Sechsundzwanzigstes Kapitel
Schmerzen wurden zu Feuer, das Feuer wurde zu Eis, Eis verwandelte sich wieder in Schmerzen. Unter den Schmerzen, der Hitze und dem Eis konnte ich etwas spüren, das sich drehte und wand; etwas, das schrie.
Schließlich fand ich heraus, dass ich selbst das war.
Ich heulte in meinem Kopf, aber die anderen waren still. Ich konnte sie aber wahrnehmen. Verzweiflung, Höllenqualen, Todesangst. Unterwerfung. Ich schrie mit ihnen, als die Schmerzen wieder und wieder und wieder durch uns rasten, damit wir aufgaben und uns unterwarfen.
Ein Stimme drang durch die Schmerzen.
»Du bist mein Auslöser.«
Eine Stimme, die ich hasste. Ich schüttelte den Kopf, aber ich spürte nicht, dass mein Körper sich bewegte. Ich schrie »Nein«, aber kein Laut kam heraus.
»Herr, vielleicht solltet Ihr das Gerät noch ein Weilchen an ihr arbeiten lassen. Wir wollen nicht, dass sie blitzt, bis wir sicher sind, die Kontrolle zu haben.«
»Ich habe Kontrolle. Schau sie dir doch an.«
»Bleibt wenigstens hinter der Schutzwand.«
Wut stieg höher als die Schmerzen, und - wie zuvor - klärten sich meine Gedanken. Ich hatte keinen Körper mehr, aber ich verfügte noch über meinen Verstand, und der wehrte sich gegen den Befehl, sich zu ergeben und zu tun, was der Herzog wollte. Ich sammelte mein Ich in dem kleinen Platz zwischen Herz und Eingeweiden, wo ich immer die Schmerzen trug, die ich schiftete. Es war nicht viel, aber es war alles, was von mir noch übrig war.
Ich hortete die Schmerzen.
Die Stimme ertönte wieder. »Du bist mein Auslöser.«
Ich sagte nichts, gab nichts preis. Dabei wollte ich mit »Ja« antworten und alles preisgeben. Das Bedürfnis zuzustimmen, zu dienen, zerrte an mir, als könne es mein Einverständnis so leicht herausziehen wie die Schmerzen, die durch mich hindurchflossen.
Ich ließ zu, dass die Schmerzen über mich hinwegspülten. Ich würde mich nicht beugen. Sie konnten mich nicht gefügig machen. Mein Verstand war stark.
Mein Verstand gehörte mir.
»Du bist mein Auslöser.«
Ich sehnte mich danach, dem zuzustimmen, aber die Wut, welche die Stimme in mir weckte, ließ mich stumm bleiben.
»Warum sträubt sie sich immer noch?«
»Herr, ich habe Euch gewarnt, dass es seine Zeit braucht.«
»Nicht so viel Zeit. Die Rebellionen werden schlimmer. Das ist die perfekte Gelegenheit zu einem vollständigen Test.«
»Wir sollten wirklich nicht so starken Druck auf sie ausüben, bis wir wissen, dass wir ...«
»Du bist mein Auslöser! Du gehörst mir, hörst du mich? Mir!«
Ich ließ mich mit den Schmerzen treiben und lächelte.
Die Schmerzen hielten an. Das Prickeln in meinen Händen und Füßen war ständig präsent, aber ein dumpfes Pochen war neu. Es fühlte sich nicht wie die Irritationen an, die in starkem Gedränge entstanden, wenn man wie eine Puppe herumgestoßen wurde, oder wie die Momente der Stille, ehe die Schmerzen wieder einsetzten. Das Pochen kam und ging, ebenso die Schreie.
Die Scheibe wollte mich verschlingen. Sie hämmerte gegen meinen Verstand und meine Seele und verlangte, eingelassen zu werden.
Nein!
Ich kämpfte gegen die pochenden Schmerzen an und bot meine Willenskraft auf, meine Finger loszuschicken und zu blitzen, um die aufzuhalten, die mich ständig bedrängten, Dinge zu tun, die ich nicht tun wollte. Einen Moment lang spürte ich, wie ich mich bewegte.
Nein, nicht bewegte. Druck auf meinen Schultern. Vor und zurück. Schütteln.
