachte an eine zufällige Namensgleichheit. Als dann diese Geschichte mit dem Pass aufkam, als du sagtest, es handele sich definitiv um Elaines Pass, da war ich wie vor den Kopf geschlagen. Ich überlegte verzweifelt, wie das geschehen sein konnte. Pamela Luke erzählte, sie habe das Papier in der Wohnung dieses Zuhälters gefunden, aber wie war es dorthin gekommen? Ich hatte ja gedacht, der Pass befinde sich in der Handtasche, aber selbst wenn man annahm, die Tasche habe sich irgendwie gelöst und sei ans Ufer geschwemmt worden, so hätte man das doch sehen müssen. So ein Ausweis liegt doch nicht wochen- oder monatelang im Wasser und sieht hinterher aus wie neu! Aber als dann Wiltonfield ins Spiel kam, war mir klar, was passiert sein musste. Und ich wusste in diesem Augenblick, dass es aus war.«
Dennoch hatte er auch dann noch weitergespielt. Hatte sich ihre Theorien angehört, war besorgt und einfühlsam gewesen. Hatte sich um ihre Erkältung gekümmert und hatte sie in der vergangenen Nacht fest in den Armen gehalten. War das alles gespielt gewesen? Auch seine Gefühle? Hatte er ihr Liebe vorgeheuchelt, um sie emotional in den Griff zu bekommen? Um sie daran zu hindern, mit ihrem Wissen, hätte sie es erst einmal erlangt, schnurstracks zur Polizei zu laufen?
Er fuhr fort: »Das Verrückte – oder Tragische – ist, meine damalige Situation wurde durch das ganze Vertuschungsmanöver auch nicht besser. Geoffrey Dawson inszenierte einen solchen Wirbel um seine Schwester, dass ihr Bild tatsächlich in der Presse landete. Ein paar Tage nach den Geschehnissen bekam ich einen Tipp von meiner Nachbarin. Eine sehr liebe Frau, die unter ihrem tyrannischen Ehemann leidet. Sie zischte mir über den Gartenzaun hinweg zu, ihr Mann werde zur Polizei gehen, weil er überzeugt sei, die verschwundene Frau aus der Zeitung mit mir zusammen gesehen zu haben. Da wusste ich, dass der Stein ins Rollen gekommen war. Als Nächstes würde sich die Belegschaft des Restaurants erinnern. Ich musste in die Offensive gehen. Also meldete ich mich selbst bei der Polizei, praktisch zeitgleich mit meinem Nachbarn. Ich erzählte die ganze Geschichte, aber natürlich mit einem anderen Ausgang. Du kennst ja meine Variante.«
»Und du warst nicht ungeschickt im Ausschmücken. Denn ich nehme an, den geheimnisvollen Freund, von dem Elaine dir angeblich erzählt hat, hattest du erfunden?«
»Ja«, gab er zu. »Ich wollte die Theorie untermauern, dass Elaine wirklich durchgebrannt sei. Die Polizei war auch sehr schnell von dieser Theorie überzeugt. Dazu trug übrigens auch Geoffrey Dawson selbst bei. Er tyrannisierte die Polizei dermaßen mit seiner Hysterie, dass irgendwann jeder dort glaubte, Elaine könne niemals vorgehabt haben, freiwillig zu ihm zurückzukehren. Jeder verstand nur zu gut, dass sie es vorgezogen hatte, mit ihrem Liebhaber auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden.«
»Man hätte Leichenspuren in deinem Auto feststellen können.«
»Niemand sah einen Sinn darin, mein Auto zu untersuchen. Ich hatte ja zugegeben, dass Elaine darin gefahren war. Wie ich auch zugegeben hatte, dass sie in meinem Haus gewesen war. Ich war offen und kooperativ. Die Polizei erklärte mich zu keinem Zeitpunkt offiziell für verdächtig. Die Presse allerdings tat es, weil Dawson gegen mich hetzte und man dort eine Story brauchte. Das hatte natürlich eine fatale Wirkung auf Josh. Dass ich dieses Mädchen mitgenommen hatte, bestätigte ja, was Jacqueline ihm ständig über mich erzählte. Wahrscheinlich hätte alles nicht schlimmer kommen können, wenn ich von Anfang an die Wahrheit gesagt hätte. Wenn ich in jener Nacht gleich Polizei und Krankenwagen gerufen und alles genau geschildert hätte. Denn auch so verlor ich meinen Sohn, meinen guten Ruf und zumindest teilweise meine Karriere. Aber«, er hob bedauernd die Schultern, »man blickt eben nicht in die Zukunft.«
9
Als sie am Anlegesteg ankamen, sprang Marc vom Schiff, zog es dicht an den Steg heran und vertäute es dort sorgfältig. Dann half er Rosanna, die in ihrer Betäubung zu kaum einer vernünftigen Handlung mehr fähig war, an Land. Als sie neben ihm stand, betrachtete er sie prüfend. Sie zitterte leicht.
