EIN HIMMLISCHES SCHWERT

Viele Jahre sind vergangen, seit ich mein Tagebuch ins Wasser entließ und es davontrieb, wohin auch immer. Ich hoffe, es war guter Lesestoff. Ich hoffe, es war zu etwas nütze.

Seither habe ich ziemlich viel um die Ohren gehabt. Meine Einsätze hatten entschieden internationaleren Charakter als meine erste Runde als Engel. Ich habe Dutzende von Weltkriegen verhindert. Ich war einer der Seraphim, die in der saphirblauen, Gänsehaut verursachenden Tiefe der Antarktis gestanden und Schmelzwasser zurückgehalten haben, die es in Wolken verwandelt und hoch in die Stratosphäre geschickt haben, die gar den Meeresgrund an manchen Stellen aufbrachen, um Unmengen von Wasser in das rote Herz der Erde ablaufen zu lassen. Ich habe mich in das Auge von diversen Tornados begeben – ja, genau wie Dorothy in Der Zauberer von Oz – und sie an Häusern voller Kinder vorbeigeleitet, ich habe Rinder, die in ihr Vakuum gesogen wurden, festgehalten, bis der Sturm vorüber war, und sie dann behutsam wieder abgesetzt. Ich habe Tsunamis vor Küsten voller Hotels, Häuser und ahnungsloser Sandburgen bauender Kinder zurückgedrängt.

Ab und zu wird mir gesagt, ich solle dies oder jenes geschehen lassen. Mal soll ich dabei zusehen, wie ein Tornado ein Haus zerstört oder ein Leben auslöscht. Mal soll ich ein Erdbeben zulassen und lediglich hinterher aufräumen. Mal soll ich einen Tsunami weiterrollen lassen. Ich habe keine Ahnung, warum.

Aber ich lasse es geschehen.

Und ich sehe Toby. Ich habe ihn dabei beobachtet, wie er in einer zerschlissenen Strickjacke und völlig ausgelatschten Schuhen in seiner Wohnung herumschlurft, wie er seine Brille gegen eine deutlich stärkere austauschte und seine Zähne mit immer neuen Keramikfüllungen bestücken ließ. Ich war bei ihm, als er bei Theos Hochzeit von mir sprach (wobei ich inständig hoffte, er möge die Sache mit den Drogen auslassen) und wie er unsere Zwillingsenkeltöchter in den Armen hielt und darauf bestand, dass eine von ihnen Margot heißen solle.

Ich rede mit ihm. Ich erzähle ihm, wie es hier ist. Ich sage ihm, dass er mit seiner Hand und seinem Husten zum Arzt gehen soll, und zwar bald. Und auch mit den Bauchschmerzen. Ich sehe seine Manuskripte durch und sage ihm, wo ein Komma fehlt, wo er noch etwas verbessern könnte. Ich sage ihm, dass ich ihn liebe.

Und ich sage ihm, dass ich immer für ihn da bin.

Dass ich auf ihn warte.