»Du bist mein Auslöser! Sag es! Du bist mein Auslöser! Du. Bist. Mein. Auslöser.«
Schmerzen wogten. Ich kämpfte, aber sie drangen nach innen durch und umspülten mich. Der Druck zu gehorchen wurde stärker als die Wut, die mir Sicherheit gegeben hatte. Es wird länger bei ihr dauern, bis sie gefügig ist ... Nicht viel länger. Mein Wille wurde schwächer. Jede Schmerzwelle nahm etwas von ihm weg, bis - »Ich ... bin ... dein ... Auslöser.«
»Endlich!«
»Wir sollten sie noch ein bisschen länger schmoren lassen, wie man so sagt. Um sicherzustellen, dass sie so gefügig wie möglich ist.«
Vinnot. Der Herzog.
In meinem Kopf barsten Bilder, Gesichter und Orte. Tali, blass und schwitzend in einem Raum in einem Turm. Aylin, die mich durch Gitterstäbe anschaute. Schmerzlöser an Metall gekettet. Ein schmächtiger Herzog, der mich anschrie, etwas zu sein, was ich nicht sein wollte.
»Sei nicht albern - wir haben es geschafft. Endlich haben wir die vollständige Kontrolle. Ich möchte es jetzt erproben.«
… du bist ein besserer Preis als er ...
Ich war niemandes Preis.
Ich rang darum, die Worte zu formen, aber sie kamen nicht über meine Gedanken hinaus. Sie entglitten mir, als eine neue Schmerzwelle über mich hinweg und durch mich hindurch rollte, welche die schwache Verteidigung, die ich wieder aufgebaut hatte, wegblies. Ich hielt den Atem an. Immer wieder und wieder, Stück für Stück, von Schmerzen erfüllt.
Ich brannte darauf zu blitzen. Das Ding zu zerstören. Ihn zu vernichten.
»Ich ...«
Meine Kehle war zugeschnürt.
»Hat sie gesprochen?« Eine völlig überraschte Stimme.
»Unmöglich, Vinnot. Sie ist nicht mehr in der Lage, etwas anderes zu tun, als das, was ich ihr befehle.«
Ich hatte einen Willen, nur konnte ich ihn nicht erreichen. Er lag im Schlamm auf dem Grunde des Flusses der Schmerzen. Ich musste hinuntertauchen und ihn packen ... Ich hielt den Atem an und tauchte tief hinab.
»Nicht - Auslöser.«
»Sie hat gesprochen.«
»Das spielt keine Rolle. Sie wird tun, was man ihr sagt. Das machen sie alle.«
Ich werde nie tun, was man mir sagt.
»Ich bin. Kein. Auslöser.«
Hektisches Flüstern. Verängstigte Worte. Sie hatten Angst vor mir und vor dem, was ich vielleicht auf dem Boden des Flusses finden könnte, verloren im Schlamm.
»Vielleicht sollten wir hinter die Schutzwand gehen.«
»Angst, Erken?«
Ich sog die Luft tief ein, dann noch einmal und tauchte erneut tief in den Fluss hinab. Hinunter in die kalte Dunkelheit, die unter der heftigen Hitze wirbelte. Ich kratzte mit den Fingern im Schlamm.
Ein heller Funke, wie Sonnenlicht auf dem Wasser.
Ich grub noch tiefer, wickelte meine Finger darum und brachte es mit mir zur Oberfläche.
Ein purpurrotes Teichveilchen.
Tali. Heim.
Ich musste gegen den Herzog kämpfen, wie sie alle gegen den Herzog kämpften. Kämpfen wie ... Ich zwang meinen Blick zu Lanelle, mir gegenüber. Sie hatte mich bekämpft, mir Widerstand geleistet, als ich versuchte, sie in der Gilde zu schiften. Die Schmerzen verweigert, die ich ihr einflößen wollte. Konnte ich auch widerstehen?
Ich schloss die Augen und malte mir die Schmerzen aus, wie sie von Löser zu Löser wanderten. Ich verengte sie, zwang sie, dünner zu werden und zu tröpfeln, wenn sie durch mich hindurchliefen. Ich sammelte sie wieder zwischen Herz und Eingeweiden, und dort blieben sie zusammengerollt in der Falle, obwohl sie schrien und fauchten.