»Du bist völlig fertig«, sagte er, »und ich habe den Eindruck, dein Fieber steigt wieder. Hör zu, sei vernünftig, geh hoch zum Parkplatz, setz dich ins Auto und warte dort auf mich. Ich versorge das Schiff, und dann komme ich nach.«
Sie fühlte sich zu elend, um sich gegen diesen Vorschlag zu wehren. Sie wäre gern bei Marc geblieben und hätte ihm tausend Fragen gestellt, aber sie spürte, wie wackelig sie auf den Beinen war, und dass ihre Stirn glühte. Die Schifffahrt durch den kalten Wind über der Themse würde ihrer Gesundheit den Rest geben. Ganz zu schweigen von dem, was sie dort draußen erfahren hatte.
»Okay«, sagte sie leise.
Er zog sie für einen Moment an sich. Seine Umarmung fühlte sich an wie immer: stark, tröstlich und liebevoll. Und dennoch traf Rosanna in diesem Augenblick fast schmerzhaft die Erkenntnis, dass sie keine Wärme mehr fand in seiner Umarmung. Jetzt jedenfalls, und vielleicht nie wieder.
Langsam stieg sie den Abhang hinauf. Einmal wandte sie sich um, aber Marc bemerkte ihren Blick nicht, er war auf dem Schiff beschäftigt.
Er hat sie nicht umgebracht, sagte sie sich, insofern muss ich meine Einschätzung, dass er kein Verbrecher ist, nicht revidieren. Es ist einfach ein Unglück passiert. Ein Unglück, das weder von ihm noch von Elaine vorhergesehen werden konnte. Solche Dinge passieren.
Aber sie wusste gleichzeitig, dass solche Dinge für gewöhnlich nicht vertuscht wurden. Menschen kamen ums Leben, weil sie unglücklich stürzten, die falschen Tabletten schluckten oder im Swimmingpool ertranken, aber niemand schaffte sie danach auf ein Schiff und versenkte sie auf dem Grund eines Flusses. Und spielte der gesamten Umwelt ein großes Theater vor.
Aber war das ein Verbrechen?
Sie langte beim Auto an und stellte fest, dass ihr Atem keuchend ging. Nur wegen dieser kurzen Steigung. Sie musste wirklich sehr angeschlagen sein.
Der Wagen war nicht verschlossen. Sie öffnete die Beifahrertür, sank auf den Sitz, lehnte den Kopf zurück und schloss die Augen. Sie war völlig erschöpft, sehnte sich nach einem Bett, in dem sie sich verkriechen, in dem sie Wärme und Ruhe finden konnte. Aber in ihrem Innern vibrierte sie zugleich, war überwach und wusste, dass sie nirgends auf der Welt jetzt hätte Schlaf finden können.
Sie musste versuchen, ihn zu verstehen. Wenn sie ihn verstand, würde für sie beide vielleicht eine gemeinsame Zukunft möglich sein. Blieb sie hingegen irritiert, verunsichert und verängstigt zurück, dann war sie am Ende ihrer kurzen Beziehung zu Marc Reeve angelangt.
Hatte er sich kriminell verhalten?