»Wir wollen es ausprobieren. Bringt ihn herein.«
Ein Mann wurde in den Raum geschleift, Ketten an Handgelenken und Füßen. Soldaten drückten ihn auf einen Stuhl und schlossen ihn mit Ketten an die Wand.
»Du bist mein Auslöser«, sagte der Herzog zu mir. »Zähl bis zehn und blitze den Mann danach.«
Nein.
Meine Stimme hörte nicht auf meinen Verstand. »Eins, zwei, drei ...«
Schritte entfernten sich schnell und eine schwere Tür wurde mit einem Knall geschlossen. Das Bedürfnis zu gehorchen, zu blitzen, schwoll in mir an und schwamm auf dem Fluss der Schmerzen wie ein Blatt auf dem Wasser.
»... acht, neun, zehn.« Die Spule in meinen Eingeweiden öffnete sich, Schmerzen strömten hinein, um den leeren Raum zu füllen.
Peng!
Nadeln stachen in meine Haut, meine Lider verbrannten. Die Schmerzlöser um mich herum schrien auf, ein scharfer Ton über dem leisen Stöhnen. Der Mann auf dem Stuhl schrie und sank in sich zusammen; seine Haut war rot.
Das Bedürfnis zu blitzen stieg wieder in mir auf und krönte die Welle der Schmerzen, die wieder in mich eindrang.
Die Tür öffnete sich.
»Sehr eindrucksvoll. Lebt er noch?«
Eine Pause. »Ja, Herr.«
»Hmm. Kann sie die Menge kontrollieren, die sie blitzt?«
Kontrollieren ...
Ich sah vor mir einen Reif aus Pynvium und Löwenzahn, untergegangen in einem Fluss aus Schmerzen. Sie warfen sich auf mich, wütend wie eine Springflut, und hüllten mich ein.
PENG!
Der Mann auf dem Stuhl schrie und verschwand in einem strahlenden Nebel wie eine Löwenzahnblüte, die gegen einen Fels geschmettert wird. Andere Stimmen schrien, einige ganz nah, andere weit weg, zu viele, als dass ich sie hätte zählen können. Metall klirrte auf Stein.
»Halt!« Eine Reibeisenstimme voller Schmerzen. »Hör auf zu blitzen!«
Das Pynvium unter meiner Hand brannte. Schreckliche Schmerzen trafen mich wieder und immer wieder.
Es geht um die Kontrolle, Nya-Schatz, hatte Papa gesagt, wenn er das blauheiße Pynvium mit seinen Zangen und dem Hammer bearbeitete. Wenn du es zu sehr zwingst, geht dein Auslöser los, ehe es fertig ist. Zu zaghaft, dann blitzt es vielleicht nie. Du musst das Gleichgewicht zwischen Zwang und Betteln finden. Bitte es einfach zu tun, was du von ihm willst. Beim Zaubern geht es darum, mit dem Pynvium zu arbeiten, nicht dagegen.
»Nein.«
»Du bist der Auslöser. Tu, was ich sage, und hör auf zu blitzen.«
Das Bedürfnis zu blitzen war so überwältigend, dass ich befürchtete, es könnte mich zerreißen. So viel stärker als das Bedürfnis zu gehorchen. Ich griff in die Scheibe und zog die Schmerzen heraus, sodass nichts mehr übrig war, um zu blitzen. Das Pynvium jammerte, wie ein Schrei in meinem Kopf. Ich wollte die Schmerzen haben, die mir gehörten. Wollte die Kontrolle wiedererlangen.
Hilf mir, du riesiger Brocken aus blauem Metall. Hilf mir, dann gewinnen wir beide.
Das Bedürfnis zu gehorchen konnte nicht gewinnen. Dem Bedürfnis zu blitzen war ich auf halbem Weg entgegengekommen. Ich war einen Kompromiss eingegangen, damit die Scheibe und die Schmerzen bekommen würden, was sie wollten, und mich in Ruhe ließen. Ich malte mir winzige Löwenzahndolden aus, die aus silberblauen Metallhandschellen wuchsen. Ich blies ganz behutsam, damit nur wenige davonflogen.
Peng!
Die Schmerzlöser schrien auf. Das Jammern des Pynviums wurde lauter, die Vibrationen unter meinen Füßen stärker.