Er hatte sich an jenem Abend in einer emotionalen Ausnahmesituation befunden. Seine Scheidung stand dicht bevor, ein Umgangsrecht oder ein geteiltes Sorgerecht für den Jungen, der ihm so viel bedeutete, würde nun gerichtlich ausgehandelt werden müssen. In seinen eigenen Augen, aber auch in denen von Josh und möglicherweise in denen des Richters, hatte er bislang als Vater versagt. Zwei Dinge konnten ihm angelastet werden: seine Fixierung auf seine Karriere, praktisch rund um die Uhr, und seine permanente eheliche Untreue. Ersteres gab er unumwunden zu, Letzteres stritt er vehement ab. Aber gerade für den zweiten Punkt lag nun ein handfester Beweis vor: eine junge Frau, die er am Flughafen kennen gelernt und mit nach Hause genommen hatte und die sich zu allem Unglück noch auf seiner Treppe das Genick gebrochen hatte. Eine fatale Verkettung von Ereignissen, die geeignet war, einen Menschen die Nerven verlieren zu lassen. Im Kurzschluss hatte er die tote Elaine und alle ihre Besitztümer in sein Auto geschafft. Wie er selbst gesagt hatte, war ihm dann aufgegangen, dass er nun kaum noch zurückkonnte – dass die Leiche hin- und hergetragen worden war, hätten Kriminaltechniker sofort herausgefunden, vermutlich hätte sich das sogar in der Autopsie gezeigt. Innerhalb kurzer Zeit hatte Marc aus einer Situation, aus der ihm möglicherweise, zumindest in strafrechtlicher Hinsicht, niemand einen Strick gedreht hätte, Umstände geschaffen, die ihn suspekt erscheinen ließen. Es gab nur sein Wort, dass er Elaine nicht gestoßen hatte, bevor sie fiel. Nachdem er alle Vorbereitungen getroffen hatte, die Geschichte zu vertuschen – wie viel wäre sein Wort dann noch wert gewesen?
Die nun einsetzende Eigendynamik der Ereignisse hatte ihn in einen Zugzwang gebracht, dessen einzelne Schritte er sehr rasch nicht mehr hatte steuern können. Sein erstes überstürztes Handeln unmittelbar nach Elaines Tod hatte ihn in die Lage versetzt, nur noch reagieren zu können, je nachdem, wie sich die Erfordernisse stellten. Bis hin zu der Notwendigkeit, selbst bei der Polizei vorstellig zu werden, was ihn dann am Ende ironischerweise in genau die Schwierigkeiten gebracht hatte, die er hatte vermeiden wollen. Er hatte seinen Sohn verloren und war beruflich eingebrochen.
Sie öffnete ihre Augen, blickte hinaus. Von Marc war nichts zu sehen, er schien noch am Schiff beschäftigt zu sein.
Vielleicht ist es auch gar nicht der Gedanke, er könnte sich kriminell verhalten haben, der mich quält, dachte sie, sondern das Bewusstsein, von ihm getäuscht worden zu sein. Er hat mir die ganze Zeit etwas vorgespielt.
Aber was hätte er sonst tun sollen?
Vielleicht hätte er mit seinem Geständnis früher herausrücken sollen. Zu dem Zeitpunkt, da sie einander nicht mehr bloß sympathisch waren, sondern eine Beziehung begannen. Vielleicht auch dann noch, als er merkte, wie schwer die ganze Geschichte auf ihr lastete, wie sehr sie sich um Aufklärung bemühte. Stattdessen hatte er sein Lügengebilde immer weiter aufrechterhalten. Erst als er mit dem Rücken zur Wand stand, als ihm klar war, dass ihre Aussage bei der Polizei auf seine Überführung hinauslaufen würde, hatte er alles zugegeben. Von Freiwilligkeit oder eigenem Antrieb konnte nicht die Rede sein. Ganz gleich, wie es weiterging, diese Tatsache würde als bitterer Geschmack bleiben.
Auch über Elaine hatte sie manches erfahren. Sie versuchte, sich die junge Frau in jener Nacht vorzustellen. Es war so typisch für Elaine, dass sie ihr ganzes Lebensschicksal jammernd und klagend vor einem wildfremden Mann ausgebreitet hatte. Völlig untypisch war die Rolle, in die sie hinterher offenbar geschlüpft war – die der Trösterin, der Seelenberaterin. Erstaunlich, dass sie den beherrschten, gefassten Marc Reeve, der perfekt Fassaden um sich herum errichten konnte, so sehr als Objekt für ihre wahrscheinlich gut gemeinte Intervention empfunden hatte. Wie viel Einsamkeit, Schmerz, Verletzlichkeit mochte Marc an jenem Abend ausgestrahlt haben? Elaine jedenfalls schien einen hilfsbedürftigen Menschen in ihm gesehen zu haben – wie sehr auch das Motiv, von ihrer eigenen Offenherzigkeit abzulenken, bei ihren unerwünschten Analysen und Ratschlägen eine Rolle gespielt haben mochte. Und vielleicht lag genau hier auch eine weitere zutreffende Antwort auf die Frage, weshalb Marc Elaine überhaupt mitgenommen hatte. Er hatte es immer mit seinem Mitleid erklärt, das er gegenüber einer offenkundig hoffnungslos verzweifelten jungen Frau empfunden hatte. Aber auch er mochte auf dem Flughafen Heathrow Angst gehabt haben vor der Vorstellung, allein in sein dunkles, leeres Haus zurückzukehren – allein mit der Erinnerung an Josh und mit den Gedanken an die bevorstehende Scheidung. Der Termin in Berlin hatte für ihn auch bedeutet, einer von ihm als quälend empfundenen Situation für ein oder zwei Tage zu entkommen. Darin urplötzlich gestoppt, mochte er in einer Geste der Hilfsbereitschaft durchaus einen Gewinn für sich selbst gesehen haben: Elaine war unattraktiv, verheult und nervend, aber sie lenkte ab, und das machte sie in einer einzigen, bestimmten Hinsicht wertvoll für ihn. Rosanna zweifelte nicht daran, dass er keine Sekunde lang eine schnelle Affäre vorgehabt hatte. Aber sie bei sich zu haben, sie reden zu lassen, hatte sein eigenes Grübeln wenn nicht verhindert, so doch gebremst. Leider hatte sie dann zu viel geredet. Und über das falsche Thema.
Sie merkte, wie heiß ihr war, und öffnete die Wagentür. Die kühle Luft, die augenblicklich hereinströmte, legte sich besänftigend auf ihre brennenden Wangen. Sie stieg aus, ging um das Auto herum, versuchte zwischen Büschen und Bäumen hindurch hinunter zum Steg zu spähen. Sie konnte das Clubhaus sehen, das still und verlassen in der Sonne lag, und einige Schiffe, aber nicht die Heaven's Gate. Von der Stelle aus, an der sie sich befand, versperrte das Clubhaus den Blick zu ihrem Anlegeplatz.
Wie lange brauchte Marc eigentlich, um dort alles in Ordnung zu bringen? Wie viel Zeit war überhaupt vergangen? Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass es fast zwölf war, aber das half ihr nicht weiter, weil sie nicht wusste, um wie viel Uhr sie unten angelegt hatten. Nach ihrem Gefühl meinte sie, dass mindestens fünf und vierzig Minuten vergangen waren, seitdem sie zum Auto zurückgegangen war. So lange konnte es kaum dauern, bis er die Abdeckplane an ihren alten Platz gebracht hatte, oder? Vielleicht kam er nicht zurecht. So erfahren er im Umgang mit Schiffen sein mochte, aber seine Nerven spielten sicherlich nun auch verrückt.
Obwohl sie noch immer weiche Knie hatte, machte sie sich auf den Weg nach unten, um ihm zu helfen.
Der Steg lag nun in vollem Sonnenschein. An Sommertagen musste es herrlich sein, hier zu sitzen und die Füße ins Wasser baumeln zu lassen. Dieser Gedanke ging Rosanna durch den Kopf, als sie bis ganz nach vorn lief. Ein schöner, ein romantischer Ort. Das Bild eines Mannes, der in den frühen Morgenstunden eines nebligen, dunklen Januartages die Leiche einer Frau hier entlangschleppte, mochte so gar nicht zu dieser stillen Idylle passen.
Sie blieb vor der Heaven's Gate stehen. Sie hatte erwartet, Marc hier anzutreffen, entweder noch immer mit dem Schiff beschäftigt oder in sich zusammengesunken auf einer Bank sitzend, sein Leben, seine Zukunft überdenkend. Aber stattdessen war das Schiff völlig leer. Es war auch nicht abgedeckt worden. Es sah nicht anders aus als eine knappe Stunde zuvor, als sie es verlassen hatte.