»Herr, ganz ruhig, wir schaffen Euch fort von hier!«
Füße in Stiefeln traten auf Stein. Körper schleppten sich dahin. Türen knallten.
Ich presste die Hände gegen das Pynvium. Die Schmerzlöser waren jetzt wach und betrachteten alles mit großen, verängstigten Augen. Sie zerrten an den Handschellen. Das Bedürfnis zu blitzen kam wieder in mir hoch. Ich konzentrierte mich auf das Metall, das uns an die Scheibe fesselte.
Peng!
Löser schrien und zerrten an den Handschellen. Einige fielen zu Boden, als die Fesseln zerbrachen.
»Lauft!«, sagte ich durch zusammengebissene Zähne und bekämpfte den Wunsch, noch mal zu blitzen. Damit unterdrückte ich auch das Bedürfnis zu gehorchen - dem Herzog, Vinnot, sogar mir selbst. Die Löser stolperten umher und wirkten verloren. Einige gingen zur Tür, andere taumelten und fielen zu Boden.
Ich drückte meine Handflächen ins Pynvium. Die Scheibe leuchtete tiefblau unter dem Metall, das darauf geschweißt worden war, wie die Geheimzeichen in der Schmiede. Darüber schimmerte die Luft, darunter grollte die Erde. Das Metall sah zu heiß aus, als dass man sich ihm nähern konnte, aber das Pynvium war nicht heißer als ein Stein im Sommer. Warm, aber es versengte einen nicht.
Zumindest mich versengte es nicht.
Schmerzen entströmten der Scheibe und umwirbelten mich, versuchten die Kontrolle wiederzuerlangen, mich gefügig zu machen. Mich quälte das Verlangen, mehr als nur einen winzigen Ausbruch zu blitzen, aber die Löser hatten noch nicht alle den Raum verlassen. Meine Haut prickelte, als würde mein Körper von Nadeln zerstochen. Das Jammern wurde lauter, als flehe es mich an, es herauszulassen. Immer noch zirkulierten die Schmerzen, aber jetzt hatten sie außer mir keinen Ort mehr, an den sie gehen konnten.
Ich musste die Schmerzen herauslassen. Es war mir ein dringendes Bedürfnis, obgleich mir mein Verstand zuschrie, es nicht zu tun. PENG!
Meine zerrissene, blutige Kleidung verschwand. Schreie hallten nach, dann Stille.
PENG!
Die Wände barsten. Der Stein unter meinen Knien verwandelte sich in feinen Kies. Das silberblaue Metall zerbröckelte und flog fort. Pynviumsand floss von der Wunderwaffe, als sich das unreine Metall auflöste. Ein Klang in meinem Kopf - Stein auf Stein. Dann ... änderte sich etwas in mir. Nein, nicht allein ich, auch die Scheibe. Eine Welle von ... etwas ... rollte zwischen mir und der Scheibe, mahlend, sich bewegend, sich windend.
Ich sank inmitten des Pynviumsands, der auf mich herabregnete, auf die Knie und kroch davon. Der Boden mit den Rissen schnitt in Handflächen und Knie. Ich kroch vorbei an fallengelassenen Schwertern und rotem Nebel.
Mein Magen zitterte und verkrampfte sich schlimmer, als ich es je zuvor gefühlt hatte. Ich zwang mich auf die Knie. Dann schaute ich zurück zu dem, von dem ich wusste, dass ich es sehen würde.
Pynvium mit Zauberzeichen.
Und nichts anderes. Das silberblaue Metall, das geschmiedete Pynvium - alles war verschwunden, weggeschmolzen, doch dieses Ding darunter blieb. Ich konnte es hören und fühlen. Die Zeichen leuchteten jetzt blau, sie waren tief eingemeißelt und pulsierten wie ein Herzschlag.
Wie mein Herzschlag.
Die Zauberzeichen pulsierten. Mein Haut platzte.
Schmerzen. Es waren pulsierende Schmerzen, aber ...
Wieder pulsierten die Zeichen. Luft entwich meiner Lunge, als würde sie herausgesaugt.
Ich rang nach Luft, fühlte mich schwach.
Die Zeichen pulsierten. Mein Herz flatterte, als würde mein Leben herausgesaugt.
O Heilige, habt Erbarmen, was habe ich getan?