»Marc?«, rief sie. Ihr Stimme klang fremd und unwirklich in dieser Stille. Wie ein störender Laut. Etwas, das nicht hierherpasste.
»Marc? Bist du da?« Sie versuchte, in die Kajüte zu spähen, aber es war zu dunkel hinter den Fenstern, sie konnte nichts erkennen. Sie zog das Schiff näher an den Steg heran und stieg hinüber. Es kostete sie einige Kraft, die Klappe, die den Niedergang verschloss, zu entfernen, aber endlich hatte sie es geschafft und kroch in den niedrigen Raum hinunter. Es roch feucht und muffig. Sie erkannte zwei einander gegenüberstehende Polsterbänke, einen Tisch, Fächer, die sich die Wände entlangzogen und mit vielerlei Krimskrams gefüllt waren – eine Flasche Sonnenöl, zwei Taschenbücher, eine Brille, ein paar Pennys. Nicht die Spur von Marc und auch kein Anzeichen, dass er hier unten gewesen war.
Aber hier auf einer dieser Bänke, dachte sie plötzlich, hat wahrscheinlich der Leichnam von Elaine damals gelegen. Sicher hat er sie hier unten versteckt, alles andere wäre zu gefährlich gewesen.
Sie bekam eine Gänsehaut auf den Armen und verließ rasch die Kajüte. Die Bilder, die vor ihren Augen aufstiegen, waren zu bedrückend, sie mochte sie nicht länger zulassen.
Als sie wieder auf dem Steg stand, schaute sie sich erneut um, aber niemand war zu entdecken als die Möwen, die unvermindert ihre jähen, scharfen Schreie ausstießen. Die ganze Zeit über hatte Rosanna die Möwen kaum mehr wahrgenommen, sie waren Teil der Landschaft, Teil dieses Tages geworden, aber auf einmal schrak sie zusammen, wenn sie sie hörte. Die Schreie der Möwen verstärkten das Gefühl völliger Einsamkeit, das über der Gegend lag. Trotz allem, was in den letzten Stunden geschehen war, hatte Rosanna den Tag als hell und sonnig empfunden, als einen freundlichen Vorfrühlingstag. Innerhalb weniger Minuten hatte er sein Gesicht verändert. Jetzt sah sie die kahlen Bäume, das kalte Blau des Himmels, die abweisend verschlossenen Fensterläden des Hauses, in dem der Bootsmann lebte. Keine Rauchsäule, die sich in den Himmel schraubte, keine Stimmen, keine Geräusche, die auf die Nähe von Menschen verwiesen.
Ich bin ganz allein hier, dachte sie.
Nein. Marc muss auch irgendwo sein.
Und auf einmal hatte sie Angst.
»Marc?«, rief sie erneut, aber ihre Stimme klang nun zaghaft und leise, und das lag nicht nur an ihrer Erkältung.
Sie lief über den Steg zurück und durchquerte den offenen Teil des Bootshauses. Sie rüttelte an der Tür, die in den Clubraum führte, aber die war fest verschlossen. Ob Marc auch hierzu noch immer einen Schlüssel besaß? Aber weshalb sollte er sich im Clubraum einschließen?
Jenseits des Zauns blieb sie stehen und starrte zum Parkplatz hinauf. Vielleicht war Marc inzwischen bei seinem Auto aufgekreuzt. Sie vermochte nichts zu erkennen. So schnell sie konnte, lief sie den Weg hinauf. Sie hatte stechende Schmerzen in der Brust, bei jedem Atemzug tat ihr die kalte Luft im Hals weh. Sie fror und war gleichzeitig am ganzen Rücken nass geschwitzt.
Marc befand sich weder im Auto noch irgendwo erkennbar in der Nähe. Rosanna blieb stehen, versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Sie verstand nicht, was los war. Er hatte nur rasch das Boot abdecken wollen. Vielleicht hatte ihn alle Energie verlassen, vielleicht hatte er plötzlich nicht weitermachen können. Er musste emotional heftig aufgewühlt sein.
Aber warum versteckte er sich dann vor ihr?
Weil ich seine größte Bedrohung darstelle.
Sie musste schlucken, weil die Angst mit einem Mal so heftig über sie hereinbrach, dass in Sekundenschnelle ihr Mund austrocknete und die Zunge zum Watteball wurde. Die ganze Zeit über hatte sie über ihre Enttäuschung, ihren Schmerz, den Verlust an Vertrauen nachgedacht, die Marcs Offenbarung in ihr ausgelöst hatte, aber ihr war nicht in den Sinn gekommen, dass auch er sie nun zwangsläufig in einer anderen Position ihm gegenüber sehen musste. Bislang waren sie einerseits ein Team gewesen, das gemeinsam einer ungeklärten Geschichte nachging, auf derselben Seite stehend, am selben Strang ziehend. Wie sich herausgestellt hatte, hatte dies so nie gestimmt, es war auf Marcs Seite ein Vorgaukeln gewesen und auf Rosannas Seite eine Illusion.
Andererseits waren sie ein Liebespaar. Wieweit Marc dabei gespielt hatte, war noch nicht geklärt.
Aber nun kam etwas anderes hinzu: Marc konnte im Handumdrehen zu einem Mann werden, der von der Polizei verfolgt wurde. Und Rosanna war der Mensch, der die Jagd auf ihn auslösen konnte.
Sie hatten nicht darüber gesprochen, was nun weitergeschehen würde. Das Letzte, was er von ihr zu diesem Thema gehört hatte, war ihr Entschluss gewesen, Inspector Fielder anzurufen und ihm mitzuteilen, was sie wusste – zu diesem Zeitpunkt war das die Tatsache gewesen, dass Elaines Pass in Wiltonfield gefunden worden war, dass Jacqueline Reeve dort ein Boot besessen hatte und dass das Schiff am frühen Morgen des 11. Januar 2003 die Mapledurham-Schleuse passiert hatte.
Inzwischen wusste sie weit mehr. Und sie hatte nicht gesagt, dass sie ihr Wissen für sich behalten wollte. Tatsächlich hatte sie über diesen Punkt überhaupt noch nicht nachgedacht. Die Frage war, wieviel Angst hatte Marc vor ihr? Und zu welchen Mitteln würde er greifen, eine ihm drohende Gefahr abzuwenden?
»Quatsch!«, sagte sie laut. Gleichzeitig blickte sie sich nervös um, aber noch immer war niemand zu sehen.
Marc war kein Verbrecher. Elaines Tod war ein Unfall gewesen, auf den er kopflos und damit völlig falsch reagiert hatte, aber er hatte sie nicht umgebracht.
Darauf habe ich sein Wort. Nichts sonst.
Sie würde es nie ganz genau wissen. Ihr ganzes Leben lang nicht. War Elaine rückwärts zur Treppe gewichen und dann gestürzt? Oder war Marc auf sie losgegangen, hatte sie gestoßen, geschlagen, hatte vielleicht vollkommen die Beherrschung verloren, viel mehr, als er nun zugab?
Marc war weit gegangen, die unglückselige Geschichte, wie auch immer sie sich genau zugetragen haben mochte, zu vertuschen. Wie weit würde er noch gehen? Selbst wenn ihm die Polizei seine Version abnahm, selbst wenn er ausschließlich für seine Vertuschungstaktik bestraft würde und nicht für ein Tötungsdelikt, würde seine Karriere diesen erneuten Einbruch nicht überstehen. Die Presse würde ihn vernichten, noch einmal würde ihm ein Neuanfang nicht gelingen. Eine Versöhnung mit Josh, auf die er mit dessen fortschreitendem Alter und damit wachsender Einsicht noch immer hoffte, rückte in aussichtslose Ferne.
Ich bin der Schlüssel zur endgültigen Katastrophe in seinem Leben.
Er kannte ihre Schuldgefühle gegenüber Elaine. Ihr Verpflichtungsgefühl gegenüber deren Bruder. Gab es in ihm die geringste Hoffnung, sie werde sich bereit erklären, über all das zu schweigen, was sie an diesem Morgen an Bord der Heaven's Gate erfahren hatte?
Und wenn er diese Hoffnung nicht hegte, was würde er tun? Darauf warten, dass sie zu Scotland Yard ging? Oder …
Warum versteckt er sich? Wo ist er? Was hat er vor?
Hastig öffnete sie die Wagentür, klappte das Handschuhfach vor dem Beifahrersitz auf, wühlte darin herum. Natürlich war kein Zweitschlüssel darin zu finden, wer deponierte schon seinen Ersatzautoschlüssel im Handschuhfach? Sie konnte nicht weg. Sie stand hier in dieser gottverlassenen Einsamkeit und konnte nicht weg, und irgendwo, ganz nah, war Marc, ein Mann, der sich als völlig in die Enge getrieben empfand. Der, zumindest seinem Gefühl nach, nichts mehr zu verlieren hatte.
Kurz erwog sie, sich ins Auto zu setzen, die Türen zu verriegeln und zu hoffen, dass irgendwann entweder der Bootsmann auftauchte oder eines der Clubmitglieder. Wollte denn niemand auf den Fluss hinaus an diesem schönen Frühlingstag? Oder sein Boot reparieren oder einen Frühschoppen im Clubraum trinken, oder irgendetwas tun? Vielleicht am späteren Nachmittag. Am Samstag gingen die meisten Leute zunächst zum Einkaufen. Es konnte dauern, bis jemand aufkreuzte.
Und niemand wusste, wo sie war.
Halt, das stimmte nicht. Ihr fiel der Anruf ein – wie viele Stunden lag er jetzt zurück? Marina, Robs Mutter und Dennis' Exfreundin. Sie hatte ihr gesagt, wo sie war, aber die Verbindung war schlecht gewesen, sie wusste nicht, wie viel die andere verstanden hatte. Im Übrigen hatte sie versprochen, sich später zu melden. Es würde dauern, bis es Rob komisch vorkam, dass sie sich nicht rührte. Falls er das überhaupt seltsam fand. Sie hatte ihn schon einmal vergessen in den letzten Tagen.
Marc hatte den Autoschlüssel. Er konnte die Türen jederzeit von außen entriegeln, und wie sollte sie dann so rasch die Kontrolle über vier Türen und einen Kofferraum wiedererlangen?
Sie fuhr herum, als sie hinter sich ein Geräusch zu hören glaubte, aber da war nichts, sie musste sich getäuscht haben. Unten am Clubhaus und am Bootssteg rührte sich nichts. Marc konnte sich in einem Bogen durch den Wald bis nach hier oben ungesehen durchschlagen und plötzlich von der anderen Seite kommen. Er konnte von jeder Seite kommen. Sah er das als seine einzige Chance? Rosanna mundtot zu machen und dann zu hoffen, dass die Polizei Pamela Lukes Aussage nicht mit ihm in Verbindung brachte? Würde er so weit gehen?
Sie kannte ihn nicht. Eigentlich kannte sie ihn überhaupt nicht. Sie hatte sich in ihn verliebt – in sein attraktives Äußeres, in seine Freundlichkeit, vielleicht auch in seine Melancholie. Aber an wesentlichen Stellen hatte er gelogen, als er über sich sprach, immer wieder hatte er sich verstellen und ihr etwas vormachen müssen, und deshalb wusste sie bislang nicht viel mehr von ihm, als dass er ein guter Schauspieler war. Im Grunde wusste sie nicht einmal, ob er nicht doch ein notorischer Ehebrecher war, wie Jacqueline behauptete.
Und sie wusste nicht, ob er ein Mörder war.
Sie musste fort von hier. So rasch sie konnte. Sie wartete schon viel zu lange, und es gab keine harmlose Erklärung mehr für Marcs Verschwinden. Die harmloseste wäre noch die, dass er zu Fuß den Fluss entlangflüchtete, obwohl es nicht zu ihm passte, etwas letztlich so Sinnloses zu tun. Weniger harmlos war die Vorstellung, dass er in einem Hinterhalt saß und auf eine günstige Gelegenheit wartete, die Frau zu beseitigen, die seine Zukunft zerstören konnte.
Das nächste Dorf, Wiltonfield, war zweieinhalb Meilen entfernt. Eine beachtliche Strecke zu Fuß, aber ihr blieb nichts anderes übrig.
Lauf, so schnell du kannst!
Sie hielt ihre Handtasche fest umklammert und versuchte den Umstand zu ignorieren, dass ihre Beine unter ihr nachgeben wollten. Ihre Stirn brannte. Krank sein konnte sie später.
Sie lief los, wandte sich immer wieder um. Alles blieb still und leer.